Lese-Splitter & Denk-Anregungen
Seite 1 von 3 Neuester Beitrag: 19.10.22 20:43 | ||||
Eröffnet am: | 06.06.15 13:01 | von: boersalino | Anzahl Beiträge: | 66 |
Neuester Beitrag: | 19.10.22 20:43 | von: boersalino | Leser gesamt: | 13.356 |
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[Herfried Münkler, Die neuen Kriege (2002), S. 234]
Etwas weiter gedacht bedeutet dieses völlige Fehlen einer persönlichen Bedrohungssituation beim einzelnen Soldaten eben auch einen besonders hoch motivierten persönlichen Zynismus beim Knopfdruck-Schlachten.
Höllentumult.
So lief es meistens ab. Nachdem die unseligen Dörfler ihre widerstrebenden Retter beschworen hatten, zu bleiben, stellte man Wachtposten auf und riet Reisenden auf den Straßen, die zum Dorf führten, andere Pfade einzuschlagen.
Dies taten Männer, die angeblich vor einer schrecklichen Seuche zitterten, die eine Tagesreise entfernt ungehemmt wütete.
Sie blieben einige Tage, allerhöchstens eine Woche, doch war es jener erste Augenblick, jene Krise des Entsetzens, in der die friedliche Welt der Dörfler zusammenzubrechen und ihnen um die Ohren zu fliegen schien, der, wie Il Capo das nannte, die beste Ernte ergab.
Ringe wurden von Fingern oder Hälsen gestreift. Kleine Dosen wurden aus dem gestampften Lehm der Böden armseliger Hütten gegraben, ihr Inhalt magisch dargeboten. Manchmal gab es da einen oder zwei Steine, oft genug falsche, aber rührend, und sie wurden angenommen.
Danach ein langsamer Niedergang.
[Lawrence Norfolk - Ein Nashorn für den Papst. S. 122 f.]
[Lawrence Norfolk - "Ein Nashorn für den Papst". S. 597]
[...]
Man muß diesen Hintergrund sehen, um den Gestus der Radikalität zu verstehen, der die beginnenden zwanziger Jahre auf allen Gebieten kennzeichnet. Weil der Tod auf so furchtbare Weise ins allgemeine Bewußtsein gedrungen war, konnte er jetzt nicht verdrängt oder überspielt werden.
Gibt es überhaupt etwas?, hatte Heidegger gefragt. Er nennt diese Frage selbst 'kümmerlich', fordert aber, bei dieser Kümmerlichkeit auszuharren, denn:
"Wir stehen an der methodischen Wegkreuzung, die über Leben und Tod der Philosophie überhaupt entscheidet, an einem Abgrund: entweder ins Nichts, d.h. der absoluten Sachlichkeit, oder es gelingt der Sprung in eine andere Welt, oder genauer überhaupt in eine Welt."
[...]
Die Wertphilosophie ist als Kulturphilosophie des bürgerlichen Kantianismus eine Theorie der geltenden Normen und des herrschenden "Sollens". Sie fragt nicht radikal genug zurück, was diese Normen sind, für wen sie warum gelten, welche Seinsart den 'Subjekten' zukommt, die sie befolgen. Heidegger geht in seiner typischen Weise gleichsam auf den Nullpunkt zurück; wir (als Philosophierende) können so fragen. Wenn wir dies vergessen, dann "verleugnen wir ... uns selbst. Nehmen wir an, wir wären überhaupt erst nicht da. Nun, dann gäbe es die diese Frage nicht."
Das heißt: Der radikale Rückgang auf die Möglichkeit des Fragens selbst enthüllt als verborgene Voraussetzung unser eigenes Sein. ['Interrogo, ergo sum' - eine fragwürdige Neufassung des cartesianischen Diktums. Anm. boers.]
[...]
Das Sein ist also angewiesen auf Seiendes, um überhaupt gedacht werden zu können.
[Thomas Rentsch - Martin Heidegger: Das Sein und der Tod. (1989) S. 56 f.]
Vorwort
Fragen vorlegen; Fragen sind keine Einfälle; Fragen sind auch nicht die heutigen »Probleme«, die »man« aus dem Hörensagen und aus Angelelenem aufgreift und mit der Geste des Tiefsinns ausstattet. Fragen erwachsen aus der Auseinandersetzung mit den »Sachen«. Und Sachen sind nur da, wo Augen sind.
Einige Fragen müssen dergestalt hier »gestellt« werden, um so mehr, als heute das Fragen außer Brauch gekommen ist bei dem großen Betrieb mit »Problemen«.
Noch mehr, man ist heimlich dabei, das Fragen überhaupt abzuschaffen, und meint, die Bedürfnislosigkeit des Köhlerglaubens hochzuzüchten. Man erklärt das sacrum als Wesensgesetz und wird dabei von seinem Zeitalter, das in seiner Brüchigkeit und Marklosigkeit Bedürfnisse dafür hat, ernst genommen. Man steht für nichts mehr ein als für die Reibungslosigkeit des «Betriebes«! Mündig geworden für die Organisation der Verlogenheit.
[Martin Heidegger (1923) - Gesamtausgabe, II. Abteilung: Vorlesungen. Bd. 63 Ontologie (Hermeneutik der Faktizität)]
Kursivsetzungen sind originalgetreu/boers.
Ich soll denken, sagt man, weil die Wahrheit eine >Norm< für mich ist, darnach ich mich zu richten habe, weil ich zu haltbaren Erkenntnissen kommen soll. Und warum ist Wahrheit eine >Norm< und nicht eine Falschheit? Weil Wahhrheit ein Wert ist. Und warum ist Wahrheit ein Wert?
Die Philosophie von den Werten, die Wertphilosophie als Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten gibt darauf keine Antwort ... [Das lässt sich nur transzendentalpragmatisch begründen (wenn überhaupt) - vergl. Niklas Luhmann].
Was heißt nun Wahrheit? Wahrheit, sagt man, ist eine Bestimmung, die Urteilen, Erkenntnissen, Sätzen zukommt oder nicht. Ein Urteil ist wahr oder falsch, und es ist wahr, wenn es mit dem Gegenstand, nach dem es sich richtet, übereinstimmt.
Was heißt: sich richten nach einem Gegenstand? Und was heißt: Gegenstand? Etwas überhaupt.
[M. Heidegger - Wissenschaft als Bedeutungszusammenhang, § 16, Wissenschaft als konkrete Logik, S. 73]
[...]
Sich und sein Tun so zu begreifen, ist natürlich viel weniger schick, als von sich selbst als Dichterseher zu schwadronieren, es ist mühsam und eine Arbeit, die zu keinem Ende kommt, weil sie kein Ende kennt,"
"Lieber Lord Chandos" - Antworten auf einen Brief - Andrea Paluch & Robert Habeck. S. 148]