Lese-Splitter & Denk-Anregungen
Seite 3 von 3 Neuester Beitrag: 19.10.22 20:43 | ||||
Eröffnet am: | 06.06.15 13:01 | von: boersalino | Anzahl Beiträge: | 66 |
Neuester Beitrag: | 19.10.22 20:43 | von: boersalino | Leser gesamt: | 13.369 |
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[Derselbe, ebenda S. 906]
"Ein Nashorn für den Papst:
Die Rivalität Spaniens und Portugals um die Gunst des Papstes im frühen 16. Jahrhundert führt zu Expeditionen, um dem Papst ein Nashorn (Rhinocerus) für seine Menagerie in Rom zu besorgen. Gleichzeitig schildert Norfolk die Erlebnisse von deutschen Ordensbrüdern in der Tiberstadt, die von der Insel Usedom nach Rom gereist sind." [Schwach]
https://de.wikipedia.org/wiki/Lawrence_Norfolk
Genauer, besser und einfühlsamer:
"Wer Lawrence Norfolks neuen Roman genießen will, muß vom grotesken Leib fasziniert sein. Die Ausbuchtungen, Verzerrungen und Übertreibungen des grotesken Menschenbilds weisen, wie Michail Bachtin in seinem Rabelais-Buch ausführt, auf einen zweiten Leib hin, der in allem Sterblichen steckt. "Die wesentlichen Ereignisse im Leben des grotesken Leibs, sozusagen die Akte des Körper-Dramas, Essen, Trinken, Ausscheidungen . . ., Begattung, Schwangerschaft, Krankheiten, Tod, Zerfetzung, Zerteilung, Verschlingung durch einen anderen Leib - all das vollzieht sich an den Grenzen von Leib und Welt, an der Grenze des alten und des neuen Leibes. In all diesen Vorgängen des Körperdramas sind Lebensanfang und Lebensende untrennbar ineinander verflochten." Es ist dieser über die einzelne Form hinwegschwemmende Leib der Gattung, den Norfolk mit großer Prägnanz und Leidenschaft exponiert.
Seine Figuren - man zögert, sie Helden zu nennen - sind Zeitgenossen von Rabelais. Norfolk verwickelt den korrupten Hofstaat Papst Leos X. in eine Geschichte mit zwei mittellosen Söldnern und einem Dutzend pommerscher Mönche. Doch während im "Gargantua" das gefräßige, lustvolle Leben auftrumpft, gehört bei Norfolk der Triumph dem Tod. Unwetter, Krieg, Lynchjustiz, Hunger, Seuchen, Plagen, Folter und Massenvernichtung beherrschen in fast orgiastischer Weise das Bild."
Wer Lawrence Norfolks neuen Roman genießen will, muß vom grotesken Leib fasziniert sein. Die Ausbuchtungen, Verzerrungen und Übertreibungen des grotesken Menschenbilds weisen, wie Michail Bachtin in seinem Rabelais-Buch ausführt, auf einen zweiten Leib hin, der in allem Sterblichen steckt.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/...elais-11302739.html
So viel zur Einleitung. Praeterea sequentur notitia.
Der Papsthistoriker Georg Schwaiger bezeichnete das Pontifikat Leos X. als „eines der verhängnisvollsten der Kirchengeschichte“.[8]
Im Sommer 1492 starb Innozenz VIII. und der gerade erst ernannte Kardinal Medici nahm an seinem ersten Konklave teil, das Kardinal Rodrigo Borgia (als Papst Alexander VI.) für sich entscheiden konnte. Giovanni, der gegen Borgia gestimmt hatte, verließ vorsichtigerweise Rom, wo er im Familienpalast, dem heutigen italienischen Senatsgebäude Palazzo Madama, gewohnt hatte, und kehrte nach Florenz zurück. Dort hatte kurz zuvor nach dem Tod des Familienoberhauptes Lorenzo des Prächtigen Giovannis älterer Bruder Piero der Unglückliche die Nachfolge angetreten.
1494 wurden die Medici im Zuge der Querung Italiens durch Karl VIII. von Frankreich durch einen Aufruhr aus Florenz vertrieben. Auch für Giovanni begann ein langjähriges Exil, während dessen er in Begleitung seines Vetters Giulio, des späteren Papstes Clemens VII., verschiedene Regionen Europas bereiste. Er kehrte erst 1500 nach Rom zurück, wo 1503 Kardinal Della Rovere, der wie Giovanni ein Gegner des Papstes Alexander gewesen war, als Julius II. zum Papst gewählt wurde. Nach dem Tod seines Bruders Piero wurde Giovanni im selben Jahr neues Oberhaupt der Familie. Er konnte seine guten Beziehungen zum Papst in der Folgezeit nutzen, um die Rückkehr der Medici in das angestammte Florenz vorzubereiten.
1512 wurde Kardinal de Medici, der Julius II. auf dessen Kriegszügen immer begleitet hatte, auf dem Schlachtfeld von Ravenna gefangen genommen und konnte im Juni 1512 in Pieve del Cairo nur durch Zufall wieder entkommen. Wenig später wurde auf dem Konzil von Mantua die Rückkehr der Medici nach Florenz endgültig beschlossen. Unter Führung des Vizekönigs von Neapel zog ein Heer der Heiligen Liga nach Florenz und erreichte die Übergabe. Kardinal de Medici, der die Leitung des Staates übernahm, konnte sich in der Folge gegen mehrere Verschwörungen behaupten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_X.
Er würgte seine Tränen herunter, und plötzlich stieg seine Stimme klar wie eine Trompete über Kummer und Unordnung und dunkle Gewalt: "Betet mit mir!""
"Was!" rief der Mann, aber hinter ihm beugten sich seine Verwandten und die Frauen und Kinder, Nachbarn, Feinde, um im Modder von Leem zu knien, und vor ihm ächzten die die tapferen Verwundeten der Christlichen Freien Kompanie vor Schmerzen, als sie dasselbe taten, und also kniete auch er nieder.
"Gott!" Il Capos Stimme hallte über die zusammengekommene Gemeinde hinweg. "Gott! Empfange mit deinen Armen die Seelen meiner wackren Hundert, guter Männer, die starben, als sie die armen Dörfer von Schlam verteidigten.
Gott!"
(will be continued)
Und Gott!" Nun war er wutentbrannt, ein im Feuer gehärtetes Schwert der Rache, das über entmenschten Schädeln hing.
"Gott! Geißle ihr Fleisch und zermalme ihre Knochen, peinige und foltere ihre Seelen mit glühenden Eisen, wie sie es mit den armen Dörflern zu Schlam taten, ohne Gnade und auf ewig, denn sie sind wahre Greuel, GREUEL!, üble Kreaturen, Abschaum, Schmutz, sie sind das ... Sie sind das ..."
Il Capo stotterte, stammelte, würgte an der verhaßten Silbe.
"Was?" fragte ein Dörfler.
"... sie sind das, das ... Ich kann es nicht aussprechen, ich kann es nicht. Wir müssen los. Wir haben schon zu lange gerastet."
"Ihr könnt uns doch jetzt nicht verlassen!" schrie eine Frauenstimme.
"Um der Liebe Gottes willen, beschützt uns!" eine andere, und bald begann die ganze Menge durcheinanderzuschreien, manche weinten schon und bettelten um Schutz, währenddessen Il Capo sein Gebet wieder aufnahm.
Was schlaue Köpfe bereits ahnen ... folgt sogleich.
Höllentumult.
So lief es meistens ab. Nachdem die unseligen Dörfler ihre widerstrebenden Retter beschworen hatten, zu bleiben, stellte man Wachtposten auf und riet Reisenden auf den Straßen, die zum Dorf führten, andere Pfade einzuschlagen.
Dies taten Männer, die angeblich vor einer schrecklichen Seuche zitterten, die eine Tagesreise entfernt ungehemmt wütete.
Sie blieben einige Tage, allerhöchstens eine Woche, doch war es jener erste Augenblick, jene Krise des Entsetzens, in der die friedliche Welt der Dörfler zusammenzubrechen und ihnen um die Ohren zu fliegen schien, der, wie Il Capo das nannte, die beste Ernte ergab.
Ringe wurden von Fingern oder Hälsen gestreift. Kleine Dosen wurden aus dem gestampften Lehm der Böden armseliger Hütten gegraben, ihr Inhalt magisch dargeboten. Manchmal gab es da einen oder zwei Steine, oft genug falsche, aber rührend, und sie wurden angenommen.
Danach ein langsamer Niedergang.
[Lawrence Norfolk - Ein Nashorn für den Papst. S. 122 f.]
[Lawrence Norfolk - "Ein Nashorn für den Papst". S. 597]
[...]
Man muß diesen Hintergrund sehen, um den Gestus der Radikalität zu verstehen, der die beginnenden zwanziger Jahre auf allen Gebieten kennzeichnet. Weil der Tod auf so furchtbare Weise ins allgemeine Bewußtsein gedrungen war, konnte er jetzt nicht verdrängt oder überspielt werden.
Gibt es überhaupt etwas?, hatte Heidegger gefragt. Er nennt diese Frage selbst 'kümmerlich', fordert aber, bei dieser Kümmerlichkeit auszuharren, denn:
"Wir stehen an der methodischen Wegkreuzung, die über Leben und Tod der Philosophie überhaupt entscheidet, an einem Abgrund: entweder ins Nichts, d.h. der absoluten Sachlichkeit, oder es gelingt der Sprung in eine andere Welt, oder genauer überhaupt in eine Welt."
[...]
Die Wertphilosophie ist als Kulturphilosophie des bürgerlichen Kantianismus eine Theorie der geltenden Normen und des herrschenden "Sollens". Sie fragt nicht radikal genug zurück, was diese Normen sind, für wen sie warum gelten, welche Seinsart den 'Subjekten' zukommt, die sie befolgen. Heidegger geht in seiner typischen Weise gleichsam auf den Nullpunkt zurück; wir (als Philosophierende) können so fragen. Wenn wir dies vergessen, dann "verleugnen wir ... uns selbst. Nehmen wir an, wir wären überhaupt erst nicht da. Nun, dann gäbe es die diese Frage nicht."
Das heißt: Der radikale Rückgang auf die Möglichkeit des Fragens selbst enthüllt als verborgene Voraussetzung unser eigenes Sein. ['Interrogo, ergo sum' - eine fragwürdige Neufassung des cartesianischen Diktums. Anm. boers.]
[...]
Das Sein ist also angewiesen auf Seiendes, um überhaupt gedacht werden zu können.
[Thomas Rentsch - Martin Heidegger: Das Sein und der Tod. (1989) S. 56 f.]
Vorwort
Fragen vorlegen; Fragen sind keine Einfälle; Fragen sind auch nicht die heutigen »Probleme«, die »man« aus dem Hörensagen und aus Angelelenem aufgreift und mit der Geste des Tiefsinns ausstattet. Fragen erwachsen aus der Auseinandersetzung mit den »Sachen«. Und Sachen sind nur da, wo Augen sind.
Einige Fragen müssen dergestalt hier »gestellt« werden, um so mehr, als heute das Fragen außer Brauch gekommen ist bei dem großen Betrieb mit »Problemen«.
Noch mehr, man ist heimlich dabei, das Fragen überhaupt abzuschaffen, und meint, die Bedürfnislosigkeit des Köhlerglaubens hochzuzüchten. Man erklärt das sacrum als Wesensgesetz und wird dabei von seinem Zeitalter, das in seiner Brüchigkeit und Marklosigkeit Bedürfnisse dafür hat, ernst genommen. Man steht für nichts mehr ein als für die Reibungslosigkeit des «Betriebes«! Mündig geworden für die Organisation der Verlogenheit.
[Martin Heidegger (1923) - Gesamtausgabe, II. Abteilung: Vorlesungen. Bd. 63 Ontologie (Hermeneutik der Faktizität)]
Kursivsetzungen sind originalgetreu/boers.
Zeitpunkt: 25.12.20 09:01
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Kommentar: Regelverstoß
Ich soll denken, sagt man, weil die Wahrheit eine >Norm< für mich ist, darnach ich mich zu richten habe, weil ich zu haltbaren Erkenntnissen kommen soll. Und warum ist Wahrheit eine >Norm< und nicht eine Falschheit? Weil Wahhrheit ein Wert ist. Und warum ist Wahrheit ein Wert?
Die Philosophie von den Werten, die Wertphilosophie als Wissenschaft von den allgemeingültigen Werten gibt darauf keine Antwort ... [Das lässt sich nur transzendentalpragmatisch begründen (wenn überhaupt) - vergl. Niklas Luhmann].
Was heißt nun Wahrheit? Wahrheit, sagt man, ist eine Bestimmung, die Urteilen, Erkenntnissen, Sätzen zukommt oder nicht. Ein Urteil ist wahr oder falsch, und es ist wahr, wenn es mit dem Gegenstand, nach dem es sich richtet, übereinstimmt.
Was heißt: sich richten nach einem Gegenstand? Und was heißt: Gegenstand? Etwas überhaupt.
[M. Heidegger - Wissenschaft als Bedeutungszusammenhang, § 16, Wissenschaft als konkrete Logik, S. 73]
[...]
Sich und sein Tun so zu begreifen, ist natürlich viel weniger schick, als von sich selbst als Dichterseher zu schwadronieren, es ist mühsam und eine Arbeit, die zu keinem Ende kommt, weil sie kein Ende kennt,"
"Lieber Lord Chandos" - Antworten auf einen Brief - Andrea Paluch & Robert Habeck. S. 148]