Herr Fischer was ist heute?
Dennoch wird sich der Außenminister im Anhörungssaal des Bundestages als Hauptangeklagter der Visa-Affäre rechtfertigen müssen, daran hat er sich in schmerzvollen Wochen gewöhnt. Fischer, dem die Zustände in deutschen Auslandsvertretungen über Jahre Nichtigkeiten waren, kann an dieser Rollenzuteilung nichts mehr ändern, seit er selbst „Fehler” eingestanden hat. An diese Fehler werden sich die Fragen der Opposition binden.
Mißbrauchsanfällige Instrumente
Ein nachdenklicher Außenminister
Zu klären ist, wie die umstrittenen, mißbrauchsanfälligen Erlasse der Jahre 1999 und 2000 entstanden sind. Hierbei muß der Minister die widersprüchlichen Angaben seiner Diplomaten und des früheren Staatsministers Volmer plausibel zusammenführen. Welchen Einfluß nahm Fischer selbst auf die umstrittenen Weisungen, hat er die bis dahin geltende Visa-Praxis tatsächlich „geprüft”, wie es der Erlaß vom März 2000 behauptet? Die Opposition wird wissen wollen, welche politischen, möglicherweise auch parteipolitischen Absichten Fischer mit dem Erlaß verfolgte, dessen öffentliche Präsentation er Ludger Volmer überließ, dem Gesandten des linken Flügels der Grünen im Auswärtigen Amt. Wie sah Fischer die Sache?
Wollte er mit der bisherigen Praxis brechen, die nach Aussage seines Staatsministers schikanös und oft am Rande der Unmenschlichkeit war, oder beabsichtigte der Vizekanzler auch in der Visa-Politik eine halbwegs kontinuierliche Fortentwicklung? Solche Fragen werden sich an die Entstehungsphase der Erlasse knüpfen. Fischer hat eingestanden, daß damit mißbrauchsanfällige Instrumente noch mißbrauchsanfälliger gemacht wurden. Es wird an der Opposition sein, zu zeigen, daß dies eine sehr zurückhaltende Deutung dessen ist, was dann in Kiew und anderswo folgte.
Vorposten der inneren Sicherheit
Die Union wird Fischer zahlreiche Dokumente vorhalten können, die der Außenminister schon vor fünf Jahren hätte lesen können, die aber aus irgendwelchen Gründen nicht zu ihm drangen. Im Untersuchungsausschuß wird er sich aber nicht wie viele der bisher vernommenen Diplomaten auf Vergeßlichkeit, Unzuständigkeit und lange Einarbeitungsphasen berufen dürfen, wenn heikle Fragen gestellt werden. Fischer wird wissen müssen, was er früher nicht gewußt hat. Seine heutige Aktenkenntnis kann als eine Art Lesebuße heilen, was er damals versäumte, nicht auf seinem „Radarschirm” hatte.
Nach der Betrachtung der Entstehungsgeschichte wird der Ausschuß wissen wollen, wie Fischer und Innenminister Schily (SPD) sich darüber auseinandersetzten. Die beiden Minister hatten einen außerordentlich scharfen Briefwechsel über den Fischer/Volmer-Erlaß. Der Vizekanzler gewann die Auseinandersetzung. Doch um welchen Preis. Der Außenminister hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt gewarnt sein müssen, daß die Visa-Frage mehr barg als Härtefälle des Petitionsausschusses. Zumindest im Innenministerium verstand man die Visa-Stellen in den Botschaften als Vorposten der inneren Sicherheit.
Eintrittskarten nach Deutschland?
Warum eigentlich änderte sich das Bewußtsein nicht einmal, als nach dem 11. September 2001 buchstäblich alle Welt begriff, daß Terrorabwehr etwas mit Grenzschutz und Einreisekontrolle zu tun hat? Wie kam es, daß Fischer diesen Aspekt der Weltpolitik gänzlich verkannte, wußte er denn nicht, daß mit den amtlich protegierten „Reiseschutzpässen” eines süddeutschen Kleinunternehmers praktisch Eintrittskarten nach Deutschland verkauft wurden?
Fischer wird sich fragen lassen, warum eigentlich keiner der Spitzendiplomaten in seiner Umgebung, keiner der versierten Abteilungsleiter, der ausgefuchsten Staatssekretäre, der begabten Büroleiter zu ihm kam, um zu sagen: „Herr Minister, hier und da und dort läuft etwas schief, wir müssen eingreifen!” Der Ausschuß wird wissen wollen, ob sich noch andere skandalöse Dinge im Hause des Ministers ereigneten, von denen er erst viel, viel später erfuhr. Und wie war es mit der Korruption in einigen fernen Außenstellen, in Kiew, Tirana oder Prishtina? Interessierte Fischer sich je dafür?
Angriff gegen sich selbst?
Irgendwann erfuhr der Außenminister dann doch, was in seinem Verantwortungsbereich passiert war, und hat nach seinen eigenen Worten „die Mißstände abgestellt”. Wie genau das geschah, was Fischer anwies, wie reagiert wurde, wird von Interesse sein. Man wird auch wissen wollen, warum es so lange dauerte, bis der Eingriff des Ministers, wenn es ihn tatsächlich gab, wirkte. Außerdem wird zu erfahren sein, wie Fischer dafür zu sorgen versuchte, daß sich die Fehler (seine und die seines Hauses) aus den Jahren 2000 bis 2002 nicht wiederholten. Waren sie wirklich „abgestellt”? Wenn ja, wie kommt es dann bis zum heutigen Tag zu immer neuen Berichten über fortdauernd merkwürdige Zustände, etwa in Prishtina oder in Peking?
Die Visa-Problematik sei „Chef-Sache”, seit ihm das ganze Ausmaß der Mißstände bekanntgeworden sei, sagte Fischer kürzlich. Aber was bedeutet das konkret, und was ist seiner Meinung nach „das ganze Ausmaß”? Vielleicht meint der Außenminister damit auch die Auswirkungen, die spätere Unterlassungen hatten. Das Ministerium hätte etwa den Kölner Schleuser-Prozeß unterstützen können. Schließlich war dort ein Bandenführer angeklagt, der die Botschaft in Kiew in großem Stil hereingelegt hatte. Die Kölner Staatsanwaltschaft verfolgte Kriminelle, die gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gehandelt hatten. Warum empfand das Außenministerium diese Ermittlungen als einen Angriff gegen sich selbst?
Der immergleiche Sprechzettel
Wußte Außenminister Fischer von der verbissenen Auseinandersetzung seiner Diplomaten mit dem Staatsanwalt und einem zunehmend erzürnten Gericht? War ihm bekannt, daß ausgerechnet die deutsche Hochburg diplomatischen Sachverstandes einen sehr gut bezahlten Rechtsanwalt als Vermittler einschalten mußte, um Schlimmeres (etwa eine angedrohte Hausdurchsuchung) zu verhindern? Auch eine zweite Serie von Gelegenheiten hat Fischer versäumt, die früheren und ja angeblich längst beseitigten Mißstände zu erörtern.
Diese bot sich, als Parlamentarier der Opposition erst gelegentlich, dann drängender nach den Visa-Zuständen fragten. Doch das Ministerium wiederholte seinen Kölner Fehler. Statt mit den Abgeordneten zu reden, ihnen umfassend Auskunft zu geben, schickte Fischer die grüne Staatsministerin Müller mit dem immergleichen Sprechzettel ins Parlament. Die Union fühlte sich verschaukelt, so kam es zum Untersuchungsausschuß. Dabei hatte Verteidigungsminister Struck (SPD) zur selben Zeit vorgemacht, wie man Fehlverhalten, dessen öffentliche Erörterung eigentlich niemand wünscht, gemeinsam erörtert und aus dem politischen Streit herausschiebt.
Schein prägt das Ergebnis
Struck war der nach dem Kosovo-Desaster des Bundeswehrkontingents fragenden Opposition mit Gesten der Brüderlichkeit und handfesten Informationen so weit entgegen gekommen, daß ein Untersuchungsausschuß vermieden werden konnte. Fischer hingegen ließ es laufen. Als „schrottdoof” wird dieses Verhalten inzwischen in der Fraktion der Grünen bezeichnet. Man darf gespannt sein, wie Fischer es rückblickend bewertet. Die Bilanz der Ereignisse - Ursache, Verlauf, Konsequenzen - wird den Ausschuß etliche Stunden beschäftigen. Außenminister Fischer hat ausdrücklich nichts dagegen gehabt, daß Fernsehkameras ihn dabei beobachten.
Er wird Fragen beantworten müssen, die ihn bis vor ein paar Monaten kaum interessiert haben. Sie werden ihm von Leuten gestellt, die weder ausländische Staatsmänner sind noch Generalsekretäre internationaler Organisationen. Hier treten ihm Parlamentarier entgegen wie der Kreisvorsitzende der CDU Hildesheim (Unions-Obmann Eckart von Klaeden) oder ein Kreisverwaltungsreferent a.D. (Ausschußvorsitzender Hans-Peter Uhl von der CSU). Auch damit muß Fischer souverän fertig werden, um eine gute Figur zu machen. Was er sagt, ist wichtig, doch seine Selbstinszenierung, der Schein, wird das Ergebnis der Vernehmung prägen. Die Wahrheit, schrieb Gracian um 1650, wird meistens gesehen und nur ausnahmsweise gehört.
Text: F.A.Z., 25.04.2005
Wie oft wird er sich nicht erinnern können?
Wie oft wird Kohl schuld sein?
Wie oft wird er ausweichen und lavieren?
Wie oft wird er die Verantwortung übernehmen?
Fragen über Fragen...
®
Gestern habe ich in der FAZ am Sonntag ein Essay von Schirrmacher gelesen. Besser kann man es nicht beschreiben. Die Zeit läuft ab. Nicht Fischers oder Volmers, sondern die Zeit der guten deutschen Aera.
Deutschland trennt müll, spart Wasser und Öl--und verschwendet seine wichtigste Ressource: die Zeit.
...Und wir erleben Politiker, die 10 Stunden nichts anderes taten, als über das Nichtstun zu reden. Nichts gibt das Gefühl verlorener Lebenszeit authentischer wieder, als die Befragung des ehemaligen Staatsminsters. Wäre es eine Parodie, sie würde wegen Unglaubwürdigkeit zurückgewiesen...
Sic--B.L.
Gibts wirklich nichts Wichtigeres? Meine jetzt nicht den Papst oder einen Tsunami, sondern was, was dieses Land vielleicht voranbringen könnte.
Der Untersuchungsausschuss zeigt sich wie ein Gericht und Fischer wie ein Angeklagter.
Fischer war vor Ort nicht Entscheidungsträger sondern die zuständigen Beamten, ganz einfach. Und das Fischer einem Visa-Mißbrauch zugestimmt hat, trifft sowieso nicht zu, da absurd.
Also hier läuft was verkehrt!
Wenn Du ihn frei zugänglich findest, kannst Du ihn ja mal reinstellen--echt lesenswert.
Ciao b.l.
"...
10:26
Reaktion Uhl auf Versprecher: „Ja, Herr Fischer, die Vergangenheit holt einen immer wieder ein.“
10:25
Versprecher Fischer: „Ich rief eine Hausbesetzung ein (statt Hausbesprechung)“
..."
Hat jemand dem Fischer was in den Kaffee getan, oder läßt der einfach nur nach. Erst diese Kirchner Peinlichkeit im Bundestag, nun dies...
salut
modeste
mfg
GF
Deutschland trennt den Müll, spart Wasser und Öl - und verschwendet doch seine wichtigste Ressource: die Zeit
Haben Sie, verehrter Leser, eben mal zehn Stunden Zeit? Der Sonntag ist dann zwar gelaufen, aber das ist, ehrlich gesagt, auch der Sinn der Sache. Sie haben danach einen ziemlich guten - sagen wir es in der Sprache der Untersuchungsausschüsse - "Sachstand" darüber, was mit Ihnen seit ein paar Jahren geschieht. Sie wissen nicht, wie man zehn Stunden hergibt? Das geht so: zehn Stunden diszipliniert Ludger Volmer auf Video schauen, dabei alle Vorräte aufessen und dann am Abend sich ärgern, daß Vorräte und Freunde weg sind und der Sonntag vollständig und unwiederbringlich vergeudet ist.
Nichts gibt das Gefühl verlorener Lebenszeit authentischer wieder als die Befragung des ehemaligen Staatsministers Ludger Volmer. Wäre es eine Parodie, sie würde wegen Unglaubwürdigkeit zurückgewiesen. Zehn Stunden lang erklärte der Ex-Minister, daß seine Funktion darin bestand, nichts getan, nichts zu tun gedurft oder zu tun gehabt zu haben. Und wir erlebten Politiker, die zehn Stunden nichts anderes taten, als über das Nichtstun zu reden. Und zwar so, daß jede Frage die nächste neutralisierte. Klar, ein Staatsminister "darf ja nichts tun". Aber ein bißchen kann er doch, meint die Gegenseite. Aber weiß er denn wenigstens, was er nicht getan hat? Hätte er tun können, was er nicht gewußt hat, oder hat er nur so getan, als habe er nichts gewußt? Tut er nur so, oder weiß er es nicht besser? Und was tun eigentlich die Ausschußmitglieder, wovon wir nichts wissen?
"Weiß da überhaupt noch irgendeiner in solch einer Sitzung, wovon er spricht?" fragte der NDR den SPD-Obmann Olaf Scholz, und der antwortete mit der Euphorie des Erschöpften: "Am Ende wurde es bei dem einen oder anderen ganz schwierig. Aber insgesamt, glaube ich, hat es gut funktioniert."
Zehn Stunden sind lang. In zehn Stunden hat Kafka eine seiner besten Erzählungen geschrieben. Zehn Stunden täglich hat Karl Marx an seinem "Kapital" gearbeitet. Und darin behauptet: "Arbeitet der Arbeiter zehn Stunden am Tag, dann arbeitet er sechs Stunden für seinen Lohn. In den verbliebenen vier Stunden arbeitet er nur für den Mehrwert, der vollständig dem Kapitalisten zufällt." Wofür arbeitet der Staatsminister, wenn er zehn Stunden am Tag arbeitet? Arbeitet er am Ende, in einem komplizierten dialektischen Prozeß, auch wieder fürs Nichtstun? "Nachdem ich zwanzig Jahre lang sechzig bis achtzig Stunden pro Woche für die Grünen gearbeitet habe, wende ich nun seit zwei Jahren fünf bis zehn Wochenstunden für den Aufbau einer beruflichen Alternative auf", schreibt der ehemalige Minister auf seiner Homepage, wo er der falschen Behauptung entgegentritt, er habe auch noch von einem anderen Auftraggeber, wörtlich: "fürs Nichtstun" 400000 Euro bekommen. Und die Ausschußmitglieder, die es, wie Obmann Scholz einräumt, am Ende "ganz schwierig" haben zu wissen, wovon sie reden, wofür arbeiten sie? Sie arbeiten ohne Zweifel sechs Stunden für die Wahrheit - und vier Stunden arbeiten sie für die Medien, die Partei und die Verwirrung.
Und wofür arbeiten wir? Die Abgabe, die wir zahlen, ist nicht nur Geld. Unsere Abgabe ist die Zeit. Die Staatsquote vereinnahmt diesen heute noch imaginären Wert wie ein böses Versprechen, das bald eingelöst werden wird. Schon die heute Vierzigjährigen haben das Gefühl des Zu-spät. Und die Zeitluke für die lebensnotwendigen Reformen schließt sich mit der Präzision eines Uhrwerks. Wenn wir zehn Stunden Politik, Aufmerksamkeit, Wahrheitsfindung d i e s e m Thema zuwenden, wieviel müßten wir der Aufklärung des anderen zuwenden?
Fast zur gleichen Zeit, zu welcher Ludger Volmer störrisch mit seinen Kollegen über Nichtstun und Nichtwissen debattierte, trat zehn Flugstunden entfernt ein neunundsiebzigjähriger Mann vor den amerikanischen Senat. In einer dramatischen und effektvollen Rede, die sofort um die Welt ging und schon wenige Stunden später in Australien kommentiert wurde, sprach Alan Greenspan nicht über Zinsen, auch nicht über Geld, sondern fast ausschließlich über eine der anderen Ressourcen: über die Zeit. Bereits 2008 wird in den Vereinigten Staaten die Vorhut der Baby-Boomer-Generation in Rente gehen. "Ich befürchte", sagte Greenspan, "daß wir der Baby-Boomer-Generation bereits mehr materielle Ressourcen für ihre Rentenzeit zur Verfügung gestellt haben, als unsere Wirtschaft überhaupt in der Lage ist aufzubringen. Wenn bereits existierende Versprechen verändert werden müssen, dann müssen diese Veränderungen so schnell wie möglich umgesetzt werden. Wir schulden es unseren künftigen Älteren, ihnen soviel Zeit wie nur irgend möglich zu geben, damit sie ihre Pläne darauf einstellen können."
Die knappste Ressource ist Zeit. Aber Deutschland sendet zehnstündige Verhöre mit einem Mann, den alle, einschließlich seiner selbst, für unwichtig halten, und ein CDU-Spitzenkandidat debattiert über die Überlegenheit des Christentums und ein SPD-Parteivorsitzender über den Kapitalismus. Es geht hier, um einen berühmten Satz zu zitieren, um Mietrecht in Häusern, die inzwischen vom Erdbeben zerstört sind. Schon heute ist sicher - um nur eine Beispiel zu nennen -, daß bereits in wenigen Jahren ein Wettlauf um die wenigen gut ausgebildeten jungen Menschen stattfinden wird, ein Wettlauf, bei dem womöglich der Mittelstand das Nachsehen haben wird. Schon heute ist sicher, daß die Geburtsjahrgänge jenseits des Jahres 1955 den Renteneintritt als eine andere Form der Arbeitslosigkeit empfinden könnten. Und ganz und gar unsicher ist, wie sich die Krankheits- und Pflegekosten entwickeln werden.
Der objektive Wahnsinn, nichts zu tun, aber über das Nichtstun stundenlang zu reden, ist viel schlimmer als die Bitte, mal eben zehn Stunden herzugeben - wir alle geben Jahre dran, Jahre, die wir nicht mehr ausgleichen können.
Es wiederholt sich für unsere Generation, was Stefan Zweig in der "Welt von gestern" beschrieb. Neidisch und wehmütig blicken wir auf die Welt der Sicherheit jener, die von den Leistungen der alten Bundesrepublik noch profitieren konnten. "Das Jahrhundert der Sicherheit", so Stefan Zweig über das späte neunzehnte Jahrhundert, "wurde das goldene Zeitalter des Versicherungswesens. Man assekurierte sein Haus gegen Feuer und Einbruch, sein Feld gegen Hagel und Wetterschaden, seinen Körper gegen Unfall und Krankheit, man kaufte sich Leibrenten für das Alter und legte den Mädchen eine Police in die Wiege für die künftige Mitgift. Schließlich organisierten sich sogar die Arbeiter, eroberten sich einen normalisierten Lohn und Krankenkassen, Dienstboten sparten sich eine Altersversicherung und zahlten im voraus ein in die Sterbekasse für ihr eigenes Begräbnis. Nur wer sorglos in die Zukunft blicken konnte, genoß mit gutem Gefühl die Zukunft."
Stefan Zweig konnte Abschied nehmen von der "Welt von Gestern", weil sie sichtbar zerstört und verschwunden war. Unser Abschied fällt schwerer. Wir können sicher sein: auch unsere Welt ist entschwunden. Aber daß fast genau hundert Jahre später, nach Inflation und Kriegen, das Ende dieses Zeitalters der Sicherheit ein zweites Mal angebrochen ist, muß kein Unglück sein. Es ist womöglich leichter, einen Neubeginn aus Trümmern zu beginnen als aus der Mitte einer Gesellschaft, in der, von außen betrachtet, noch alles irgendwie funktioniert. Wir Heutigen müssen erkennen lernen, daß die Jahre, die uns prägten und das Leben, das wir für selbstverständlich hielten, daß die Jahre zwischen 1960 und 1990 auch historisch einen vollständigen Ausnahmecharakter tragen. Umdenken, um das furchtbar abgedroschene Wort zu gebrauchen, heißt die Welt anders sehen. Nicht indem man sich schon Chips und Bier für die womöglich zwanzigstündige Befragung des mittlerweile in allen Zukunftsfragen unerheblichen Herrn Joschka Fischer besorgt. Sondern indem wir einen Bruchteil dieser Zeit jenen neunundvierzig jungen Bundestagsabgeordneten widmen, die sich in einer überparteilichen Initiative für die Verankerung der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz ausgesprochen haben - jedenfalls solange auch die nicht schon zu Funktionären des Konformitätszwangs geworden sind. Warum überträgt hier das Fernsehen nicht? Wo sind die Jahrgänge 1960 bis 1980? Warum wird über Nichtwissen und Nichtstun, statt über Wissen und Tun geredet?
Was sind die Kollateralwirkungen der demographischen Revolution? Wie steht es um die Kreditwürdigkeit der westlichen Staaten, in zwei Jahrzehnten? Die Rating-Agentur Standard and Poors hat soeben berechnet, daß die Staatsverschuldung durch die Alterung der westlichen Gesellschaft so stark anwachsen könnte, daß die Kreditwürdigkeit eines Landes wie Deutschland auf den Status Jamaikas absinken könnte. Wo planen wir heute noch unter den Voraussetzungen einer wachsenden Bevölkerung? In Deutschland sind von Miegel bis Biedenkopf kohärente Forderungen formuliert worden, deren wichtigste die Umstellung der Pflegeversicherung vom Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren ist. Den Unsinn einer Eigenheimförderung bei einer faktisch schrumpfenden Bevölkerung hat unlängst noch der Städteplaner Albert Speer nachdrücklich beschrieben. Zeit nutzen heißt auch: die Dinge gleichzeitig machen. Man kann gegebene Versprechen in Frage stellen, muß es sogar. Aber wenn daraus ein schleichender Prozeß ewiger Anpassung wird, entsteht ein fundamentales Mißtrauen gegen den Staat.
Wie haben wir seit den späten sechziger Jahren unser Land gefegt und gereinigt, wie oft haben wir, hinter irgendwelchen Volvos herfahrend, den Aufkleberspruch auswendig gelernt, daß wir die Erde von unseren Kindern nur geliehen haben. Wir haben alles richtig machen wollen und offenbar etwas Wichtiges versäumt. Werden die über fünfzig Prozent Älteren, die keine Enkel mehr haben werden, überhaupt daran interessiert sein, wie die Kindeskinder leben? Unsere Kinder werden uns nicht vor Vorwürfen verschonen. Sie werden uns anklagen. Sie werden fragen, und zwar schon in zehn Jahren fragen, was wir und unsere Politik mit der wenigen Zeit gemacht haben, die uns zum Umsteuern noch blieb.
Wollen wir dann allen Ernstes sagen, ach Gott, wir haben uns da doch total immer mal wieder zehn Stunden mit dem Herrn Klaeden und dem Herrn Volmer verplaudert?
FRANK SCHIRRMACHER
Die knappste Ressource ist Zeit. Aber wir kümmern uns zehn Stunden lang um Ludger Volmer.
Könnte Deutschlands Kreditwürdigkeit wegen der Veralterung auf den Stand von Jamaika sinken?
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.04.2005, Nr. 16 / Seite 25
MfG
kiiwii
Aber der Spaß im virtuellen Raum muss ja stilvoll beibehalten werden, hahaha.
lol
ich weiss auch warum nicht!!!
Schreib lieber mal ne Bewerbung anstatt hier den clown zu spielen!!!
Wieder ne Niete bei der Jobsuche vielleicht ?
Soll man mal ein gutes Wort für Dich einlegen ?
MfG
kiiwii
Sollte T. keine Stelle haben, wäre das nun wirklich eine Sch....Situation.
salut
modeste