23.01.2009 Interview mit Bernhard Mattes Ford-Chef: 27 Millionen Autos zu viel auf dem Marktvon Daniel Goffart und Carsten Herz Es ist eine gigantische Zahl und ein Symbol für die Krise der Autoindustrie: Ford-Deutschlandchef Bernhard Mattes warnt davor, dass die Überkapazitäten auf dem Automarkt schon in naher Zukunft auf bis zu 27 Millionen Autos ansteigen. Er schließt nicht aus, dass auch der Kölner Autohersteller noch auf Kurzarbeit gehen muss. Den Weg von Opel will Mattes hingegen nicht beschreiten. Er hat andere Pläne. Handelsblatt: Herr Mattes, braucht Ford ähnlich wie andere Autohersteller Hilfe von der Bundesregierung? Bernhard Mattes: Die Umsetzung unserer laufenden Pläne funktioniert ohne Staatshilfe. Um allerdings unsere Investitionen in Zukunftstechnologien noch weiter zu beschleunigen, würden wir gemeinsam mit anderen europäischen Herstellern gerne den Kreditrahmen nutzen, der bei der Europäischen Investitionsbank EIB in Brüssel zur Verfügung steht. Da befinden wir uns in Gesprächen, um Mittel für unsere Forschung und Entwicklung von besonders umweltfreundlichen Fahrzeugen zu erhalten. Um welche Summe geht es? Die Vergabe ist projektgebunden und die Bank bewilligt Beträge erst nach Prüfung. Bei uns geht es um einen dreistelligen Millionenbetrag. Dann sind die viel kritisierten Rettungsfonds der europäischen Regierungen und auch der Deutschlandfonds der Bundesregierung also sinnvoll? Ja, denn es geht vor allem um Garantien, um den Unternehmen Zugang zum Kapitalmarkt zu ermöglichen. Wenn wir als Firma Ford zwar nicht von der Bundesregierung, aber von der EIB zinsgünstige Kredite bekommen können, um unsere Forschung und Entwicklung zu unterstützen, dann streben wir das natürlich an. Gibt es Ihrem Eindruck nach eine Kreditklemme? Schauen wir uns die Fakten an: Die Kreditversicherer haben ihre Tätigkeit deutlich zurückgeschraubt, aber sie sind wichtig, wenn es darum geht, die gesamte Wertschöpfungskette in unserem Geschäft zu finanzieren inklusive der Lieferanten. Hier liegt meiner Meinung nach ein klarer Ansatzpunkt für ein staatliches Eingreifen, damit die Kreditversicherer ihr Geschäft wieder in vollem Umfang aufnehmen. Mussten Sie schon Lieferanten stützen, um Ihre Produktion nicht zu gefährden? Sagen wir einmal so: Wir arbeiten jetzt noch intensiver mit einigen zusammen als vorher. Mit Blick auf GM und Opel sieht es so aus, als ob mit Hilfe des Steuerzahlers das Unternehmen vor dem Untergang bewahrt wird. Verhindert der Staat durch sein Eingreifen eine ansonsten fällige Marktbereinigung? Ich sehe das nicht so, weil ich zwischen Kredit und Subvention unterscheide. Subventionen für ein Geschäftsmodell ohne Zukunft wären sinnlos, da stimme ich Ihnen zu. Aber hier geht es darum, Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen - je nach Bewertung. Natürlich müssen dann auch die Kapazitäten der Nachfrage angepasst werden. Wie schlimm wären die Auswirkungen für andere Hersteller, wenn einer der großen Autobauer vom Markt verschwindet? Wenn ein großes Unternehmen mit großem Volumen und starker Nachfrage auf der Lieferantenebene vollständig aufhören müsste, dann hätte dies Einfluss auf die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu anderen Autoherstellern. Das war auch einer der Gründe, warum Ford in den USA Chrysler und GMvoll mit ihrem Anliegen um Staatshilfe unterstützt. Wenn im Falle eines Konkurses die gesamte Wertschöpfungskette bricht, hat keiner etwas gewonnen. Aber wenn es etwa GM nicht mehr gäbe, würden die Leute vielleicht einen Ford kaufen. Klar, aber es wurden schon seit geraumer Zeit unabhängig von der Finanzkrise gewaltige Überkapazitäten aufgebaut. Weltweit gibt es im Automarkt heute ca. 20 Millionen Einheiten Produktionskapazität zuviel und die Zahl wird wachsen, nicht zuletzt durch den prognostizierten Nachfragerückgang in Höhe von rund vier Millionen Fahrzeugen in Europa und rund drei Millionen in den USA. Also gibt es dieses Jahr rund 27 Millionen Autos ohne Käufer. Was bedeutet das mit Blick auf den Fiat-Chrysler-Deal und die drei großen US-Hersteller? Ich kann hier nur für Ford sprechen und wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, denn wir haben einen guten Plan, setzen ihn zügig um und können ihn auch finanzieren. Die jetzt in den USA stärker nachgefragten sparsamen, umweltfreundlichen Autos liefern wir nächstes Jahr in Amerika aus, das ist vor allem der in Mexiko hergestellte Fiesta. In Deutschland gehen wir angesichts unserer jungen Modellpalette davon aus, dass wir im laufenden Jahr unseren Marktanteil von derzeit sieben Prozent gegen den Trend weiter steigern können. Wie bewerten Sie die neue Kooperation von Fiat und Chrysler? Ich habe die Logik dieses Plans noch nicht ganz nachvollziehen können, aber ich bin sicher, dass beide Seiten gute Gründe haben. Trifft es Ford in Europa nicht schwer, dass der Mutterkonzern die Schwestermarke Volvo verkaufen will, die eng mit den Ford -Modellen verzahnt ist? Wir sind dabei, einige unserer Produktprogramme auf globalen Fahrzeugkomponenten aufzubauen, dabei jedoch regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Der kommende Kleinwagen Fiesta beispielsweise wird sowohl in Europa, Asien als auch in den USA auf einem Konzept aufbauen. Damit sparen wir deutlich Kosten und bieten Produkte an, die die Kunden weltweit wollen. Dies ist die richtige Antwort für die Zukunft. Steht die Kooperation nach dem Fiat-Chrysler-Deal auf dem Spiel? Es gibt klare vertragliche Regelungen und ich gehe davon aus, dass beide Seiten den Vertrag erfüllen werden. Praktisch alle großen Hersteller kürzen die Produktion. Prüfen Sie nach dem Vorbild von Daimler, BMW und VW Kurzarbeit? Wir haben bereits erste Anpassungen vorgenommen und uns von Leiharbeitern getrennt sowie teilweise die Fertigung heruntergefahren. Ich kann nicht ausschließen, dass wir mit unserem Betriebsrat auch über Kurzarbeit sprechen, wenn sich der Nachfrageeinbruch fortsetzt. Hilft die neue Kurzarbeitergeld-regelung der Bundesregierung? Ja, denn so können wertvolle Fachkräfte weiter in den Unternehmen gehalten werden. Irgendwann geht es nämlich konjunkturell wieder nach oben. Bei der Entwicklung des Arbeitsmarktes wird es immer schwerer, gute Fachkräfte zu bekommen, die man in der Krise vielleicht zu schnell hat entlassen müssen. Was halten Sie von der 2 500 Euro hohen Abwrackprämie der Bundesregierung? Wir spüren bei unseren Händlern eine enorme Resonanz - und das bundesweit. Es kommen deutlich mehr Kunden zu den Händlern, um sich über die Konditionen zu informieren und nach Angeboten zu schauen. Nach ersten Gesprächen mit Außendienstmitarbeitern weiß ich, dass das Interesse schlagartig zugenommen hat. Ich bin sicher, dass die Abwrackprämie einen starken Impuls auf dem Markt auslösen wird. Der Verband der Automobil-Industrie geht von 2,9 Millionen Neuzulassungen in Deutschland in diesem Jahr aus. Ist das realistisch? Ja. Die Bundesregierung hat das Volumen der Abwrackprämie auf 1,5 Mrd. Euro begrenzt. Damit könnte man rein rechnerisch einen Anreiz zum Kauf von 600 000 neuen Autos geben. Wenn das ausgeschöpft wird, haben wir bereits viel erreicht. Sind Sie als Automobilmanager mit dem Konjunkturprogramm der Kanzlerin zufrieden? Es ist richtig, in dieser außergewöhnlichen Lage etwas zur Stimulierung der Wirtschaft zu tun. Ich kann nur sagen, dass die Kanzlerin immer ein offenes Ohr für die Industrie hat und das ist auch gut so. Wir sind zum Glück noch ein Industrieland und wir haben uns nicht nur auf Dienstleistungen oder den Finanzsektor beschränkt. Wir bekennen uns allerdings viel zu wenig dazu, weil manche denken, es ist auch schön, ein Blaupausenland zu sein. Das ist aber Unsinn. Deutschland hat eine großartige Industrie, und diese Stärke müssen wir unbedingt erhalten. http://www.handelsblatt.com |