bedingungsloses Grundeinkommen
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 30.11.06 11:04 | ||||
Eröffnet am: | 24.10.06 09:50 | von: orsis74 | Anzahl Beiträge: | 8 |
Neuester Beitrag: | 30.11.06 11:04 | von: kiiwii | Leser gesamt: | 2.049 |
Forum: | Talk | Leser heute: | 1 | |
Bewertet mit: | ||||
blog von götz werner,chef von dm-drogerieketten
Denn ganz so einfach, wie es sich darstellt wird es wohl nicht sein!
Es ist eine sehr gute Idee dabei, eben alle Zuschüsse, Beihilfen. Leistungen, zusammenzurücken auf ein Grundeinkommen, was jeder einfach so bekommt.
Nur ist das so finanzierbar?
Wenn wir von den über 700 Mrd Transfer ausgehen, dann sind darin auch wohl die Kindergelder, die Zuschüsse zu den Renten, wie auch Witwen-, Waisen-, Kriegs-, Frührenten enthalten. Meiner Meinung nach, müssten diese Leute, teilweise überhaupte keine zsätzliche Rente bekommen, als eben andere auch, doch ist das so die allgemeine Meinung?
Die Hauptbedenken, die wohl die meisten haben, kann das überhaupt finanziert werden.
Und es ist zunächst mal für jeden aberwitzig, dass jeder Geld bekommen, egal ob er was tut oder nicht. Da ist es logisch, dass sich das keiner, auch ich nicht, erklären kann, wo das Geld in dieser Grössenordnung her kommen soll.
Meine da müsste der Herr Werner, mal ganz klar und konkret sein Konzept, was auch wohl von Spezialisten durchgearbeitet sein müsste, einer grossen Öffentlichkeit zu Kenntnis geben.
Weiterhin sehe ich aber auch noch eine Negativum, ein sehr grosses dabei.
Es soll ja alle Einkommenssteuern verschoben werden, auf die Verbrauchststeuern. Ist ja soweit nicht schlimm, wenn jeder soviel bekommt, dass er leben kann, wenn eben eine höhere Steuer auf seine Nahrungsmittel und was er sonst braucht erhoben wird. Denn er kann es ja von seinem Grundeinkommen zahlen.
Aber, die Multimillionäre, die Millardäre, und die, die jedes Jahr Millionen Einkommen, wie wohl Herr Werner auch, und die ganzen Manger etc. die sollen dann auch gar KEINE Einkommenssteuern zahlen?
Damit würde wir doch starkt dahin gehen, eben nicht die Lasten nach Leistungsfähigkeit zu verteilen, sondern, jedem in etwas gleich belegen. Gut, man nie 100 Prozent gerecht sind, wichtig ist, dass alle möglichst wenig an Kosten für den Staat haben, aber auch alle eher mehr, denn weniger haben.
Meine aber wir müssten so eine art Einkommenssteuer, für hohen Einkommen hier weiter erheben. Vielleicht nur für Einkommen ab 100,000 Euro oder ähnlich und mit sher niedrigen Sätzen von viellieht 10 bis 20% steigend. Das hätte dann ja auch den gewaltigen Vorteil, dass Deutschland für die Einkommensmillionäre, ein Steuerschlufploch wäre.
Wie Du schon ganz richtig siehst - werden also Löhne, die unter die Grenze des Grundeinkommens fallen, vom Arbeitgeber theoretisch zunächst gar nicht mehr entlohnt werden. Herr Werner äußert sich diesbezüglich so, als das der Unternehmer sich dann "etwas einfallen lassen müsse, um den Arbeitsplatz attraktiv zu halten und somit auch die Arbeitskraft weiter zu beschäftigen". Sei es durch mehr Lohn - oder andere Annehmlichkeiten.
Hier liegt auch in meinen Augen noch ein großer Diskussionsbedarf. In diesem Sinne kann ich Dir Deine Frage leider nicht abschließend beantworten. Wieviele dieser minderentlohnten Arbeitsplätze betroffen sein werden, kann ich ebenfalls leider nicht beantworten - da sind Statistiker gefragt...
2. Auch hier ist es sinnvoller, es antwortet jemand, der sich mit dieser Materie besser auskennt als ich.
3. Grundsätzlich erhält jeder deutsche Bundesbürger das Grundeinkommen. Ich denke, hier in diesem Forum herrscht halbwegs Einigkeit darüber, dass man den Begriff Deutscher Bundesbürger in diesem Zusammenhang klar definieren muss. Beispielsweise, jeder erhält das Grundeinkommen, welcher einen Deutschen Pass hat seinen Hauptwohnsitz mindestens seit fünf Jahren in Deutschland hat.... Für Kinder sollte das Grundeinkommen in etwa kostenausgleichend sein, um der Zeugung von Kindern zur Erhöhung des eigenen Einkommens vorzubeugen.
4. Auch hier bitte ich, dass jemand anders sich dieser Frage annimmt. Richtig ist jedenfalls, das sowohl Arbeitslosenversicherung als auch die Rentenversicherung entfallen werden. Zur Einführung des Grundeinkommens müßte man in diesem Zusammenhang eine ÜBergangslösung definieren. Die Krankenversicherung bleibt natürlich bestehen und wird vom Grundeinkommen zu bezahlen sein. Ob dieser Betrag dann jeweils direkt abgezogen wird, oder ob der Empfänger diesen selbst überweisen muss, entzieht sich meiner Kenntnis.
autor:ganz schwarz
Das bedingungslose Grundeinkommen - eine gesellschaftliche Vision
Zum Kontext der aktuellen Diskussion
"Wer verspricht, ein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit zu haben, sagt die Unwahrheit" - so beginnt Ulrich Beck sein Buch "Die Zukunft von Arbeit und Demokratie"1. Er zeigt darin, wie weit die Länder Europas, gerade auch Deutschland, das Unternehmerideal eines Investitionsparadieses schon verwirklicht haben, wie die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft durch angebotsorientierte Maßnahmen erhöht wurde, die Körperschaftssteuer gesenkt, die Lohnzuwächse begrenzt, die sozialen Leistungen gekürzt wurden, wie Inflationsraten anhaltend niedrig gehalten und Handelshemmnisse beseitigt wurden. Gleichwohl bleibt die beschäftigungspolitische Bilanz verheerend. Der seit drei Jahrzehnten anhaltende Trend steigender Arbeitslosigkeit wurde nicht durchbrochen.
Seit Mitte der 70iger Jahre wird jeder Wahlkampf um das Thema Arbeitslosigkeit geführt, verspricht jede Partei ein todsicheres Rezept zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung zu haben. Dann wird gewählt - mal rot-gelb, dann schwarz-gelb, dann rot-grün, jetzt schwarz-rot - die Wähler haben wirklich alles probiert - aber am Ende jeder Legislaturperiode war die Arbeitslosigkeit nicht weniger, sondern mehr geworden. Das hinderte allerdings keine Partei daran, den nächsten Wahlkampf wieder um dieses Thema zu führen und beschäftigungspolitische Wunder zu versprechen.
Wann wird auf Seiten der Verantwortlichen Realitätssinn einkehren und über gerechte Alternativen zur Vollbeschäftigungsgesellschaft nachgedacht? In Wissenschaft und Zivilgesellschaft geschieht dies längst. Erinnert sei an die engagierte Diskussion um das "Ende der Arbeitsgesellschaft" oder gar das "Ende der Arbeit" in den 80iger Jahren. Diese Diskussion wurde in Deutschland jedoch durch die Wiedervereinigung und ihre Folgen unterbrochen, ist jetzt aber wieder da. Zwar sind seit jener Diskussion die Beschäftigtenzahlen gestiegen - aber weniger auf Grund von kollektiver Arbeitszeitverkürzung, sondern wegen der Ausbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse mit verkürzten individuellen Arbeitszeiten2. Vollarbeitsplätze werden ersetzt durch vertraglich flexible Unterbeschäftigung. Das Normalarbeitsverhältnis weicht immer mehr prekären Beschäftigungsformen - Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, Ein-Euro-Jobs etc.- jobs, die zur Existenzsicherung nicht ausreichen. Gleichzeitig hat die Zahl der Arbeitssuchenden zugenommen - u.a. aus demographischen Gründen und auf Grund verstärkter Erwerbsneigung von Frauen.
Die Forderung nach einem bedingungslosen, existenzsichernden Grundeinkommen
Die Spaltung der Gesellschaft durch prekäre Beschäftigung, ständig steigende Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung eines Millionenheers von Erwerbslosen, Verschleudern kreativer Potentiale der Betroffenen, Druck auf Arbeitslose, sich um jobs zu bemühen, die es nicht gibt (Hartz IV) und fortschreitenden Abbau der sozialen Sicherungssysteme - das ist der Hintergrund für die aktuelle Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Jenseits der Vollbeschäftigung, im Übergang von einer Arbeits- zu einer Tätigkeitsgesellschaft, wird das BGE zu einer zwingenden Forderung sozialer Gerechtigkeit.
Wer fordert heute das bedingungslose Grundeinkommen?
Zu den Protagonisten dieser Idee gehört das im Juli 2004 gegründete deutsche Netzwerk Grundeinkommen (www.grundeinkommen.de) bestehend aus VertreterInnen sozialer Bewegungen und kirchlicher Verbände, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen. Es ist der deutsche Zweig des weltweiten "Basic Income Earth Network" (BIEN), das bereits 1986 gegründet wurde, alle zwei Jahre einen großen Kongress zur Weiterentwicklung und Verbreitung seiner Ideen veranstaltet und viele prominente Mitglieder aufweist - darunter zwei Nobel-Preisträger der Wirtschaftswissenschaften. Eine weitere Initiative wirbt für das Grundeinkommen unter dem Slogan "Freiheit statt Vollbeschäftigung", mit Sascha Liebermann als einem ihrer Vorreiter (www.freiheitstattvollbeschäftigung.de). Ein bekannter Befürworter des Grundeinkommens ist auch der Chef der DM-Kette, Götz Werner, der vor einem Jahr ein breite Medienkampagne für das Grundeinkommen startete. International gehört der belgische Sozialphilosoph und ehemalige BIEN-Sekretär Philipe van Parijs zu den profiliertesten Vertretern dieser Idee.3 In der Parteienlandschaft wurde die Idee des BGE schon in den 80iger Jahren von der Grünen aufgenommen und hat heute insbesondere AnhängerInnen (aber auch Gegner!) in der Linkspartei. Schließlich haben sich auch attac und der Bundesjugendring für das BGE ausgesprochen.
Die Grundidee
Es gibt eine große Bandbreite von Vorschlägen für ein BGE. Die Grundidee ist, jedem Bürger, ob arbeitsfähig und -willig oder nicht, eine Mindestsicherung zu garantieren. Nach dem "Netzwerk Grundeinkommen" soll es vier Bedingungen erfüllen. "Es soll"
- existenzsichernd sein im Sinne einer Sicherung der basalen gesellschaftlichen Teilhabe,
- einen individuellen Rechtanspruch darstellen,
- ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden und
- "keinen Zwang zur Arbeit bedeuten." (www.grundeinkommen.de)
Das Grundeinkommen soll steuerfinanziert sein und bedingungslos jedem einzelnen Bürger zustehen, unabhängig von Familienstand, Vermögens- und Einkommenssituation etc. Damit erübrigen sich diskriminierende Bedürftigkeitsprüfungen. Jeder darf auch nach Belieben dazu verdienen ohne direkte Abzüge vom Grundeinkommen.4 Das Grundeinkommen tritt an die Stelle der bisherigen sozialen Sicherungssysteme. Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Kindergeld, Bafög, Beamten-Pensionen, könnten entfallen bzw. auf zusätzliche, freiwillige private Vorsorge reduziert werden. Der gewaltige, bürokratische Apparat seitens des Staates zur Verwaltung dieser Systeme wird überflüssig.
Eine gesellschaftliche Vision
Hinter der Forderung nach einem BGE steht allerdings mehr als ein Modell sozialer Grundsicherung, sondern eine gesellschaftliche Vision. Es geht um eine entscheidende Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen durch mehr Freiheit und Gerechtigkeit.
Schon 1966 hat Erich Fromm auf die Erweiterung der Freiheit des einzelnen hingewiesen, wenn ihm ein Existenzminimum garantiert wird.
"Bisher war der Mensch während seiner gesamten Geschichte durch zwei Faktoren in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt: durch die Anwendung von Gewalt von Seiten der Herrschenden ... und - was noch wesentlicher war - dadurch, daß alle vom Hungertod bedroht waren, die nicht bereit waren, die ihnen auferlegten Bedingungen in bezug auf ihre Arbeit und ihre soziale Existenz zu akzeptieren."5
Sprichwörtlich wurde das Pauluswort aus 2. Thess.3,10: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen." Mit dieser Drohung wurden Menschen gezwungen, so zu handeln, wie von ihnen verlangt wurde. Hintergrund waren Gesellschaften, in denen niemals ausreichend Güter vorhanden waren, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen.
Diese Situation hat sich heute in den wirtschaftlich entwickelten Ländern grundlegend verändert. In Zeiten des Überflusses ist es möglich, jedem ein basales Einkommen zu garantieren und ihn vor der Gefahr absoluter Armut und Hunger zu befreien. Von zentraler Bedeutung ist die Möglichkeit der Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Die Bindung des Einkommensbezugs an die Arbeitsleistung war so lange notwendig, wie die Existenzsicherung des Einzelnen seine Arbeitsleistung zur Voraussetzung hatte. Heute aber wird Arbeit immer stärker durch "Maschinen" (Automaten, Computer) ersetzt und gleichzeitig mehr produziert, mehr Reichtum geschaffen.
"Noch nie wurde mit so geringem zeitlichen Arbeitsaufwand soviel erwirtschaftet wie heute. Um eine gleich große Menge an Gütern und Diensten zu erarbeiten, müssen die Erwerbstätigen in Deutschland lediglich 7 vH der Zeit ihrer Kollegen vor 100 Jahren und etwa 3 vH der Zeit ihrer Kollegen vor 150 Jahren aufwenden."6
Viele sehen in der Vernichtung von Arbeitsplätzen durch den technologischen Fortschritt eine Katastrophe, andere dagegen den "Weg ins Paradies" (A.Gorz). Für VertreterInnen der Grundeinkommensidee liegt hier die Chance für enormen Autonomiegewinn. Befreit vom Naturzwang zur Arbeit gewinnen Menschen den Raum für jene Tätigkeiten, denen sie immer schon nachgehen wollten, aber aus zeitlichen und finanziellen Gründen nicht nachgehen konnten - Tätigkeiten, die im übrigen auch der Gesellschaft zugute kommen: Engagement in Familie und Nachbarschaft, Tätigkeiten im sozialen und ökologischen, kulturellen und kirchlichen, wissenschaftlichen und Selbsthilfe-Bereich. Mancher erhofft sich auch mehr Engagement der Bürger für das Gemeinwesen und Impulse für mehr Demokratie.
Vorteile für Arbeitnehmer und Wirtschaft
Auf dem Arbeitsmarkt wird die Position des Arbeitnehmers durch das BGE erheblich gestärkt: er/sie muss nicht jedes Arbeitsangebot annehmen, kann Beschäftigungen vorziehen, die eigenen Neigungen entsprechen, muss sich bei der Arbeit nicht alles gefallen lassen, kann bedenkenloser kündigen etc. All dies wird möglich, weil die Existenz auch ohne Erwerbsarbeit gesichert ist - ein enormer Autonomiegewinn. Größere Wahlfreiheit auf dem Arbeitsmarkt wird natürlich auch die Motivation zur Arbeit stärken. Arbeitgeber werden ihre Arbeitsplätze attraktiv gestalten müssen, um die Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten, die sie brauchen - d.h. vom Grundeinkommen würden starke Anreize zur Humanisierung der Arbeitswelt ausgehen.
Zudem könnten Arbeitnehmer auch niedrig entlohnte Tätigkeiten annehmen. Damit sinkt für die Wirtschaft der Druck, Arbeitsplätze in Niedriglohnländer zu verlagern. Stärkere Umverteilung würde den privaten Konsum erhöhen. Bürger müssten weniger Vorsorge treffen, brauchten weniger zu sparen. Das Grundeinkommen ist also auch für Unternehmer attraktiv. Der wohl größte Vorteil für sie läge aber darin, dass sie - ohne sich rechtfertigen zu müssen - technische Innovationen zur Rationalisierung von Arbeit voll nutzen könnten, ja sollten. Menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen wird nicht verteufelt, sondern begrüßt. Warum sollen Menschen Arbeit leisten, die ihnen Maschinen abnehmen können? Meistens sind dies ohnehin wenig kreative, repetitive Tätigkeiten. Produktivitätssteigerungen sind erwünscht, weil sie den Wohlstand vermehren und Menschen dazu befreien, sich auf die Dinge des Lebens zu konzentrieren, die ihnen wirklich wichtig sind.
Attraktiv für Wirtschaft und Gesellschaft wäre schließlich, dass der Faktor Arbeit stark entlastet würde. Die Lohnnebenkosten würden drastisch sinken, weil die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung entfallen. Wenn auch die Beiträge zur Krankenversicherung steuerfinanziert würden, entfielen die Lohnnebenkosten vollständig. Dies hätte positive Auswirkungen auf die Beschäftigung, zumal auch die Kaufkraft der Arbeitnehmer - entlastet um die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung - zunimmt.
Finanzierung
Die Finanzierung eines BGE ist nicht so unrealistisch wie es zunächst erscheinen mag. Das BGE macht ja die bisherigen sozialen Transferleistungen (s.o.) überflüssig verbunden mit einem enormen Bürokratieabbau. Götz Werner möchte das BGE durch eine schrittweise Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren. Langfristig sollen Einkommens- und Unternehmenssteuern vollständig durch Konsumsteuern ersetzt werden.
Eine fundierte Finanzierungsrechnung haben H. Pelzer und U. Fischer erarbeitet: das aus mathematischen Algorithmen zusammengesetzte "Transfergrenzen-Modell"7. Dieses Modell ist variabel und zeigt die Erfordernisse der Finanzierung je nach Höhe des Grundeinkommens und Art der Besteuerung. Sie kommen mit ihren Berechnungen zu dem Ergebnis: "Wenn es 1998 ein existenzsicherndes BGE gegeben hätte, wäre es über einen nur leicht veränderten Einkommenssteuertarif finanzierbar gewesen." (S. 2). Ein Beispiel: "Ein BGE für Erwachsene von 1000 DM mtl. plus das schon bis dahin gezahlte Kindergeld von mtl. 300 DM hätte eine Erhöhung der Einkommensteuer, bezogen auf die Bruttoeinkommen, um etwa 2% erfordert." (S.3) Später haben sie ihr Transfergrenzen-Modell für das Jahr 2003 aktualisiert und sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
Trotz dieses wissenschaftlich fundierten Nachweises einer Finanzierbarkeit des BGE wird man jedoch einräumen müssen, dass die finanziellen Auswirkungen der Einführung eines BGE in der Zukunft schwer vorauszusagen sind, weil sich die Wertschöpfungsleistung Deutschlands stark verändern würde. Es wird zu Veränderungen der Produktivität kommen - hier sind Steigerungen zu erwarten - sowie des Angebots und der Nachfrage auf dem Arbeitsmark - mit entsprechenden Folgen für die Höhe der Einkommen aus Erwerbsarbeit, der Preise, der Kaufkraft und des Steueraufkommens. Wegen dieser Unwägbarkeiten plädieren einige Autoren für eine schrittweise Einführung eines BGE unter sorgfältiger Beobachtung der Folgen. Andere sind für eine Erprobung der Auswirkungen mit Hilfe von Modellprojekten auf regionale Ebene. W
er das BGE wegen dieser Unwägbarkeiten ablehnt, muss sich allerdings fragen lassen, was die Alternativen sind. Das traditionelle System sozialer Sicherung steht offensichtlich vor dem Bankrott "und der Verlust finanzieller und sozialer Sicherheit geht längst einher mit einer unmittelbaren Gefährdung freiheitlicher Grundwerte: Solidarität, Humanität, Demokratie und der Freiheit selbst." (G.Sölken, Sprecher des Netzwerks Grundeinkommen).
Widerstände gegen die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen
"Was vergangene Generationen über die Jahrhunderte hinweg erträumten: einen Zustand größtmöglicher Freiheit vom Kampf ums Überleben, einen Zustand des Freigestelltseins vom "Naturzwang" der Arbeit - dies haben wir heute, im entwickelten Teil der Welt annähernd erreicht..." schreibt Guggenberger. Er fährt dann allerdings fort: "... und nun geht es uns wie dem Prinzen im Märchen: als endlich sein lang gehegter, sehnlichster Wunsch sich erfüllt, hat er sich zwischenzeitlich selbst so verändert, dass er mit dieser unverhofften Morgengabe des Schicksals gar nichts mehr anzufangen weiß, sie ihn gar beklommen und unglücklich macht."8
Tatsächlich hat sich offenbar die protestantische Arbeitsethik - in säkularisierter Form - so tief in das kollektive Verständnis von Wert und Lebenssinn des einzelnen eingegraben, dass Menschen sich ohne Erwerbsarbeit nutzlos und unglücklich fühlen. Man will sich sein Brot "verdienen", dafür etwas leisten. Und man will, dass auch "die anderen" nicht ohne fleißige Arbeit ihr Einkommen haben, denn wie gesagt: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen." Vielleicht liegt hier, soz. im "ideologischen" Bereich, das größte Hindernis für die Einführung eines leistungslosen Grundeinkommens. Die Entkoppelung des Einkommens von einer Arbeitsleistung stellt eine jahrhundertlange Moralvorstellung in Frage: die Reziprozität von Einkommen und Leistung. Der Gerechtigkeitsbegriff war und ist zu aller erst ein Begriff von Leistungsgerechtigkeit - Leistung soll sich lohnen - , nicht von Bedarfsgerechtigkeit, die zuerst jedem nach seinem Bedarf als Mensch zuteilt, was es zum Leben braucht.
Aber verdankt sich nicht unser Reichtum technischen Innovationen, die vergangene Generationen geschaffen haben und die somit allen gehören? Ist es nicht ein Gebot der Gerechtigkeit, alle Bürger an den Früchte des Produktivitätsfortschritts zu beteiligen? Zudem stehen heute stehen die Mittel zur Verfügung, auch ohne Gegenleistung jedem seinen Grundbedarf als Mensch zu decken. Dies entspricht auch einem Grundkonsens der Völkerwelt, die sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und weiteren Menschenrechtskonventionen darauf verständigt hat, dass jedem Menschen allein auf Grund seines Menschseins soziale Grundrechte zustehen wie "das Recht auf soziale Sicherheit" (Art 22 AEMR) und "das Recht auf einen Lebensstandard, der seiner und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet..." (AEMR Art. 25)
Gleichwohl bleibt es schwer, die Vorstellung zu überwinden, dass der, der Einkommen haben will, dafür auch arbeiten soll. Ohne Leistung kein Lohn. Einkommen haben, ohne dafür zu arbeiten, verdirbt den Charakter und nimmt den Anreiz zur Arbeit. Eine Schicht von Faulenzern wird produziert. Politiker können darauf vertrauen, dass eine solche populistische Argumentation große Mehrheiten überzeugt. Was ist dagegen zu sagen?
1. Zunächst sei daran erinnert, dass eine solche Verkoppelung von Arbeit und Einkommen gar nicht durchgängig besteht, und so auch nie bestanden hat. Es gab und gibt immer schon Formen von leistungslosem Einkommen. Eine Form, die bezeichnender Weise selten problematisiert wird, ist das Einkommen, das aus Erbschaften, Kapitalanlagen, Besitz an Produktivvermögen, Immobilien etc. erzielt wird. Hier werden von manchen gerade zu traumhafte Einkünfte erzielt - ohne Arbeit und Gegenleistung.
2. Am umstrittensten sind Einkommen für die, die arbeiten könnten, aber keinen Job finden oder gar keinen Job wollen. Ist es gerecht, wenn sie vom Staat ohne Gegenleistung Transfers erhalten? Dieser Einwand enthält Grundvoraussetzungen, deren Selbstverständlichkeit hinterfragt werden muss. Erwerbsarbeit wird einseitig als Last begriffen (im Sinne von Gen. 2 "Im Schweiße deines Angesichts. . ."), vor der sich niemand drücken darf. Aber ist Arbeit heute nicht für viele eher ein Mittel der Selbstverwirklichung und sozialen Integration, der Ermöglichung von Mitbestimmung und gesellschaftlicher Anerkennung - ein Mittel, das obendrein mit Geld belohnt wird? Und wird ein solches positives Arbeitsverständnis nicht durch das BGE stark gefördert, weil der Zwang, entwürdigende Arbeit anzunehmen, entfällt? Wenn Arbeit aber ein Privileg ist, warum soll der bestraft werden, der - freiwillig oder unfreiwillig - hierauf verzichtet?
3. Die historische Verkoppelung von Arbeit und Einkommen, die durch protestantisches Arbeitsethos begründet und verstärkt worden ist, mag geschichtlich ihren Sinn gehabt haben. Unter Bedingungen rasant zunehmender Automation, Rationalisierung und schrumpfendem Erwerbsarbeitsvolumen, führt sie zu millionenfacher Ausgrenzung, sozialer Not, Sinn- und Lebenskrisen der Betroffenen. Das Postulat "Jedem nach seiner Leistung" wird zu einer realitätsfremden und inhumanen Bedingung. Diese Art von Leistungsgerechtigkeit wandelt sich in Ungerechtigkeit, wenn die Möglichkeit, eine solche Leistung zu erbringen, gar nicht geboten wird. Leistungsgerechtigkeit setzt Teilhabegerechtigkeit voraus. Traditionelles Arbeitsethos und Moral müssen überdacht und den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.
Die ständige Berufung auf das Pauluswort in 2. Thess. 3,10 ist mehr als problematisch. Es stammt aus einer vorindustriellen Epoche und spiegelt zudem eine sehr spezielle Situation in der Gemeinde von Thessalonich wieder, wo einzelne "unordentliche" Mitglieder sich von anderen aushalten ließen und "unnütze Dinge" trieben. Es ist sehr fragwürdig, dieses Wort aus seinem historischen Zusammenhang zu reißen und zu einem allgemeinen, zeitlosen Grundsatz zu erheben.
Die Bibel enthält keine sozialethische Lehre von der Arbeit. Klar ist für sie aber, dass nach Gottes Willen jeder Mensch das bekommt, was er zum Leben braucht - dass die Armen, Witwen und Waisen versorgt werden, dass die Reichen ihr Vermögen nicht auf Kosten der Armen weiter vermehren, sondern es mit ihnen teilen, dass Gott sich - ohne menschliche "Gegenleistung" - um das Notwendigste sorgt. Erinnert sei an das Manna, mit dem Gott sein Volk in der Wüste gespeist hat (2. Mose 16) - ohne dass es dafür "gearbeitet" hätte, oder an die Geschichte von den Arbeitern im Weinberg (Math 20), wo jeder Arbeiter den gleichen Lohn erhält - egal, wie viel er dafür geleistet hat. Der johanneische Jesus sagt: "Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen" (Joh 10,10) - auch hier ist von einer Gegenleistung des Menschen keine Rede. Und schließlich wird der Zusammenhang von Lohn und Leistung in der paulinischen Rechtfertigungslehre ausdrücklich zerbrochen - wobei zwar die Beziehung von Gott zum Menschen gemeint ist, aber diese Beziehung soll auch auf die Beziehung von Mensch zu Mensch ausstrahlen und im Liebesgebot konkret werden.
Vor diesem Hintergrund wird man schwerlich behaupten können, dass eine enge Verkoppelung von Lohn und Leistung, von Arbeit und Einkommen, dem Geist der Bibel entspricht. Charakteristisch ist vielmehr der Gedanke, dass jeder Mensch nach dem Willen Gottes das zum Leben Notwendige haben soll (- also das, was wir "Bedarfsgerechtigkeit" nennen -) und dass die Mitglieder der Gemeinschaft, in der der Mensch lebt, dafür Sorge tragen sollen.
"Der immer noch geltende Gesellschaftsvertrag, der durch Erwerbsarbeit die gesellschaftliche Integration sichert und daher Vollbeschäftigung voraussetzt, verliert nach mehr als 25 Jahren Massenarbeitslosigkeit seine Allgemeingültigkeit." 9 Er führt zu einer substantiellen, sozialen Spaltung der Gesellschaft. Eine solche Spaltung steht im Widerspruch zum Sozialstaatsgebot unserer Verfassung, zu den sozialen Menschenrechten und zur sozialen Botschaft der Kirchen. Daher ist es höchste Zeit, Konzepte in den Blick zu nehmen, welche die materielle Existenz unabhängig von Erwerbsarbeit sichern. Ein allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen ist eine mögliche Antwort auf diese Situation.
Kohle ohne Arbeit...wer will das nicht ?
Aber bidde nicht meine.
.
.
MfG
kiiwii
P.S.: "Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle Unrecht haben" (B.R.)