Wer an ein Tabu rührt, muß vernichtet werden!
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Eröffnet am: | 12.07.04 18:38 | von: Gilbert Wolz. | Anzahl Beiträge: | 15 |
Neuester Beitrag: | 14.07.04 10:39 | von: Gilbert Wolz. | Leser gesamt: | 1.905 |
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General a. D. Reinhard Günzel, ehemaliger Chef des KSK, über seine Entlassung, den Fall Hohmann und eine Bundeswehr, die "weder patriotisch noch soldatisch sein darf"
Moritz Schwarz
Herr General, Bundesverteidigungsminister Peter Struck hat Ihnen attestiert, Sie seien "verwirrt".
Günzel: Nun, ich habe mich bislang nicht als "verwirrt" betrachtet.
Sie sind Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold - wie haben Sie das erlangt, so verwirrt, wie Sie angeblich sind?
Günzel: Ich bin in all meinen Kommandeurverwendungen - und dies war meine sechste - immer hervorragend beurteilt worden. Und man hätte mir die hochsensible Aufgabe, das Kommando Spezialkräfte (KSK) zu führen, auch nicht übertragen, wenn man nur den Hauch eines Zweifels an meiner geistigen oder charakterlichen Eignung gehabt hätte.
Wie kam der Verteidigungsminister Struck dann dazu, Sie - ohne Rücksicht darauf, daß ihn dies als verantwortlichen Minister eigentlich selbst desavouiert - als "verwirrt" zu bezeichnen?
Günzel: Tja, wer an einem Tabu rührt, der muß mit allen Mitteln vernichtet werden. Minister Strucks Vorgehen erinnerte mich an die Methoden der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa, wo man Andersdenkende mitunter auch als geisteskrank qualifizierte.
In der Literatur wird dieses Vorgehen allgemein als Kennzeichen einer repressiven Gesellschaft beschrieben.
Günzel: Ich bin zwar nicht eingesperrt worden, davon sind wir in Deutschland natürlich weit entfernt, aber etwas davon steckt tatsächlich im Vorgehen des Ministers. Es geht darum, das konservative Lager auszugrenzen, möglichst auszumerzen - da kann gar nicht hart genug dreingeschlagen werden! Deshalb auch all die Demütigungen, die man mich hat spüren lassen.
Zum Beispiel?
Günzel: Ich mußte mich als "verwirrt" verhöhnen lassen, mußte von meiner Entlassung im Prinzip durchs Fernsehen erfahren, für die restlichen vier Stunden bis zur endgültigen Entlassung wurde mir verboten, Uniform zu tragen und Dienst auszuüben - ich saß im Vorzimmer des Inspekteurs des Heeres, wie hätte ich da Dienst ausüben sollen? Mein Fahrer wurde weggeschickt - und das schlimmste: Mir wurde verboten die Kaserne zu betreten um mich von meinen Männern zu verabschieden. Ich habe mich nach Jahren gemeinsamen Dienstes mit meinen Leuten bis heute nicht offiziell von ihnen verabschieden können! Man hat mich von "meiner Welt" isoliert - wie einen Aussätzigen behandelt. Die größte Demütigung allerdings war, mir die Formel "Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste ... Dank und Anerkennung" aus der Entlassungsurkunde zu streichen. Nach fast 41 Jahren treuen Dienens und in Anbetracht dessen, daß dieser Dank nach bisheriger Praxis nur demjenigen verweigert wird, der sich schwerer krimineller Vergehen schuldig gemacht hat, ist dies der schlimmste Versuch der Ehrabschneidung, den man einem Soldaten zufügen kann.
Ging es ausschließlich darum, ein Exempel zu statuieren, oder spielt auch das Bedürfnis nach Rache an Ihnen als einem "Verräter" an der vom Ministerium gewünschten Weltanschauung eine Rolle?
Günzel: So habe ich es in der Tat empfunden. Denn nur so ist dieses wütende "Über-das-Ziel-Hinausschießen" bei der Behandlung meiner Person zu erklären. Die Entlassung nach Paragraph 50 des Soldatengesetzes ist an sich nämlich nur ein nüchterner Rechtsakt. Allerdings entscheidend war das gesellschaftliche Signal: Der Minister hat nicht einfach die Fassung verloren, sondern hat diesen Exorzismus systematisch inszeniert. Es ging darum, der Öffentlichkeit und der Bundeswehr zu demonstrieren, wie es einem ergeht, der von der ideologischen Linie abweicht.
Wie haben Sie genau von Ihrer Entlassung erfahren?
Günzel: Ich war am 4. November gerade zu einer Dienstaufsicht in der Internationalen Fernspähschule der Bundeswehr im schwäbischen Pfullendorf, als mich ein Anruf aus dem Informations- und Pressestab der Bundeswehr erreichte. Der Offizier hat mich nach einem Brief an den CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann gefragte, den ein ZDF- Journalist bei ihm vorgewiesen habe, der nun wissen wolle, ob dieser authentisch sei. Ich war verwundert, bestätigte aber, was ich bestätigen konnte.
Ahnten Sie, was folgen würde?
Günzel: Mir schwante Böses, ich rechnete aber nie und nimmer mit einem solchen Haß gegen mich.
Sie setzten Ihren Besuch in Pfullendorf fort.
Günzel: Ja, doch eine halbe Stunde später erreichte mich ein zweiter Anruf, diesmal eines Offiziers des Führungsstabes des Heeres, der darum bat, ihm den Brief zuzufaxen, was mein Büro sofort erledigte. Dann rief mich mein Divisionskommandeur an, der aber nur wissen wollte, ob die genannten Fakten zuträfen. Schließlich klingelte der Befehlshaber des Heeresführungskommandos an und legte mir nahe, meinen Abschied anzubieten. Da ich mir keines Fehlverhaltens bewußt war, lehnte ich dies ab, beziehungsweise bat mir Bedenkzeit aus. Die Antwort: "Gut, rufen Sie mich bis 16 Uhr zurück - aber bis dahin hat der Minister dann schon entschieden." Wie, das konnte ich mir ausrechnen und kurz darauf im Fernsehen sehen. Niemand machte sich an diesem Tag die Mühe, mich zur Sache selbst zu befragen, zum Beispiel welche Redefassung mir eigentlich vorgelegen hatte. Es wurde mir befohlen, mich am nächsten Tag um 14 Uhr beim Inspekteur des Heeres im Verteidigungsministerium zu melden. Dort ließ man mich vier Stunden warten, bis am Abend die unterzeichnete Entlassungsurkunde per Flugzeug aus Berlin eintraf. Um 14.15 Uhr wurde mir das erste Mal Gelegenheit gegeben, gegenüber einem subalternen Beamten zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Aber da war meine Entlassung bereits beschlossen, verkündet und unterschrieben - es war eine Farce. Ich habe dann darauf verzichtet, mich gegenüber diesem Beamten zu erklären. Es ist also reiner Zynismus, wenn Minister Struck behauptet, ich sei vor meiner Entlassung von einem seiner Beamten gehört worden.
Währenddessen wurde Ihr Fahrer angewiesen, ohne Sie zurückzufahren - Sie seien nicht mehr im Dienst.
Günzel: Man wollte mir offensichtlich obendrein die Schmach antun, nach 41 Dienstjahren auch noch mit der Bahn nach Hause fahren zu müssen.
Ihr Fahrer widersetzte sich jedoch.
Günzel: Und er sagte das - als einfacher Mannschaftsdienstgrad gegenüber dem Oberstleutnant, der ihn angewiesen hatte - rundweg ins Gesicht. Und wenn er einen Leihwagen nehmen müsse, war seine Antwort. Das hat gewirkt, man ließ ihn gewähren.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie bei Übergabe der Entlassungsurkunde entdeckten, daß die obligatorische Dankesformel fehlte?
Günzel: Da ich nach der Rechtslage wußte, daß ich nicht wegen persönlicher Schuld, sondern aus Gründen der Staatsraison entlassen wurde, kam ich nicht im Traum auf den Gedanken, daß man mir die Dankesformel vorenthalten würde. Erst später wurde mir klar, daß all dies - wie schon bei Hohmann - Teil des Schauspiels war, zum Ritual dieser Teufelsaustreibung dazugehörte. Mir wurde klar, daß gar nicht ich der Adressat war, sondern die Öffentlichkeit.
Wie war die Reaktion in Ihrer Truppe?
Günzel: Im Gegensatz zu meinen Vorgesetzten und Generalskameraden war die Reaktion meiner Untergebenen solidarisch. Die Männer waren schlicht schockiert. Da standen Tränen in den Augen. Einige wollten spontan ihr Barett hinwerfen. Ich habe sie aber davon abgehalten - was hätte das schon genutzt?
Haben die Männer es als einen Schlag ins Gesicht des KSK empfunden?
Günzel: Auf jeden Fall. Eben ist das KSK noch für seinen Einsatz in Afghanistan gelobt worden, und nun wird es durch einen solchen Umgang mit seinem Kommandeur, der wie ein Hund fortgejagt wird und dem man den Abschied von seiner Truppe verweigert, beleidigt.
Was wäre passiert, wenn auch einige Ihrer Offizierkameraden, einige Generale gegen Ihre Entlassung protestiert hätten?
Günzel: Ich habe gar nicht erwartet, daß sie das tun, denn nach Paragraph 50 des Soldatengesetzes hat der Minister das Recht zur Entlassung ohne Angabe von Gründen. Aber man hätte erwarten können, daß sie gegen eine "unehrenhafte" Entlassung protestiert und mir ihren menschlichen Beistand versichert hätten. Ganze fünf von 120 Generalen des Heeres haben mich später angerufen beziehungsweise mir geschrieben. Und das, obwohl ich eine wahre Flut von Zustimmung von der "militärischen Basis", also aus dem Kreis der niederen Dienstgrade erhalten habe. Ich habe über 1.000 Zuschriften auch von ehemaligen Soldaten, darunter viele Generale, ja sogar zustimmende Zuschriften aus dem europäischen Ausland, bekommen. Ich glaube, ein gemeinsamer Protest einiger militärischer Führer hätte schon etwas bewirkt. Und daß meine direkten Vorgesetzten mich bis zum heutigen Tage nicht einmal eines persönlichen Gespräches für würdig befunden haben, um auch einmal meine Sicht der Dinge zu hören, verschlägt mir immer noch die Sprache, weil ich - offensichtlich naiverweise - davon ausgegangen bin, daß Fürsorge und Kameradschaft in der Bundeswehr einen deutlich höheren Stellenwert haben als etwa in einer Konservenfabrik. Und nicht nur, weil sie im Soldatengesetz verankert sind.
Ihre Offizierkameraden haben Sie nicht nur im Stich gelassen, sondern beteiligen sich sogar aktiv an Ihrer Ausgrenzung.
Günzel: Es ist natürlich bitter, daß mich einige Männer, mit denen ich über dreißig Jahre durch dick und dünn gegangen bin, nicht mehr kennen, daß sie mich meiden wie einen Aussätzigen. Paul Spiegel hat i n der Friedman Affäre geäußert: "Mag man ihm vorwerfen, was man will, er ist und bleibt mein Freund." Da hätten sich die höheren Militärs eine Scheibe abschneiden können. Einige meiner "Kameraden" waren aber nicht untätig. Sie haben mir den Zutritt zu ihren Kasernen verboten, mich von ihren Gästelisten gestrichen und ihre Kasinos für mich gesperrt. Vermutlich in der Hoffnung, dafür vom Minister ein besonderes Fleißkärtchen zu bekommen. Das alles zeigt, wie gut das System der Einschüchterung funktioniert. Meine Erledigung durch ein "Standgericht" hat völlig ausgereicht, um die gesamte Truppe in eine Art Panikstarre zu versetzen.
Sie und General Michael von Scotti sind bereits 1998 in der Soldatenvideo-Affäre vom Offizierkorps im Stich gelassen worden.
Günzel: Eigentlich war mir schon damals klar, daß eine besondere Solidarität von seiten der Offizierkameraden nicht zu erwarten ist. Damals wurde ich als Brigadekommandeur abgelöst. Der Grund war ein auf einem Truppenübungsplatz gedrehtes Gewaltvideo, auf dem Exekutionen und eine Vergewaltigung nachgestellt worden waren. Dieses Video war aber zwei Jahre vor meiner Kommandoübernahme gedreht worden. Es war offensichtlich: Der damalige Verteidigungsminister Rühe brauchte ein Bauernopfer, und niemand hat gegen diese offenbare Ungerechtigkeit protestiert.
Ähnlich wie 1984 im Fall General Kießlings.
Günzel: Damals war ich erst ein frischgebackener Major, habe mich aber schon sehr darüber gewundert, daß kein kommandierender General für Kießling aufgestanden ist. Allerdings war dieser Fall für Außenstehende wesentlich undurchsichtiger als der Fall Günzel. Anders als 1984 konnte 2003 jeder die Dokumente - die Rede Hohmanns ebenso wie meinen Brief an ihn - in der Presse nachlesen. Natürlich roch die Affäre Kießling schon nach einem zweiten Fall Fritsch, und man hätte von den oberen Rängen durchaus mehr kritisches Bewußtsein und Kameradschaftlichkeit für General Kießling erwarten können.
1938 entließ Adolf Hitler den General und Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch wegen angeblicher Homosexualität.
Günzel: Ja, und die Generalität der Wehrmacht setzte schließlich die Rehabilitierung von Fritschs durch, weil sie ihn, der offensichtlich zu Unrecht beschuldigt worden war, nicht fallenließ, sondern auch vor Hitler zu ihrem Kameraden stand. Eine Leistung der Generalität, der vielgeschmähten Wehrmacht - in einer Diktatur -, zu der die Generalität der Bundeswehr - in einer Demokratie - bislang nicht imstande war. 1984 gab es in der Bundeswehr keine Soldaten mehr, die noch in der Wehrmacht gedient hatten. Man kann also im Fall Kießling durchaus die Bewährungsprobe des neuen Erziehungsideals der Bundeswehr sehen. Heute blicken nicht wenige voll Verachtung auf die Zeiten unserer Geschichte, die vom sogenannten Untertanengeist geprägt waren und in denen es mit Sicherheit nicht weniger "Männerstolz vor Königsthronen" und nicht weniger Selbstbewußtsein und Verantwortungsgefühl gegeben hat als heute.
Allerdings belastet die Ehre der Wehrmacht nicht nur der Verrat an zwei Generalen während des "Röhm-Putsches" sondern vor allem die Duldung der Maßnahmen gegen die jüdischen Kameraden durch die Nationalsozialisten.
Günzel: Ich habe mich früher auch echauffiert, wie die Kameraden damals so etwas nur haben geschehen lassen können. Inzwischen aber, nachdem ich mich durch viel Lektüre mit dieser Zeit auseinandergesetzt habe, weiß ich, daß diese Empörung der Selbstgerechtigkeit der Jugend entsprang. Mit dem, was ich heute über die Nöte und Zwänge dieser Zeit weiß, bin ich nicht mehr bereit, über irgend jemanden selbstherrlich den Stab zu brechen, wie dies heute bei uns in dünkelhaftem Hochmut fast schon zum guten Ton gehört.
Aber die Aussonderung der jüdischen Kameraden war eine Sache, die ganz klar gegen den damaligen Soldaten-Kodex und gegen den tradierten Ehrbegriff der Konservativen in Deutschland verstieß.
Günzel: Das ist natürlich richtig, und natürlich sind diese Dinge ein Makel auf dem Schild der Wehrmacht und nicht zu vereinbaren mit dem deutschen Offizier- und Soldatenethos. Das sich aber bei anderer Gelegenheit auch gegen die nationalsozialistischen Machthaber durchaus bewiesen hat. Ich denke nur an das Ansinnen Görings, abgesprungene alliierte Flieger an ihren Fallschirmen abzuschießen, was der General der Jagdfliegereinfach abgelehnt hat. Oder an den berüchtigten Kommissar-Befehl Hitlers, der von der Wehrmacht weitestgehend ignoriert wurde.
Gibt es bei der Bundeswehr denn noch ein Offizier- beziehungsweise auch nur ein Soldatenethos?
Günzel: Nein, ein solches Ethos gibt es, so scheint mir, wirklich nicht mehr. Wie soll es denn das auch geben bei einem "Beruf wie jedem anderen". Als der früherer Inspekteur des Heeres General Schnez 1969 vom "Beruf sui generis" sprach und eine Reform an Haupt und Gliedern forderte, ist er von den Medien mit Hohn und Spott übergossen worden.
Wie war das, als Sie 1963 in die Bundeswehr eintraten?
Günzel: Ich gebe zu, ich habe diese Probleme damals als Anfangsschwierigkeit nach dem verlorenen Krieg aufgefaßt und unterschätzt. Ich glaubte, mit der Zeit würden die Wunden heilen, die Dinge sich bessern. Statt dessen wurde die Situation immer schlimmer. Vielleicht war dies auch ein Nebenprodukt der Achtundsechziger Kulturrevolution. Die sozial-liberale Koalition hat schließlich an der "Ein Beruf wie jeder andere"-Vorstellung konsequent weitergearbeitet, etwa mit der Unterstützung der "Leutnante 70", einer Gruppe junger Offiziere, die damals unter anderem den Soldatenberuf sozusagen als "Acht-Stunden-Job" propagierten. Damals wurde dem Offizierkorps der Zahn gezogen, besondere ethische Verpflichtungen zu haben. Und dies ist bis heute das Credo von Armee und Politik geblieben.
Welche Rolle spielt, daß der Primat der Politik - der theoretisch zu begrüßen ist - in der Praxis zu Hörigkeit statt zu reinem Gehorsam gegenüber der Politik geführt hat?
Günzel: Nach 1945 hatte man geglaubt, das Unglück von Weimar läge auch darin begründet, daß die Soldaten, dank des Offizierethos, eine gewisse Autonomie und damit eine Unverbindlichkeit gegenüber der Republik gehabt haben. Solch einen Zustand wollte man bei der Bundeswehr von Anfang an verhindern. Statt eines elitären Soldatenethos sollten die Deutschen nun Staatsbürger in Uniform sein, also in direkter Verbindung mit ihrem demokratischen Staat stehen. Theoretisch klingt das in der Tat gut; aber statt zu selbständigen mündigen Persönlichkeiten wurden die Soldaten nun bar jeden Schutzes durch eine Institution wie das Offizierkorps in direkter Abhängigkeit von der Politik mehrheitlich zu devoten Erfüllungsgehilfen. Vielleicht ist der "Staatsbürger in Uniform" doch ein zu hehres Erziehungsideal, und man erhält im Ergebnis weder einen aufrechten Bürger noch einen richtigen Soldaten.
Das heißt, zu einem "20. Juli" , der ja gerade aus dem der NSDAP verhaßten Offizierethos heraus in der Wehrmacht entstanden ist, wären die Offiziere der Bundeswehr gar nicht mehr in der Lage?
Günzel: Es ist delikat, daß ausgerechnet die Bundeswehr, die als einzige Wehrmachtstradition den 20. Juli gelten läßt, mit eiserner Faust zuschlägt, wenn der Primat der Politik auch nur im Ansatz angekratzt wird. Es ist also pure Heuchelei, wenn die Verteidigungsminister von Strauß bis Struck die Männer des 20. Juli in den Himmel heben, ihrer Generalität aber jeden Hauch von geistiger Eigenständigkeit verbieten.
In den neunziger Jahren wurden Traditionsräume ausgeräumt und ein Vorläufer des "Kampfes gegen Rechts" in die Bundeswehr getragen. Wie hat die Truppe reagiert?
Günzel: Die Truppe hat das durchaus als Windhauch eines Klimas der Denunziation wahrgenommen, aber man hat sich daran gewöhnt und damit gelebt. Das Problem ist, daß das Verändern der Stimmung Millimeter um Millimeter erfolgte. So konnte man in der Bundeswehr schließlich sogar die Wehrmacht verteufeln. Natürlich gibt es noch Männer in der Bundeswehr, die für die Tradition eintreten. Die Masse der Soldaten ist da jedoch zwangsläufig pragmatisch. Inzwischen gelten eben die "Rechten" als die Vaterlandsverräter, so wie zu Adenauers Zeiten die "Linken". Nur mit dem Unterschied , daß die Mehrheit der Soldaten eigentlich immer noch konservativ ist. Ironischerweise erleben wir heute etwas, was wir in der deutschen Militärgeschichte vor 1945 eigentlich nur aus der Zeit des Nationalsozialismus kennen: nämlich das Einsickern des Politischen in die Armee. Dieses Phänomen gab es zur Kaiserzeit nicht, weil die Armee "automatisch" auf den Dynasten ausgerichtet war, und auch nicht in der Weimarer Republik. Erst im NS-System wurde die Armee zur Beute der Politik. Daß wir heute Ähnliches erleben, und das auch noch ausgerechnet unter Berufung auf eine scharfe Abgrenzung zum Dritten Reich, ist eigentlich eine absurde Situation. Es gibt natürlich für das Offizierkorps immer tausend gute Gründe, warum es besser ist, den Mund zu halten - so war das auch in der Zeit des Nationalsozialismus.
Klingt, als sei die Bundeswehr die ideale Armee für den nächsten Diktator.
Günzel: Das ist sicher übertrieben. Aber im Führerkorps dieser Armee hat es keine Diskussion zum völkerrechtlich nicht geklärten Angriff auf Serbien gegeben. Ebensowenig, wie es keine interne Diskussion bei einem Irak-Einsatz gegeben hätte. Es ist schon erstaunlich, wie leicht sich mündige Staatsbürger in Uniform in alle Welt schicken lassen, ohne daß klar formulierte deutsche Interessen dahinterstehen.
Pardon Herr General, aber als Chef des KSK sind Sie der Exponent dieses Phänomens par excellence!?
Günzel: Das ist das klassische Spannungsverhältnis des Soldaten, der sowohl gehorchen muß, persönlich aber auch Zweifel hegt. Das ist - zugegebenermaßen - ein Problem.
Was passiert mit Offizieren, die etwa eine nationale Orientierung an "deutschen Interessen" einfordern?
Günzel: Ich bin ja nicht der erste, der entfernt bzw. vergrault wurde. Denken Sie zum Beispiel an die Generale Trettner, Panitzki, Grashey, Krupinski und Schultze-Rhonhof. Bei denen, die nicht noch in der Wehrmacht gedient hatten, wird die Reihe allerings schon sehr dünn.
Oder denken wir an den jüngsten Fall, den angeblich seiner Entlassung zuvorgekommenen, im Januar zurückgetretenen Heeresinspekteur General Gerd Gudera.
Günzel: General Gudera ist zweifellos eher ein Konservativer und war schon deshalb beim Minister sicher nicht sonderlich beliebt.
Es heißt, Unstimmigkeit über Ihre Behandlung habe zum verfrühten Abschied geführt.
Günzel: Davon ist mir leider nichts bekannt. Ich würde es im nachhinein sehr begrüßen, wenn es so wäre.
Wann wird diese stillschweigende politische Säuberung in der Bundeswehr nach Ihrer Einschätzung enden?
Günzel: Mit dem ersten scharfen Schuß.
Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach Ihr eigener Fall auf die Bundeswehr aus - ist er nicht schon wieder vergessen?
Günzel: Erfahrungsgemäß kehren die Leute in der Tat ganz schnell wieder in den Alltagstrott zurück. Dennoch glaube ich, daß mein Fall - und noch mehr der Fall Hohmann, und das gilt übrigens vor allem für die Deutschen im allgemeinen - im Unterbewußtsein gespeichert wird und den Unmut schürt. Allerdings wird dieser wesentlich eher im Volk hochkochen als in der Bundeswehr, die weitaus stärker dazu erzogen ist, das zu schlucken, was die Politiker ihr verabreichen.
Wie wirkt sich dieser verdrängte Frust und diese Erziehung eigentlich auf die Kampfkraft der Bundeswehr aus?
Günzel: Die Bundeswehr krankt auch daran, daß es schon bei ihrer Aufstellung nicht in erster Linie darum gegangen ist, als militärischer Verband Schlagkraft zu entwickeln. Es war die Zeit der "Abschreckung". Vorrangig war, unseren Alliierten schnell ein paar Divisionen hinzustellen. Und auch in der folgenden Zeit ist alles getan worden, um zu verhindern, daß die Bundeswehr eine Armee wie jede andere wird, das heißt sich auch wieder in den nationalen Traditionen sieht, was nämlich bedingt hätte, bei der Wehrmacht anzuschließen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es dann geradezu erstaunlich, daß sich die Bundeswehr doch noch so gut entwickelt hat.
Auch der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld kommt in einem Interview mit der Zeitschrift "Sezession" zu dem Ergebnis, daß es sich bei der Bundeswehr nicht um eine Nationalarmee handelt.
Günzel: Es ging darum, eine funktionale Truppe - Abschreckung der sowjetischen Bedrohung - mit übergeordneten westlichen Werten und unter Kontrolle der Westmächte statt der Nation zu schaffen.
Solch eine Armee ist einmalig im Westen, ist dieser deutsche Sonderweg ein Unglück?
Günzel: Eine Armee, die sich nicht aus nationalen Wurzeln speist, ist allemal eine unglückliche Konstruktion. Jeder Soldat wünscht sich, in einer selbstbewußten und effektiven Armee dienen zu dürfen. Wenn man aber weder patriotisch noch soldatisch sein darf, was bleibt dann noch übrig?
Wie kampfkräftig ist denn die Bundeswehr tatsächlich? Bislang bewältigt sie die für sie neuen internationalen Aufgaben schließlich augenscheinlich ebenso gut wie die Armeen anderer Länder.
Günzel: Eine Armee bewährt sich immer erst im Krieg. Auch die französische Armee galt bis 1940 als die beste des Kontinents. Das Bild, das die Bundeswehr bei ihren bisherigen Auslandseinsätzen abgibt, ist in der Tat mindestens ebenso gut wie das der Armeen anderer Nationen. Das liegt zum einen an dem hervorragenden Nachwuchs, der immer noch zu dieser Armee geht, und zum anderen an einem offensichtlich immer noch gewissen soldatischen Kern in unserem Lande. - Ich würde nicht "weil", sondern "obwohl" formulieren.
Das Kommando Spezialkräfte zum Beispiel, das Sie bis 2003 befehligt haben, gilt als kampfstarker Elite-Verband.
Günzel: Natürlich gibt es auch fantastische, effektive Einheiten bei der Bundeswehr. Aber das KSK ist leider nicht typisch für die gesamte Armee.
Welche Motivation haben die Soldaten des KSK? Sind hier Soldatenethos und übergeordnete Werte wie Ritterlichkeit und Vaterland zu finden?
Günzel: Dieser Spezialverband ist noch zu jung, als das man auf diese Frage eine abschließende Antwort geben könnte. Wohl die wenigsten KSK-Soldaten wollen das christliche Abendland gegen die heranstürmenden "Horden von Kommunisten", oder heute Islamisten, verteidigen. Vielmehr suchen sie , wie junge Leute zu allen Zeiten, die Bewährung. Sie wollen zur Elite gehören und suchen die Gemeinschaft Gleichgesinnter. Das sind Männer, die - im übertragenen Sinne - auf den Mount Everest klettern wollen. Diesen Typ kann man überhaupt nicht mit dem normalen Soldaten vergleichen, der die Masse der Bundeswehrsoldaten ausmacht.
Glauben diese jungen Soldaten an den "Kampf gegen den Terror", wie ihn die US-Regierung verkündet? Glauben sie tatsächlich daran, daß "Deutschland am Hindukusch verteidigt wird"?
Günzel: Sie glauben durchaus an den Sinn ihrer Aufgabe, aber ob sie blind die Politikerschlagworte glauben, bezweifle ich sehr. Dennoch macht sich die Masse der KSK-Soldaten wohl mehr Gedanken über die praktischen als über die übergeordneten Aspekte ihres Einsatzes.
Herr General, ist Ihnen nicht zu Recht der Vorwurf zu machen, daß Sie den Brief an Martin Hohmann mit dem Briefkopf des Kommandeur KSK geschrieben haben?
Günzel: Das ist mir immer wieder, auch von Freunden vorgehalten worden. Ich habe mich bei einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages für die Zusendung eines Redetextes bedankt. Ich habe nicht an einen privaten Freund, sondern an einen Mandatsträger, einen Repräsentanten des Souveräns unserer Nation geschrieben. Und diesem Amtsträger bin ich ebenfalls als "Amtsträger" begegnet.
Es gibt nicht wenige Leute, die Hohmann vorwerfen, er habe Ihren Namen zur eigenen Entlastung ausgeplaudert. Fühlen Sie sich von ihm verraten?
Günzel: Zuerst war ich rasend, wie konnte er einen persönlichen Brief im Fernsehen präsentieren! Doch dann hat mir Hohmann den Vorgang geschildert: Die ZDF-Leute von "Frontal 21" hätten ihn aufgesucht und mit ihm in dem Tenor gesprochen, man sei ja ein seriöser Sender und er habe in den letzten Tagen schließlich viel zu leiden gehabt. Jetzt wolle man auch einmal etwas Positives über ihn berichten, und was es denn da so gäbe? Da habe er auf seinen Schreibtisch gewiesen, wo - mein Brief obenauf - etliches an Unterstützerpost gelegen habe. Er habe noch versucht, meinen Brief zur Seite zu schieben, aber die Fernsehleute hätten darauf bestanden, daß er ihn vorlese. Nachdem sie ihm das Versprechen gegeben hätten, sie würden die Namen der Absender nicht bekanntmachen, las er vor.
Glauben Sie ihm?
Günzel: Ja, zumal er auch Zeugen hat.
Sie haben ihm verziehen?
Günzel: Ja.
Wann hat sich Hohmann bei Ihnen gemeldet?
Günzel: Zwei bis drei Stunden nach dem Bekanntwerden der Sache rief er mich an, er war völlig fertig. Er sagte, er würde ohne zu zögern die Tortur der letzten drei bis vier Tage noch einmal auf sich nehmen, wenn er das nur rückgängig machen könne.
Warum hat Ihrer Meinung nach Hohmann diese Rede überhaupt gehalten?
Günzel: Jeder, der des Lesens mächtig ist und dem der komplette Redetext vorlag, mußte von Anfang an wissen - was jetzt die Staatsanwaltschaft Fulda auch bestätigt hat - nämlich, daß diese Rede weder antisemitisch noch in anderer Art und Weise strafrechtlich zu beanstanden ist. Vielleicht haben deshalb auch viele der etwas intelligenteren "Gutmenschen" die Rede nicht direkt als antisemitisch, sondern als "unerträglich" bezeichnet. Nach meiner Meinung wollte Martin Hohmann heute, sechzig Jahre nach Kriegsende, nichts anderes als Normalität - mit anderen Worten "Gerechtigkeit für Deutschland".
Was heißt nach Ihrer Meinung normal?
Günzel: Ein normales Verhältnis zu unserer Geschichte, ein normales Selbstbewußtsein. Bekenntnis des Geschehenen ja, Stigmatisierung nein. Ebenso wie es der estnische Ministerpräsident Lennart Meri am 3. Oktober 1995 in seiner Rede in Berlin im Hinblick auf die geradzu pathologischen Schämorgien in Deutschland festgestellt hat: "Deutschland ist eine Canossa-Republik der Reue geworden. Man kann aber einem Volk nicht trauen, daß sich rund um die Uhr in intellektueller Selbstverachtung übt." Und wie zur Bestätigung dessen wirft es ein bezeichnendes Licht auf die Situation, daß über den Entscheid der Staatsanwaltschaft Fulda von kaum einem Medium - und wenn, dann nur versteckt und in wenigen Zeilen - etwas gemeldet wurde, von der JUNGEN FREIHEIT einmal abgesehen. Man muß sich das einmal vorstellen: Da stellt ein Mitglied des Deutschen Bundestages klipp und klar fest, "daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk" - worauf ein Redakteur des öffentlich-rechtlichen Fernsehens unwidersprochen behaupten kann, "Hohmann nennt Juden Tätervolk", und fast die gesamte Presse bläst zu einer beispiellosen Hexenjagd. Man kann all das gar nicht glauben, weil man doch annimmt, wir lebten in einem freien und demokratischen Rechtsstaat. Ständig hat man das Gefühl, nun müsse man doch endlich aus diesem bösen Traum aufwachen! Mir fiel da Lessing ein, der sagte: "Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren." Die Rede hat - das muß man begreifen - an ein Tabu gerührt. Und darauf steht nun einmal - heute wie zur Zeit der Stammeskulturen - die jeweilige soziale Höchststrafe. Da gibt es weder Anhörungen noch Rechtfertigungen noch Verfahren, da läuft exakt dasselbe ewige Ritual ab wie vor Urzeiten. Das hätte Hohmann wissen müssen - ich vermute sogar, eigentlich hat er gewußt, daß dieser Tag über kurz oder lang einmal kommen würde.
Sie halten Hohmann für jemanden, den es zum Bekenntnis drängt und der unterschwellig danach strebt, vielleicht auch dafür zu "brennen"?
Günzel: Ja, das glaube ich, denn es war nicht das erste Mal, daß Hohmann Flagge gezeigt hat. Auch im Bundestag hat er bereits entsprechende Stellungnahmen abgegeben.
Aber auch bei Ihnen scheint es eine entsprechende Disposition zu geben. Ihre Frau quittierte Ihren Rauswurf mit der Bemerkung: "Das mußte ja einmal so kommen."
Günzel: Im "Tell" steht der Satz: "Wär' ich besonnen, wär ich nicht der Tell."
Hat Sie die Reaktion der CDU auf den Fall Hohmann überrascht?
Günzel: Ja und ich war sehr enttäuscht, weil ich die CDU bislang immer noch als "auf unserer Seite stehend" betrachtet habe. Daß sie sich dann so feige in die Büsche schlagen und sich als so opportunistisch erweisen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten! Und daß ausgerechnet Edmund Stoiber mit seinem Satz, Hohmann habe den Verfassungsbogen verlassen, den Prozeß gegen Hohmann wieder angestoßen hat, nachdem Frau Merkel sich bereits darum bemüht hatte, Hohmann zu retten, das ist ganz besonders unerhört. Eher hätte man das von Merkel erwartet als von Stoiber!
Müssen Sie sich heute eingestehen, daß Sie sich all die Jahre ein falsches Bild von der CDU gemacht haben?
Günzel: Ich glaube, daß die überwiegende Mehrheit der CDU mit diesem Ablauf nicht einverstanden war. Ich weiß aus vielen persönlichen Gesprächen, daß die Stimmung in der Union seit dieser Affäre miserabel ist.
Meinen Sie nicht, daß die ganze Sache inzwischen schon wieder vergessen ist?
Günzel: Natürlich geht man zur Tagesordnung über, aber bei vielen bleibt die Enttäuschung über die eigenen Partei im Langzeitgedächtnis haften.
Warum hat die Union so gehandelt?
Günzel: Ich bin ganz sicher, sie hat es nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor der Antisemitismus-Keule getan. Die CDU hat damit die Kollektivschuldthese - was sie natürlich niemals zugeben würde - de facto akzeptiert. Aber ich bin sicher, eines Tages werden die Etablierten den Bogen überspannen, ewig lassen sich die Bürger das nicht gefallen.
Reinhard Günzel General a.D. wurde am 4. November 2003 von Bundesverteidigungsminister Struck wegen eines Unterstützerbriefes an den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann entlassen. Der Brigadegeneral kommandierte seit November 2000 das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. 1963 meldete er sich freiwillig zur Fallschirmjägertruppe, studierte Geschichte und Philosophie und diente in verschiedenen Kommandeurverwendungen. Geboren wurde er 1944 in Den Haag. Der Vater war Schauspieler und die Familie weilte wegen eines Engagements in Holland. Aufgewachsen ist Günzel in Gütersloh, heute lebt er in Bekingen im Saarland
Dokumentation: Reinhard Günzels Vortrag über "Das Ethos des Offiziers" und seine Entlassung nach der "Hohmann-Affäre"
Reinhard Günzel
Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, daß es weitaus gefährlicher ist, seine Meinung hier in Deutschland frei zu äußern als - sagen wir - in Rußland, China oder Kuba, dann hätte ich vermutlich nur milde gelächelt. Natürlich hatte man hier und da von den Vorfällen gehört, bei denen gegen Grundrechte verstoßen wurde; aber erstens waren diese Dinge immer sehr weit weg, und zweitens war man absolut sicher, daß die Betroffenen im Klagefall vor unseren Gerichten schon recht bekommen würden. Und selbst da, wo eine Sache nicht strafrechtlich relevant war, würde sicherlich in unserer weit gefächerten Medienlandschaft schon der Ansatz einer moralischen Schieflage sofort wieder geradegerückt werden.
"Diese Dinge haben leider Methode"
Heute weiß ich aus verschiedenen eigenen Erfahrungen, und nachdem ich mich etwas intensiver mit diesen Dingen befaßt habe, daß dies leider eine Illusion war. Es gibt ganz ohne Zweifel Bereiche in diesem angeblich freiesten Staat auf deutschem Boden, die sehr stark an die dunklen Zeiten der deutschen Geschichte erinnern. Und dabei handelt es sich keineswegs um bedauerliche Ausrutscher, nein, diese Dinge haben leider Methode.
Lassen Sie mich an dem sogenannten "Fall Hohmann/Günzel" das Problem der Meinungsfreiheit noch einmal aus meiner Sicht kurz darstellen. Und ich möchte danach diesen Fall zum Aufhänger nehmen, um einige ausgewählte Aspekte aus dem Berufsbild des Offiziers ein wenig genauer zu betrachten.
Ich will zum besseren Verständnis die Vorgänge - soweit sie mich betreffen - noch einmal in aller Kürze rekapitulieren: Ich habe dem Abgeordneten Hohmann in einem persönlichen Brief für die Zusendung seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit gedankt und habe dabei meine Zustimmung zu seinen klaren und mutigen Aussagen zum Ausdruck gebracht.
Dieser Brief ist unter dem Bruch des Briefgeheimnisses durch Reporter des ZDF-Magazins "Frontal 21" veröffentlicht worden.
Der Verteidigungsminister hat mich daraufhin unmittelbar nach Bekanntwerden ohne Ermittlung des Sachverhalts oder vorheriger Anhörung in einer sofort angesetzten Pressekonferenz - sozusagen "fernmündlich" - entlassen, wobei er die Begriffe "verwirrt", "Rausschmiß" und "unehrenhaft" gebrauchte.
Am nächsten Tag wurde mir - für die letzten vier Stunden meiner aktiven Dienstzeit - die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten, eine Maßnahme, die üblicherweise nur bei schwersten Dienstpflichtverletzungen und einer damit verbundenen erheblichen Gefährdung der Disziplin verhängt wird.
Während ich im Ministerium auf meine Entlassungsurkunde wartete, erklärte ein Generalstabsoffizier meinem Kraftfahrer, er könne ruhig schon nach Hause fahren, ab 18:30 Uhr habe sein Kommandeur ohnehin keinen Anspruch mehr auf ein Dienstfahrzeug.
Mir wird weiterhin verboten, die Kaserne zu betreten und mich von meinen Männern zu verabschieden. Erst eine Woche später erlaubt man mir, mein Dienstzimmer zu räumen und meine persönlichen Sachen sicherzustellen.
(Ich hätte nie gedacht, daß ich ein so hochgefährlicher Mann wäre, den man wie ein Kontaktgift von seiner Truppe isolieren muß; denn nicht einmal in den finsteren Diktaturen wurde einem Delinquenten dieses letzte "Lebewohl" vor seiner Hinrichtung verwehrt.)
Eine Übergabe der Dienstgeschäfte wird ebenso verboten wie eine offizielle Kommandoübergabe oder gar die übliche Verabschiedung aus der Kommandeurrunde.
Die vom Bundespräsidenten unterzeichnete Entlassungsurkunde enthält nicht die übliche Dankesformel: "Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste spreche ich ihm Dank und Anerkennung aus", obwohl diese Formel nach bisheriger Praxis nur demjenigen verweigert wird, der nach schweren kriminellen Verfehlungen im Zuge eines disziplinargerichtlichen Verfahrens aus der Armee entlassen wurde. Der Bundespräsident ließ mir auf meine Anfrage hin mitteilen, daß der Minister in diesem Falle so entschieden habe und er sich dem habe fügen müssen. Eine bemerkenswerte Feststellung unseres Staatsoberhauptes.
Unmittelbar nach meiner Entlassung wird auf Befehl der Heeresführung in meinen ehemaligen Standorten nachgeforscht, ob dort etwa auf meine Weisung hin Traditionsräume eingerichtet, Patenschaften mit Wehrmachtsverbänden oder ähnliche verbotswidrige oder anrüchige Maßnahmen veranlaßt worden seien. (Ich habe mich dabei unwillkürlich an die sogenannte Kießling-Affäre erinnert, als sich unsere militärische Führung ebenfalls nicht zu schade war, in Sigmaringen nachzuforschen, "ob der General Dr. Kießling als Divisionskommandeur häufiger als üblich das Duschen überprüft habe", um damit die behauptete Homosexualität zu beweisen.)
Nun hat natürlich der Minister gemäß Paragraph 50 Soldatengesetz das Recht, einen Soldaten vom Brigadegeneral an aufwärts auch ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dies berechtigt ihn jedoch nicht, einen solchen Rechtsakt gewissermaßen zu einer Polit-Veranstaltung zu mißbrauchen, indem er einer ahnungslosen Öffentlichkeit in einer Art "Standgerichtsurteil" den Kopf eines Mannes präsentiert, der lediglich das Pech hatte, als Anhänger des gegnerischen Lagers "geoutet" worden zu sein, bzw. der sich auf ein in Deutschland immer noch hochgefährliches Minenfeld gewagt hatte. Denn - ein Dienstvergehen konnte mir bis heute nicht vorgeworfen werden.
Der neutrale Beobachter wird jetzt natürlich fragen, was denn um alles in der Welt einen Minister zu einer solch wütenden Reaktion - sei sie nun echt oder inszeniert - veranlaßt haben kann. Und die spontane Antwort wird ebenso natürlich lauten: Es war diese antisemitische - oder, wie es später hieß: als antisemitisch empfundene oder schlimmer noch: "diese latent antisemitische" - Rede des Abgeordneten Hohmann! Aber wer auch nur einigermaßen des Lesens fähig ist, und wem der komplette Redetext vorgelegen hat, der wird sofort zugeben müssen, daß diese Rede nicht nur nicht antisemitisch, sondern weit eher philosemitisch ist, wie anhand mehrerer Passagen mühelos nachzuweisen ist. Das einzige, was man Herrn Hohmann - mit leichter Ironie selbstverständlich - vorwerfen könnte, ist, daß er spätestens seit Veröffentlichung der Pisa-Studie grammatikalische Formen wie den Konjunktiv oder gar eine rhetorische Frage bei unserer herrschenden Klasse und wohl auch bei großen Teilen unserer Journalisten nicht mehr als bekannt voraussetzen durfte.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn ich meinem sechsjährigen Sohn die Bewegungen der Himmelskörper näherbringen will und zu ihm sage: "Wenn du morgens aus dem Fenster schaust und siehst, wie die Sonne im Osten auf- und abends im Westen wieder untergeht, dann könntest du durchaus zu der Annahme kommen, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Aber damit würdest du genau dieselbe falsche Schlußfolgerung ziehen, wie es die Menschen viele tausend Jahre lang getan haben, denn ..." usw. usw. Niemand würde ernsthaft behaupten, ich würde damit das heliozentrische Weltbild in Frage stellen. Genauso hat Hohmann über die Juden im Bolschewismus gesprochen, also mit einem "conjunctivus irrealis". Und er hat - sicherheitshalber - seine Argumentation abgeschlossen mit der überaus klaren und deutlichen Feststellung: "Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk". Es hat Ihm nichts geholfen, denn ein gewisser Herr Sonne stellt in den "Tagesthemen" unwidersprochen fest: "Hohmann nennt Juden Tätervolk!", und 99,9 Prozent unserer Medien stimmen unisono ein und beginnen eine Hexenjagd, die ihresgleichen sucht. Man faßt sich an den Kopf.
"Natürlich bin ich tief getroffen"
Als ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Tatsache, daß - genau wie in den Hexenprozeß vor vierhundert Jahren - auch hier das Recht außer Kraft gesetzt ist, mag eine Einlassung unseres Innenministers in der Sendung "Christiansen" am 09. Vovember 2003 dienen: Auf die Frage von Frau Christiansen, ob man denn den General Günzel nicht - nach altem römischen Rechtsgrundsatz - fairerweise erst einmal hätte anhören müssen, bevor man den Stab über ihm gebrochen hat, da braust Schily geradezu entrüstet auf und sagt etwa wörtlich: "Da gibt es diese Rede, und da gibt es den Brief dieses Generals - wozu braucht es denn da noch eine Anhörung?" Wohlgemerkt, das sagt ein Mann, der nicht nur das Recht studiert hat und sich als Bundesminister diesem in ganz besonderer Weise verpflichtet fühlen müßte, sondern der selbst als Strafverteidiger peinlich genau auf die minutiöse Einhaltung der Strafprozeßordnung geachtet hat! Aber damals ging es natürlich um das Recht von Terroristen, während hier nur ein deutscher General zur Debatte stand.
Bevor ich selbst in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, habe ich jedem, der die Hohmann-Rede als antisemitisch bezeichnet hat, für den Beweis auch nur einer einzigen solchen Passage ein Monatsgehalt geboten. Ich habe bis heute nicht zahlen müssen; und aus diesem Grund haben wohl auch die etwas intelligenten "Hohmann-Jäger" immer von einer "unerträglichen Rede" gesprochen, vom "Verlassen des demokratischen Bogens" und ähnlichen Seifenblasen. Wenn aber eine "unerträgliche Rede" schon Grund für einen Fraktionsausschluß ist, dann werden unsere Parlamentsstenographen bald arbeitslos sein.
Was aber ist die Ursache für eine solche Psychose, für ein solch pathologisches Verhalten? Was bringt das Volk dazu, seine Identität, sein Selbstwertgefühl, sein natürliches Selbstbewußtsein so vollkommen aufzugeben und nur dann zufrieden zu sein, wenn es mit beiden Händen Asche auf sein Haupt streuen kann? (Wobei das Problem noch dadurch verschärft wird, daß sich ein psychisch Kranker ja immer für gesund, für völlig normal hält und daher nur sehr schwer zu heilen ist.)
Aber daß dieser Patient schwer krank ist, daran besteht kein Zweifel.
In welchem Land der Erde wäre es denn möglich, daß zum Beispiel:
- Pfarrer sich weigern, einen Soldaten in Uniform zu trauen,
- kirchliche Organisationen eine Spende zurückweisen, weil sie von Soldaten erbracht wurde,
- Deserteure glorifiziert werden, während man die Denkmäler für gefallene Soldaten abreißt,
- all das, was deutsche Soldaten zwischen 1939 und 1945 an Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft vollbracht haben, mit Hingabe in den Schmutz gezogen wird,
- Soldaten mit Billigung unseres höchstens Gerichtes als Mörder bezeichnet werden,
- unser Bundespräsident sich weigert, mit dem Schriftzug "Luftwaffe" an seiner Maschine zu fliegen
- oder daß ein 17jähriger, der 1945 seine Panzerfaust auf einen sowjetischen Panzer gerichtet hat, sich noch heute dafür rechtfertigen muß, während ein 25jähriger Student, der Brandsätze auf Polizeifahrzeuge geschleudert hat, der gefeierte Held in unseren Talk-Shows ist und nicht selten in hohe Regierungsämter aufsteigt, um nur wenige Symptome aus dem militärischen Bereich zu nennen.
Ich bin wiederholt gefragt worden, ob ich nun - nach dieser schweren Enttäuschung - nicht quasi vor den Trümmern meines Lebens stehe.
Natürlich bin ich durch all diese Vorgänge tief getroffen. Und auch, wenn ich mir heute sage, daß eine unehrenhafte Behandlung noch längst nicht den Verlust der Ehre bedeutet - viele sagen im Gegenteil: "In dieser Form entlassen worden zu sein, ist geradezu eine Auszeichnung!" - ,so tut es natürlich schon weh, nach knapp 41 Dienstjahren die Armee auf diese Weise verlassen zu müssen, die Armee, die ein Leben lang meine Welt war, mit der ich mich in weiten Teilen identifiziert habe. Aber enttäuscht hat mich das Verhalten des Ministers natürlich nicht. Enttäuscht werden kann man ja nur dann, wenn eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt wird. Ich will mich einer persönlichen Wertung enthalten, weil sie mich meine Pension kosten könnte; aber was die Menschen von unseren Politikern halten, läßt sich eindrucksvoll an den Meinungsumfragen ablesen, in denen unsere sogenannten Volksvertreter über Jahre hinweg beharrlich den letzten Tabellenplatz verteidigen. Ausnahmen bestätigen natürlich diese traurige Regel.
Enttäuscht worden bin ich aber durch das Verhalten meiner Vorgesetzten und des überwiegenden Teils meiner vormaligen Kameraden, weil sie all das mit Füßen getreten haben, woran ich ein militärisches Leben lang geglaubt habe. Keiner meiner unmittelbaren Vorgesetzten hat bis zum heutigen Tage ein persönliches Gespräche mit mir geführt oder mich auch nur einer Tasse Kaffee für würdig befunden. Ganze fünf Generäle haben mir ihr Mitgefühl ausgesprochen, und während ich von der "Basis" und den Ehemaligen eine Flut von Sympathiebeweisen erhalten habe - wie übrigens auch aus der gesamten Bevölkerung -, herrschte bei den aktiven Stabsoffizieren überwiegend "Funkstille". Kameraden, mit denen ich seit mehr als dreißig Jahren durch dick und dünn gegangen bin, oder Männer, die mir von jeder Mittelmeerküste einen Urlaubsgruß geschickt haben, konnten sich plötzlich nicht mehr an mich erinnern. Und ganz besonders schmerzlich für mich war es natürlich, solch ein Verhalten bei meinen Fallschirmjägern zu erleben, die ja nicht müde werden, das hohe Lied der Kameradschaft zu singen.
Nun könnte man bei einem jungen Stabsoffizier für eine solche Handlungsweise sogar noch Verständnis haben, wenn man ihm zugute hält, daß er eventuelle Karrierenachteile befürchtet. Wie erklärt man aber eine solche Haltung bei einem Offizier, der seinen letzten Dienstgrad erreicht hat oder kurz vor der Pensionierung steht, dessen Karriere also durchaus überschaubar ist? Und genau daran zeigt sich eben, daß ein solcher über die Jahre gewachsener Haltungsschaden nahezu irreparabel ist, wenn das Rückgrat einmal verborgen ist, läßt es sich kaum noch aufrichten.
Ich will aber auch hier nicht überheblich den Stab brechen, denn: Menschen sind nun einmal in der Masse feige, eine uralte Erkenntnis. Angst und Feigheit sind unsere täglichen, ja, stündlichen Begleiter. Der römische Schriftsteller Sueton hat dies in seinem Werk "De vita Caesarum" so herrlich veranschaulicht mit der ironischen Frage, warum es im Senat immer strahlend hell wurde, wenn Nero den Raum betrat; das lag nicht etwa an der "Lichtgestalt" des römischen Kaisers, sondern daran, daß alle Senatoren sofort in ängstlich devoter Haltung die Köpfe senkten, wodurch sich sie Sonne in den polierten Glatzen spiegelte und den Senat erleuchtete. Und die klugen Senatoren wußten, warum! Denn mit einem solchen Verhalten folgten sie nun einmal - und folgen wir alle - einem der ältesten Gesetze unserer Evolutionsgeschichte, dem Gesetz der Anpassung. Wer sich nicht anpaßt, geht unter, und wir hätten uns niemals vom Einzeller zu einem vernunftbegabten Wesen entwickelt, wenn wir gegen dieses Prinzip verstoßen hätten. Und dies gilt offenbar im biologischen Bereich ebenso wie im sozialen. Andererseits darf man aber gerade von einem Offizier schon erwarten, daß er sein Leben an anderen Maximen ausrichtet als am Überlebensprinzip einer Amöbe.
Aber - dazu muß natürlich erzogen werden. Genauso, wie man einem Soldaten dazu bringen muß, gegen seinen eingeborenen Überlebenstrieb ins Feuer hinein anzugreifen und sein Leben für einen höheren Wert aufs Spiel zu setzen, so kann und muß man auch zu ethisch-moralischen Werten und Verhaltensweisen erziehen. Dies ist leider in der Bundeswehr weitestgehend unterblieben. Ein gewisser Prof. Dr. Thomas Ellwein, vom damaligen Verteidigungsminister Schmidt zum Vorsitzenden einer Kommission berufen, die die Erziehung und Bildung in den Streitkräften neu gestalten sollte, erklärte am 8. Dezember 1970 vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg seine "Vorstellungen über die Offiziersausbildung". Dabei sagte er unter anderem: "Der Soldat muß in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische Einstellung und Gesinnung kommt es dabei überhaupt nicht an. Wichtig ist, daß er nur das tut, was er tun soll, und keinen Deut mehr."
Man hat also eindeutig - wider besseres Wissen - den geistigen, den fachlichen Leistungen den Vorrang vor den charakterlichen Eigenschaften gegeben, mit dem Ergebnis, das zweifellos beabsichtigt war. Denn es ist natürlich leichter, Schafe zu hüten als Löwen; allerdings hat man mit Löwen etwas mehr Wirkung gegen den Feind. Selbstverständlich hat der Soldat in erster Linie zu gehorchen; aber gerade in der Bundeswehr, die als einziges traditionswürdiges Ereignis der Wehrmacht nur den "20. Juli" gelten läßt, müßte man - insbesondere von unseren höheren Offizieren - etwas mehr geistige Selbständigkeit und Mut zum Widerspruch erwarten dürfen. Und darum ist der Vorwurf meiner Vorgesetzten und Kameraden an mich: "In dieser Position müsse man eben politisch vorsichtiger sein, und wer dieses Gespür nicht habe, der tauge eben nicht zum General", eine Bankrotterklärung unserer Truppenführer.
Und dennoch muß ich dem Offizierskorps ein bißchen Abbitte leisten, weil es für sein Verhalten nur bedingt verantwortlich zu machen ist: die Kameraden sind eben nicht zu charaktervollem Handeln erzogen worden! Eine Armee fällt nicht vom Himmel - sie ist immer das Produkt einer langen und sorgfältigen Erziehung. Und außerdem: wenn "Männerstolz vor Königsthronen" wirklich in der Militärgeschichte die Regel und eben nicht die rühmliche Ausnahme wäre, dann würde man nicht immer wieder den berühmten Oberstleutnant von der Marwitz bemühen, der "Ungnade wählte, wo treues Dienen nicht Ehre brachte."
"Menschen sind nun einmal in der Masse feige"
Schon Bismarck hat sich über das Phänomen gewundert, "daß ein Volk, dessen Soldaten sich so tapfer im Kriege zeigten, über so wenig Zivilcourage verfüge." Aber bei näherer Betrachtung ist dies gar nicht so verwunderlich; denn es ist in der Tat weitaus leichter, im Kriege Tapferkeit zu beweisen, als Zivilcourage im Frieden. Und selbst, wenn es paradox klingen mag: es gehört für einen Vorgesetzten weitaus mehr Mut dazu, auf dem Gefechtsfeld feige zu sein, als seinen Männern beim Angriff voranzustürmen. Außerdem: Einem Leutnant mit Ritterkreuz fliegen die Mädchenherzen zu, während ein Mann mit Zivilcourage in jedem Fall die Mehrheit gegen sich hat.
Nun wäre selbst das noch zu ertragen, nach dem Motto "viel Feind, viel Ehr", wenn es nicht tatsächlich noch viel schlimmer wäre. Denn wer gegen diese herrschende Meinung aufsteht, wird ja nicht als Zeitgenosse verehrt oder gar gefeiert, ganz im Gegenteil: er wird ausgegrenzt, geächtet oder - schlimmer noch: er wird lächerlich gemacht. Denken Sie zum Beispiel an den Generalfeldmarschall von Witzleben, dem man vor dem Volksgerichtshof die Hosenträger abgeschnitten hatte, um ihm seine Würde zu nehmen.
Und eine noch subtilere Form, die bei uns auch perfekt praktiziert wird, ist der Cordon des Schweigens, den man um einen solchen Menschen legt: keine Zeitung, kein Radio, kein Fernsehsender berichtet über ihn; er verfällt - wie im alten Rom - der damnatio memoriae. Es dürfte schwerfallen, auch nur einen einzigen Menschen zu nennen - von Sokrates bis Sophie Scholl -, der schon zu Lebzeiten wegen seiner Zivilcourage anerkannt oder gar respektiert wurde. Und darum setzt Zivilcourage entweder eine schon fast als fanatisch zu bezeichnende Haltung voraus oder aber eine tiefverwurzelte religiöse bzw. ethisch-sittliche Überzeugung, die sich weder dem Zeitgeist beugt noch vor irgendwelchen Nachteilen zurückschreckt. Denn genau dies meinte der Generalmajor Henning von Tresckow mit seinem Wort "Der sittliche Wert eines Menschen beginnt dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben einzusetzen."
Nun gilt dies alles aber leider nur cum grano salis, denn bei dieser Affäre hat sich ja nie die Frage der Zivilcourage gestellt, jedenfalls nicht für das Offizierskorps. Ich hätte niemals von irgendwem verlangt, sich öffentlich zu mir zu bekennen und sich damit möglicherweise zwischen mir und seiner Karriere zu entscheiden. Was ich in aller Bescheidenheit - heute muß ich sagen Naivität - erwartet habe, war ein kleines Zeichen kameradschaftlicher Sympathie in Form eines Telefonanrufes oder eines Briefchens. Um Gottes willen kein öffentliches Bekenntnis - wie zum Beispiel Paul Spiegel in der Friedman-Affäre, als er freimütig erklärte: "Mag er getan haben was er will - er bleibt mein Freund!" Und da ging es immerhin um durchaus ehrenrührige Kriminaldelikte!
Aber ich tue meinen Kameraden schon wieder Unrecht. Wäre ich nämlich ein ganz normaler Straftäter, der, sagen wir, des Drogenhandels angeklagt wäre, das Regimentsilber gestohlen hätte oder eine alte Frau im Vollrausch überfahren hätte, so wäre mir sicherlich kameradschaftliche Zuwendung zuteil geworden. Und ganz sicher hätte sich dann auch einer meiner Vorgesetzten zu einem persönlichen, tröstenden Gespräch bereit gefunden.
Und jetzt sieht man, wie wohldurchdacht das ganze Schauspiel inszeniert war: Günzel war eben kein "normaler Krimineller", er war - viel schlimmer: ein NS-Sympathisant, ein Antisemit! Und wer sich dem nähert oder auch nur seinen Namen nennt, ist ebenfalls gerichtet. Und obwohl all meine Kameraden, die mich seit vielen Jahren kennen, genau wissen, daß ich ebenso antisemitisch bin wie Ben Gurion - diese Lektion haben sie verstanden.
Jetzt kann man natürlich einwenden, daß in diesem Fall, in dem sich große Teile unseres Volkes abnorm verhalten, auch für das Offizierskorps "mildernde Umstände" gelten müssen, und daß daher dieser Fall überhaupt kein Maßstab für das Ethos eines ansonsten untadeligen Offizierskorps sein könne.
Ich wäre der erste, der einem solchen Argument begeistert folgen würde, wenn nicht die Fülle der negativen Beispiele die wenigen positiven um ein Vielfaches überträfen. Und ich darf Ihnen daher aus eigener leidvoller Erfahrung noch einen besonders plakativen Fall schildern: Im Herbst 1997 veröffentlichte SAT.1 das sogenannte "Horrorvideo von Hammelburg" als "Beweis" für die angeblich eklatant ansteigenden Fälle von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Was war geschehen?
Einige junge Soldaten, die zur Vorbereitung der Balkankontingente über mehrere Wochen als feindliche Soldateska eingesetzt waren, hatten in einer Pause - gewissermaßen in Fortsetzung ihrer Komparsenrolle und wohl aus jugendlichem Übermut - Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen dargestellt und mit einer privaten Videokamera gefilmt.
Anstatt nun mit staatsmännischer Gelassenheit den Fall erst einmal aufzuklären, gab Minister Rühe dem Druck der Presse nach und entließ beziehungsweise versetzte nicht nur - ohne jede Aufklärung und Anhörung selbstverständlich - alle auch nur ansatzweise beteiligten oder verantwortlichen Soldaten, sondern auch - vermutlich, um seine besondere Führungsstärke zu demonstrieren - den Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision, den Generalmajor von Scotti, und den Kommandeur der Jägerbrigade 37, den damaligen Oberst Günzel.
"Karrieren werden zerstört und Menschen ruiniert"
Als mir die Ablösung von meinem Dienstposten eröffnet wurde, war ich mir absolut sicher, daß diese schon wenige Tage später wieder rückgängig gemacht werden würde, nicht nur deshalb, weil weder das Maß der Schuld, noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Maßnahme gerechtfertigt hätten, sondern vor allem deshalb, weil ich mit der ganzen Sache nicht das geringste zu tun hatte, denn zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war ich noch gar nicht im Amt! Die Dinge waren etwa zwei Jahre vor meiner Kommando-Übernahme geschehen! Und obwohl all meine Vorgesetzten dies wußten, rührte niemand auch nur einen Finger! Ich war fassungslos: Da werden ein Divisions- und Brigade-Kommandeur ihrer Dienstposten enthoben, obwohl jeder weiß, daß sie mit der Sache soviel zu tun haben wie der Erzbischof von Bamberg - und nichts passiert. Mit derselben Logik hätte der Minister auch seinen Ordonnanzoffizier rausschmeißen können. Es mußte doch einen Sturm der Entrüstung im deutschen Heer geben! Aber weit gefehlt: An der Basis wurde ein wenig gemurrt, es gab ein paar kritische Presseberichte und Leserbriefe - und das war's. Alle meine Vorgesetzten, die gesamte Generalität übten sich in vornehmer Zurückhaltung! Und hier gab es für die Kameraden und Vorgesetzten keine "mildernden Umstände".
Auch hier ist dem Minister noch der geringste Vorwurf zu machen. Er ist Politiker und handelt eiskalt nach dem Prinzip der russischen Troika: Die (Presse-)Wölfe heule - einer muß vom Schlitten. Und da er genau wußte, daß er von dieser Generalität auch nicht den Hauch eines Widerspruchs zu erwarten hatte - wer oder was hätte ihn hindern sollen? Natürlich wird jeder meiner damaligen Vorgesetzten für sein Verhalten eine brillante Entschuldigung gehabt haben; aber die deutsche Sprache kennt dafür eigentlich nur ein Wort: Feigheit!
Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, wie sich ein solches Offizierskorps in einer Diktatur verhalten würde. Ich habe nicht den geringsten Zweifel: Wenn auch nur zwei oder drei höhere Generale beim Minister remonstriert und ihm - widrigenfalls - ihren Abschied angeboten hätten - der Herr Minister hätte ein Problem gehabt. Vor allem aber hätte man für die Zukunft ein deutliches Zeichen gesetzt. Mit diesem opportunistischen Abtauchen hat man allerdings auch ein Zeichen gesetzt.
Ein guter Freund von mir hat zu diesen Vorgängen treffend festgestellt: "Wer statt Uniform Livree trägt, wird auch so behandelt." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Diese und ähnliche Vorfälle hinterlassen natürlich tiefe Spuren im Gedächtnis und damit auch im Langzeitgedächtnis der Truppe. In keiner anderen Armee der Welt wird soviel über Innere Führung geschrieben und geredet. Aber immer dann, wenn eine Sache viel Erklärung, Theorie und Terminologie braucht, ist Skepsis angebracht. Menschenführung und Kameradschaft bewähren sich nur dann, wenn sie von Vorgesetzten vorgelebt werden, vor allem dann, wenn sie mit persönlichem Risiko verbunden sind. Nach solchen, eben geschilderten Erlebnissen wird sich natürlich jeder Soldat fragen, ob und wie lange sein Vorgesetzter hinter ihm steht, wenn es kritisch wird, vor allem, wenn es um sensible oder gar lebensgefährliche Einsätze geht.
Und darum ist dies nicht nur eine geradezu unfehlbare Methode, eine Armee von Duckmäusern zu erziehen, sondern viel schlimmer noch: Die berühmte Auftragstaktik, die das deutsche Soldatentum seit 250 Jahren in der Welt berühmt gemacht und deutsche Verbände immer wieder in die Lage versetzt hat, aus einer zahlenmäßigen Unterlegenheit das Gefecht für sich zu entscheiden - diese Auftragstaktik wird mit einem solchen Soldatentypus zu Grabe tragen.
Wenn ich nun den Verlust der Kameradschaft beklagt habe, so muß ich das ein wenig relativieren. Natürlich gibt es unter höheren Offizieren - und erst recht unter Generalen - keine Kameradschaft, hat es wohl auch nie gegeben. Dieses Gefühl hört spätestens beim Kompaniechef auf.
Aber eines hat es in einer intakten Armee immer gegeben: Korpsgeist! Diesen besonderen Ehrenkodex, der sich zum Beispiel ausdrückt in dem klaren Bewußtsein: so etwas lassen wir mit uns nicht machen! Wenn dieses Empfinden verlorengeht, dann verliert eine Armee ihr Rückgrat und wird sehr schnell zum Spielball unterschiedlichster Interessen.
Wenn man mich nun fragt, was mich von all diesen betrüblichen Umständen am meisten getroffen hat, so sind es - mit einem gewissen zeitlichen Abstand und wenn ich die persönlichen Kränkungen einmal außer acht lasse - ganz zweifellos zwei Dinge:
Zum ersten die Tatsache, daß im Namen dieses Krebsgeschwürs "Political Correctness" Geschichte gefälscht und Recht gebeugt wird, daß Karrieren zerstört und Menschen ruiniert werden und daß die schweigende Mehrheit dies alles - zwar zunehmend murrend, aber dennoch mit gesenktem Kopf - hinnimmt.
Und zum zweiten, daß wir, die wir einmal stolz darauf waren, das "Volk der Dichter und Denker" genannt worden zu sein, daß wir uns eben dieses kritische Denken - zumindest auf diesem Feld - verbieten lassen und zwar genau von denjenigen, vor denen man uns vor 25 Jahren mit Polizeiaufgeboten beschützen mußte.
Angefangen von dem Zwang, der "Singularität des Holocaust" unsere Reverenz zu erweisen, über die Verpflichtung, die im Nürnberger Prozeß von den Siegermächten getroffenen Feststellungen auf alle Zeiten anzuerkennen, bis hin zu den vielen Tabus, die uns verbieten, historische Wahrheiten auszusprechen und zu diskutieren - all diese Denkverbote, die uns daran hindern, zu eigenständigen Wertungen und Urteilen zu kommen - dies alles ist nicht nur eine Beleidigung für jeden aufgeklärten Menschen, sondern auch das geistige Todesurteil für jede freie Gesellschaft. George Orwell läßt grüßen!
Gottfried Benn schreibt: "Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten."
Und schließlich ist es als Offizier natürlich eine tiefe Enttäuschung, zu erleben, daß die Entwicklung vom selbstbewußten, charakterfesten, manchmal auch etwas knorrigen Offizier alter Tage hin zum glatten, stromlinienförmigen "Manager in Uniform" unaufhaltsam voranschreitet.
Aber trotz dieser äußerst düsteren und pessimistischen Erkenntnisse besteht Hoffnung. Und damit meine ich nicht das berühmte zarte Pflänzchen, das wir auch am Rande des Grabes noch zu pflanzen pflegen. Ich bin fest davon überzeugt, daß alle diese Fälle - von Nolte über Jenninger, Heitmann und Walser bis Hohmann - die Mauer der "Political Correctness" ins Wanken gebracht haben. Sie hat deutliche Risse, und der Druck im Kessel steigt. Das zeigt sich schon an der nervösen Überreaktion in dieser Affäre. Die Menschen sind zunehmend weniger bereit, sich die Zumutung dieser ad infinitum verlängerten Kollektivschuld gefallen zu lassen und auch noch in der fünften Generation das Büßerhemd zu tragen. Noch einige wenige solcher Vorfälle, und das Tabu könnte zerbrechen.
Und in dieser Hoffnung sollten wir weiterkämpfen gegen Mittelmäßigkeit, Feigheit, Anpassung und Opportunismus, damit wir wieder von einer Meinungsfreiheit sprechen können, die diesen Namen verdient und die Voltaire so treffend beschrieben hat, als er sagte: "Ich hasse jedes Wort von dem, was Sie sagen; aber ich werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es auch weiterhin sagen dürfen."
Lassen Sie mich aber schließen mit einem Zitat von Mark Twain: "Die Demokratie beruht auf drei wesentlichen Säulen: der Freiheit der Gedanken, der Freiheit der Rede und der Klugheit, beide nicht zu gebrauchen."
General a.D. Reinhard Günzel, Jahrgang 1944, meldete sich 1963 freiwillig zur Fallschirmjägertruppe, studierte Geschichte und Philosophie und diente in verschiedenen Kommandeurverwendungen. Seit November 2000 führte der Brigadegeneral das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Am 4. November 2003 wurde er wegen seines Unterstützerbriefes an Martin Hohmann entlassen.
http://www.ariva.de/board/178041/...ull=&430&jump=1558745#jump1558745
Also merk Dir mal lieber, was Du unter welcher ID postest. Danke.
hast du was zur sache zu sagen? nein? dann schleich dich!
Schließlich sind die Beiträge in JungeFreiheit doch wohl genauso von der Meinungsfreiheit gedeckt wie jene der Jungen Welt? Und jedenfalls nicht verboten.
Ich finde den Artikel des Generals sehr interessant, weil er aufzeigt, wie bei uns nach unten getreten wird.
Und für einen Verteidigungsminister ist ein General unten.
Habe Struck schon beim ersten Lesen des Artikels immerwährenden Dünnschiss gewünscht.
Scheint irgendwo angeschlagen zu haben.
Nur werden hier immer wieder zufällig gefundene Texte ohne Quellenangabe präsentiert. Lies nach in den Verfassungsschutzberichten über die Taktik der neuen Rechten. Das ist keine auseinandersetzung mit offenem Visier.
Grüße
ecki
Eine Quellenangabe gehört hin, seien es nun Artikel aus "Junge Freiheit" oder "Junge Welt".
(@Rheumax: und wenn schon ein Artikel reinkopiert wird, dann auch mit Original-Überschriften, nicht mit Interpretationen von Interpretationen).
Grüße
Apfelbaumpflanzer
Wenn ich einen Artikel original und ungekürzt - mit Überschrift - hier reinkopiere,
brauche ich im Betreff nicht nochmals die Überschrift zu verwenden, sondern kann auch einen anderen Bezug zum Inhalt des Artikels herstellen.
Hierbei darf auch meine eigene Meinung durchblicken, ohne dass ich mich einer Verfälschung schuldig mache.
Gruß
Rheumax