Neue Bilanzregeln bergen Sprengstoff
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Eröffnet am: | 02.01.04 04:43 | von: godot | Anzahl Beiträge: | 1 |
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Neue Bilanzregeln bergen Sprengstoff
von Detlev Landmesser
Wenig beachtet, aber für die Gewinnausweise der Unternehmen sehr wichtig sind die 2004 anstehenden Bilanzierungsänderungen. Bei einigen Konzernen könnten sie für böse Überraschungen sorgen.
Schon lange bemüht sich die EU-Kommission, der babylonischen Bilanzverwirrung in Europa ein Ende zu bereiten. Alleine am deutschen Aktienmarkt bilanzieren die Unternehmen nach drei verschiedenen Standards, nämlich nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB), den International Accounting Standards (IAS, künftig IFRS) oder dem amerikanischen Standard US-GAAP.
Werthaltigkeitstests ab 2004
Im neuen Jahr werden die Bilanzierungsregeln weiter harmonisiert, um die Zahlenwerke international vergleichbarer zu machen. So nähern sich die neuen IAS-Richtlinien, die das Internationale Rechnungslegungsinstitut (IASB) voraussichtlich im ersten Quartal 2004 verabschiedet, in einem wichtigen Punkt an die US-Vorschriften an: Künftig sollen so genannte immaterielle Vermögenswerte regelmäßig auf ihre Werthaltigkeit geprüft werden. Bei diesem so genannten Impairment-Test untersuchen die Wirtschaftsprüfer jedes Jahr - bei Bedarf auch außerplanmäßig - die in der Bilanz ausgewiesenen Werte auf ihre Plausibilität. Auftauchende Differenzen müssen dabei sofort abgeschrieben werden.
Auch auf die börsennotierten Firmen, die noch nach HGB bilanzieren, kommt ab 2004 ein solcher Test zu. Denn ab 2005 sollen auch diese nach dem Willen der EU nach IAS/IFRS bilanzieren, und als wichtigen Zwischenschritt ab 2004 ebenfalls Impairment-Tests durchführen.
Gefahrenherd Goodwill
Für manche deutsche Konzerne könnte das einigen Sprengstoff bergen. Der mit Abstand wichtigste immaterielle Vermögenswert ist der so genannte Goodwill oder Firmenwert. Dieser entsteht, wenn Unternehmen zu einem Kaufpreis über ihrem Buchwert übernommen werden. Die Differenz zwischen Kaufpreis und Substanzwert wird dann als Goodwill in die Bilanz eingestellt. In den Jahren des Booms häuften deutsche Konzerne, allen voran die Deutsche Telekom, Goodwillpositionen in Milliardenhöhe auf.
Die bisherige Regelung sah vor, dass der Goodwill linear in einem Zeitraum von bis zu 20 Jahren abgeschrieben wird. Nach der neuen IAS-Vorschrift soll der Goodwill seinem tatsächlich geschätzten Wert entsprechend in der Bilanz stehen, und nur abgeschrieben werden, wenn der Test einen entsprechenden Bedarf offenbart. Dabei darf Goodwill immer nur nach unten, nie nach oben korrigiert werden. Zwar sahen die IAS- und HGB-Richtlinien auch bisher außerplanmäßige Abschreibungen vor, doch wurden diese Vorschriften bisher nur sehr zögerlich angewendet.
Unterschiedliches Risiko bei Dax-Werten
Bilanzexperten sehen die Gefahr, dass die neuen Tests bei manchen Unternehmen erheblichen Anpassungsbedarf offenbaren und deren Ergebnisse 2004 von hohen Abschreibungen belastet werden. Eine solche Abschreibung schmälert nicht nur den Reingewinn, sondern auch das Eigenkapital. Je höher die immateriellen Vermögenswerte im Verhältnis zum Eigenkapital, desto höher ist auch das Risiko unangenehmer Überraschungen. Der Goodwill-Spitzenreiter Telekom mit Firmenwerten von noch immer fast 27 Millionen Euro bilanziert zwar schon bisher (neben dem HGB-Standard) nach US-GAAP, doch insbesondere der Wert der deutschen UMTS-Lizenz, die zum Kaufpreis von 8,5 Milliarden Euro in die Bücher genommen wurde, bleibt umstritten.
Unter den nach IAS bilanzierenden Konzernen fallen besonders der Energieversorger RWE mit rund 16,5 Millionen Euro Goodwill, die Allianz mit rund 13,2 Milliarden und TUI mit rund 4,6 Milliarden Euro auf. Bei Volkswagen bemängeln Analysten die im Branchenvergleich besonders hohe Einstellung von Entwicklungskosten in die Bilanz, die nach IAS zwar grundsätzlich vorgeschrieben ist, aber möglicherweise hohen Anpassungsbedarf nach sich zieht.
Die Dax-Konzerne DaimlerChrysler, E.ON, Siemens und ThyssenKrupp waren dagegen wegen ihrer Bilanzierung nach US-GAAP schon bisher Impairment-Tests unterworfen.
Höhere Gewinnschwankungen
Insgesamt betrachtet, ist die künftige Bewertungsmethode durchaus realitätsnäher als eine kontinuierliche Abschreibung. Damit bleiben den Unternehmen aber noch höhere Bewertungsspielräume als zuvor, und das Risiko von Sonderabschreibungen und die Schwankungsbreite bei den Gewinnausweisen nimmt zu.
Das umso mehr, als die immateriellen Vermögenswerte in hohem Maße von Annahmen abhängig und die Ermessensspielräume erheblich sind. In der Praxis werden die Wirtschaftsprüfer auch künftig stark auf die Vorgaben der Vorstände angewiesen sein.
Wie bisher dürften daher größere Abschreibungsschocks bevorzugt dann auftreten, wenn es zu einem Wechsel an der Unternehmensspitze kommt. Ein neuer Vorstandschef oder Finanzvorstand wird diese Gelegenheit zum Großreinemachen besonders dann nutzen, wenn er sich Fehler seiner Vorgänger nicht zurechnen lassen will. Das prominenteste Beispiel war der Abschreibungsreigen nach dem Wechsel an der Telekom-Spitze im Jahr 2002. Es kann sich lohnen, solche Personalwechsel auch unter diesem Gesichtspunkt zu beobachten.