"Die Ära Kohl" v. AlanG.
Seite 1 von 1 Neuester Beitrag: 01.10.02 14:14 | ||||
Eröffnet am: | 30.09.02 19:25 | von: AlanG. | Anzahl Beiträge: | 24 |
Neuester Beitrag: | 01.10.02 14:14 | von: Dixie | Leser gesamt: | 1.798 |
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Die Ära Kohl (1982/83 1998)
Die Ära Helmut Kohl began 1982 mit einem sehr fragwürdigen Slogan. Es sollte nämlich “die geistig-moralische Wende” eingeleitet werden. Warum das?, - fragten sich viele in diesem Land. Niemand kam sich geistig-moralisch verwerflich vor. Also warum diese Aussage? Niemand hat es eigentlich verstanden.
Rückblickend wissen wir es besser. Die siebziger Jahre waren von den grossen freiheitlichen Reformen bestimmt. In der Bildungspolitik war vieles liberaler geworden und der Satz von Willy Brandt “Mehr Demokratie wagen” hatte tatsächlich Inhalt. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland war durchdrungen von einem toleranten, demokratischen Geist, um den uns in der Welt viele beneideten. Besonders in England, das zu Beginn der achtziger Jahre eine schwere Krise durchmachte. Natürlich gab es auch Schattenseiten, wie das Berufsverbot für Lehrer, das Teil des Extremistengesetzes war. Die Diskussion darüber war wichtig, aber es war eben die Diskussion eher denn dieses Berufsverbot selbst, das den Kern der Auseinandersetzung bildete, da es so gut wie nicht zur Anwendung kam.
Helmut Kohl wollte die Schraube dieser freiheitlichen Gesinnung wieder zurückdrehen. Da weitermachen, wo Kurt Georg Kiesinger 1967 aufgehört hatte. So befanden wir uns also geistig wieder in den sechziger Jahren. Die Menschen wurden prüder, die pubertierenden vierzehnjährigen hatten keine langen Haare mehr, sondern trugen ihre Haare wie schmierige Versicherungsvertreter; dazu Pollunder mit V-Ausschnitt, in der Hand einen Businesskoffer, statt Plastiktüte. Und diese eltern-bestimmten Sprösslinge wählten dann auch CDU. Ein Grund, warum sich Kohl sechzehn lange Jahre an der Macht halten konnte. ‘Sicher gab es auch eine kleine Minderheit, die sogenannten “Chaoten”. Das waren Jugendliche, die färbten sich die Haare, hörten unerhörte Musik wie Birthday Party oder Siouxie and the Banshees und wagten es, sich gegen “ehrenhafte” Hausbesitzerspekulanten, wie Ignaz Bubis, den späteren Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, aufzulehnen und deren Häuser zu besetzen. Pfui! Und das unter Helmut Kohl. Diese “Chaoten” waren fortan die Outlaws der deutschen Gesellschaft. Und jeder der es auch nur wagte mit ihnen zu sympathisieren, war selbst einer von ihnen. (Ähnlich wie G. W. Bush heute: “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.”) Besonders in der Provinz hatte diese Randgruppe es schwer. Deshalb zog es viele in die “geteilte” Stadt Berlin (West). Berlin war fortan also das Sammelbecken für diese Gruppe. Man kann sich gut vorstellen, dass Berlin in den Augen gerade des konservativen Lagers, nicht besonders beliebt war. Hatte die CDU historisch gesehen angefangen mit Konrd Adenauer mit Berlin noch nie viel am Hut gehabt. Es regierten dort ja auch bis 1983 permanent die Sozis. Dass in diesem Schmelztiegel Berlin, sich die CDU mit Richard von Weizsäcker 1983 als zukünftigem Regierenden Bürgermeister in Berlin durchsetzen konnte, lag u.a. an einem gewissen Herrn Lummer. Ein Installateuer, der in die Politik gegangen war, und der die sozialdemokratischen Wählerschaften aus dem Wedding und Neukölln mit populistisch/rechtem Gedankengut versorgte und sie so auf die Seite der CDU ziehen konnte. Eine Ostspionin, die ihm glauben machte “er sei ein toller Hecht” - der untersetzte Lummer mit dem Charme einer Luftpumpe ausgeattet, war hingerissen - brach ihm dann das politische Genick.
Deutschland versank immer mehr in einem imaginären Wohlstandssessel, aus dem es sich aufzustehen einfach nicht lohnte. Ende der achtziger Jahre mehrten sich dann doch aber Stimmen, die die Reformunwilligkeit der Regierung Kohl anprangerten. Allen voran Oskar Lafontaine. Der Linke aus dem Saarland, der etwas von französischer Kochkunst verstand. Ein rotes Tuch für die Konservativen, für die der Pfälzer Saumagen (Lieblingsspeise Helmut Kohls) die ultima ratio des Essens schlechthin bedeutete. Es waren die Jahre 1988 (erste Krise der CDU durch Uwe Barschels Tod in der Badewanne im Schweizer Hotel Beau Rivage) und 1989. Alles deutete 1989 bereits daraufhin, das Lafontaine die Bundestagswahl 1990 gewinnen würde. Kohl hatte fertig. Aber dann passierte etwas im anderen Teil Deutschlands, der DDR. Die DDR, ein Staat der bis dato, zumal für die Jüngeren, faktisch Ausland war. Ein Staat der zum Ostblock gehörte, ja durch den sich mancher im Kalten Krieg stark bedroht fühlte. Nun aber, im Zuge von Michail Gorbatschow und seiner Perestroika / Glasnost-Bewegung, wagten auch einige DDR Bürger den “Mund” in Form von Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderswo aufzumachen. Zu den Feiern des 40. Jahrestags der DDR wurde schließlich der berühmt gewordene Satz von Gorbatschow gesagt, “Wer zu süpät kommt, den bestraft das Leben.” In diesem Moment fiel Erich Honecker, sprichwörtlich die Kinnlade runter. Alle wussten natürlich was gemeint war. Die DDR hatte es bis zu jenem Zeitpunkt vermieden, eine schrittweise Öffnung nach innen, zuzulassen. Diese Kritik vom “Großen Bruder” Sowjetunion machte die Regierung Honecker fassungslos. Gleichzeitig machten sich einige Renegaten des DDR Systems auf in die Deutsche Botschaft in Budapest. Kurz nachdem diese in die Bundesrepublik einreisen durfte, gab es in Ostberlin am 9. November eine Pressekonferenz mit einem fatalen Versprecher vom Regeirungsmitglied Schabowski. Auf jener Pressekonferenz sagte er nämlich, um eine Öffnung der DDR nach außen sichtbar werden zu lassen, daß jeder DDR Bürger das Recht hat, mit seinem Pass in ein anderes Land zu reisen. Was er nicht ahnen konnte, war, daß diese Meldung sich in Windeseile verbreiten würde und sofort über alle Nachrichtenticker lief. Die Mauer war gefallen! Noch am gleichen Abend des besagten 9. November 1989 machten sich Tausende und Abertausende in Ostberlin und an der innerdeutschen Grenze zu Westdeutschland auf, um die Bundesrepublik zu “besuchen”. Die Bilder von der Begrüßung der Landsleute im Trabant - samt knallenden Sektkorken - sollten in den nächsten Tagen und Wochen um die Welt gehen.
Nun kam die Stunde von Helmut Kohl, dem Dicken. Er witterte Morgenluft, weil die Menschen aus der DDR ja zu “ihm” gekommen sind. Er versprach den Menschen die Wiederveinigung, blühende Landschaften in kurzer Zeit und das Wichtigste: Die D-Mark. Punkt eins und drei wurden tatsächlich innerhalb eines Jahres realisiert. Tja, und das war es dann für Oskar Lafontaine. Den kannten die im Osten ja gar nicht; außerdem war der links und davon hatten die Leute in der (ehemaligen) DDR ja genug gehabt. So wurde Kohl im Osten mit überwältigender Mehrheit gewählt und bescherte ihm seine dritte Legislaturperiode. Lafontaines Warnungen, dass eine Wiederveinigung lang Zeit brauche, die auch schmerzlich sein könne, wer wollte das bei so viel Deutschland Einig Vaterland hören! Die Einigung Deutschlands war nun das große historische Verdienst Helmut Kohls. Er war bei seinem Freund Gorbatschow (übrigens heute selbstbezeichnender Weise immer noch Kommunist), schenkte ihm einige Milliarden D-Mark und alles war tutti palletti. Mit Bush senior, Francois Mitterand und vor allem mit Maggie Thatcher war es schon etwas schwieriger. Denen konnte er mit Geld nicht kommen. Wie wir heute wissen, hat es ja dann doch noch geklappt. Vivat Germany!
Es begann tatsächlich trotz Milliardenverluste der Treuhandanstalt ein Bau- und Konsumboom. Dieser rettete uns Anfang der neunziger Jahre als es den anderen westlichen Ländern mal wieder nicht so gut ging, vor einem wirtschaftlichen Engpaß. Kohl, der von Tag zu Tag amtsmüder wirkte, wurde also wieder gewählt diesmal gegen Rudolf Scharping. Die Jahre wurden schwerer, die Arbeitslosigkeit stieg, der Bauboom war zu Ende, Deutschlandd hatte die weltweite digitale Revolution im Tausch gegen Wiedervereinigungsdiskussionen verloren. Toll! Überall gab es mittlerweile das Internet als die Deutschen immer noch nicht wußten, was das überhaupt ist. Das war 1996. Mit den blühenden Landschaften wurde es auch nicht so richtig was. Die Ossis waren enttäuscht und merkten erst jetzt viel zu spät daß Helmut K. nicht der große Gechenke-Onkel aus dem Westen ist. Einige wandten sich nun wieder ihren DDR-Wurzeln zu und wählten die PDS in Länderparlamente. Andere wählten gar nicht und der Rest eben SPD und die Einheitsgewinnler eben CDU. Deutschland tat nun gut dran, sich etwas von dem “Einheits”-Blick auf sich selbst zu befreien, obwohl der Osten stets Chefsache blieb. Die Arbeitslosigkeit stieg und erreichte 1997 ihren Höhepunkt mit 4,17 Mio. Arbeitslosen. Kohl wurde nun immer unfähiger zu handeln. Scheinbar geitesabwesend und weltfremd predigte er die immer gleichen Phrasen, die ihm immer weniger Menschen abnahmen. Stolz und nicht müde werdend hob das Lager der Konservativen, besonders in den alten Bundeländern, die Verdienste um die Wiedervereinigung Helmut Kohls aufs Schild. Das gefiel Kohl sehr. Das war sein Ruhekissen, da waren Menschen, die mochten ihn noch. Allerdings wandten sich auch von jenen ein paar interimsmässig der FDP zu, nämlich während der Spendenaffäre im Jahr 2000, als offenkundig wurde, daß die CDU generlastabsmäßig jahrzehntelang Spendengelder nach Davos und anderswo transferiert hatte. Nachdem alles rückhaltlos aufgeklärt war: Business as usual.
Die Ära Kohl ging 1998 zu Ende. Hannelore Kohl, Kohls Frau, hatte ihn gewarnt: “Helmut tut dir das nicht mehr an!” Allein er hörte nciht auf sie, stellte sich wieder zur Wahl und verlor. Seine Hinterlassenschaft: Ein innerpoliticher Scherbenhaufen in Form von Verwirrung, Lethargie, Desinteresse, Frust, Apathie, Uninformiertheit, und Schulden, Schulden Schulden. Aber das mit der geistig-moralischen Wende, das hatte geklappt.
Aber ich sage auch:
NACHKARTEN IST MIST.
Vorbei ist vorbei. Wem hilft eine Schuldzuweisung? Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es ersoffen, oder man kann es retten, aber nie dadurch daß man erstmal einen Schuldigen sucht. Dann ersäuft es nämlich auf jeden Fall.
Nach vorne kucken ist wichtig, der Rest ist nicht wirklich ehrlich. Oder?
Ich sach Dir: wir stecken dermaßen in der Scheiße, daß es ganz schnell gehen kann ...
um zu schauen, was tatsächlich los ist.
"Liest sich wie von einem Autor der wirklich nie seinen Hintern aus dem
Wohlstandssessel bekommen hat, um zu schauen, was tatsächlich los ist."
bezog sich auf den Beitrag von AlanG.
Die Meinung, daß wir in einer schwierigen Lage stecken, teile ich.
Aber ich lebe in einem Universum erhöhter Sensibilität, nach so viel schwarzen Sternen (heul).
Ne, jetz ma im Ernst: ..... hmm vergessen, was wollte ich eigentlich sagen ... ach ja: kauft Telekom: 100 % in 2 Monaten.
nur ma so nebenbei bemerkt.
Berüchtigr noch die Tribunale, die entschieden, ob ein echter Gewissenskonflikt vorliegt. Erst später reichte eine einfache Postkarte - lag aber eher an den geburtenstarken Jahrgängen, die man bei der BW nicht unterbringen konnte, als an einem echten liberalen Gesinnungswechsel.
Ansonsten - schöne Lektüre!
wirtschaftliche Situation der BRD unter
Helmut Schmidt.
Zum Nachlesen:
"Während der Beratungen über den Bundeshaushalt für 1983 unterbreitet F.D.P.-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (geb. 1926) im September 1982 Vorschläge zur Überwindung der Wirtschaftskrise. Sein Sparkonzept weicht vom Regierungskurs ab und weist Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen der CDU/CSU-Opposition auf. In der SPD wird das Lambsdorff-Papier als erster Schritt zum Bruch der Koalition aufgefaßt."
http://www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/
NeueHerausforderungen/NeuePolitischeKonstellationen/kanzlerwechsel.html
2.Beispiel:
Natürlich hat Kohl 1994 bis 1998 versagt -
auch dank der Blockadepolitik des Bundesrates mit
ihrem Wortführer Eichel, der nur der Ausführende
für Lafontaine war.
Daneben beschreibt AlanG natürlich auch viele
Wahrheiten, aber kaum aus der Sicht der damaligen
Mehrheit.
respekt! werde dich suchen und lesen, ab und zu...
mit den besten grüßen
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Weitere Auseinandersetzungen entstehen durch die Diskussion über den NATO-Doppelbeschluß. Die Nachrüstungsdebatte stürzt die SPD in eine schwere innere Krise. Während sich der Bundeskanzler und die F.D.P. zur NATO und ihrer Politik bekennen, lehnen weite Teile der SPD die Nachrüstung entschieden ab.
http://www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/
NeueHerausforderungen/NeuePolitischeKonstellationen/kanzlerwechsel.html
Gleichzeitig drängen immer mehr Frauen und die geburtenstarken Jahrgänge in das Berufsleben.
War die Arbeitslosigkeit früher vor allem konjunkturabhängig, so ist sie jetzt zunehmend strukturell bedingt und auch in Phasen der Hochkonjunktur schwerer zu reduzieren.
Dies trifft vor allem auf die früheren Schlüsselindustrien wie Kohle, Stahl und Schiffbau zu, deren regionale Hochburgen besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Auch der Einsatz neuer Technologien wie der Mikroelektronik führt zu Rationalisierungsmaßnahmen und Arbeitsplätzeabbau.
Trotz Arbeitsförderungsmaßnahmen und erneutem Wirtschaftsaufschwung Mitte der 80er Jahre liegt die Arbeitslosenquote, die zwischen 1974 und 1985 von 4,2 auf 9,3 Prozent steigt, 1989 noch bei 7,9 Prozent.
http://www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/
NeueHerausforderungen/Weltwirtschaftskrise/arbeitslosigkeit.html
aber lafontaine hatte doch die weidervereinigung verhindern wollen, er ist in meinen augen ein sozialdemokrat kommunistischer prägung. wenn der gute mann, statt gerd, jetzt das sagen hätte, würde er wahrscheinlich die banken in volkseigentum überführen.
der apfel fällt nicht weit vom stamm, einer seiner saarländischen stammesbrüder hat diese wohlstandsideale in einem bereits versunkenem staate "ddr" vorgeführt.
gruß
proxi
Das sind alle zusammen Vertreter einer Machtvereinigung. Der Ablauf der Geschichte wird nicht von Politikern, sondern von deren Drahtziehern beeinflußt.
An der Front steht jeweils nur ein Schauspieler.
Ihr habt vergessen zu welcher Zeit Deutschland Europas Wirtschaftsmacht war und den Ton angab.