Pepsi-Cola, Schul-Millionen, dicke Texaner und wie


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12.07.02 17:42
Pepsi-Cola, Schul-Millionen, dicke Texaner und wie das alles zusammenhängt

Von Matthias Streitz

Vermarktungsverträge mit Brause-Abfüllern wie Coca-Cola und Pepsi bringen Amerikas Schulen jährlich hohe dreistellige Millionensummen ein. Bis auf die Schüler sind alle darüber entsetzt, der Widerstand wächst. Doch die Deals sind einfach zu praktisch, um sie abzuschaffen.

Seit einigen Wochen wird aufgeräumt in den High Schools im Staate Texas. Sämtliche Schulkantinen werden in Weihestätten des gesunden Lebenswandels verwandelt. Die Opfer heißen Coca-Cola, Dr Pepper oder Mountain Dew und enthalten hohe Dosen Zucker, Farb- und Süßstoffe.

Wie überall in US-Schulen stehen hier an allen Ecken Getränkeautomaten, die gegen Dollars Dosen ausspucken. Jetzt werden die Stecker der Geräte herausgezogen, zack, Licht aus. Die Dosenverkäufer landen auf einer Karre, werden fortgezerrt. Denn wie überall in den USA hat die Konterrevolution gegen den Einfluss begonnen, den sich Coca-Cola und Pepsi seit Jahren an Schulen erobert haben.

Du sollst keine andere Cola haben ...

Revolution? Wohl doch nicht ganz. Eine Zeitung hofft zwar, nach dem Kreuzzug gegen "Big Tobacco" würden Verbraucherschützer nun triumphal gegen die Limonaden-Multis vorrücken. Das aber wäre wohl gar zu qualvoll: Coca-Cola oder Pepsi zahlen mancher Schule 60.000 Dollar pro Jahr, damit auf ihren Fluren die eigenen Automaten stehen - und nicht etwa gar keine oder die der Konkurrenz.

Rund die Hälfte aller Schulbezirke hat in den letzten Jahren solche Exklusiverträge mit Softdrink-Abfüllern geschlossen, oft über fünf bis zehn Jahre. In vielen Regionen stehen in nahezu jeder High School bezahlte Automaten - und in zwei von fünf Grundschulen. Allein in Minnesota kassieren Schulen dadurch 40 Millionen Dollar jährlich. Davon lassen sich eine Menge Pom-Poms für die Cheerleader kaufen.

Das macht doch nicht dick, oder?

So werden die Automaten in Texas vorsichtshalber nur ein paar Meter weiter gezogen, auf den Schulhof oder in einen Korridor, und dort wieder angestöpselt, klick, Strom an. Denn die neue Direktive der texanischen Schulbehörde besagt: Automaten für Junk food und Softdrinks sollen aus den "Schulkantinen" verschwinden. Von "Schulen" ist nirgendwo die Rede.

Auch jenseits George Bushs Heimatstaat wird vor dem neuen Schuljahr viel von Änderung geredet, ohne dass sich viel ändert. Parlamentarier in 14 Bundesstaaten von Hawaii bis Vermont haben Gesetze vorgeschlagen, die den Verkauf der exklusiven "pouring rights", der Ausschenkrechte, durch Rektoren und Schulaufseher begrenzen sollen. Nur wurde von den Gesetzesinitiativen bisher jede gebremst, blockiert oder niedergestimmt.

Pepsi-Test für die Coke-Schule

Immerhin, es ist die erste wichtige Kampagne gegen die Lizenzen, seit sie 1997/98 in Mode kamen. Auch das Agrarministerium, für die Schülerverköstigung in Kantinen landesweit zuständig, wagte sich mit einer Einsicht vor: Softdrinks in Schulen seien mit dafür verantwortlich, dass Amerikas Teenager dicker und kränker sind als früher.

Am jüngsten Aufschrei sind vor allem die Exzesse schuld, die Schulen und Getränkegiganten zugelassen haben. Ein Schuldach in Texas etwa ist mit einem gigantischen Dr Pepper-Logo dekoriert. In einem Distrikt in Colorado verkehren 7-Up-Schulbusse. Vielerorts stehen Schilder mit Schriftzügen wie "Pepsi - offizielles Erfrischungsgetränk der Sekundarschule von Cayuga". Berühmt wurde vor allem die Anekdote, die Markenkritikerin Naomi Klein im Buch "No Logo" erzählt: Der 19-jährige Mike Cameron wurde suspendiert, weil er zum Coca-Cola-Tag seiner High School mit Pepsi-T-Shirt erschien.

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Trotzdem scheint der Werbeeffekt bei den Jüngeren die Ansehensverluste bei den Älteren zu kompensieren. So kommen die Konzerne einstweilen mit kleinen Konzessionen davon. Sie betonen, dass die Automaten auch Säfte oder Wasser ausspucken und nur Bruchteile des Konzernumsatzes liefern. Coca-Cola verpflichtet sich mancherorts, seine Getränkespender statt mit PR-Botschaften mit "Szenen aus dem Schulalltag" zu bedrucken. Auch wolle man künftig Konkurrenz-Automaten zulassen, möglichst auf die teuren Exklusiv-Konzessionen verzichten. Oft aber sind es inzwischen die Schulen, die darum betteln.

 
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Wahrscheinlich ist es konsequent, dass Schulen, die zur Initiative erziehen sollen, selbst unternehmerisch agieren. Viele sehen im übrigen keine Alternative. In Oregon etwa beschnitt eine Steuerreform die Schulfinanzen, viele andere Staaten sparen. Ausflüge, Uniformen, Stipendien, Möbel, Kunst, Videorekorder, Leistungsprämien und Bücher werden durch die Brauseverträge bezahlt, aus Alibigründen auch Sporthallen und -feste. Eine Schule in Georgia leistete sich Coke sei Dank genügend neue Computer. Diese hohe Toleranz gegenüber Privatfinanzierung gibt es auch bei amerikanischen Universitäten - die unter anderem deswegen den deutschen oft überlegen sind.

Dass eine Institution wie die Schule Notlösungen wählt, wenn bei wachsenden Ansprüchen die Mittel schrumpfen, ist also bedauerlich, aber verständlich. Lizenzverträge werden geschlossen, obwohl Pädagogen sich dem Verdacht der Käuflichkeit aussetzen und dem eigenen Gesundheitsunterricht widersprechen. Im Zweifel schlägt das materielle fast stets das ideelle Argument. Es ist auch kaum mehr als ein Dogma, dass staatliche Schulfinanzierung anders als private ein Garant für Unabhängigkeit ist.

Welcome to McManhattan

Die Coke-Verträge folgen zudem einen breiteren Wertewandel. Die Stadt San Diego hat jüngst lange überlegt, erstmals ein ganzes Viertel nach einem Konzern zu benennen. Europäer sollten diese Kommerz-Exzesse nicht vorschnell bespötteln. Schon ist auch in Großbritannien die Debatte über Für und Wider lizenzierter Automaten in Schulen entbrannt.

Eher rührend wirken dagegen Versuche mancher US-Politiker, eilig eine Gesundheitsoffensive zu starten. Charles Schumer etwa, Senator aus New York, hat eine geheime Waffe gegen schulische Cola entdeckt: die Milch. Ende 2001 begann er, für Milch-Automaten zu trommeln, seitdem wurden sie in über 50 Schulen installiert. Doch wenn der Demokrat gehofft hat, so die Macht der Multis zu beschneiden, hat er sich wohl getäuscht: Im Sommer bringt Coca-Cola "Choglit" auf den Markt, das erste und sicher nicht letzte Milchgetränk des Konzerns. Selbst der schwerfällige Koloss aus Atlanta handelt rascher als die Politik reagieren kann.  

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