von Weizsäcker für Türkei-Beitritt
Seite 1 von 2 Neuester Beitrag: 02.10.04 23:06 | ||||
Eröffnet am: | 01.10.04 13:07 | von: ruhrpottzock. | Anzahl Beiträge: | 33 |
Neuester Beitrag: | 02.10.04 23:06 | von: DarkKnight | Leser gesamt: | 10.693 |
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Nachzulesen in der BILD - Zeitung !
*ggg*
Es gibt auch noch den einen oder anderen CDU - Promi, der nachdenken kann. Ergo: noch ist nicht alles verloren. Vielleicht kann er es ja der CDU-Führung erklären. Dabei wünsche ich ihm viel Spaß. Wahrscheinlich muss er alles bunt anmalen.
Das tat sie nie, weder geografisch noch kulturell. Das Erbe der Antike, die jüdisch-christliche Ethik, die Renaissance und die Aufklärung sind an ihr genauso vorübergegangen wie an uns die Kultur des Harems. Zwar standen die Osmanen 1683 vor Wien, Polen und Reichstruppen aber konnten sie glücklicherweise vertreiben. Heute gehört nur noch ein Zipfel der Türkei, Türkisch-Thrakien, zu Europa. Sollte die Geografie ins Spiel gebracht werden, ließe sich über Istanbul reden: die Stadt am Bosporus als erste Polis der Neuzeit und Mitglied der EU! Im Ernst, wer ein außereuropäisches Land aufnimmt, muss sich auch Israels und der Maghrebstaaten, der Ukraine, Weisrusslands und Russlands annehmen. Europa als geografische Einheit, als gemeinsamer Geschichts- und Kulturraum ginge zu Grunde.
2. Ankara missachtet Menschenrechte
Zu Europa gehört die Gabe, sich beständig selbst infrage zu stellen. Ankara hat diese Fähigkeit zu keiner Zeit besessen. Bis heute leugnen die Regierung, das Parlament und viele türkische Historiker den Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1895/96 und 1914/15. Prekärer noch: Selbst nach Amtsantritt Erdogans wird in der Türkei flächendeckend gefoltert. Das stellt die türkische Menschenrechtsorganisation Human Rights Foundation fest. Allein bis August seien 600 Folterfälle dokumentiert. Zwar versprach der Ministerpräsident gestern in Brüssel, von der Folter zu lassen, die Wahrung der Menschenrechte scheint dennoch nicht gewährleistet. Sie aber gehört zu Europa wie der Eiffelturm zu Paris.
3. Es droht eine Völkerwanderung
In der Europäischen Union herrscht das Prinzip der Freizügigkeit. Jeder darf dort hinziehen, wo es ihm gefällt. Das gilt auch für die Türken als Mitglieder der EU – selbst wenn Brüssel Übergangsfristen von bis zu sieben Jahren wie im Falle Polens einführen sollte. Die Freiheit brächte viele anatolische Bauern auf die Beine. Experten fürchten, dass bis zu drei Millionen Menschen gen Nordwesten ziehen könnten. Etwa 15 Millionen Moslems leben in der EU, allein in Deutschland 2,5 Millionen Türken. Von Ausnahmen abgesehen, ist ihre Integration gescheitert. Eine türkische Masseneinwanderung würde die Probleme nur noch verschärfen.
4. Die Unionsidee wird zerstört
In dem Versuch, Europa aus den Trümmern des Weltkrieges zu führen und es zu einen, lag stets auch die Idee, „eine Art Vereinigte Staaten von Europa“ zu schaffen, wie es Winston Churchill 1946 in seiner Züricher Rede formulierte. Bis heute halten die meisten Mitglieder der EU daran fest. Beleg dafür ist die Umbenennung der „Europäischen Gemeinschaft“ in „Europäische Union“, von der Einführung einer gemeinsamen Währung zu schweigen. Will man den Unionscharakter bewahren, will man die Union vertiefen, ist ein europäisches Wirgefühl vonnöten. Ein EU-Beitritt der Türkei – in 20 Jahren das bevölkerungsreichste Land der EU – brächte die wirklich europäischen Staaten auseinander. Aus diesem Grund sind übrigens die Briten für den Beitritt Ankaras. Sie hoffen, die EU mithilfe der Türkei in eine Freihandelszone zu verwandeln und die politische Vertiefung zu unterlaufen.
5. Die Kosten sind nicht zu bewältigen
Und das in allen Bereichen: finanziell, politisch und in sozialer Hinsicht. Experten verschiedener unabhängiger Institute haben errechnet, dass der Beitritt der Türkei weitaus teurer wäre als die Aufnahme aller zehn neuen Länder am 1..Mai. Nimmt man an, dass Ankara genauso behandelt wird wie jene zehn, hätte es Anspruch auf über 45 Milliarden Euro. Doch damit nicht genug: Der türkische Agrarmarkt – er macht immer noch über 14 Prozent des türkischen Bruttoinlandsproduktes aus – brächte Brüssel und seine Agrarpolitik in schwerste Bedrängnis. Darüber hinaus würde die Türkei als größter Staat innerhalb der europäischen Institutionen den gleichen Rang wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien erhalten. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU erhielte das ärmste Land eine politisch dominierende Rolle.
6. Die EU ist keine karitative Anstalt
Die Entwicklung in der Türkei ist eine innertürkische Angelegenheit. Die Türkei selbst und viele Anhänger eines Beitritts sehen das anders. Sie instrumentalisieren die EU, um eine bestimmte politische Linie im Land durchzusetzen. Die Türkei muss ein Eigeninteresse an Reformen und der Modernisierung haben. Die Türkei muss ihre politischen Hausaufgaben selbst lösen.
7. Das Strategie-Argument zieht nicht
Die Befürworter betonen sinngemäß: Um den Konflikt der Kulturen im Kampf gegen den Terrorismus zu entkrampfen, müsse das EU-Mitglied Türkei als Modell eines verwestlichten, wohlhabenden islamischen Staates auf die moslemisch-arabische Welt ausstrahlen. Dort aber ist Ankara etwa so beliebt wie die Japaner in Korea. Viele Araber haben die Türken als Kolonialmacht noch immer nicht vergessen. Die Türkei ist keine Brücke zwischen Ost und West. Zudem ist für strategische Fragen vor allem die Nato zuständig. Ihr gehören die Türken seit 1949 an.
8. Die EU kommt in üble Nachbarschaft
Wäre Ankara Mitglied in der EU, stießen Europas Grenzen an die zentralen Konfliktregionen der Erde. Plötzlich wären wir Nachbarn höchst unappetitlicher Regime mit der Neigung zu unberechenbaren Drohgebärden und unglaublichen Potenzialen an Extremisten. Viele Tausend Grenzkilometer müssten streng bewacht werden, um all die Menschen abzuhalten, die aus Asien, der Arabischen Halbinsel, vielleicht sogar aus Afrika über die Türkei nach Europa wollen.
9. Das Beitrittsversprechen ist Legende
Um die Südostflanke der Nato auch wirtschaftlich zu stabilisieren, baten die Amerikaner in der Hochzeit des Kalten Krieges darum, der Türkei wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Aus diesem Grund eröffnete der europäische Klub der sechs in Artikel.28 des Assoziierungsvertrages von 1964 Ankara die prinzipielle Möglichkeit eines Beitritts. Nur war damit die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gemeint. Ein Beitritt zu einer politischen Union stand nie zur Diskussion. Die Europäer werden nicht wortbrüchig, wenn sie die Türkei nicht als Vollmitglied in die EU integrieren.
10. Es gibt sinnvolle Alternativen
Setzt Ankara seinen Reformkurs fort, wird es auch ohne Vollmitgliedschaft – assoziiertes Mitglied der EU ist es bereits – eine moderne Demokratie werden. Geschützt würde sie im Rahmen der Nato. Darüber hinaus könnten ihr weitere Vorzüge in der Zollunion gewährt werden. Auch ließen sich schon bestehende Hilfsprogramme aufstocken. Die Türkei gehört zu Europas Nachbarn, sie ist Bündnispartner in der Nato. Wo liegt das Problem?
ist eine Chance für Europa“
Von J. FISCHER und R. KLEINE
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Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker (84) macht sich für die Türkei stark
BILD-Interview mit Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker über den möglichen EU-Beitritt der Türkei
BILD: Herr Alt-Bundespräsident, die EU steht kommende Woche vor der historischen Entscheidung, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden. Gehört die Türkei nach Europa?
Richard von Weizsäcker: Der Präsident der Europäischen Kommission hat schon 1963 auf diese Frage geantwortet: Die Türkei gehört nach Europa und zwar auf die Dauer als ordentliches Mitglied. Deshalb dürfen wir der Türkei nach meiner festen Überzeugung Verhandlungen über ihre zukünftigen Beziehungen zur Europäischen Union nicht verweigern. Aber wir müssen klar sagen: Es wird
verhandelt – und das Ergebnis ist offen.
BILD: ...die CDU will der Türkei statt Mitgliedschaft in der EU eine so genannte „privilegierte Partnerschaft“ anbieten...
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Weizsäcker: Die Einladung zu Verhandlungen sollte nicht in einer Form erfolgen, die im Ergebnis auf die Türken wirkt wie eine Einladung mit angehängter Ausladung. Man kann nicht jemanden einladen – und dann nur einen Stehplatz anbieten.
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Wenn von besonderen Beziehungen der Türkei zur EU gesprochen wird, dann soll das doch heißen: Die Türkei soll in eine Freihandelszone einbezogen werden, nicht aber in die Sicherheits- und Außenpolitik Europas. Aber gerade in diesem Bereich ist die Türkei für unser Verhältnis zur islamischen, uns Europäer eng umgebenden Welt so wichtig.
BILD: Passt ein überwiegend moslemisch geprägtes Land überhaupt zu Europa?
Weizsäcker: Die Türkei ist anders. Ob zu anders wird bei uns in den Verhandlungen entschieden. Tatsache ist: Die Türkei wird von einer im Islam begründeten Regierungspartei und einem Ministerpräsidenten regiert, der gläubiger Moslem ist. Aber diese Regierung ist nach unseren rechtsstaatlich demokratischen Regeln gewählt.
Wenn wir das einzige muslimische Land mit einer wirklich demokratisch gewählten Regierung als Gesprächspartner nicht akzeptieren wollen, dann verstoßen wir gegen die Interessen der gesamten westlichen Welt, nicht zuletzt auch der Amerikaner.
BILD: Vor zehn Jahren hatte die EU zehn Mitglieder, heute sind es schon 25. Welche Größe verträgt die Europäische Union?
Weizsäcker: Ich nehme diese z. B. auch von Helmut Schmidt vorgebrachte Mahnung sehr ernst. Ja, es wäre das Beste für die EU, erst einmal in Ruhe zusammenzuwachsen – und dann über neue Mitglieder nachzudenken.
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Aber wer schenkt uns diese Ruhe? Wir haben sie nicht! Der Nahe und Mittlere Osten und die Bedrohung durch den internationalen Terror verurteilen uns zu einer strategischen Mitverantwortung, ob wir wollen oder nicht. Und gerade in dieser Hinsicht ist die Stimme der Türkei unverzichtbar.
BILD: Welche Chancen bietet ein EU-Beitritt der Türkei für Deutschland?
Weizsäcker: Es ist ja nicht aus den Fingern gesogen, wenn unsere Wirtschaftsverbände sagen, die Türkei soll dazukommen. Wir reden hier über ein bedeutendes Wachstumsgebiet – für unsere Wirtschaft ist das eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen.
Klar ist aber auch: Die Kosten, die die EU aufbringen müsste, wenn es bei der Türkei nach denselben Kriterien gehen würde wie bei früheren Beitrittländern, wären immens und unbezahlbar. Deshalb muss die Türkei wissen: Wenn es – vielleicht in 10 oder 15 Jahren – zu einem Beitritt kommt, dann werden die Bedingungen andere sein, als sie beispielsweise Polen und die baltischen Staaten hatten. Das gilt vor allem für die Beihilfen in der Landwirtschaft.
BILD: Kritiker werfen der Türkei noch immer die Missachtung der Menschenrechte vor...
Weizsäcker: Niemand leugnet, dass die Türkei in diesem Bereich noch Defizite hat. Tatsache ist aber auch, dass selbst amnesty international dem Land in dieser Frage erhebliche Fortschritte bescheinigt: Die Todesstrafe ist abgeschafft, die Generäle sind entmachtet, Folter ist verboten. Sicher wird es dauern, bis das in jedem Winkel der Türkei durchgesetzt ist. Die EU wird das ganz genau beobachten – und am Ende von Beitrittsverhandlungen entscheiden, ob der europäische Standard erreicht wurde.
BILD: Viele Bürger befürchten, dass Millionen Türken nach Deutschland einwandern könnten. Verstehen Sie diese Sorge?
Weizsäcker: Natürlich kann ich diese Befürchtungen nachvollziehen – auch wenn ich sie nicht teile. Auch die bisherigen Erweiterungen der EU haben nicht zur vorhergesagten Einwanderungswelle geführt. Auch die Türken lieben ihre Heimat – und jeder wirtschaftliche Fortschritt macht es ihnen attraktiver, zu Hause zu bleiben. Klar ist allerdings, dass es im Falle der Türkei bei der völligen Freizügigkeit lange Übergangsfristen geben müsste.
BILD: Welche Risiken hätte eine Absage an die Türkei?
Weizsäcker: Europa als entscheidende Reforminstanz würde entfallen. Sollen denn die Generäle wieder an die Macht? Die Kurdenfrage militärisch lösen? Die Fundamentalisten würden jubeln. Das Volk würde weinen: Die Menschen wären die Leidtragenden. Wir haben keine Erfolgsgarantie – wir haben eine Chance. Sie kommt kein zweites Mal. Wir müssen sie nutzen.
sich von Weizsäcker auseinander gesetzt.
Ich empfehle, das interview zu lesen.
Kurz:
zu 1: Spielt das eine Rolle ? Okay - Europa ist noch nicht fertig. Aber muss es bei Europa enden ?
zu 2. Weizsäcker hält das auch für ein Problem, welches nicht mehr in der ursprünglichen Schärfe existiert, aber noch existiert. Es MUSS vorher gelöst werden.
zu 3. Weizsäcker hält das für eine krasse Fehleinschätzung. Ich meine, ein Beitritt ist DIE Chance, die Masseneinwanderung zu verhindern. Eher tritt das gegenteil ein - viele Türken kehren zurück.
zu 4. das Wir-Gefühl wird nicht verhindert durch den Türkei-Beitritt. Die Türkei war, historisch gesehen, immer näher an Europa als an Asien.
zu 5. Nach den heute geltenden Regeln hast du Recht. Da muss sich was ändern.
zu 6. Als Teil Europas wird die Türkei die Probleme besser lösen.
zu 7. Ohne einen Beitritt wird die Türkei sicher auch nicht beliebter, Europa durch einen Beitritt sicher nicht unbeliebter.
zu 8. In übler Nachbarschaft ist heute jeder auf der Welt. Geographische Entfernungen zählen nicht mehr.
zu 9. Warum Versprechen ? Wir müssten nach Weizsäcker ein dringendes Eigeninteresse haben.
zu 10. Warum nicht Vollmitglied bei geänderten Regeln ? Hilfsprogramme sollten überflüssig werden. Ich erinnere: Im Falle Portugal gab es damals ähnliche Befürchtungen.
Zypern gehört 100% zu Asien und Malta zu Afrika. Nicht zu vergessen die Kanarischen Inseln. Übrigens, die westliche EU-Aussengrenze liegt in Südamerika: Franz.Guyana. Und Tahiti zählt auch zum EU-Hoheitsgebiet. Daran denkt nur kaum einer.
Seht euch mal die Euro-Scheine bisschen genauer an!
http://www.zaman.com/?bl=economy&alt=&trh=20040912&hn=12201
Bin da selbst überrascht. Die Istanbuler Börse ist am ATH. Da sollte jeder, der nur etwas Ahnung von Börse und Wirtschaft nur, ein bisschen mitdenken können.
Bei solch fantastischen Wirtschaftsdaten kann man von einem Klein-China vor den Toren der EU sprechen. Ich verstehe nun, warum kluge Politiker oder Wirtschaftsfunktionäre einen EU-Betritt befürworten.
Gruss
FunMan
Am 6. Oktober präsentiert die EU-Kommission ihren Bericht über den Beitritt. Vorher der RM-Check: Erfüllt Ankara die Kopenhagener Kriterien für Politik, Wirtschaft und die Übernahme des EU-Rechts? Und: Ist auch Brüssel zur Aufnahme fähig?
Politik und Recht
Auf dem Papier kann die Regierung Erdogan eine glänzende Bilanz präsentieren. Seit 2001 sind sieben Gesetzespakete verabschiedet worden. Zuletzt wurde das Strafgesetzbuch reformiert, allerdings konnte nur großer Druck aus Brüssel verhindern, dass der Ehebruch in Zukunft unter Strafe gestellt wird. Immerhin: Die Todesstrafe wurde abgeschafft, ebenso die Staatssicherheitsgerichte, bürgerliche Grundfreiheiten wurden ausgeweitet, eine Null-Toleranz-Politik gegen Folter beschlossen, der Einfluss des Militärs beschnitten. Auch hat Ankara die UN-Konventionen über politische wie über soziale und ökonomische Rechte ratifiziert. Die ersten Erfolge sind zu erkennen: Der Nationale Sicherheitsrat, die Machtzentrale des Militärs, wird erstmals von einem Zivilisten geleitet; der staatliche Rundfunk strahlt seit Juni Sendungen in kurdischer Sprache aus; die kurdische Bürgerrechtlerin Leyla Zana wurde nach zehn Jahren politischer Haft entlassen.
Allerdings sitzen etwa 1400 Personen aus politischen Gründen im Gefängnis. Folter auf Polizeiwachen ist nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen weit verbreitet. So genannte Ehrverbrechen gegen Frauen, die außerehelicher Beziehungen beschuldigt wurden, werden vielerorts nicht verfolgt. Christliche Pfarrer müssen weiterhin bei den Botschaften als Mitarbeiter akkreditiert werden; die Gemeinden können weder Konten führen noch Land erwerben. Im Fortschrittsbericht 2003 schrieb die EU-Kommission, „dass die Religionsfreiheit verglichen mit europäischen Standards ernsthaft eingeschränkt ist“.
Das Europäische Parlament stimmte Anfang April mit großer Mehrheit einem Bericht zu, demgemäß die Türkei die politischen Beitrittsbedingungen nicht erfüllt. Ankara behauptet, dass die legislativen Änderungen ausreichten. Doch hat die EU immer darauf bestanden, dass Reformen irreversibel sein müssen. Davon kann derzeit keine Rede sein.
Wirtschaft
Gut, sogar exzellent nimmt sich die Entwicklung der türkischen Wirtschaft aus, wenn man die Daten von 2003 mit denen von 2001 vergleicht. Das Land hat sich von der schweren Finanzkrise erholt. Die Inflation sank von 68,5 auf 18,4 Prozent. Die Wirtschaft wuchs um 5,2 Prozent – nach einer Schrumpfung um 9,5 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt heute um 20 Prozent höher als vor drei Jahren. Weniger brillant wirkt die Statistik allerdings im Vergleich mit den neuen Mitgliedern der EU. Dann liegt Ankara abgeschlagen auf dem letzten Platz, mit einem Pro-Kopf-Verdienst in Höhe von einem Viertel des EU-Durchschnitts. Beides ist bei der Beurteilung der ökonomischen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen: die hohe Wachstumsdynamik und das geringe Ausgangsniveau.
Das Osteuropa-Institut München gelangt in einer neuen Studie für das Bundesfinanzministerium zu dem Urteil, dass „die Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird“. Die Experten listen an Mängeln auf: hohe Staatsverschuldung, Volatilität des Wachstums, großes Stadt-Land-Gefälle, zentralisierte Staatsbürokratie, politische Einflussnahme auf Kreditvergabe, Korruption, geringe ausländische Direktinvestitionen. Aus heutiger Sicht würde die Türkei dem Wettbewerbsdruck im gemeinsamen Binnenmarkt in keiner Weise standhalten können.
Freilich muss ein Kandidat den ökonomischen der Kopenhagener Kriterien erst zum Beitritt hin genügen. Es bleiben also noch viele Jahre Zeit; die türkische Regierung spricht von einem Jahrzehnt. Gleichwohl ist das Wachstumspotenzial aus der Sicht von Fachleuten begrenzt. Zum einen ist ein Drittel der Beschäftigten im Agarsektor tätig, der obendrein noch stärker von Ankara subventioniert wird, als es in Brüssel üblich ist. Zum anderen ist die türkische Exportwirtschaft zu 40 Prozent auf Textilwaren ausgerichtet statt auf zukunftsträchtige Produkte.
Gemeinsschaftsrecht
Jedes Beitrittsland muss den gesamten Rechtsbestand der Europäischen Union ohne Ausnahme übernehmen – das sind etwa 80 000 mit Paragrafen bedruckte Seiten Papier. In den Beitrittsverhandlungen wird diese Masse in 28 thematische Kapitel aufgeteilt, vom freien Warenverkehr bis zur Finanzkontrolle. Wenn alle Kapitel geschlossen sind, kann der Beitritt erfolgen. Die EU-Kommission nutzt die Zeit vor dem Beginn von Verhandlungen dazu, den Rechtsbestand des Kandidatenlandes zu erfassen und Strategien der Rechtsanpassung zu erarbeiten. Vom Kandidaten wird erwartet, dass er erste Schritte gemäß dieser Strategien unternimmt. Im Fortschrittsbericht 2003 stellte Brüssel Ankara ein schlechtes Zeugnis aus: Es seien „hinsichtlich der kurzfristigen Prioritäten in Bezug auf die meisten Kapitel des Besitzstands noch keine wesentlichen Fortschritte gemacht worden“. In einigen Bereichen habe sich die Türkei sogar durch neue Gesetze noch weiter vom Gemeinschaftsrecht entfernt. Fachleute rechnen nicht damit, dass die Bewertung im kommenden Bericht deutlich besser ausfällt.
Wie weit der Rückstand der Türkei ist, zeigt sich daran, dass sie durch ihre Mitgliedschaft in der Zollunion eigentlich schon längst mehrere Kapitel des Gemeinschaftsrechts hätte umsetzen müssen. Nach dem Bericht von 2003 „werden die diesbezüglichen Verpflichtungen nicht vollständig eingehalten“. Mängel gibt es etwa in der Lebensmittelsicherheit, beim Urheberschutz und beim Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten. Die Europäische Union hat frühere Bei- trittsersuchen der Türkei (siehe Spalte außen rechts) mit der Begründung zurückgewiesen, zuerst müsse das Land die Zollunion umsetzen. Wenn dieser Maßstab – ein Test auf Gemeinschaftsfähigkeit und Preisgabe von Souveränität – noch gilt, ist es für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen viel zu früh.
@KarlchenI: Ich frage mich, was der dauernde Hinweis auf die überseeischen Besitzungen Frankreichs soll. Dabei handelt es sich um von Paris abhängige Gebiete, die auch in der EU von Frankreich repräsentiert werden. Sie sind anders als die Türkei kein Staat mit Sitz und Stimme in den Gremien der Gemeinschaft. Wegen der Größe der Bevölkerung, die zudem in den nächsten Jahren weiter wachsen wird, wäre die Türkei mit ihrer Aufnahme in die EU ein bedeutender politischer Faktor.
@Ruhrpottzocker
zu 1: Nein, natürlich muß Europa nicht in Europa enden. Theoretisch können wir auch noch Marokko, Tuneseien, Ägypten und Israel in die EU aufnehmen. Haben wir das dann geschafft, können wir uns nach Schwarzafrika, Asien und den amerikanischen Kontinent vorarbeiten. Dann haben wir irgendwann eine richtig schöne große Freihandelszone. Aber sollte Europa nicht eigentlich mehr sein als nur ein deregulierter Waren- und Dienstleistungsverkehr? So wurde das den Bürgern jedenfalls immer verkauft.
zu 2: Sicher, die Menschenrechtssituation hat sich in der Türkei gegenüber früher verbessert. Dennoch ist die Lage dort im Vergleich zu europäischen Standards immer noch katastrophal. Daß jetzt schnell die Gesetze geändert werden, weil Ankara unbedingt in die EU aufgenommen werden will, sagt noch nichts. Schließlich müssen die neuen Regeln auch in der anatolischen Provinz tatsächlich umgesetzt werden. Und ob das klappt, ist noch keineswegs sicher. Im Übrigen frage ich mich, ob die mit z.T. sehr heißer Nadel gestrickten Novellierungen tatsächlich nachhaltig sind - oder in erster Linie als Mittel zum Zweck dienen.
zu 3: Was Weizsäcker als eine krasse Fehleinschätzung betrachtet, wird von Experten sowohl in Deutschland als auch der Türkei selbst genau so gesehen. Die Prognosen schwanken zwischen 5 und 18 Millionen Zuwanderern in die EU und hier vor allem nach Deustschland. Die auch mittelfristig eher schwache türkische Wirtschaft und der hohe Geburtenüberschuß vor allem in Ostanatolien sorgen für den entsprechenden Zuwanderungsdruck. Die Auswanderungswilligen werden vor allem nach Deutschland kommen, weil hier nämlich schon 2,5-3 Mio. Türken und Kurden leben. Das ist auch der entscheidende Unterschied zu den osteuropäischen Beitrittsländern. Übrigens: Die volle Freizügigkeit gilt für die Bürger der osteuropäischen Beitrittsländer erst ab 2007. Deshalb kann es noch gar keine Zuwanderung aufgrund der Aufnahme dieser Länder in die EU geben.
zu 4: Sorry, aber diese Aussage ist schlicht Unsinn. Das osmanische Reich erstreckte sich über den Nahen und mittleren Osten, das war der Orientierungspunkt für Ankara. Mit Europa stand die Türkei in ihrer Geschichte sehr viel häufiger im Konflikt- und Spannungsverhältnis als daß man sich auf Europa zubewegte. Außerdem: Je mehr Länder der EU angehören, desto schwieriger wird es, einen einheitlichen Nenner als Ausgangspunkt für eine gemeinsame Politik zu finden. Das gilt natürlich vor allem dann, wenn mit der Türkei ein Land in die Gemeinschaft aufgenommen würde, daß historisch und kulturell relativ weit von Europa entfernt ist.
zu 5: Meiner Meinung nach sind die finanziellen Zuwendungen, die die Türkei im Falle eines Beitritts aus der EU-Kasse zu erwarten hätte, eine ganz wichtige Motivation für Ankara, diesen Beitritt zu forcieren. Außerdem: Nehmen wir einmal an, die EU würde ihr Finanzsystem ändern, es gäbe speziell für die Landwirtschaft, die knapp 60% des EU-Haushaltes ausmacht, weniger Geld. Gleichzeitig müßte die Türkei das Land für Importe aus der EU öffnen. Was würde passieren? Die arbeitsintensive türkische Landwirtschaft hätte gegen die zunehmend auf Kosteneffizienz getrimmte industrialisierte Landwirtschaft der mittel- und später auch osteuropäischen EU-Staaten keine Chance bzw. müßte sich anpassen. Viele Menschen, die heute noch im primären Sektor beschäftigt sind, würden ihre Arbeit verlieren. Nur ein Teil würde in der Industrie unterkommen, der Rest wäre wohl arbeitslos. Das aber würde den Druck, sein Glück im europäischen Ausland zu suchen, weiter steigern und damit die Zuwanderung erhöhen. Die EU-Staaten und allen voran Deutschland säßen deshalb in der Zwickmühle, würde die Türkei in die EU aufgenommen: Hält man an den heutigen Subventionen fest, würde die finanzielle Belastung für die Mitgliedsstaaten als Folge des EU-Beitritts der Türkei massiv ansteigen. Reformiert man das System, würde das die ohnehin erwartete Völkerwanderung aus der Türkei noch vergrößern.
zu 6: Wie ich schon weiter oben schrieb, ist ein Grundproblem die Nachhaltigkeit der jetzt angestrengten Reformen. Auch ich sehe das Problem, daß die EU von den regierenden Politikern in Ankara nur als ein Vehikel mißbraucht wird, um eine bestimmte politische Linie durchzusetzen. Ob sich die bewährt bzw. die Veränderungen tatsächlich von Dauer sind, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Erst wenn dem tatsächlich so ist, sollte man mit Verhandlungen über einen Beitritt beginnen - und nicht schon 3 Monate, nachdem das türkische Parlament fundamentale Rechtsänderungen beschlossen hat, die in der Gesellschaft vielfach noch gar nicht angekommen sind zunächst einmal verankert werden müssen.
zu 7: Du hast das Argument offenbar nicht verstanden. Außenminister Fischer und andere Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei behaupten stets, Ankara müsse Teil der EU werden, weil das positiv auf den gesamten mittleren Osten strahlen und die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten in der Region fördern würde, was sich im Ergebnis positiv auf die Sicherheit Europas und damit auch Deutschlands auswirken würde. Diese Logik ist aber äußerst zweifelhaft, weil die Türken hier eben nicht als Vorbild, sondern wegen ihrer Vergangenheit als wenig zimperliche Kolonialmacht eher als Feindbild angesehen wird. Auch dei Existenz Israels als ein demokratischer Rechtsstaat hat nicht auch zu einer Demokratisierung bzw. Befriedigung der Region geführt.
Im Übrigen ist der Hinweis korrekt, daß die Türkei bereits seit 1949 Mitglied der NATO ist und durch diese Einbindung dem sicherheitspolitischen Aspekt hinreichend Berückscihtigung geschenkt worden ist.
zu 8: Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob die EU-Grenze gegenüber der Ukraine und Weißrußland geschützt werden muß oder gegenüber Syrien, dem Irak und dem Iran. Sollte es irgendwann einmal so etwas wie eine europäische Grenzpolizei geben, dann müßten ggf. auch deutsche Beamte an einer solchen Grenze Dienst tun. Die können wir dann ja einmal fragen, wo sie lieber Wache schieben wollen.
zu 9: Das ist die Meinung von Herrn v. Weizsäcker, der rot-grünen Regierung und einiger Wirtschaftsbosse, die wieder einmal auf große Profite hoffen. Die meisten Experten warnen vor einem Türkei-Beitritt aus den bereits genannten Gründen. Die Behauptung, mit dem Assoziierungsvertrag habe man Ankara das versprechen gegeben, in eine europäische polische Union aufgenommen zu werden, ist allein schon deshalb Unsinn, weil es die politische Union erst seit Maastricht und damit seit 1992 gibt. Das Versprechen bezog sich in der Tat nur auf die wirtschaftliche Einbindung. Außerdem halte ich es für ziemlich absurd, mit einem 40 Jahre alten Abkommen zu argumentieren, das unter völlig anderen Umständen geschlossen worden ist. Um es am Beispiel Zuwanderung fest zu machen: 1961 lebten in Deutschland etwa 7.500 Türken, heute sind es 2,5 Mio. Hinter uns liegt die Erfahrung von 40 Jahren Integrationspolitik, die im Hinblick auf die türkische Zuwanderergruppe leider als weitgehend gescheitert angesehen werden muß. Wenn - wie erwartet - die Aufnahme der Türkei in die EU zu einer neuerlichen Zuwanderunsgwelle nach Deutschland führt, wären die Auswirkungen auf den sozialen Frieden und die Stabilität in unserem Land gravierend. Deshalb macht es wirklich keinen Sinn, das Assoziationsabkommen von 1963 heranzuziehen und nach dem Motto "Augen zu und durch" stur an einer Aufnahme der Türkei in die EU festzuhalten, die seinerzeit unter völlig anderen Umständen und mit gänzlich anderer Intention avisiert wurde.
zu 10: Weil man dann die Regeln für alle ändern müßte und nicht bloß für ein Land. Dann wäre es nämlich kein Vollmitglied mehr, sondern hätte einen Sonderstatus, den ja auch die CDU will. Es ist aber sicherlich sinnvoll, in der EU grundsätzlich darüber zu diskutieren, ob es nicht Regeländerungen in den Verträgen geben sollte, etwa bei der Freizügigkeit. Denkbar wäre es z.B., den Mitgliedsstaaten das Recht zu geben, die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus anderen EU-Ländern zu beschränken, wenn die Erwerbslosigkeit im eigenen Land groß ist. Allerdings müssen diese Änderungen erst einmal beschlossen werden bevor man der Türkei eine Vollmitgliedschaft anbietet. Andernfalls sind das nicht mehr als bloße Worthülsen, die bestenfalls als eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit dienen. Ob es für solche Regeländerungen in der EU Mehrheiten gibt, wage ich außerdem zu bezweifeln. Speziell die Osteuropäer dürften dem nicht so ohne weiteres zustimmen.
J.R.
Wenn man sein Interview kritisch liest bleibt kaum eine handfeste Argumantation.
Fragen bleiben ofeen: Welche Wirtschaftsverbände mischen da mit?
Warum soll ein Nicht-beitritt Generäle an die Macht bringen? - und was wäre dann schlechter? - Ein Präsident hat 1963 entschieden, also müssen wir folgen? - wohin denn??
"Die Türkei ist anders!" - das werden Verhandlungen entscheiden (?) - Na sowas? - Die Türkei ist wie sie ist! "Wenn wir mit der Türkei keine Gespräche führen, verstoßen wir gegen das Interesse der Amerikaner." JETZT ist es RAUS!! Das ist Tacheles!
Ich würde gerne mal ECHTE Vorteile hören und nicht dieses Geschwafel.
So, jetzt ist die Tür wieder offen für das aggressive, bekannte Links-Geschwafel hier!
- Kritiker.
Ich bin übrigens gegen den Beitritt der Türkei zur EU. Und zwar aus dem Grunde, dass die interne Integration der EU mal besser vorangetrieben werden sollte. Und dass die ganze EU mal kritisch hinterfragt werden sollte. M. E. ist das ne Subventions- und Pöstchenverteilungsmaschine. Und eine Debatte darüber wird seit Jahren durch irgendwelche Erweiterungsrunden verhindert - aus wohlkalkuliertem Interesse.
Beispiel: Weil wir nun 25 Mitgliedsstaaten haben, brauchen wir nun plötzlich auch 25 Kommissare, und zwar aus jedem Land einen. Es geht nicht um rationale Kriterien bei den Zuschnitten der Ressorts, sondern um Proporz.
Die Bewegung der Türkei nach Europa war nie gesinnungsmäßig, sondern ist seit 1ooo Jahren eroberungsmäßig; weil die Waffen heute versagen, probieren sie es jetzt mit der Zuwanderung. Wo ist denn da der Unterschied! - Halloh!! - Kritiker.
Was passiert ist, ist allgemein bekannt. Ein noch grösserer Teil der Deutschen möchte wirklich alles, aber keinesfalls noch mehr Türken in Deutschland. Dabei hat die geographische Lage überhaupt keine Relevanz. Das ist vielen gar kein Grund, aber es lässt sich immer toll niederschreiben. Die Vergangenheit hat gezeigt, Sie sind das mit Abstand am schlechtesten zu integrierende Volk, allein schon wegen der zu vermissenden Bereitschaft auf Erneuerungen und Änderungen, Ausnahmen gibt es natürlich immer. Meine persönliche Meinung: Wer keinerlei Willen zeigt sich anzupassen, die Sprache der neuen Heimat erlernen will, nicht bereit ist die Gegebenheiten des Gastlandes anzunehmen oder aber zumindest zu tolerieren, der hat hier nichts zu suchen. Zu uns werden keine gut ausgebildeten Facharbeiter wandern, sondern die Ärmsten der Armen. Es wird nach der Sperrfrist eine Völkerwanderung ohne Gleichen geben, denn hier gibt es mehr Sozialhilfe als in anderen Ländern Menschen Lohn empfangen.
Ich verstehe die Befürchtungen die ein Grossteil der Deutschen bewegt.
Selbst in einem halbwegs toleranten Board wie Ariva war bei einer geheimen Abstimmung das Ergebnis 90 zu 10% gegen eine EU Aufnahme der Türkei. Ich glaube, die deutschen waren sich noch nie so einig, die Politik wird gut daran tun, wenn sie solche Ergebnisse in Ihre Entscheidungen einbindet.
Aus der FTD vom 1.10.2004 |
Von Rainer Koch, Brüssel, und Thomas Klau, Den Haag
Ein Beitritt der Türkei zur EU wird nach Einschätzung von Haushaltskommissarin Michaele Schreyer die EU finanziell nicht stärker belasten als die aktuelle Erweiterungsrunde.
Eine Studie schätzt die Kosten für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei auf jährlich zwischen 16 bis 28 Mrd. Euro.
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Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hat sich überraschend hinter die Forderung nach einer Volksabstimmung über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei gestellt. Wie sein innerparteilicher Rivale, Finanzminister Sarkozy, will nun auch Chirac die Franzosen über das Thema abstimmen lassen - aber frühestens in zehn Jahren.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,320943,00.html
EU-Kritiker Hasan Ünal über die Doppelmoral der Befürworter des EU-Beitritts der Türkei, deren Winkelzüge und Schönfärberei
Moritz Schwarz
Herr Professor Ünal, Sie gelten als einer der bekanntesten türkischen Kritiker eines EU-Beitritts der Türkei. Eine „Spezies“, von der man in den deutschen Medien nichts erfährt.
Ünal: Das verwundert kaum, sollten die Zustände denen in der Türkei ähnlich sein. Hierzulande haben die Medien eine Atmosphäre geschaffen, in der es kaum noch möglich ist, diesbezüglich ein kritisches Wort zu äußern: Sofort werden Sie als Anti-Europäer verunglimpft.
Eine EU-Orientierung der Türkei gilt in Deutschland als Chiffre für Demokratisierung.
Ünal: Was die demokratische Debattenkultur angeht, trifft das offensichtlich nicht zu.
Welche Gruppierungen in der Türkei sind gegen einen EU-Beitritt?
Ünal: Es gibt hier keine profilierte politische Person oder Instution, die dagegen ist. Die Nationalisten erhoffen sich von einer EU-Mitgliedschaft eine Aufwertung der Türkei, das Militär eine Stärkung der nationalen Sicherheit und die Islamisten mehr Religionsfreiheit - wie Sie wissen, sind wir seit Atatürk ein streng laizistischer Staat.
Nach dem Scheitern des neuen Ehebruch-Gesetzes auf Druck der EU scheint diese Rechnung allerdings nicht aufzugehen.
Ünal: Es stimmt, daß die jüngsten Entwicklungen die islamische Fraktion enttäuscht haben. Zu nennen wäre hier auch die strikte Politik gegen das Kopftuch zum Beispiel im EU-Land Frankreich. Dennoch gibt es in der Türkei, anders als in den jüngst beigetretenen osteuropäischen Staaten, keine Partei, die grundsätzlich gegen eine EU-Mitgliedschaft ist.
Das sind nicht einmal Sie als einer der prominentesten unter den wenigen Kritikern.
Ünal: Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine EU-Mitgliedschaft, aber ich bin gegen den gegenwärtig angestrebten Beitritt und auch gegen jede künftige Politik eines Beitritts-Automatismus. Die EU-Mitgliedschaft der Türkei ist für viele Leute aus dem Establishment eine Obsession. Ich habe diese Obsession nicht. Unglücklicherweise aber sind es diese „Besessenen“, die den entscheidenden Einfluß auf die Massenmedien haben.
Warum sind Sie gegen den gegenwärtig diskutierten Beitritt?
Ünal: Zum Beispiel ist die Bevölkerung der Türkei viel zu groß, um von der EU verkraftet werden zu können.
EU-Mitglied Deutschland hat 81 Millionen Einwohner, die Türkei nur 72 Millionen.
Ünal: Anders als die 72 Millionen Türken sind die 81 Millionen Deutschen bereits integriert. Was deren Integration für die EU bedeuten würde, wird klar, wenn man bedenkt, daß die Bevölkerungszahl aller zehn neuen osteuropäischen EU-Länder zusammengenommen mit 74,7 Millionen etwa der Bevölkerungszahl der Türkei entspricht. Und die zehn neuen Länder sind noch gar nicht „verdaut“. Außerdem wächst die Bevölkerungszahl der Türkei jährlich um etwa eine Million. Bald schon würde sie das mit Abstand bevölkerungsreichste Land in der EU sein.
Das ist die Perspektive der EU-Staaten, müßte man von Ihnen nicht Kritik am Beitritt aus der Perspektive der Türkei erwarten?
Ünal: Sie mißverstehen mich offensichtlich: Zum einen werden die Probleme der EU früher oder später wohl verstärkt auf die Türkei zurückschlagen. Zum anderen ist es verhängnisvoll, daß die Türkei inzwischen völlig auf den Beitritt fixiert ist. Es ist hierzulande gar nicht mehr möglich, über die eigentlichen Ursachen unserer Probleme zu diskutieren, weil stets der Eindruck erweckt wird, allesamt würden sie sich mit dem Beitritt ohnehin lösen. Das lähmt das Land! Gleichzeitig halten uns die europäischen Regierungen hin und sorgen damit dafür, daß wir in dieser Lähmung verharren. Statt uns endlich ehrlich „nein“ zu sagen, kommen sie mit immer neuen fadenscheinigen Entschuldigungen, warum ein Beitritt derzeit noch nicht möglich sei. Dieser höchst ungesunde Zustand muß dringend ein Ende haben!
Sie vermuten, tatsächlich wollen die EU-Politiker den Beitritt gar nicht?
Ünal: Die ganze Diskussion ist von Unaufrichtigkeit durchdrungen, wodurch jedes offene Gespräch offensichtlich unmöglich ist. Brüssel spielt Katz und Maus mit uns, da man dort weiß, was die meisten EU-Politiker über einen Beitritt der Türkei wirklich denken.
Worauf stützt sich Ihre Vermutung? Bundeskanzler Schröder zum Beispiel hat gerade erst wieder betont, daß er den EU-Beitritt der Türkei begrüßt.
Ünal: Kanzler Schröder kann als Führer einer Mitte-Links-Regierung nicht öffentlich gegen den Beitritt sein, das wäre sozusagen eine Verneinung seiner politischen Daseinsberechtigung als Sozialdemokrat. Also betont man die Bereitschaft, die Türkei aufzunehmen, legt ihr aber de facto immer neue Hemmnisse in den Weg.
Das heißt, Sie betrachten Schröders Befürwortung des Türkei-Beitritts nicht als eine außenpolitische, sondern als eine innenpolitische Position?
Ünal: So könnte man es nennen.
Sie fühlen sich mißbraucht?
Ünal: Durchaus. Zumal Fördergelder aus der EU in die Türkei fließen, die hier Leuten zugute kommen, die damit beschäftigt sind, der hiesigen Öffentlichkeit die Gemeinschaft als eine Zukunft, in der Milch und Honig fließen wird, vorzustellen und sie als Generallösung für all unser Probleme präsentiert. Während die EU-Politiker in Brüssel, die von den Propagandisten hierzulande verschwiegenen Probleme des EU-Beitritts der Türkei skeptisch stimmen, fördern sie die Schönfärberei. Ist das nicht schizophren? Ich frage mich im übrigen, wie sie das zum Beispiel in Deutschland ihren Steuerzahlern erklären?
Also halten Sie die Euro-Skeptiker für die besseren Europäer?
Ünal: Im Grunde ja, denn sie könnten die Gespräche endlich aus der Sackgasse führen und einen vielleicht weniger ambitionierten, aber konstruktiven Neuanfang wagen. Die Konservativen in Europa sind mit ihren offen geäußerten Vorbehalten in meinen Augen die Ehrlicheren, weil sie den Türken offen sagen, was sie denken, und wir dadurch in der Lage sind, uns ein Bild davon zu machen, was wir erwarten können.
Allerdings erinnert ein Teil der bürgerlichen Kräfte - so zum Beispiel auch Valéry Giscard d'Estaing - daran, daß die Türkei kein europäisches Land ist.
Ünal: In erster Linie sind die Türken Türken. Aber sie haben auch europäische Ideale und Werte - man kann also schon sagen, daß die Türken auch Europäer sind.
Das mag für die Türken in den Metropolen zutreffen, ist das Bewußtsein auf dem Lande aber nicht eher traditionell orientalisch geprägt?
Ünal: Da sehe ich im Grunde keinen Unterschied zu anderen Ländern - etwa Italien, Griechenland, Bulgarien oder Rumänien -, wo auch ein deutlicher Unterschied zwischen Stadt und Land besteht.
Das heißt, in hundert Jahren, wenn alle Probleme ausgeräumt sind, soll die Türkei der EU betreten?
Ünal: Vielleicht, vielleicht auch nicht, das hängt auch dann von den Umständen ab. Wir sollten uns nicht schon wieder in die Abhängigkeit einer - unter Umständen gegen jede Vernunft - zwingenden Beitritts-Logik bringen.
Kritiker warnen, bei einer EU-Mitgliedschaft der Türkei würden Millionen Türken nach Zentraleuropa einwandern.
Ünal: Kein Zweifel. Doch würde es zunächst sicher Restriktionen geben, wie bei den osteuropäischen Staaten derzeit, die so etwas verhindern.
Diese Auflagen enden 2011.
Ünal: Auch bezüglich der Türkei könnte man solche Restriktionen nicht unbegrenzt aufrechterhalten, sonst würde es sich schließlich nicht um eine gleichberechtigte Mitgliedschaft handeln. Es bleibt zu hoffen, daß es während dieser Restriktionszeit gelingt, die Türkei so weit ökonomisch voranzubringen, daß die Massenwanderung ausbleibt.
Und wenn das nicht gelingt?
Ünal: Das glaube ich nicht, aber dann würden zahllose arbeitslose Türken ihr Glück in anderen EU-Staaten suchen.
Wie würden die Türken reagieren, wenn die europäischen Politiker ein offenes „Nein“ aussprächen?
Ünal: Natürlich wäre die Enttäuschung groß, weil man den Türken so lange so viele Versprechungen gemacht hat. Aber seien wir doch mal ehrlich: Der Grund für den Wunsch, der EU beizutreten ist natürlich nicht eine innere Überzeugung, sondern weil man sich davon materielle Vorteile verspricht - das ist auch völlig verständlich. Wenn sich aber herausstellt, daß sich auch ohne Vollmitgliedschaft, sondern im Rahmen einer besonderen Partnerschaft der Türkei mit der EU eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Türken einstellt, dann wird schließlich auch die besondere Partnerschaft akzeptiert werden.
Werden dann nicht die antidemokratische Kräfte in der Türkei den Prozeß der Demokratisierung gefährden?
Ünal: Da gehen Sie den Propagandisten eines raschen EU-Beitritts auf den Leim. Daß die Dinge sich auch so pragmatisch entwickeln können, wie ich eben geschildert habe, wollen die Wortführer einer obsessiven türkischen EU-Beitrittspolitik natürlich nicht zugeben. Aber das ist ein durchschaubares Spiel: all jene, die einen Beitritt kritisieren, werden mit der Drohung, die Türkei würde sonst „dunklen Kräften“ anheimfallen, moralisch erpreßt. Denken Sie nur an Ministerpräsidentin Tansu Ciller, die den europäischen Regierungschefs ständig mit der Mahnung im Ohr lag, wenn sie sie nicht unterstützten, würden dunkle Mächte an die Regierung gelangen, und dabei in Richtung Necmettin Erbakan deutete. Später aber war sie es, die als erste Erbakan in die Regierung holte!
Es erscheint allerdings durchaus plausibel, daß eine Zurückweisung der Türkei islamistischen oder orthodox-kemalistischen Kräften Vorschub leisten würde.
Ünal: Der einzige Weg, solchen Kräften entgegenzuwirken, ist eine anhaltende ökonomische Stabilisierung der Türkei. Dafür bietet aber die derzeitige Situation, die von überzogenen Erwartungen, falschen Versprechen und hinhaltendem Taktieren geprägt ist, keine Grundlage.
Der Vorsitzende der „Unabhängigen Türkei-Kommission“, der ehemalige finnische Staatspräsident Martti Ahtisaari, erinnerte in dieser Woche daran, daß die EU wortbrüchig werden würde, wenn sie die Türkei nicht aufnimmt.
Ünal: Verabschieden wir uns doch einmal von der naiven Auffassung hochmoralischer Kriterien in der Politik. Diese sind entweder verlogen oder kindisch. Die Beziehungen von Staaten basieren auf einer beiderseitigen Vorteilsnahme, nicht auf selbstloser Freundschaft. Es geht bei Frieden und guten Beziehungen zwischen Nationen nicht um „Völkerfreundschaft“, sondern um praktische Kooperation. Schließlich können Staaten auch nicht - wie etwa Privatpersonen - moralische Konsequenzen ziehen. Sind Sie von jemandem privat enttäuscht, drehen Sie ihm den Rücken zu und reden nie wieder ein Wort mit ihm. Stellen Sie sich vor, die Welt wäre voller beleidigter Staaten! Nein, Staaten müssen auch bei Enttäuschungen weiterhin miteinander auskommen, weiter miteinander Politik treiben. Also laden wir die Beziehungen zwischen Staaten lieber nicht in unverantwortlicher Weise moralisch auf! Als die EU der Türkei 1963 einen künftigen Beitritt in Aussicht gestellt hat, betrug die Bevölkerungszahl unseres Landes 27 Millionen, und die Wirtschaft der damaligen EG-Staaten lief wie geschmiert. Heute ist die Situation eine völlig andere. Es ist absurd, nun die Einlösung dieses Versprechens zu fordern. „Wir haben es versprochen“, solche Worte sind die Rede fragwürdiger politischer Traumtänzer, nicht verantwortungsbewußter Realpolitiker.
Droht eine solch abgeklärte Haltung nicht allzu leicht in Zynismus umzuschlagen?
Ünal: 1963 war die Europäische Gemeinschaft etwas völlig anderes als heute - die EG war nicht die EU! Eines Tages Mitglied der EG zu werden, war grundsätzlich eine realistische Aussicht, weil die Gemeinschaft eine Wirtschaftsgemeinschaft war. Kehren wir zurück, zu dieser, ich möchte sagen, britischen Konzeption der Gemeinschaft als einer Wirtschafts- und Freihandelszone, als ein Europa der Vaterländer. Dann wäre auch für die Türkei Platz in diesem Haus. Solange aber die strengen Vorstellungen der Deutschen und Franzosen vorherrschen, eine politische Integration zu erreichen, sehe ich dafür keine Möglichkeit.
Prof. Dr. Hasan Ünal gilt als einer der profiliertesten Kritiker eines EU-Beitritts der Türkei in dem eurasischen Land und ist dort durch zahlreiche Presseveröffentlichungen präsent. Der Historiker lehrt als Assistant Professor am Institut für Internationale Beziehungen an der Bilkent-Universität in Ankara, wo er 1959 geboren wurde.
JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. 41/04 01. Oktober 2004
In der SPD wächst der Unmut über den Kurs der Bundesregierung in der Frage des türkischen EU-Beitritts. Die protürkische Haltung von Bundeskanzler Schröder spiegele nicht die Meinung der SPD-Basis wider, kritisieren zahlreiche Mitglieder der Bundestagfraktion gegenüber dem Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL. Ihre Kritik wollen die Beitrittsskeptiker am 12. Oktober in der SPD-Fraktion zur Sprache bringen. Dann steht das Thema Türkei-Beitritt auf der Tagesordnung. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte, unter den einfachen Genossen gebe es „erhebliche Vorbehalte“ gegenüber der Türkei. Der Vorsitzende des Bundestagswirtschaftsausschusses, Rainer Wend, betonte: „In Wahrheit will ein Großteil unserer Basis die Türken nicht dabeihaben. Vom Gefühl her sträubt sich da etwas.“ Der frühere Außenminister der DDR, Markus Meckel, kritisierte, Regierung und SPD-Spitze neigten in der Frage des Türkei-Beitritts dazu, „Gefahren und Probleme zu verdrängen“. Weder in der Regierung noch in der Partei werde die Diskussion „offen und ehrlich geführt“. Beitrittsskeptiker wie der frühere SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose bemängelten zudem, dass sich fast niemand traue, auf die Probleme hinzuweisen, weil man Angst habe, „in eine Ecke gedrängt zu werden, in die man nicht will: als Rassist oder Islam-Hasser“. Zudem sprachen sich Politiker von SPD und Union für ein Referendum über den Türkei-Beitritt aus, sollte das Grundgesetz demnächst entsprechend geändert werden. „Wenn wir dieses Instrument erst einmal haben, würde ich es dem Volk auch in der Türkei-Frage nicht verweigern wollen“, sagte Wiefelspütz. SPD-Fraktionsvize Hans-Joachim Hacker sagte: „Man wird sich dieser Frage dann stellen müssen.“ Auch CSU-Politiker plädierten für ein Türkei-Referendum. „Bei einer solchen Grundsatzentscheidung fällt es schwer, das Volk außen vor zu lassen. Ein Referendum wäre sinnvoll“, sagte CSU-Außenexperte Hans-Peter Uhl. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Peter Ramsauer, forderte: „Über eine derart wichtige Frage wie den Türkei-Beitritt sollte das ganzeVolk entscheiden.“
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Die wirschaftliche Destabilisierung der Türkei ist der erste Schritt zur Weltherrschaft. Und das geht nur über die EU.
Danach kommt der Iran in die EU.