Soll die Rechtschreibreform wieder rückgängig gemacht werden?
Kannst ja jetzt Selbstgespräche führen; soll auch Erkenntnisgewinn bringen.
Aber wenn Du nicht argumentieren willst: Dank dem ARIVA-Club gibt´s ja die Ignore-Funktion.
Viel Spaß weiterhin hier, "kiiwii".
springer presse als bollwerk, gegen solche wahnvorstellungen kleinlicher linker schreiberlinge.
interessant ist wieder einmal mehr, aus welcher politischen ecke, der protest gegen den protest kommt.
das volk wehrt sich, gegen diese "volkserzieher".
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gruß
proxi
Aus dem Springer Verlag kaufe ich grundsätzlich nichts, aber es tut mir Leid, das ich jetzt auch keinen Spiegel mehr kaufen werde.
Taos
aber du indizierst ja genau das was ich meinte. linke und andere die sich dafür halten,
wähnen sich auch hier, in einer beseitigung von dem belzebub des konservativen.
obwohl niemand diesen schwachsinn wollte, nur bestimmte interessenkreise.
das wort "reform" hat einen schlimmen klang.
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gruß
proxi
Nur für Ausreden bei Rechtschreibfehlern wird sie noch herhalten müssen! *gg*
Gruß
Reich-Ranitzki plädiert für die alte Rechtschreibung mit einigen vorsichtigen Änderungen. Genau so sind auch meine Vorstellungen. Machen, was das Volk und die Fachleute (Karlchen: Die Fachleute für Sprache!) wollen und die arroganten Politiker, die ÜBER ihr Volk entscheiden, in die Schranken weisen.
aber eine Rückkehr zum Bewährten ist das nicht. Die ganze Diskussion bewegt sich irgendwo zwischen Senilität und Aberglaube - die Rechtschreibung hat noch nie länger als 20 Jahre einheitlich überlebt. Dafür sind im Laufe der Jahrhunderte immer mehr logische und unlogische Veränderungen eiogetreten - meist durch den Usus der Schreibenden. Allen, die hier den Kulturuntergang beschwören wegen der Rechtschreibreform: Deutschland wird samt seiner Kultur vorläufig überleben und irgendwann sowieso untergehen.
Einen Großteil der Änderungen haben die Leute sowieso immer falsch gemacht - und zwar die Gebildeten wie die Ungebildeten. Ich habe seit über 20 Jahren mit Textbearbeitung von anderen zu tun: Seit der Reform gibt es viele Fehler nicht mehr, weil sie jetzt als richtig gelten. Die Regeln sind offener, es gibt weniger und manche Änderungen sind pervers: Die kann man ja wieder ändern. Hier wurden endlich mal ein paar Regeln abgeschafft und jetzt brüllt sich die Fraktion, die ansonsten eigentlich alles an Regulierung abschaffen will, was es in unsrer Gesellschaft gibt, die Kehlen wund, nur weil mal ein bisschen umdenken verlangt wird. Meine Tochter hat nicht die geringsten Schwierigkeiten mit der neuen Rechtschreibung, weil sie nur diese gelernt hat.
Und der Spiegel hat sich unter dem von linksaußen nach radikalopportunistisch gewendeten Westentaschen-Napoleon Aust sowieso weitgehend von der ernst zu nehmenden Presse verabschiedet.
Gruß BarCode
Von Stephan Hebel
Das ist auch eine Methode: Das Chaos vergrößern, um Ordnung zu stiften. In der Sache ist das Signal, das die Verlage Springer und Spiegel mit der Abkehr von der Rechtschreibreform geben, mindestens so unsinnig wie große Teile des Projekts, von dem sie sich verabschieden. In der Machart haftet ihm ein Hauch von Populismus an. Und in der Tonlage ist die ganze Debatte ein trauriges Zeichen dafür, wie man in Deutschland aus konkreten Problemen Existenzfragen macht.
Die Rechtschreibreform ist seit ihrer Einführung in einer "Testphase". Nur: An den Ergebnissen des Tests haben sich weder Befürworter noch Gegner orientiert. Kaum jemand hat sich die Mühe gemacht zu prüfen, wo das Projekt zu Erleichterungen und Vereinheitlichungen führt (zum Beispiel in Sachen "ß" und "ss") und wo fehlende Praxistauglichkeit als erwiesen gelten kann (zum Beispiel bei der Getrenntschreibung). Statt dessen verschanzt man sich in Maximalpositionen und überhöht sie, vor allem auf Seiten der fundamentalistischen Gegner, mit Grabreden auf die ganze deutsche Sprache.
Hätten die Verlage einen eigenen, differenzierten Vorschlag gemacht, hätten sie gar ein Ultimatum für eine einvernehmliche Regelung gesetzt - sie hätten sich dem Vorwurf des Populismus nicht ausgesetzt. Statt dessen machen sie Druck, indem sie Tatsachen schaffen, und können sich der Werbewirkung bei jenen verunsicherten Normalschreibern sicher sein, die noch nicht ahnen, dass sie ebenso unsicher sein werden, wenn sie die alte Rechtschreibung komplett wieder anwenden sollen. Von Millionen Schülern ganz zu schweigen, die das Schreiben nach den neuen Regeln gelernt haben.
Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät für ein bisschen Pragmatismus. An einem nicht allzu existenziellen Thema könnten wir mal üben, wie man eine Reform auf den Boden rationaler Erkenntnis stellt. Vielleicht würde selbst Günter Grass gnädig nicken, wenn man ihm große Teile seines guten, alten Deutsch zurückgäbe - und untertänigst bäte, einem heute Fünfzehnjährigen nicht erklären zu müssen, warum er Fluss wie Fuß künftig mit "ß" schreiben soll.
Auf Komma komm raus
Die Mehrheit der Deutschen wisse, dass Reformen unausweichlich seien, schrieb der Schriftsteller Peter Schneider kürzlich im Spiegel. "Aber sobald eine noch so bescheidene Korrektur auf den Weg gebracht wird, zerfällt die eben noch kompakte Mehrheit in lamentierende Lobbys und Interessengruppen, die sich nur in einem einig sind: im Blockieren." An solche Sätze muss man denken, liest man die Ankündigung, der Springer Verlag und der Spiegel wollten zur alten Rechtschreibung zurückkehren.
KOMMENTAR
VON DANIEL BAX
Es ist schon erstaunlich: Ausgerechnet die Medien, die seit Wochen die "Reformunfähigkeit" in Deutschland beklagen und gegen den "Reformstau" zu Felde ziehen, legen sich jetzt quer. Man könnte auch sagen: Kaum sind sie selbst von einer Reform betroffen, regiert der konservative Reflex. Oder, wie Peter Schneider es formulierte, das Sankt-Florians-Prinzip: Verschon unser Haus, zünd andere an!
Dabei geht es natürlich um weit mehr als nur um die Frage, ob man "Schifffahrt" künftig mit zwei oder drei f schreibt oder ob man nicht einfach beide Varianten zulässt: Es geht um eine Machtprobe. Man wolle sich nicht von ein paar wild gewordenen Bürokraten die Orthografie diktieren lassen, lautet ein beliebtes Argument der Reformgegner aus allen politischen Lagern. Abgesehen davon, dass dies ein populistischer, antidemokratischer Reflex ist: Möchte man sich die Rechtschreibregeln künftig lieber von dreien der größten Verlagshäuser des Landes diktieren lassen? Denn die wollen jetzt die Reform zu Fall bringen, auf Komma komm raus.
Unverkennbar geht die gemeinsame Initiative von Spiegel und Springer Verlag dabei auf ein Männerbündnis von Springer-Chef Mathias Döpfner und dem Spiegel-Autokraten Stefan Aust zurück, mit FAZ-Chef Frank Schirrmacher in der Rolle des lachenden Dritten: Seine Zeitung ist schon vor Jahren als erste zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt.
Das kommt also dabei heraus, wenn sich die mächtigsten Medienmänner des Landes besser verstehen, als es einer demokratischen Öffentlichkeit gut tut. Jubeln können jetzt allenfalls alle Ewiggestrigen: die, die schon aus Prinzip gegen jede Veränderung oder gar Liberalisierung bestehender Regeln sind. Die Leidtragenden sind andere: die Schülerinnen und Schüler, die schon seit Jahren nach den neuen Regeln lesen und schreiben lernen.
taz Nr. 7429 vom 7.8.2004, Seite 1, 81 Zeilen (Kommentar), DANIEL BAX, Leitartikel
RECHTSCHREIBUNG: VERLAGE FLEXIBILISIEREN TOTAL
Lange gab die "Frankfurter Allgemeine" die einsame Aufrechte. Ein Jahr bevor die neue Rechtschreibung endlich Regel werden sollte, haben sich nun auch der Springer-Verlag, "Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung" zum Altsprech bekannt. Deutschland steht vor einem Schriftchaos
"Es gibt kein Chaos"
Klaus Heller, einer der Väter der neuen Rechtschreibung, wirft den Verlagen vor, einen demokratischen Prozess auszuhebeln
59 Zeilen, MATTHIAS FINK (Interview)
Das Methusalem-Komplott
Das mediale Deutschland reagiert kopflos auf eine gut vorbereitete Kampagne. Ob die alte Rechtschreibung in die Zeitungslandschaft zurückkehrt, dafür kommt es nun auf die Agenturen an
99 Zeilen, STEFFEN GRIMBERG (TAZ-Bericht)
Die lichte Logik der Romanen
Nicht Neuerungswahn, sondern mangelnder Mut hat die neue Rechtschreibung zu Fall gebracht. Die Rettung liegt jetzt nur in einer echten Radikalreform
125 Zeilen, RALPH BOLLMANN (TAZ-Bericht)
Jedenfalls nicht die demokratische Öffentlichkeit! Wer ist das eigentlich? Und wie bildet die eine Mehrheit?
50% der Erwachsenen in Deutschland kaufen so gut wie nie ein Buch! 25% lesen ein bisschen (1-2 Bücher im Jahr)! Ist das die demokratische Öffentlichkeit (=Volk), die sich sorgen um die Rechtschreibung macht?
Also mein Fazit: Die demokratische Öffentlichkeit bin ab sofort ich! Und du bist jetzt still - denn ich bin das Volk!
Gruß BarCode
Im übrigen finde ich es gut, wenn es Journalisten gibt, die nicht genau das machen, was die Regierenden wollen.
Schönes Wochenende.
Der Bürger muß unberechenbarer werden!
Ist ja nicht ganz neu das Thema. Eine Geschichte der Rechtschreibreform findet ihr hier:
http://www.schneid9.de/pdf/geschichte.pdf
Interessant: "19. Mai 1998: Scheitern des Volksbegehrens .Wir gegen die Rechtschreibreform. in Nieder-
sachsen. Statt der erforderlichen 593.000 Unterschriften konnten nur 277.000 ge-
sammelt werden."
Die Rechtschreibreform wurde nicht in erster Linie von staatlichen Institutionen vorangetrieben, sondern von Publizierenden und Sprachwissenschaftlern. (bevor sie entdeckt haben, dass es aufregender sein könnte, dagegen zu sein.)
Die Niederlande haben schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Kultur abgeschafft und auf generelle Kleinschreibung umgestellt. Dem Untergang geweiht ist auch als letzte nicht-deutschsprachige Kulturbastion seit 1948 Dänemark durch Abschaffung der Groß-/Kleinschreibung.
Gruß BarCode
Es kommt zu so merkwürdigen Entwicklungen, daß plötzlich Mehrheiten von den unterschiedlichsten Organen geschaffen werden, die überhaupt nicht existent sind. Zumindest sind sie nicht nachgewiesen in Form einer Wahl oder Abstimmung. Das Wahlvolk empfindet in seinem Umfeld eine Unstimmigkeit zwischen politischem Willen und eigener Wahrnehmung.
Und da ist es doch ermutigend zu sehen, daß bei einem im Gesamtumfeld eher unwichtigen Thema wie der Rechtschreibreform, durch pure Nichtbeachtung oder -anwendung ein undemokratischer Entschluß korrigiert werden kann. Hier fehlen den Mächtigen natürlich auch die Möglichkeiten der Androhung oder Ausübung einer Strafe. Dies läßt für die Zukunft hoffen, daß dieser Prozess auch bei wichtigeren Themen unter erschwerten Bedingungen gelingen kann.
Dieser Selbstheilungsprozeß, der direkt von den Bürgern ausgeht, bewahrt uns hoffentlich vor einem weiteren Verfall der Demokratie. Dieser Verfall hat auch in Deutschland mittlerweile ein, wie ich finde erschreckendes Ausmaß, angenommen.
"Ich"
nach wie vor mit
"Ich".
Jetzt frage ich mich, wo ist die Reform?
Wo ist der staatliche Anspruch dahingehend, daß man 15 Jahre ohne Bewährung kriegt, wenn man satt ICH ein reformiertes Wort namens WKDMMRS sagt?
Ich denke mal, die Rechtschreibreform sollte man einfach ignorieren. Der Springer hat schon recht ...
Tübingen (dpa) - Der Tübinger Sprachwissenschaftler Wolfgang Sternefeld rechnet mit einer zunehmenden Aushöhlung der Rechtschreibreform. Vieles am neuen Regelwerk sei «vom linguistischen Standpunkt aus wenig sinnvoll» und werde sich in der Praxis nicht durchsetzen, sagte der Universitätsprofessor am Samstag in einem dpa- Gespräch.
«Wer am wenigsten damit zurecht kommt, sind die Lehrer. Sie haben einfach keine Kompetenz bei der Rechtschreibung.» Für die Schüler dagegen wäre eine Rückkehr zu den alten Regeln kein besonders großes Problem.
Nach Ansicht Sternefelds ist die Rechtschreibreform schon früh «ein Politikum geworden, das sich verselbstständigt hat». Auf die Sprachwissenschaftler habe man kaum gehört. Einige von ihnen hätten sich daher frustriert zurückgezogen. «Meine Prognose ist: Stillschweigend wird die Reform zu einem großen Teil wieder zurückgenommen - einfach durch die Praxis», sagte Sternefeld. Nur das Vernünftige werde sich durchsetzen.
Der Experte für Allgemeine und Theoretische Sprachwissenschaft sagte, für sich selbst habe er nur zwei Punkte der Reform übernommen: das Doppel-S nach kurzen Vokalen und die Trennung von s-t. Vor allem die neuen Regeln zur Getrenntschreibung zusammengesetzter Wörter seien sehr verwirrend.
In Schulen und Hochschulen soll am 1. August 2005 die Reform verbindlich werden. Die Medienkonzerne Axel Springer AG und Spiegel- Verlag hatten am Freitag angekündigt, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) hatte sich bereits im Jahr 2000 von der Reform abgewandt.
erschienen am 08.08.2004 um 08:32 Uhr
WELT.de
Die Ankündigung dreier Zeitungsverlage, in ihren Blättern die alten Rechtschreiberegeln wieder einzuführen, hat in Deutschland scharfe Kontroversen ausgelöst. Die meisten Politiker reagierten mit Entrüstung.
Gerd Kolbe, Bonn
Der Paukenschlag, mit dem der Springer-Verlag, der «Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» am Freitag verkündeten, wieder zur alten deutschen Rechtschreibung zurückzukehren, hat das Chaos gesteigert und die Lust zur Polemik auf allen Seiten beflügelt. Mochte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», die schon nach nur einem Probejahr zu den alten Regeln zurückgekehrt war, auch über die Lernfähigkeit der Kollegen in Hamburg und München frohlocken - nach nur wenigen Stunden hat sich die Debatte, die sie auslösten, gegen ihre Urheber gewandt. Einstweilen wollen nur wenige Verlage dem Beispiel der vier Verlage folgen: Der auf dem Zeitschriftenmarkt erfolgreiche Bauer-Verlag zögert noch. Die Agenturen warten die Entscheidungen ihrer Kunden ab. Eine Reihe von Regionalblättern strebt eine Entscheidung des Zeitungsverlegerverbandes an. Burda-Verlag, «Stern» und «taz» wollen an der Reform festhalten. Die «Frankfurter Rundschau» hält den Reformgegnern kategorisch entgegen: «Die Frage der Rechtschreibung steht nicht im Belieben Einzelner, auch nicht einzelner Verlagshäuser.» Allein die deutsche Kultusministerkonferenz habe die Legitimation, den Rahmen für die Rechtschreibung zu definieren.
Die Kritik entzündet sich auf der einen wie auf der anderen Seite an Unzulänglichkeiten der alten wie der neuen Rechtschreibung. Die Reformgegner ereifern sich über die neue Getrenntschreibung. So mokierte sich der Senior der deutschen Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, über die «frischgebackene Ehe», die nun eine «frisch gebackene Ehe» sein soll, und über den «wohlverdienten Preis», der nach der neuen Rechtschreibung nur noch ein «wohl verdienter», also vermutlich verdienter Preis sei. Als Reform-Befürworterin titelte die «Frankfurter Rundschau»: «Bei Springer und Spiegel verliert das sein Doppel-S», und selbst ein Reformgegner wie Reich-Ranicki will die Reform der Reform dann doch zu kleinen Retuschen nutzen. Im Gegensatz zu den Schweizern habe man in Deutschland immer noch den überflüssigen Buchstaben ß. Also weg mit ihm.
Was der Frankfurter Literaturkritiker vorschlägt, nämlich «sehr behutsame Korrekturen», könnte auch den allein Zuständigen, den Kultusministern der deutschen Bundesländer, den Weg zum Kompromiss ebnen. Proteste hagelte es vor allem aus der Lehrerschaft: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befand, fünf Schülerjahrgänge seien mittlerweile nach den neuen Regeln unterrichtet worden und es habe weder bei Schülern noch Lehrern nennenswerte Probleme gegeben. Der sonst eher zurückhaltende deutsche Philologenverband warnte davor, die Kinder mit einer Reform der Reformen zu Versuchskaninchen zu machen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Mainzer Ressort-Chefin Doris Ahnen, nannte es bedenklich, wenn Verlage versuchten, eine demokratisch legitimierte Entscheidung zu kippen. Mit ihrer Ablehnung einer Rückkehr zu den alten Schreibweisen steht sie keineswegs allein. 12 der 16 deutschen Kultusminister sind dagegen, die Reform zu kippen. Als unerbittlicher Kämpfer gegen die neue Rechtschreibung tut sich allerdings seit Monaten schon der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hervor. Im Saarland, wo am 5. September ein neuer Landtag gewählt wird, ist die Rechtschreibung inzwischen Wahlkampfthema. Der christlichdemokratische Ministerpräsident Peter Müller will den vier Verlagen folgen, sein sozialdemokratischer Herausforderer Heiko Maas verteidigt das Reformwerk.
Machtkampf um deutsche Schriftsprache spitzt sich zu
Internationale Krisensitzung in Wien
Die schweizerischen Bildungsbehörden rufen Deutschland auf, an der Rechtschreibreform festzuhalten. An einem Krisentreffen soll noch im August das weitere Vorgehen international koordiniert werden.
Markus Häfliger und Luzi Bernet
Nach dem Entscheid deutscher Grossverlage, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, kommt es zu einer internationalen Krisensitzung in Wien. Anfang Woche hat die in Deutschland für die Rechtschreibreform zuständige Konferenz der Kultusminister die entsprechenden Behörden der Schweiz, Österreichs und Liechtensteins zu einer dringlichen Sitzung eingeladen. Dies bestätigt Christian Schmid, der Beauftragte für die Rechtschreibreform bei der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK). Die Kultusministerkonferenz wünsche ein Treffen auf Chefbeamten-Ebene noch im August, sagt Schmid: «Die Kultusministerkonferenz ist sichtlich nervös.»
Traktandiert ist an der Sitzung die Schaffung eines «Rates für deutsche Rechtschreibung». Dieser soll die bisherige «Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung» ablösen und breiter abgestützt sein. Insbesondere sollen Kritiker der Reform eingebunden werden. Aufgrund der aktuellen Entwicklung in Deutschland solle die Sitzung nun aber für eine Lagebeurteilung genutzt werden, sagt EDK-Mann Schmid; die EDK ist in der Schweiz für die Rechtschreibreform zuständig. An dieser Sitzung, so Schmid, wolle man die Deutschen «zur Vernunft mahnen».
Am Freitag hatten die Verlage Spiegel und Springer sowie die «Süddeutsche Zeitung» bekannt gegeben, dass sie zur alten Rechtschreibung zurückkehren. In der Schweiz löst dieser Entscheid grosse Besorgnis aus. EDK-Präsident Hans Ulrich Stöckling hat «Angst vor einem absoluten Chaos». Er fordert die deutsche Kultusministerkonferenz auf, dem Druck der Verlage nicht nachzugeben, sondern «hart zu bleiben». Stöcklings Position wird vom Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer gestützt. «Man kann in der Schule nicht alle paar Jahre die Rechtschreibung umstellen», sagt Verbandspräsident Beat Zemp.
Unterdessen versuchen auch Schweizer Kritiker, breiteren Widerstand gegen die neue Rechtschreibung zu organisieren. Bisher von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sammelt eine Gruppe um die Schriftsteller Adolf Muschg, Urs Faes und Pirmin Meier bei Gymnasiallehrern Unterschriften für einen Aufruf gegen die Rechtschreibreform. Der Erfolg dieser Aktion lasse sich jedoch erst nach den Sommerferien beurteilen, sagt einer der Initianten, der St. Galler Gymnasiallehrer Stefan Stirnemann.
Scharfe Kontroversen in Deutschland
Die Ankündigung dreier Zeitungsverlage, in ihren Blättern die alten Rechtschreiberegeln wieder einzuführen, hat in Deutschland scharfe Kontroversen ausgelöst. Die meisten Politiker reagierten mit Entrüstung.
Gerd Kolbe, Bonn
Der Paukenschlag, mit dem der Springer-Verlag, der «Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» am Freitag verkündeten, wieder zur alten deutschen Rechtschreibung zurückzukehren, hat das Chaos gesteigert und die Lust zur Polemik auf allen Seiten beflügelt. Mochte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», die schon nach nur einem Probejahr zu den alten Regeln zurückgekehrt war, auch über die Lernfähigkeit der Kollegen in Hamburg und München frohlocken - nach nur wenigen Stunden hat sich die Debatte, die sie auslösten, gegen ihre Urheber gewandt. Einstweilen wollen nur wenige Verlage dem Beispiel der vier Verlage folgen: Der auf dem Zeitschriftenmarkt erfolgreiche Bauer-Verlag zögert noch. Die Agenturen warten die Entscheidungen ihrer Kunden ab. Eine Reihe von Regionalblättern strebt eine Entscheidung des Zeitungsverlegerverbandes an. Burda-Verlag, «Stern» und «taz» wollen an der Reform festhalten. Die «Frankfurter Rundschau» hält den Reformgegnern kategorisch entgegen: «Die Frage der Rechtschreibung steht nicht im Belieben Einzelner, auch nicht einzelner Verlagshäuser.» Allein die deutsche Kultusministerkonferenz habe die Legitimation, den Rahmen für die Rechtschreibung zu definieren.
Die Kritik entzündet sich auf der einen wie auf der anderen Seite an Unzulänglichkeiten der alten wie der neuen Rechtschreibung. Die Reformgegner ereifern sich über die neue Getrenntschreibung. So mokierte sich der Senior der deutschen Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, über die «frischgebackene Ehe», die nun eine «frisch gebackene Ehe» sein soll, und über den «wohlverdienten Preis», der nach der neuen Rechtschreibung nur noch ein «wohl verdienter», also vermutlich verdienter Preis sei. Als Reform-Befürworterin titelte die «Frankfurter Rundschau»: «Bei Springer und Spiegel verliert das <dass> sein Doppel-S», und selbst ein Reformgegner wie Reich-Ranicki will die Reform der Reform dann doch zu kleinen Retuschen nutzen. Im Gegensatz zu den Schweizern habe man in Deutschland immer noch den überflüssigen Buchstaben ß. Also weg mit ihm.
Was der Frankfurter Literaturkritiker vorschlägt, nämlich «sehr behutsame Korrekturen», könnte auch den allein Zuständigen, den Kultusministern der deutschen Bundesländer, den Weg zum Kompromiss ebnen. Proteste hagelte es vor allem aus der Lehrerschaft: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befand, fünf Schülerjahrgänge seien mittlerweile nach den neuen Regeln unterrichtet worden und es habe weder bei Schülern noch Lehrern nennenswerte Probleme gegeben. Der sonst eher zurückhaltende deutsche Philologenverband warnte davor, die Kinder mit einer Reform der Reformen zu Versuchskaninchen zu machen.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Mainzer Ressort-Chefin Doris Ahnen, nannte es bedenklich, wenn Verlage versuchten, eine demokratisch legitimierte Entscheidung zu kippen. Mit ihrer Ablehnung einer Rückkehr zu den alten Schreibweisen steht sie keineswegs allein. 12 der 16 deutschen Kultusminister sind dagegen, die Reform zu kippen. Als unerbittlicher Kämpfer gegen die neue Rechtschreibung tut sich allerdings seit Monaten schon der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hervor. Im Saarland, wo am 5. September ein neuer Landtag gewählt wird, ist die Rechtschreibung inzwischen Wahlkampfthema. Der christlichdemokratische Ministerpräsident Peter Müller will den vier Verlagen folgen, sein sozialdemokratischer Herausforderer Heiko Maas verteidigt das Reformwerk.
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