"w u l f f en" Wort des Jahres 2012 ?
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Eröffnet am: | 04.01.12 13:15 | von: Glücksschwe. | Anzahl Beiträge: | 66 |
Neuester Beitrag: | 25.04.21 09:57 | von: Katjalqyqa | Leser gesamt: | 15.751 |
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Auch der Hashtag „Wulffen“ kommt bei Twitter derzeit ziemlich häufig vor. Allerdings wird er von den Mitgliedern unterschiedlich definiert. Die einen finden, „wulffen“ bedeute, „jemandem wütende Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen“, die anderen definieren die Wortschöpfung als „jemandem die Meinung verbieten.“
Auch via Facebook verbreitet sich die Häme rasend schnell. In zahlreichen Statusmeldungen wird heute auf einen WDR-Radiobeitrag verlinkt, in dem ein Stimmenimitator den Anruf von Christian Wulff bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann nachspielt. Er nimmt mehrere Anläufe, bestellt zwischendurch etwas einen Kaffee und sagt empört: „Für meine Frau und mich ist der Rubikon aber sowas von überschritten“, und vorher: „Das bedeutet Krieg!“
digitale Beschimpfung
jemanden auf dem Anrufbeantworter oder der Mailbox beschimpfen oder bedrohen.
Meine Ex hat mir am Wochenende unserem Sohn nichts gegeben. Na, die habe ich aber gewulfft.
Wie Christian Wulff sich kurz nach seiner öffentlichen Erklärung über die Reaktionen seiner Kritiker lustig gemacht haben könnte, hat die Redaktion von stern.de nachempfunden. Auf einer gefakten Facebook-Seite ist am 22. Dezember etwa folgender Post des Bundespräsidenten zu lesen: „Meine persönliche Erklärung war ein voller Erfolg. Ihr hättet die Gesichter sehen sollen, als ich gesagt habe: ,Wir werden auch 2012 weiterhin gut zusammenarbeiten`, hehe. Angela Merkel kommentiert das mit: „Gut gemacht, Christian.“ Und auch Carsten Maschmeyer meldet sich zu Wort: „Mir hat am besten diese Passage gefallen: ,Persönliche Freundschaften, die mir auch menschlich wichtig sind.`“ Und dazwischen ist immer wieder zu lesen, wie Bild-Chefredakteur Kai Diekmann um einen Rückruf bittet.
„Verpasster Anruf – Christian Wulff“ ist derzeit auf zahlreichen iPhones zu lesen. Ein Foto mit diesem Text, dass man sich auf sein Handy laden kann, wird in sozialen Netzwerken getauscht. Offenbar ruft der Bundespräsident ganz Deutschland an und untersagt den Bürgern, nicht mehr über die Kreditaffäre und seine Telefonate mit dem Springer-Konzern zu reden. Auch der Satireblog „Der Postillon“ springt auf diesen Zug auf und berichtet über Betroffene, die einen Anruf von Wulff erhalten haben.
Satiriker Martin Sonneborn zeigt dagegen Mitleid mit Christian Wulff. Auf seiner Facebook-Seite macht Sonneborn Werbung für Autogrammkarten des Bundespräsidenten-Paares – wer weiß schon, wie lange die noch zu haben sind? „Kaufen, kaufen, kaufen“, lautet deshalb Sonneborns Aufruf zu den Bildern die Christian und Bettina Wulff in staatstragender Abendgarderobe zeigen.
Mit einem potentiellen Nachfolger Wulffs beschäftigt sich die Internetseite bundespraesident-gesucht.de. Dort werden geeignete Nachfolger gesucht - insgesamt sind schon über 4800 Vorschläge eingegangen: Von Thomas Gottschalk über Stromberg, Rudolf Scharping, Florian Silbereisen bis Rumpelstilzchen sind alle infrage kommenden Persönlichkeiten dabei. Einzige Bedingung: Sie müssen die Fußstapfen, die Christian Wulff hinterlassen hat, ausfüllen können.
Wulffs Nachricht, ein Drama
04.01.2012, 10:58
Interview: Marten Rolff
"Ich bin auf dem Weg zum Emir" - mit diesem Satz beginnt die fatale Nachricht, die Bundespräsident Christian Wulff während einer Katar-Reise persönlich auf der Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann hinterließ. Und weil bei Dramen der erste Satz ja als sensible Angelegenheit gilt, haben wir die Literaturkritik befragt.
SZ: Herr Karasek, wie wichtig ist der erste Satz für eine Geschichte?
"Ich würde beim Genre Abenteuerroman bleiben": Der Autor und Literaturkritiker Hellmuth Karasek, der an diesem Mittwoch 78 Jahre alt wird.
(© dpa)
Karasek: Das kommt darauf an. Für mich persönlich fangen wichtige Romane mit spannenden Sätzen an. So wie bei meinem Lieblingsroman "Anna Karenina": "Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie dagegen ist unglücklich auf ihre besondere Art." Das baut eine ungeheure Spannung auf. Oder nehmen wir Kafkas "Prozess": "Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet." Da denkt man: unbedingt weiterlesen! Wie ein Krimi. Dass ein Albtraum folgen wird, das weiß man gleich beim ersten Satz.
SZ: Gibt es eigentlich eine Art Regel für das Gelingen eines ersten Satzes?
Karasek: Nein, die wichtigste Regel der Literatur ist, dass sie in ihren entscheidenden Werken gegen jede Regeln verstößt.
SZ: Wie verhält es sich mit einer Geschichte, die mit folgendem Satz beginnt: "Ich bin auf dem Weg zum Emir"?
Karasek: Das dürfte Karl May sein.
SZ: Zumindest ist es ähnlich spannend.
Karasek: Es erinnert stark an Mays Orientromane. Und es sagt natürlich aus, wo die Geschichte spielt. Man könnte Topkapi oder einen Harem erwarten. Oder irgendeine politische Verwicklung. Womöglich was mit arabischen Feldzügen?
SZ: Was sagt es über den Erzähler aus?
Karasek: Ist es Lawrence von Arabien?
SZ: Nicht ganz.
Karasek: Über den Erzähler sagt es jedenfalls erst mal aus, dass der sich dem Leser als jemand vorstellen will, der immerhin so wichtig ist, dass er sich gleich mit einem Emir treffen kann.
SZ: Würden Sie den Fortgang einer Geschichte, die so beginnt, hören wollen?
Karasek: Weiß nicht. Ich denke bei dem Anfang auch sofort an diesen Kinderreim, aus Zeiten, in denen noch ägyptische Zigaretten geraucht wurden: "Jetzt rauchen wir noch 'ne Emir, und dann geh'n wir."
SZ: Wir sind nah dran. Der Satz ist von Bundespräsident Christian Wulff. Es ist der erste Satz der Pressebeschwerde, die er auf der Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann hinterließ.
Karasek: Ja, wunderbar, ganz herrlich! Das Spannende an diesem Anfang ist ja die extreme Bedeutungskulisse, die hier aufgebaut wird. Mich erinnert das an eine Anekdote mit meiner Mutter, die mich, als ich ein Junge war, bat, Kohlen aus dem Keller zu holen. Ich saß gerade auf einem Stuhl, wo ich versuchte, "Zarathustra" von Nietzsche zu lesen, ohne es zu verstehen. Und ich hatte Angst vor dem Keller. Also sagte ich feige zu meiner Mutter: Ich lese hier Nietzsche, und du kommst mir mit so einem Quatsch! Das könnte Wulff gemeint haben: Ich bin hier in wichtigster Mission unterwegs, und ihr löchert mich mit einem Kredit für ein hässliches Haus!
SZ: Ein bisschen großsprecherisch, oder? Ist es der Beginn einer Tragödie?
Karasek: Ich würde beim Genre Abenteuerroman bleiben. Denn es geht ja darum, wie jemand wider Willen Präsident wurde, weil er aus Ängstlichkeit geleugnet hat, ein Alphatier sein zu wollen.
SZ: Aber etwas Tragisches hat es auch.
Karasek: Das stimmt, ich habe ihn in Erinnerung, wie er noch ganz Osnabrück war. Ich habe ihn damals bei einem Orthographie-Wettbewerb begleitet. Er ist übrigens ein sehr umgänglicher Mensch. Aber auch Protagonist eines großen Romans, der in die Madame-Bovary-Kiste gehört.
SZ: Das müssen Sie erklären.
Karasek: Weil seine Frau ihn offenbar zu Höchstleistungen und damit zu Verfehlungen hingerissen hat. Er wollte eben über seine Verhältnisse hinaus.
SZ: Sie meinen also, der Orthographie-Wettbewerb stand Wulff besser?
Karasek: Ja, das muss man wohl sagen.
SZ: Und was wäre der letzte Satz in dieser abenteuerlichen Tragödie?
Karasek: Wer sich im Kreis bewegt...kommt darin um!
Extrem hohe Erwartungen an Wulffs Fernsehauftritt
Mittwoch, 04.01.2012, 13:38 · von FOCUS-Online-Korrespondentin Martina Fietz (Berlin)
dpaWulff steht unter Druck
Die Koalition steht weitgehend hinter Wulff. Doch sie macht auch klar: Wenn der Bundespräsident heute an die Öffentlichkeit geht, muss der Auftritt der Würde des Amtes angemessen sein. Wulff bestreite den Kampf seines Lebens, heißt es.
Auffallend war das Schweigen aus Union und FDP, seitdem die Nachrichten über Christian Wulffs Interventionen bei Medien kursierten. Erst als klar wurde, dass sich Wulff erneut äußern würde, ließ die Bundeskanzlerin eine Solidaritätsnote abgeben. Bis dahin hatte sich allein CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe geäußert. Ansonsten hielten sich führende Koalitionspolitiker zurück. Die Angelegenheit müsse der Bundespräsident nun selbst aus der Welt schaffen, hieß es zur Begründung. Es wirke eher hohl, wenn nun vielstimmig beteuert werde, die Parteien, die ihn ins Amt wählten, stünden hinter ihm.
Chance auf positive Amtsführung
Die für heute erwarteten Einlassungen seien der letzte Zug, den der Bundespräsident machen könne, so die Meinung hinter den Kulissen. Christian Wulff müsse mit dem Format eines Staatsmannes darlegen, dass er Fehler gemacht habe und diese ihm leidtun. Wenn das überzeugend gelinge, habe er die Chance, dass die Angelegenheit in zwei, drei Monaten vergessen sei und die Amtsführung positiv gewendet werden könne. Die Koalition jedenfalls will keinen Rückzug von Wulff. Er würde negativ auf dem Konto der Kanzlerin und ihrer Regierung zu Buche schlagen.
In Kreisen der Unionsfraktion wird die Situation für den Bundespräsidenten als durchaus kritisch eingeschätzt. Trotz der jüngsten Vorwürfe ging man aber davon aus, dass er die Affäre erst mal durchstehen will. Als erste prominente CDU-Politikerin sprach sich nun Vera Lengsfeld offen für einen Rücktritt Wulffs aus. In einem Interview von „Handelsblatt Online“ schlug sie zugleich den früheren Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, als Nachfolger vor.
Berlin - Heute Abend um 20.15 Uhr strahlen ARD und ZDF das Interview mit Bundespräsident Christian Wulff aus. Es soll eine Viertelstunde dauern und am Nachmittag aufgezeichnet werden. Schon ab 19 Uhr soll das Interview auf «tagesschau.de» zu sehen sein.
Vorher soll es nach ARD-Angaben eine schriftliche Erklärung des Bundespräsidenten geben. Das Interview führen die Leiter der Hauptstadtstudios von ARD und ZDF, Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten.
Die CSU stärkt dem Bundespräsidenten trotz der neuen Vorwürfe den Rücken.
CSU-Generalsekretär Dobrindt sagte bei der Winterklausur seiner Partei in Wildbad Kreuth, Wulff habe nach wie vor den Rückhalt der schwarz-gelben Koalition. Daran habe sich nichts geändert. Dobrindt füge hinzu, es sei richtig, dass der Bundespräsident nun in einem Interview Stellung nehmen wolle.
Weitere Themen bei der dreitägigen Klausurtagung der CSU sollen die Alters- und Pflegevorsorge, die Eurokrise und der Rechtsextremismus sein.
Zehn Jahre später bin ich Produzent von Sandra Maischberger bei n-tv, und Christian Wulff ist im Studio, ich komme nach der Show da hin, und wie sich das gehört für einen Produzenten, sage ich, danke schön, toll gelaufen, und komme in eine Situation, wo Herr Wulff Frau Maischberger gerade auf einen Bierdeckel schreibt: wenn ich mal Bundeskanzler bin, darf Frau Maischberger mich als erste interviewen. Wulff sieht mich dazukommen und schreibt noch schnell meinen Namen dazun, weil er denkt, sonst fliegt die Nummer auf. Ich weiß nicht, ob der Sandra Maischberger und mir das jeweils erste Interview für seine Kanzlerschaft versprochen hat, oder ob es in deutschen Journalistenkreisen 200 von diesen Bierdeckeln gibt. Aber der Mann wollte nach oben, und er wusste, wie man die Journalisten pampert."
Der Journalist und TV-Produzent Friedrich Küpperbusch hat diese Anekdote im Deutschlandradio erzählt.
Wulff steht wegen eines umstrittenen Privatkredits und der versuchten Einflussnahme auf Journalisten unter Druck. Nach Angaben von ARD und ZDF will sich der Präsident noch im Laufe dieses Mittwochs in einem gemeinsamen Interview der beiden Sender zu Wort melden. Ein Rücktritt ist nach Einschätzung aus Unions-Kreisen nicht zu erwarten.
Lesen Sie auch: (dapd - Feature) Presse ruft nach Rücktritt des "Pattex-Präsidenten" Wulff
Niemand verteidigt noch den Bundespräsidenten Christian Wulff. Die "Bild"-Zeitung bringt es auf die Schlagzeile: "Der einsame Wulff" und fordert ihn zum Rücktritt auf. Mit seinem Versuch, die Berichterstattung über seinen Privatkredit mit Anrufen in den Chefetagen von "Bild" und Springer-Verlag zu verhindern, hat Wulff nach der vorherrschenden Meinung der deutschen Presse sein Amt beschädigt und ist kaum mehr zu halten. Wulff schweigt und lässt keine Rücktrittsabsichten erkennen. Er sei "der Pattex-Präsident", titelt die Online-Ausgabe des "Handelsblatts". zur Nachricht >>
§„Wenn man so viel gelogen hat und so viel in die eigene Tasche gewirtschaftet hat und das mit den übelsten Unternehmern, die Hannover wahrscheinlich zu bieten hat, dann ist man einfach nicht der richtige Bundespräsident. Das habe ich aber eigentlich schon viel früher gedacht. Weil ich hatte mit einem dieser Unternehmer mal zu tun.“
Für Herforth wäre es am besten, wenn Wulff seinen Posten räumen würde. „Ich freue mich auf einen neuen Bundespräsidenten“, gibt er zu Protokoll.
Eine weitere Umfrage ergab, dass das Ansehen des Bundespräsidenten in der Bevölkerung trotz der Kritik in der Kreditaffäre nicht gelitten hat. In einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage für das Hamburger Magazin «Stern» äußerten sich 63 Prozent der Befragten zufrieden mit seiner Arbeit, 30 Prozent unzufrieden. Forsa erhob die Daten vor Bekanntwerden des Drohanrufs beim «Bild»-Chefredakteur.
Gertrud Höhler nennt Verhalten des Bundespräsidenten selbstzerstörerisch
Moderation: Ute Welty
Bundespräsident Christian Wulff habe bei seinem "Missmanagement" mehr an seinen persönlichen Vorteil gedacht als an sein Amt, kritisiert Gertrud Höhler. "Und dann muss das danebengehen", so die Medienexpertin. Die Presse insgesamt habe in der Affäre bisher "großartig" agiert.
Ute Welty: Es gibt Anrufe, die bedauert man, da hat man noch nicht aufgelegt. Den in der Silvesternacht beim Ex zum Beispiel oder den beim zuständigen Finanzbeamten, weil der den Karibikurlaub partout nicht als Fortbildung anerkennen will, oder den bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann, um Berichterstattung zu verhindern - so geschehen im Fall des Bundespräsidenten. Davon gewusst haben dann unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Stellt sich die Frage, wie die an Informationen von der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs kommen. All das können wir jetzt besprechen mit der Politikberaterin Gertrud Höhler. Guten Morgen!
Gertrud Höhler: Guten Morgen!
Welty: Wäre Bundespräsident Christian Wulff Ihr Klient, hätten Sie ihm das Handy weggenommen?
Höhler: Na ja, also schon lange, bevor das anstand, hätte ich ihm anderes geraten in seinem Gesamtverhalten zu seinem Kredit. Und dass er dieses Bauernopfer gebracht hat mit dem Herrn Glaeseker, das zeigt ja auch, dass da offenbar eine Unstimmigkeit war. Ich könnte mir denken, dass der Klient nicht gehorchen wollte, und damit musste dann der Berater raus.
Welty: Was hätten Sie ihm denn geraten?
Höhler: Ich hätte ihm von Anfang an zu einer brutalen, offensiven Offenheit geraten, und nicht zu Pfuschereien und Tricksereien mit Daten - festgeschrieben und so weiter -, also dann auch ein Latein, das noch nicht mal in die Finanzwelt gehört. Offenheit bewegt die Deutschen. Wenn ich wirklich mich als Sünder offenbare, dann werde ich wieder angenommen.
Welty: Aber lassen Sie uns doch mal bei diesem Anruf bleiben. Wie sehr hat sich Wulff damit und auch dem Amt geschadet?
Höhler: Ja, er hat sich noch massiver geschadet als in den Wochen zuvor. Denn es ist ja so, die sogenannte vierte Gewalt, die Presse, ist einerseits ein Unterstützer und Helfer und Verstärker von positiven, aber auch von negativen Nachrichten. Das bedeutet, die Presse ist ein Kooperationspartner der Politiker. Und was bei Wulff passiert ist, ist ganz simpel zu beschreiben: Er hat gedacht, als Politiker und dann als erster Mann im Staate habe ich Macht über die Presse. Und wenn ich die größte Macht in der Presse, nämlich Springer, bedrohe mit einem endgültigen Bruch unserer Beziehung, dann werden die gehorchen. Und dies ist ein folgenschwerer Irrtum.
Welty: Wie kommt er überhaupt zu dieser Annahme?
Höhler: Er kommt zu der Annahme, weil die Politiker auch gewöhnt sind, ihre Macht auszuspielen, indem sie Politiker ranlassen oder nicht, mitnehmen oder nicht. Wir wissen das auch von der Kanzlerin: Wer negativ schreibt, fliegt beim nächsten Mal nicht mit.
Welty: Das heißt, welche Möglichkeiten hätte ein Berater oder ein Pressesprecher in einer solchen Situation gehabt, um zu verhindern, dass das Staatsoberhaupt selber zum Telefon greift?
Höhler: Ja, nun fürchte ich, das hätte der keinem Berater gesagt. Der ist ja da irgendwo ausgebüxt bei einem Termin und hat dann angefangen zu telefonieren. Und immer, wenn jemand, der in Panik ist, eigenmächtig etwas tut, dann geht es daneben. Und dann kommt dazu, dass er offenbar jedes Maß verloren hat in der Beurteilung von konstruktiven und destruktiven Handlungen. Dies war eine destruktive, eine selbstzerstörerische Handlung.
Welty: Ist nicht auch der Umkehrschluss möglich, dass er vorher schlecht beraten war?
Höhler: Wir können das nicht wissen, und das spekulieren hat wenig Sinn. Ich kann nur sagen, wenn ich über meinen Kredit Auskünfte gebe, dann gebe ich vollständige Auskünfte, vor allem, wenn sofort - und das wusste er - mein Amt auf dem Spiel steht. Das heißt, er hat - das müssen wir mal sagen! -, von einer moralfrei agierenden Kanzlerin ins Amt gehoben, dieses Amt unterschätzt. Er hat an seine persönliche Karriere auch bei seinem Missmanagement mehr gedacht als an das Amt. Und dann muss das danebengehen, weil dabei das Amt dann besonders schwer beschädigt wird.
Welty: Wulff ist nach wie vor im Amt, sein Pressesprecher Glaeseker nicht mehr. Gegen den wird nicht ermittelt, aber es wird der Verdacht der Vorteilsnahme im Amt überprüft. Was sagt uns das über das Verhältnis?
Höhler: Ja, das sind ja gleiche Aktionen. Der hat feste mitgemacht, der hat sich einladen lassen von Manfred Schmidt, einem großen Eventmanager. Und es sind die gleichen Sachen, die Wulff auch gemacht hat, und es heißt ja, in seinem Auftrag sei Glaeseker da gewesen, um die Verbindung warmzuhalten. Also ich halte das für harmlos, wenn jetzt gesagt wird, gegen ihn wird ermittelt. Er hat im Geiste seines Herrn gehandelt. Und darum ist es wirklich ein Bauernopfer.
Welty: Jetzt hat ja "Bild"-Chefredakteur Diekmann zunächst über diesen Anruf geschwiegen, tagelang, um nicht zu sagen wochenlang und ihn jetzt erst bestätigt - just in dem Moment, wo sich die Gemüter ein wenig beruhigt hätten -, da mag man ja auch kaum an einen Zufall glauben.
Höhler: Ja, nicht nur das. Er hat über Bande gespielt. Und das fand ich wieder sehr klug von "Bild". Er hat ja selbst das niemals veröffentlicht. Das heißt, die "Frankfurter Sonntagszeitung" schreibt, die "Süddeutsche" schreibt - wir kennen die Quellen nicht, wir dürfen nur sicher sein: Alles, was du machst, kommt raus! Und das hätte Wulf auch wissen müssen. Das heißt, "Bild" hat erst bestätigt, nachdem andere aus anderen Häusern darüber geschrieben hatten. Hier ist auch eine Diskretionsleistung zu bestaunen, denn die haben ja die ganze Zeit mit diesem Wissen gelebt. Nun kann man sagen: Wie berechnend, die haben das aufgespart, die haben ja auch noch ein Dossier über die Gattin, wann sie das öffnen, wissen wir nicht. Aber wir müssen sagen, wenn denn Wulff ein Taktiker war, ein kalkulierender Partner in dieser Auseinandersetzung, dann war das die Presse auch.
Welty: Das heißt, die "Bild"-Zeitung instrumentalisiert die "Süddeutsche" und die "Sonntagszeitung" an dieser Stelle?
Höhler: Das wissen wir nicht, wir wissen es nicht. Ich kann nur sagen, es wird so viel geredet, das sind ja Branchen, die leben vom Reden. Die Leute sitzen in Berlin jede halbe Nacht zusammen und reden, reden mit anderen, reden mit Gegnern - und wir können das nicht wissen. Ich möchte solche Vermutungen nicht aussprechen, wie sich das bewegt hat. Es hat sich bewegt, und man darf immer sicher sein, dass das so ist. Ich kenne ja nun auch die Handynummer von Herrn Diekmann, ich würde ihm nie auf die Mailbox sprechen, weder empfindliche noch weniger empfindliche Sachen, weil ich immer denke, wenn ich Diekmann sprechen will - ich kriege ihn. Und hier müssen wir uns fragen, warum hat der den Diekmann nicht erreicht, als erster Mann im Staate? Da fängt das doch an.
Welty: Aber wir können doch davon ausgehen, dass die Mailbox von Kai Diekmann ausschließlich Kai Diekmann abhört?
Höhler: Wissen wir doch nicht. Kann ja auch sein. Aber finden Sie nicht, dass ein solcher Regelbruch, eine solche Attacke, auch tatsächlich die Veröffentlichung irgendwann verlangt?
Welty: Das überlasse ich Ihnen, diese Beurteilung, Sie sind die Politikberaterin.
Höhler: Ja, ich bin absolut der Meinung: Wenn du einen solchen schweren Regelbruch platzierst, dann muss sich ja der Attackierte wehren. Wie soll er sich wehren? Er kann sich nur wehren durch Öffentlichkeit. Der kann doch nicht sagen: Ich lade Sie zum Essen ein, Herr Bundespräsident, und erkläre Ihnen mal, dass es so nicht geht! Sondern Sie sehen ja, wie der Presseverband reagiert hat. Das heißt, wir haben hier eine schwerste Störung des Verhältnisses von Politik und Presse, verursacht durch einen, der eigentlich sich zu rechtfertigen hätte.
Welty: Das heißt, Sie sagen, diese ganze Geschichte jetzt, diese ganze Veröffentlichung ist eine Sternstunde für den Journalismus als Kontrollinstanz, als die berühmte viel beschriebene vierte Gewalt im Staate?
Höhler: Ja, ich bin der Meinung - ich war schon in der Guttenberg-Story der Meinung -, auch da hat die Presse von rechts bis links, während wir diese Kategorien ja gar nicht mehr haben, sie hat auch in Häusern, wo man sagen sollte, na ja, wenn der eine Ja sagt, dann sagen die anderen Nein, sie hat eintönig reagiert mit der Ablehnung von Verhaltensformen, die in unsere demokratische Kultur nicht passen. Ich habe das schon damals als großartig empfunden, und ich kann feststellen, es wiederholt sich jetzt.
Welty: Politikberaterin Gertrud Höhler im Interview der "Ortszeit". Danke dafür und einen guten Tag noch!
Höhler: Ihnen Auch, danke!
Pressesprecher von Angela Merkel:
"Frau Merkel...Frau Merkel ! ...Der Wulff ist am Telefon !
Angela Merkel:
"Bin nicht daa"!
"Er soll seine Rücktrittserklärung auf die Mailbox sprechen !"
Der Bundespräsident ist angestrengt. Man sieht Christian Wulff den Druck an, dem er in den vergangenen Tagen ausgesetzt war. Er ist blass, wirkt schmal. Doch er zeigt Haltung – besonders gut, gleich zu Beginn des Interviews von Bettina Schausten und Ulrich Deppendorf. Als es um den Anruf auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs geht, als er auf den Vorwurf reagieren muss, er habe versucht, die Berichterstattung über seinen umstrittenen Kredit zu verhindern und so die Pressefreiheit ignoriert, da zeigt sich der erste Mann im Staate zerknirscht und einsichtig. Er spricht von einem „schweren Fehler“, der ihm „leid tut“. Er entschuldigt sich und hebt sogleich selbst auf die politische Ebene ab: Das war „mit meinem eigenen Amtsverständnis nicht vereinbar“.
Christian Wulff muss den Eindruck entkräften, er sei dem höchsten Staatsamt nicht gewachsen. Dabei geht er in die Offensive. Indem er einräumt, er habe sich zu sehr als Opfer gesehen, anstatt als Würdenträger mit Bringschuld, setzt er auf die Sympathie der Öffentlichkeit für einen Mann im Ausnahmezustand. Mit dem Satz „Ich fühlte mich hilflos“ wird er eine Vielzahl von Bürgern für sich einnehmen. Dass er dann noch einräumt, das sei keine Entschuldigung, als Bundespräsident müsse man sich „im Griff haben“, dürfte ihm in der breiten Öffentlichkeit Punkte einbringen.
Wulff hat die Messlatte selber hoch gelegt
Schwieriger allerdings stellt sich das ursprüngliche Problemfeld der Kreditvergabe für den Hauskauf dar. Von Sonderkonditionen will Wulff nicht reden. Die Vorhaltungen, er habe selbst bei seinen Einlassungen vom Dezember noch den Eindruck erweckt, die Umwandlung vom Freundesdienst in einen normalen Bankkredit sei längst gelaufen, während tatsächlich das gesamte Verfahren noch nicht abgeschlossen war, wies er zurück. Auch Abmachungen per Handschlag seien gültig, kommentierte der Jurist die späte Vertragsunterzeichnung. Die Suche sei manchmal „von Misstrauen geprägt, das die Sachlage nicht hergebe“. Auch bei den in die Kritik geratenen Ferienaufenthalten will Wulff keine Kritik gelten lassen. Es müsse möglich sein, bei Freunden zu übernachten, ohne sich gleich Rechnungen ausstellen zu lassen, sagt er.
Ein Problem des Christian Wulff von heute ist, dass er in früheren Zeiten die Messlatte selbst stets sehr hoch legte. Obwohl er innerparteilich durchaus mit harten Bandagen zu kämpfen wusste, pflegte er öffentlich das Image des verständnisvollen und freundlichen Politikers. Das verband er mit hohen Wertmaßstäben. Viel zitiert wurde in diesen Tagen seine Einlassung zu Johannes Rau im Zusammenhang mit der Flugaffäre der West LB. An diesem Saubermann-Image wird der 52-jährige nun selbst gemessen. Doch wenn er gefragt wird, ob das Amt des Bundespräsidenten Schaden genommen habe, spricht er davon, durch die Art des Umgangs mit den Dingen „hat man dem Amt nicht gedient“. Die Frage bleibt offen, wer ist in diesem Falle „man“? Sind es die Medien? Ist es der Bundespräsident selbst? An dieser Stelle wird Wulff weit weniger deutlich als zuvor, als es um das Thema Pressefreiheit ging. Hier ist er ausgesprochen defensiv.
Es äußern sich die Offiziellen – andere schweigen
Es bleibt abzuwarten, ob Wulff damit den Anforderungen genügt, die das eigene politische Lager an ihn stellt. Reaktionen kommen von denen, die offiziell dafür zuständig sind: den Generalsekretären der Parteien. Ansonsten halten sich die Granden von Union und FDP weitgehend zurück. Niemand will sich aus dem Fenster hängen. Zu groß ist die Sorge, dass entsprechend der bekannten Salamitaktik noch weitere unerfreuliche Details an die Öffentlichkeit kommen könnten.
Ob er ein Bundespräsident auf Bewährung sei, fragt zum Schluss Bettina Schausten. Das sei „völlig daneben“, weist Wulff die Frage empört zurück. Er habe schließlich nicht gegen Recht verstoßen. Doch auch wenn die Formulierung nicht im juristischen Sinne verstanden werden kann, so trifft sie doch zu. Christian Wulff muss sich in seinem Amt bewähren. Er muss der Republik zeigen, dass er im Schloss Bellevue angekommen ist. Er muss zu verstehen geben, dass er verstanden hat: Das Land erwartet von seinem Bundespräsidenten Impulse und Denkanstöße und will nicht mit Ungereimtheiten belästigt werden.
Streit mit der "Bild"
Wulff lehnt Veröffentlichung von Anrufprotokoll ab
AFP
Bundespräsident Wulff: Nachricht "nur für Diekmann bestimmt"
Der Bundespräsident sagt Nein zur Veröffentlichung seiner Mailbox-Nachricht an "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. In einem Brief an den Journalisten schreibt Christian Wulff, seine Worte seien ausschließlich für Diekmann bestimmt gewesen.
Berlin - Bundespräsident Christian Wulff hat die Veröffentlichung des umstrittenen Telefon-Anrufs bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann abgelehnt. Wulff erklärte am Donnerstag, die Worte seien ausschließlich für Diekmann bestimmt gewesen.
Das Präsidialamt veröffentlichte am Donnerstag ein Schreiben Wulffs an den "Bild"-Journalisten, in dem Wulff darauf hinweist, dass er sich bei ihm persönlich bereits entschuldigt habe. "Damit war die Sache zwischen uns erledigt. Dabei sollte es aus meiner Sicht bleiben", schrieb Wulff.
Die "Bild"-Zeitung hatte Wulff zuvor um Zustimmung gebeten, dessen Nachricht auf der Mailbox zu veröffentlichen.
Hintergrund waren umstrittene Äußerungen Wulffs am Mittwoch im Interview mit ARD und ZDF, wonach es ihm bei dem Anruf nicht darum gegangen sei, eine Berichterstattung über seinen Hauskredit zu verhindern, sondern diese nur um einen Tag zu verschieben. Die "Bild"-Zeitung wies diese Darstellung zurück.
Wulff zeigt sich in dem Schreiben (den genauen Wortlaut finden Sie hier) irritiert darüber, dass bereits Teile seiner Nachricht an die Öffentlichkeit gelangten: "Es erstaunt mich, dass Teile meiner Nachricht auf Ihrer Mailbox nach unserem klärenden Telefongespräch über andere Presseorgane den Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben", schreibt Wulff. "Es stellen sich grundsätzliche Fragen zur Vertraulichkeit von Telefonaten und Gesprächen", so der Bundespräsident.
Vor einigen Tagen war der Anruf publik geworden. Nach Angaben der "Bild"-Zeitung wollte Wulff mit der Botschaft die Veröffentlichung eines kritischen Berichts über seinen Hauskredit verhindern. Der Präsident beteuert jedoch, er habe lediglich um Aufschub bei der Berichterstattung gebeten. Die "Bild"-Zeitung hatte Wulff daraufhin um sein Einverständnis gebeten, den Wortlaut der Nachricht zu veröffentlichen, "um Missverständnisse auszuräumen".
SPD: "Wulff hat Chance vertan"
In einer ersten politischen Reaktion zeigte sich Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag, enttäuscht: "Christian Wulff tut nichts, um die Vorwürfe gegen ihn zu entkräften. Ob er gelogen hat oder nicht, kann nur eine Veröffentlichung der Mailbox beweisen", sagte Oppermann. Er habe "kein Verständnis dafür, dass Christian Wulff gestern Transparenz ankündigt und heute die erste Chance dafür verstreichen lässt."
Im Interview am Mittwochabend hatte Wulff angekündigt, bei der Aufklärung der Affäre auf Transparenz zu setzen. Seine Anwälte legte eine "zusammenfassende Stellungnahme" zu den mehreren hundert Medienanfragen in der Kreditaffäre vor. In dem Schreiben heißt es, damit solle der Öffentlichkeit ein zusammenfassender Überblick über die verschiedenen Sachverhalte ermöglicht werden.
Das Papier fasse die Antworten auf die immer wieder gestellten Fragen und Themenkomplexe zusammen. "Unser Mandant strebt bei der Beantwortung dieser Fragen größtmögliche Transparenz an, soweit diese Sachverhalte betreffen, die in Beziehung zu seinen öffentlichen Ämtern stehen", hieß es.
suc/fab/dpa
"Sie werden nicht überrascht sein, dass wir uns auch die Passagen zu dem Anruf des Bundespräsidenten auf der Mailbox des Chefredakteurs der 'Bild'-Zeitung, Kai Diekmann, ziemlich genau angeschaut haben, und den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern, das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen. Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden. Und wenn Sie das jetzt als Drohung bezeichnen, das ist vielleicht eine Geschmacksfrage. Aber klar war das Ziel dieses Anrufes, die Absicht und das Motiv, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses zu unterbinden."
Deutschlandfunk (05.01.2012)
Christian Wulff wollte Klarheit schaffen, doch einen Tag nach dem Interview in ARD und ZDF widerspricht die "Bild"-Zeitung seinen Darstellungen. Der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur und Leiter des Hauptstadtbüros, Nikolaus Blome, sagte im Deutschlandfunk, "den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, 'ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern', das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen."
"Bild" kündigte inzwischen an, den Wortlaut der Mailbox-Nachricht veröffentlichen zu wollen, "um Missverständnisse auszuräumen". Chefredakteur Kai Diekmann schrieb deshalb einen Brief an Wulff und bat diesen um sein Einverständnis.