Spiegel-Bericht v. 6.09.99 Zum Neuen Markt


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Neuester Beitrag: 06.09.99 11:06
Eröffnet am:06.09.99 03:30von: PhoenixAnzahl Beiträge:3
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9 Postings, 9041 Tage Phoenix Spiegel-Bericht v. 6.09.99 Zum Neuen Markt

 
  
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06.09.99 03:30
 
           



06. September 1999  W I R T S C H A F T    


 
 
B Ö R S E

Die Geldmaschine stottert

Der Neue Markt, der Umschlagplatz für Wachstumsaktien, fasziniert solide Investoren wie geldgierige Spekulanten. Doch bei vielen stellt sich inzwischen Enttäuschung ein: Auch Reichwerden will gelernt sein.


Reto Francioni, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, liebt flotte Sprüche. "Wettbewerb ist kein Nullsummenspiel, sondern eine Win-Win-Situation", sagte der Schweizer gern, wenn er den Erfolg der Wachstumsbörse Neuer Markt erklären sollte.
 
© DER SPIEGEL



Lange Zeit sah es wirklich so aus, als wären am Neuen Markt die Gesetze der Marktwirtschaft aufgehoben. So mancher Jungunternehmer, der kaum mehr als eine Idee und seine Träume mitbrachte, wurde durch den Börsengang ein reicher Mann. Banken verdienten stattliche Provisionen. Anleger fühlten sich wie Lottogewinner, wenn sie bei den Neuemissionen ein paar Aktien zugeteilt bekamen, deren Kurs sofort zu klettern begann.

Der Neue Markt verblüffte und faszinierte Profis und solide Sparer gleichermaßen. Hier schien eine Geldmaschine zu arbeiten, die nicht nur jungen Unternehmen die Chance zum Aufbruch und zur Expansion bot, sondern auch Gewinne versprach, die mit keiner Lebensversicherung und mit dem Sparbuch schon gar nicht zu erzielen sind.

Der Neue Markt veränderte und belebte den Geldbasar. Er wurde zugleich zum Tummelplatz von Zockern und Abenteurern. Die Kurssprünge schlugen alle bisherigen Rekorde an den Börsen, es schien nur noch nach oben zu gehen.

 
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Im vergangenen Jahr stiegen die Kurse am Neuen Markt um 174 Prozent und bis Ende Februar noch einmal um 40 Prozent. Die Stars unter den Neulingen, wie Mobilcom-Chef Gerhard Schmid und die Familie Haffa, Mehrheitseigentümer der Medienfirma EM-TV, wurden praktisch über Nacht Börsenmilliardäre. Auch Anleger, die auf den Boom setzten und rechtzeitig wieder ausstiegen, konnten Millionen verdienen.

Doch seit einigen Monaten stottert die Geldmaschine. Manche Unternehmen verloren innerhalb weniger Wochen mehr als die Hälfte ihres Firmenwertes. Bei hoch gehandelten Aktien wie der Internet-Bank Consors oder Mobilcom schrumpfte der Marktwert gleich um mehrere Milliarden. Börsenneulinge wie Wizcom, ein israelischer Hersteller von elektronischen Übersetzungshilfen, oder der Spezialist für elektronischen Zahlungsverkehr OTI fielen, kaum waren sie an der Börse notiert, unter den Emissionskurs.

"Es war ein Kettenspiel", kommentiert ein Banker. "Die Letzten beißen die Hunde." Viele Anleger sind zu Höchstkursen eingestiegen und warten nun oft vergebens darauf, dass die Kurse sich wieder erholen. "Allenfalls 30 Prozent der Unternehmen werden sich auf Dauer positiv entwickeln", sagt Kurt Ochner, Fondsmanager beim Bankhaus Julius Bär. Zunehmend werde sich die Spreu vom Weizen trennen.

 
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Vor zweieinhalb Jahren gründete die Frankfurter Börse den Neuen Markt als Kapitalquelle für Unternehmen mit großen Wachstumsaussichten. Doch Wachstum ist nicht garantiert, viele Unternehmen können ihre Versprechen nicht halten. Und hier wie überall sind unter den vielen Unternehmern auch einige, die nur schnell und auf Kosten anderer reich werden wollen.

So muss bisweilen schon der Staatsanwalt eingreifen. Gegen Paul Kostrewa etwa, den langjährigen Vorstandsvorsitzenden und einstigen Großaktionär des Seniorenheimbetreibers Refugium AG, wird in Bonn ermittelt. Ihm werden fortgesetzte Bilanzmanipulationen zur Täuschung der Aktionäre vorgeworfen, ein neu berufener Vorstand musste für das erste Halbjahr einen Verlust von 72,1 Millionen Mark ausweisen.

Emissionsberater der Gold-Zack-Gruppe hatten das Unternehmen 1997 an die Börse gebracht, zunächst den Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt und im Frühjahr auch noch eine Kapitalerhöhung im Markt platziert. Seitdem fiel der Aktienkurs von Refugium noch einmal um 44 Prozent.

Der Vorstandsvorsitzende der Datadesign, Stefan Pfender, 28, musste zurücktreten. Statt eines angekündigten Gewinns von 4,5 Millionen Mark plant das Münchner Software-Haus, ein weiterer Gold-Zack-Kunde, nun einen Verlust von 8,1 Millionen Mark ein. "Pfender landete in unserer Folterkammer unter der Knute", sagt Lothar Mark, Chef der Gontard & Metallbank und Aufsichtsratsvorsitzender bei Datadesign.

Immerhin wird Pfender, der mit seiner Familie 39 Prozent der Aktien hält, vom Misserfolg seines Unternehmens genauso hart getroffen wie die übrigen Aktionäre. Durch einen Poolvertrag gebunden, darf er in den nächsten Jahren nur in Abstimmung mit Gold-Zack ein größeres Aktienpaket verkaufen.

So wie Gold-Zack griff auch die Deutsche Bank bisweilen daneben. Kaum hatte sie den Software-Hersteller Graphisoft an den Neuen Markt gebracht, musste die Firma eine Gewinnwarnung abgeben. Eine andere Neuemission der Deutschen Bank, FortuneCity, die virtuelle Städte im Internet bauen will, notiert inzwischen weit unter Ausgabekurs.

Oft sorgt die Gier der Altaktionäre, die hohe Aktienkurse möglichst schnell zum Ausstieg nutzen wollen, für die größten Probleme in den Unternehmen. So wirft die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) einigen Altaktionären des Internet-Kunsthändlers Artnet und von Metabox, eines Herstellers von Internet-TV-Hardware, vor, dass sie nicht einmal die Sperrfrist von sechs Monaten eingehalten haben.

Die Deutsche Börse prüfte die Vorwürfe, konnte aber bisher niemandem ein Vergehen nachweisen. Da sich die Kontrollmöglichkeiten als mangelhaft erwiesen, will das für den Neuen Markt zuständige Vorstandsmitglied Francioni diese Woche schärfer gefasste Regeln veröffentlichen.

Fast schon Tradition ist es, dass die Unternehmer nach der Sperrfrist eilig Kasse machen. In Deutschland muss das im Gegensatz zu den USA bei kleineren Aktienverkäufen nicht offen gelegt werden ­ "ein Anachronismus", sagt Ulrich Hocker von der DSW. So wurde etwa der geplante Teilausstieg der LHS-Altaktionäre erst in den USA bekannt, weil das Software-Haus auch an der Wall Street notiert ist. Der Aktienkurs sackte daraufhin ab.

Zurzeit verschafft der Berliner Hersteller von Logistik-Software PSI vielen Altaktionären die Möglichkeit, aus dem Unternehmen auszusteigen. Pierre Drach, Chef der Analysefirma Independent Research, vermutet, dass der Aktienkurs bis zum Ende der Umplatzierung eines großen Aktienpakets künstlich hochgehalten wird. Das wäre der Anlass für einen weiteren Kurssturz.

"Wir meiden Unternehmer, bei denen das eigene pekuniäre Interesse im Vordergrund steht", sagt Investmentbanker Elmar Thöne, der für die DG Bank schon viele Unternehmen an die Börse begleitet hat. Schließlich müsste den Firmen, die in zukunftsträchtigen Branchen wie dem Internet arbeiten und manchmal mehr Verluste als Umsätze vorweisen, jede Mark für Investitionen zur Verfügung stehen.

Doch je höher die Emissionserlöse im Neuen Markt, desto mehr scheint ausschließlich die Aussicht auf schnelles Geld viele Unternehmer beim Gang an die Börse zu motivieren. Dabei gehen sie durchaus erfindungsreich vor.

Die vier Gründungsgesellschafter des Software-Hauses Netlife verkauften zum Beispiel Ende vergangenen Jahres für 100 Millionen Mark ihre Netlife GmbH an die Netlife AG, die dafür einen Kredit aufnahm. Als am 1. Juni der Börsengang gelang, flossen vom Emissionserlös rund 16 Millionen Mark auf die Konten der Jungunternehmer, weitere vier Millionen an einige Mitarbeiter und Risikoinvestoren. Die restlichen 80 Millionen Mark Schulden sollte das Unternehmen im Laufe der nächsten Jahre an seine Großaktionäre rückerstatten. Die Zinszahlungen von rund drei Millionen Mark im Jahr entsprechen fast dem Umsatz, den die Netlife im vergangenen Jahr erzielt hat.

"Das hatte rein steuerliche Gründe", behauptet der Netlife-Vorstandsvorsitzende Claus Müller, das sei im Emissionsprospekt sauber dargelegt worden. Erst als viele Aktionäre empört absprangen und der Kurs steil nach unten sackte, verzichteten die Großaktionäre auf die Rückzahlung von 63,5 Millionen Mark.

Solche Tricks werden öfter angewandt. Auch die sechs Gründungsgesellschafter des Unternehmens Das Werk, das die digitale Bildbearbeitung revolutionieren will, verkauften ihre GmbHs an die AG und kassierten zusammen 28 Millionen Mark.

Trotz aller Pannen, trotz dubioser Geschäfte und flüchtiger Gewinne hat der Neue Markt an Reiz für Investoren und Spekulanten nicht verloren. Die 150 Unternehmen, die inzwischen an der neuen Börse notiert sind, haben Vermögen im Wert von 59 Milliarden Dollar geschaffen, rechnet das US-Magazin "Business Week" vor. Im September wollen weitere 20 Unternehmen an die Wachstumsbörse.

Doch warnende Stimmen werden lauter. "Schon im nächsten Frühjahr werden viele Seifenblasen platzen", sagt Ulrich Hocker, Geschäftsführer der DSW. Dann müssten die Unternehmen testierte Bilanzen vorlegen und könnten oft ihre Versprechungen nicht einhalten. Auch beim Goldrausch hätte langfristig nur der verdient, der die Werkzeuge verkaufte.

Einige Banker, die den Eingang in die Goldmine offenbar nur unzureichend kontrollieren, werden angesichts überzogener Ausgabekurse unruhig. "Die Emissionsbanken haben eine treuhänderische Verpflichtung nicht nur gegenüber den Unternehmen, sondern auch gegenüber den Anlegern", warnt Stefan Jentzsch, Managing Direktor von Goldman Sachs.

Rund 15 Unternehmen aus den USA, Israel oder der Schweiz sind mittlerweile am Neuen Markt verzeichnet, weil nirgendwo sonst auf der Welt der Firmenwert so dramatisch hochschnellen kann. Viele von ihnen notieren unter Ausgabekurs, weil die Anleger mit Recht fragen, warum nicht genug Kapital an den Heimatmärkten der Unternehmen aufzutreiben war.

Firmen wie die Telekommunikationsfirma Tiptel lassen sich von anderen Teilmärkten auf den Neuen Markt umbuchen, in der Hoffnung auf eine bessere Börsenzukunft. Tiptel hatte nur kurzfristig etwas davon: Seit März 1998 fiel der Kurs zeitweise senkrecht von 70 auf 14 Mark.

Zu oft lässt die Zulassungskommission der Deutschen Börse, bei der sich die Kandidaten für den Neuen Markt vorstellen müssen, offensichtlich ungeeignete Kandidaten passieren. "Da ist kein Qualitätsfilter mehr", sagt Markus Straub, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft für Kleinaktionäre. Das Regelwerk des Neuen Marktes, immerhin 33 Seiten stark, müsse dringend überholt werden.

Die wirksamste Kontrolle werden aber letztlich die Anleger ausüben, wenn sie auch bei Neuemissionen nicht mehr unbesehen zugreifen. Außerdem hilft es gerade bei Wachstumsunternehmen, immer wieder die Versprechen mit dem Erreichten zu vergleichen. Wird die Diskrepanz zu groß, "muss man auch einmal einen satten Verlust in der Spekulationsfrist realisieren", rät Aktienexperte Hocker. Seit Anfang des Jahres, so sein Trost, können diese Verluste steuerlich mit anderen Gewinnen verrechnet werden.

CHRISTOPH PAULY












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13475 Postings, 9032 Tage SchwarzerLordnichts Neues

 
  
    #2
06.09.99 10:30
Wer sich die Mühe macht und vor dem Kauf die jeweilige Firma etwas
genauer unter die Lupe nimmt, für den dürften diese Meldung nichts
Neues bringen. Also raus aus dem Schrott wie Tiptel, Wizcom oder Artnet!  

803 Postings, 8996 Tage ruebeSpiegel-Bericht,, ok nichts neues, aber

 
  
    #3
06.09.99 11:06
eine Bestätigung dafür, daß die Regeln verschärft werden müssen. Die Gier der Altaktionäre wie bei artnet oder metabox muß durch kontrollierbare gesetze gestoppt werden. Hier geht es nicht um die Idee, um die Firma, sondern nur ums Kasse machen. Und wir Kleinaktionäre leiden darunter, weil wir solche Machenschaften zu spät erkennen.

Jedenfalls werde ich die Finger von PSI, Das Werk, LHS (auch wenn der Chart gut ist) und Netlife lassen. Auch Firmen wie Wizcom oder Fotunecity, die scheinbar unfähig sind in ihren Heimatmärkten genug Geld für ihre Idee aufzutreiben, sind mir suspekt. Oder auch Tiptel, die glauben nur durch einen Umstieg in den Neuen Markt mehr Kohle zu machen, sollten nicht beachtet werden.

Würde gerne eure Meinung dazu hören ...

Gruß ruebe    

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