Wo die Studierenden über ihre Gebühren bestimmen


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HOCHSCHUL-MODELL

Wo die Studierenden über ihre Gebühren bestimmen

Von Sebastian Fischer, München

Gerade erst brillierte die TU München mit ihrem Sieg beim Elite-Casting. Jetzt optimiert sie die Campus-Maut und nimmt dabei die Studierenden ernst: Die nämlich entscheiden mit, was aus ihrem Geld wird - und sollen die Lehrqualität auch überwachen.

München - Es sieht aus wie Protest, es riecht wie Protest. Eine abgeschrubbelte, ockerfarbene Kunstledercouch aus den Siebzigern, klebriger Linoleumboden, halbleere Kaffeetassen und Papierstapel. Das ist das Asta-Büro der Technischen Universität in der Münchner Arcisstraße.

Mittendrin: Johannes Horak, freundliches Gesicht, lange Haare, Ziegenbärtchen, schwarzer Kapuzenpulli, Student der Wirtschaftsinformatik. Horak ist Vorsitzender des Fachschaftenrates an der TU, also so eine Art studentischer Chef-Vertreter.

Doch Kapuzenpulli und falsche Ledercouch sind hier nicht Insignien studentischen Widerstands. Ganz im Gegenteil. Denn im Sommer erst haben die Studi-Vertreter der TU das Konzept eines Studiengebührensystems ausgetüftelt. Das wurde dann von der Hochschulleitung in die eigenen Überlegungen integriert - und seitdem verfügt die TU München über eine aus dem Konsens geborene Studienbeitragssatzung.

Was ist denn da los? Seit Monaten kämpfen Studenten in der ganzen Republik gegen Studiengebühren, besetzen hier ein Rektorat, da ein Ministerium. Und die Techniker in München bauen sich ihren eigenen Käfig? Naja, sagt Johannes Horak, das Studiengebührenmodell der TU sei "unter den gegebenen Rahmenbedingungen akzeptabel" - allerdings "lehnen wir Studiengebühren nach wie vor ab".

Trotzdem: An anderen Unis fliegen die Fetzen, Johannes Horak hingegen spricht von einem "guten Gesprächsklima mit der Hochschulleitung". Es gebe immer mehrere Möglichkeiten, meint der 27-Jährige, "wir erreichen innerhalb der Uni mehr durch das miteinander Reden als mit Schreien und Demonstrieren". Herausgekommen ist ein bundesweit beachtetes Gebührenmodell.

Verhandeln statt Boykottieren

Während die meisten Unis die Studiengebühren mit festem Schlüssel auf die einzelnen Fakultäten verteilen wollen, heißt es in München: erst Konzept, dann Kohle. Das geht so: Die Studenten müssen zwar pauschal 500 Euro Campus-Maut berappen, entscheiden aber dann über die Verwendung der zusätzlichen Mittel gleichberechtigt mit. Die Fakultäten müssen unter paritätischer Beteiligung der Studenten "spezifische Konzepte mit Verwendungsvorschlägen für die Studienbeiträge" vorlegen, so die neue TU-Satzung. Diese Konzepte werden dann der "Präsidialkommission Studienbeiträge" zur Bewertung vorgelegt. Darin sitzen neben dem Uni-Präsidenten der Kanzler, ein Vertreter der Professoren, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter sowie zwei Studi-Repräsentanten, darunter Johannes Horak. Die letzte Entscheidung liegt dann beim Hochschulpräsidium, das die Konzepte verabschiedet und das Geld "zweckgebunden" zuweist.

"Es kommt kein Konzept in die Präsidialkommission, an dem wir Studierenden nicht gleichberechtigt mitgearbeitet haben", sagt Horak stolz. Tatsächlich erinnert das letztlich verabschiedete TU-Modell stark an den Eigenentwurf der Studenten. Horak spricht von einer "gegenseitigen Vertrauensbasis" mit TU-Präsident Wolfgang Herrmann, für deren Entwicklung man "fünf bis sechs Jahre gebraucht" habe. Zur Hochschulleitung zählte als Kanzler bis letztes Jahr auch Ludwig Kronthaler, inzwischen Richter am Bundesfinanzhof. In einem Gutachten zeigte er kürzlich, dass es für die TU-Linie auch rechtliche Gründe gibt: Erhielten die Studenten keine konkrete Leistung, seien Studiengebühren rechtswidrig, so Kronthaler.

Eine Totalverweigerung gegenüber Studiengebühren kam von Beginn an nicht infrage. Außerdem sei "der Wille, mobil zu machen, in unserer Studierendenschaft nicht mehr vorhanden", so Horak. Das ist an anderen Unis ähnlich: In Bayern erbrachte der vergangene Mai den Beweis. Kurz bevor der Landtag die Studiengebühren mit der CSU-Mehrheit beschloss, versuchten SPD und Grüne gemeinsam mit einigen Studentenvertretern dagegen anzutrommeln - die Studenten nahmen das eher unbeteiligt zur Kenntnis, verwiesen auf ihre Eltern, die die nahenden Gebühren "schon zahlen" könnten. Tatsächlich studieren nach Zahlen des Studentenwerks 81 von 100 Kindern aus "hoher" sozialer Herkunft. Aus "niedrigeren" Schichten schafft es nur jedes 10. Kind.

So entlud sich der ganze Frust der wenigen bayerischen Studi-Aktivisten bei einem beinahe verschwörerischen Treffen mit Vertretern der SPD-Fraktion im Kellergewölbe des Landtags. "Unsere Leute lassen sich kaum zum Protest bewegen", berichteten die aus ganz Bayern angereisten Asta-Gesandten. "Die san' einfach sehr passiv, selbst wenn man sie direkt anspricht", empörten sie sich: "Wir flyern uns die Hacken wund, aber es kommt einfach nicht an."

Und dann auch noch die Sache mit der TU München: "Die machen bei den Studiengebühren mit", klagten die Enttäuschten, denn Horak und Co. standen bereits in einem intensiven Diskussionsprozess mit der TU-Chefetage. Dabei galt hier unterm Landtag doch noch die Devise: Boykott von Modellen zur Studiengebühr. Einer wusste gar zu berichten, dass die TU mit dem Geld doch eh "nur ihren Strom finanzieren" wolle.

TU-Präsident Herrmann: "Schon als Sozialist beschimpft"

Anscheinend glaubte damals keiner an die Möglichkeit studentischer Mitbestimmung. Kein Wunder in einem Land wie Bayern, in dem die Verfasste Studentenschaft vor über drei Jahrzehnten vom CSU-Kultusminister mit der Begründung abgeschafft worden war, als Folge der 68er-Bewegung müsse er "den linken Sumpf" an den Unis "trocken legen".

'TU-Präsident AP

TU-Präsident Herrmann lobt die Studenten: "Tolle Reformgeister"

An der TU München haben die Studenten heute nur deshalb Einfluss, weil Uni-Präsident Herrmann sich auf eine "Experimentierklausel" im Hochschulgesetz stützt. Ähnlich wie die Studenten um Horak von ihren Asta-Kollegen, so bekommt auch der Präsident Gegenwind aus Fachkreisen: "Von manchen bin ich ja schon als Sozialist beschimpft worden", erzählt Wolfgang Herrmann im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Dabei gilt er als Stoiber-nah, der bayerische Ministerpräsident wollte ihn gar einmal zum Minister machen.

Bei der Verwendung der Campus-Maut fährt Herrmann eine klare Linie: "Wenn es um Beiträge der Studierenden geht, dann müssen die auch sagen, was damit gemacht wird." Deshalb die Idee mit den Konzepten und der Präsidialkommission. Parallel dazu soll ein "Qualitätsmanagement den Nutzen überwachen", so Herrmann; unter anderem solle der Fachschaftenrat Informationen über die Verwendung der Mittel sammeln.

Und wenn etwas schief läuft, gibt es dann eine Art Geld-zurück-Garantie für die Studenten? "Wenn es Anfangsprobleme gibt, müssen die unter Mitarbeit der Studierenden korrigiert werden", sagt Herrmann. Im "zweiten Durchgang" aber müssten die Korrekturen "dann auch greifen". Tritt keine Verbesserung ein, "könnten wir uns überlegen, die entsprechende Fakultät nachträglich haftbar zu machen und möglicherweise das Geld zurückzugeben".

Manchmal wirkt Herrmann wie der höchste Interessenvertreter der Studentenschaft - oder wie der Gründer eines Start-up-Unternehmens: "Wir haben das Glück, dass sich die Studierenden mit unserer Hochschule identifizieren", die Studis seien "tolle Reformgeister". Er habe deren Vertreter "in der letzten Besprechung gebeten, Träume zu formulieren, wie sie sich ihre Mitwirkung in Zukunft vorstellen", zum Beispiel bei Berufungen.

Da setzt Herrmann schon jetzt auf die Studenten: Weil bei einem Berufungsverfahren der zweitplatzierte Bewerber aus Studierenden-Sicht besser war, "hab' ich zwei Studenten losgeschickt, nach Hamburg und Österreich, um die beiden Bewerber noch einmal zu begutachten". Am Ende wurde der anfänglich Zweite berufen. Herrmann hatte sich der Studentenmeinung angeschlossen.

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,445862,00.html

 

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