Saddam Hussein - Getriebener der Macht


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Eröffnet am:22.03.03 22:13von: Happy EndAnzahl Beiträge:1
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95441 Postings, 8512 Tage Happy EndSaddam Hussein - Getriebener der Macht

 
  
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22.03.03 22:13
Um das eigene Überleben zu sichern, ist dem irakischen Präsidenten jedes Mittel recht: Gewalt, Angst, Staatsterror
 
Seit vielen Jahren spielt Iraks Präsident Saddam Hussein in der internationalen Politik eine - unrühmliche - Rolle.Für die USA ist er derzeit Staatsfeind Nummer eins. Deshalb will US-Präsident George W. Bush ihn stürzen. Die ersten US-Luftschläge galten folglich auch dem Despoten. Doch wer ist dieser Mann? Eine Annäherung.
 
Bagdad, 22. Juli 1979. Saddam Hussein ist seit sechs Tagen im höchsten Staatsamt. Er hat viele Posten: Staatsoberhaupt, Regierungschef, Generalsekretär der mächtigen Baath-Partei und - Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Die Machtfülle ist nahezu vollkommen. Im Al-Khuld-Zentrum, einen Steinwurf vom Präsidentenpalast in Bagdad entfernt, versammeln sich tausend Mitglieder der Partei. Saddam hatte gerufen. Keiner ahnt, was kommen wird. Nur wenige Saddam-Vertraute sind eingeweiht. Umnebelt von dicken Rauchschwaden sitzt Saddam vorn auf der Bühne am Tisch und pafft eine lange, dicke Zigarre. Später werden sie berichten, dass es eine kubanische war. Eine Kamera dokumentiert alles: Taha Yassin Ramadan, Saddam treu ergeben und von ihm zum Vize-Präsidenten ernannt, spricht als erster. Es sei eine Verschwörung aufgedeckt worden. Die Funktionäre im Saal begreifen noch immer nicht. Irgendwann nimmt Saddam das Mikrofon: "Diejenigen, deren Namen ich jetzt vorlese, sollten den Wahlspruch der Partei wiederholen und den Saal verlassen."

Kaltes Entsetzen. Ein Sicherheitsbeamter fängt an, die Namen in den Saal zu rufen. Die angeblichen Verschwörer werden einer nach dem anderen abgeführt. "Eine arabische Nation mit einer heiligen Botschaft! Einheit, Freiheit, Sozialismus!", wiederholen die Todgeweihten verzweifelt die Parteilosung. Kadavergehorsam. Selbst in der Stunde der Vernichtung beugen sie sich dem Willen Saddams. Und die Überlebenden im Saal skandieren: "Lang lebe Saddam!" Oder: "Lasst mich sterben! Lang lebe der Vater Udays!"

66 Baath-Funktionäre werden abgeführt, 55 als Verschwörer verurteilt - 21 davon zum Tode. Die Hinrichtung am 8. August überwacht Saddam persönlich: Den Verurteilten werden die Augen verbunden und die Hände auf den Rücken gefesselt. Dann werden sie erschossen von altgedienten Baath-Kadern. Die Filmaufnahmen werden später veröffentlicht - als Dokument der Abschreckung.

Manche Bilder und Ereignisse prägen, ja brennen sich ein ins Bewusstsein. Saddams handstreichartige Säuberung der Partei am 22. Juli 1979 ist in vielen Biographien über den irakischen Diktator beschrieben worden. So auch in der des preisgekrönten englischen Journalisten Con Coughlin. Rechtzeitig zum jetzigen Golf-Krieg ist das Videoband der Säuberung auch im Fernsehen wieder aufgetaucht. Zwar ist es schwierig, sich ein wirkliches Bild von der Persönlichkeitsstruktur Saddams zu machen. Der Diktator hat viele enge Weggefährten und Augenzeugen, die als Quellen dienen könnten, umgebracht. Oder sie schweigen. Aus Angst. Und aus offiziellen irakischen Quellen erfährt die Öffentlichkeit nur Lobendes und Preisendes. Doch eines ist gewiss: Wie ein roter Faden zieht sich zunächst skrupelloses Machtstreben durch Saddams Leben. Auf dem Höhepunkt der Macht angekommen, ändern sich die Prioritäten: Jetzt geht's ums Überleben. Da ist ihm - wie zuvor auch - jedes Mittel recht: Gewalt, Staatsterror, Angst.

Vorkoster und Doppelgänger

Saddam stammt aus ungeordneten und ärmlichen Verhältnissen. Verwahrlosung und der Kampf ums nackte Überleben als "Sohn der Gasse" bestimmten lange Kindheit und Jugend. Das mag ein Erklärungsmuster sein für seinen späteren Lebensweg, der mit Leichen gepflastert ist.

Saddam ist kein Ideologe. Er benutzt Weltanschauungen lediglich als Vehikel zur Macht. Er predigt den irakischen Nationalismus, um das Land mit seiner heterogenen Bevölkerung von Schiiten, Sunniten und Kurden sowie mit seinen für westliche Augen archaisch anmutenden Clanstrukturen zusammenzuhalten. Er begeistert sich für den Panarabismus - also die Einheit aller Araber über die modernen Nationalstaatsgrenzen hinweg -, weil dieser dem Aufstrebenden Machtfülle verspricht. Saddam pflegt seine anti-zionistischen, anti-westlichen und anti-kommunistischen Ressentiments, hat zugleich aber keine Bedenken, seine Waffenarsenale von der damaligen Sowjetunion oder später von Europäern und Amerikanern bis unter die Decke füllen zu lassen. Er hat mit dem Islam nicht viel am Hut und verfolgt unbarmherzig streng gläubige Muslime, vor allem Schiiten; gleichwohl wendet er sich später der Religion zu, vor allem öffentlich, um eine Brücke zum gläubigen Volk zu schlagen.

Legendär ist das Misstrauen des inzwischen fast 66-Jährigen. Die Biographen berichten, Saddam schlafe seit vielen Jahren keine zwei Nächte im selben Bett. Die vielen Paläste hat er zu Festungen ausbauen lassen. In ihnen lässt er gleichzeitig Mahlzeiten anrichten, keiner weiß, wo er sie einnimmt. Er beschäftigt Vorkoster, um nicht am Gift der Rivalen zu sterben. Aus Furcht vor Attentaten lässt sich der Diktator bei öffentlichen Auftritten von Doppelgängern vertreten. Nicht einmal seinen 65. Geburtstag, der geprägt war von martialischen Aufmärschen, beging Saddam öffentlich, heißt es.

Misstrauen gegenüber tatsächlichen und vermeintlichen Rivalen ist offenbar allen Machtmenschen eigen. Bei Saddam steigert es sich zur krankhaften Paranoia.

Ein Blick genügt

Zur Absicherung seiner Macht hat Saddam Sicherheitsapparate geschaffen, deren Führung er bevorzugt Mitgliedern seiner Familie oder seines eigenen Clans aus der Nähe der Stadt Tikrit anvertraut hat (siehe nebenstehenden Bericht). Sie alle kontrollieren sich gegenseitig, Untreue wird unbarmherzig bestraft. Skrupellos lässt er jeden aus dem Weg räumen, der sich ihm entgegenstellt. Armeeoffizier Salim Shakir, der die Säuberungen von 1979 überlebt hat, berichtet, Saddam habe häufig gesagt: "Ich kann mit einem einzigen Blick in die Augen erkennen, ob jemand loyal oder ein Verräter ist." Mit den entsprechenden Folgen.


In seinem Machtwahn ließ Saddam seine Wissenschaftler biologische und chemische Waffen entwickeln - und scheute sich nicht, sie einzusetzen. Auch gegen seine eigene Bevölkerung. Vor wenigen Tagen erst, am 16. März, hat sich das Massaker von Halabdscha zum 15. Mal gejährt. 1988 griff die irakische Armee die kurdische Stadt an und setzte Giftgas ein. Binnen weniger Minuten starben damals rund 5000 Menschen. Noch heute werden Kinder mit Missbildungen geboren. Zuvor schon, im Krieg gegen Iran (1980 bis 1988), setzte der Diktator Chemiewaffen ein. Ob er auch Massenvernichtungswaffen gegen die US-Soldaten eingesetzt hat, die seine Armee aus Kuwait vertrieben haben und die jetzt zu zehntausenden an einer rätselhaften Krankheit leiden, ist ungewiss.

Gewalt - das ist eine Konstante in Saddams Leben. Gewalt - das ist das Instrument, dessen sich der Diktator bedient, um zu überleben. Oft ist die Gewalt in Gegengewalt umgeschlagen. Doch er hat bisher alle tatsächlichen und vermeintlichen Verschwörungen und Putschversuche überlebt und ist an der Macht geblieben.

Wird die laufende amerikanische Militäroffensive Saddams letzte Schlacht sein?  

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