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Neuester Beitrag: 23.01.03 21:09
Eröffnet am:23.01.03 20:53von: NassieAnzahl Beiträge:3
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16074 Postings, 8203 Tage NassieLinks denken, rechts wählen

 
  
    #1
23.01.03 20:53
Links denken, rechts wählen

Vor der Entscheidung am 28. Januar: Die Mehrheit der Israelis sympathisiert mit den Friedensideen der Arbeitspartei. Und klammert sich dennoch an Ariel Scharon

Von Gisela Dachs

Tel Aviv/Jerusalem

Mittags im Stadtzentrum von Tel Aviv. Zwei Männer gehen über die Straße, an langen Bändern baumeln ihnen kleine Pappkartons von den Schultern. Erschrocken dreht sich eine Passantin um und fragt: „Gibt es Alarm?“ Nein, lautet die knappe Antwort: „Wir haben nur unsere alten Gasmasken gegen neue ausgetauscht.“

Im Golfkrieg vor zwölf Jahren trugen die Israelis den Pappkarton mit Gasmasken wie eine Handtasche überall mit hin. Jetzt ist wieder Zeit für Vorsorge. Die Menschen beschaffen sich Wasservorräte und Konservendosen, sie holen das Klebeband und die Plasikfolien hervor, mit denen sie schon einmal ihre Fenster gegen Giftgas abgedichtet haben.

Die Parlamentswahlen am kommenden Dienstag, so scheint es, interessieren derzeit die wenigsten Menschen. Es fällt auf, wie wenig Plakate diesmal an den Kreuzungen hängen. 20 Prozent der Wähler wussten laut Umfragen zu Beginn der Woche noch immer nicht, welcher Partei sie ihre Stimmen geben wollen. So hoch war der Anteil an Unentschiedenen noch nie. Für die meisten steht der Ausgang ohnehin schon fest: Die Likud-Partei von Ariel Scharon wird gewinnen, wenn auch nicht mit jenem gigantischen Vorsprung, auf den der Ministerpräsident noch vor kurzem gehofft hatte. Auf Scharons wundersamen Wandel vom geschmähten, abgesetzten Verteidigungsminister zum geliebten Großvater der Nation liegt seit dem Vorwurf von Korruption ein Schatten. Was allerdings nicht bedeutet, dass sein Herausforderer Amram Mitzna davon profitieren würde. Denn auch dessen Arbeitspartei gilt nicht gerade als sauber.

Ein anderer israelischer Politiker kann sich dafür die Hände reiben: Tommy Lapid, der 71-jährige Chef der Schinui-Partei („Wechsel“), wird aller Voraussicht nach viele Abgeordnete in die Knesset schicken. Er könnte von der Unfähigkeit der beiden großen Parteien profitieren, von der wachsenden „Politikverdrossenheit“, wie man in Europa sagen würde. In Israel kann man sich allerdings den Luxus, bei der Wahl einfach zu Hause zu bleiben, noch viel weniger leisten. Wählen gehen, aber gegen die Großen votieren – diese Stimmung weiß der ehemalige Journalist Lapid, dessen scharfe Zunge noch allen aus der Fernsehshow Popolitika bekannt ist, meisterhaft für sich zu nutzen.

Lapid hat es gar nicht nötig, mit Antworten auf die großen Fragen Israels für sich zu werben. Er braucht nicht zu sagen, wie er den Konflikt mit den Palästinensern lösen würde. Geschickt geht er mit einem reinen Anti-Programm hausieren, das an die säkulare Mittelklasse europäischer Herkunft appelliert: gegen die Privilegien der Ultraorthodoxen, gegen Korruption, gegen zu hohe Steuern. Kurz: Lapids Schinui ist eine klassische Protestpartei. Seine Gegner werfen ihm deshalb einen gefährlichen Populismus vor, der mit der Angst vor der Zukunft, mit der Panik vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch spiele. Die Wahl, sagt der Psychoanalytiker Max Stein, biete nur schlechte Alternativen: „Entweder zu liberal oder zu hart.“ Die Gesellschaft stehe angesichts des gescheiterten Friedensprozesses unter Schock. Ein paar Jahre lang, so Stern, hätten die Israelis in einer euphorischen Utopie gelebt und erwartet, dass sich die Dinge ändern. „Jetzt sind wir wieder an den Anfang zurückgekehrt: ein Fremdkörper in der Region.“

Die Grenzpunkte zu Jordanien und Ägypten sind nur noch scheinbare Übergänge. Keiner nutzt sie mehr. Wer traut sich jetzt schon als Israeli in ein arabisches Land? Außer den Siedlern fährt kein Mensch mehr ins Westjordanland. Vorbei die Mittagessen mit der Familie in Bethlehemer Restaurants und die Besuche neuer Jazzbars in Ramallah. Das einzige offene Tor zum Rest der Welt ist der Tel Aviver Flughafen. Aber seit in Kenia ein Flugzeug mit Touristen nur knapp einem Raketenangriff entging, reisen die Israelis auch nicht mehr so gern.

„Es herrscht Ghettostimmung“

Zudem: Ausländische Besucher kommen aus Furcht vor Terroranschlägen nur noch selten ins Land. Es herrsche Ghettostimmung, sagen manche Einheimische. Und noch nie war der Graben zwischen dem, was die Israelis von sich denken, und dem, was man in Europa über sie denkt, so groß. Zwischen London, Paris, Rom und Berlin versteht man vor allem nicht, warum Ariel Scharon nach wie vor so viel Unterstützung genießt. Hat seine Politik der Härte, fragen die Europäer, die Lage nicht nur noch schlimmer gemacht? Geht es der israelischen Wirtschaft denn nicht schlechter denn je, jedenfalls so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr? Denken nicht viele junge Leute ans Auswandern, weil sie in Israel keine Zukunft für sich sehen?

Das Unverständnis der Europäer beruht auf einem Trugschluss. Sie meinen, die Israelis müssten Scharon wegen seiner robusten Politik satt haben – und übersehen, dass die Bevölkerung inzwischen mehrheitlich die Geduld mit den Palästinensern verloren hat. Ein Beispiel: Die Schriftstellerin Esther Orner erzählt, sie habe seit dem Ausbruch der Intifada im Herbst 2000 ein Tagebuch geführt und beobachten können, wie sich von Attentat zu Attentat ihre eigene Meinung geändert habe. Anfangs noch habe sie sich jedesmal notiert, wenn die israelische Armee ein arabisches Haus zerstörte, aber inzwischen sei sie selbst verhärtet und längst nicht mehr so „politisch korrekt“ wie früher. Als vor zehn Jahren das Osloer Abkommen unterschrieben wurde, gehörte Esther Orner zu jenen, die damit große Hoffnungen verbanden. Heute sagt sie: „Es war ein riesiger Fehler, Arafat hierher zu bringen und zu glauben, er würde mit uns gemeinsame Sache machen.“

Auch die Palästinenser haben sich getäuscht. Die Israelis, dachten viele zu Beginn der Intifada, würden als stark verwestlichte und verweichlichte Gesellschaft nicht viele Opfer hinnehmen können. Die Rechnung ging nicht auf. Die Israelis ließen sich nicht einschüchtern. Das Leben geht weiter – mit Hochzeitsfeiern, Restaurantbesuchen, Spaziergängen am Strand und Wochenendtrips nach Galiläa.

Außerdem: Gerade jetzt klammern sich die Wähler an den starken Mann Scharon. Dem Likud-Chef kommt zugute, dass viele Israelis seinem Rivalen von der Arbeitspartei, dem Bürgermeister von Haifa, Amram Mitzna, nicht zutrauen, das Land durch die schwere Krise zu führen. Diese Stimmung drückt sich eindrucksvoll in einem Leserbrief an die linksliberale Ha’aretz aus. Ein Israeli schreibt dort: Er wolle „lieber den Teufel, den man kennt, als den, den man nicht kennt“. Mitzna gilt vielen als ein Klon des früheren Premiers Ehud Barak, der kläglich mit seinen ehrgeizigen Friedensplänen gescheitert war.

Längst haben die beiden großen Parteien ihre Rollen getauscht. Der konservative Likud ist heute, was die Arbeitspartei in den fünfziger und sechziger Jahren war, eine breite Volksbewegung. Bloß: Die Mehrheit der Israelis stimmt dem Vorschlag Mitznas zu, Israelis und Palästinenser in zwei Staaten voneinander zu trennen. Der Ruf nach klaren Grenzen wird lauter.

Die Lage im Gaza-Streifen wirkt schon heute wie ein absurdes Theater. 20000 israelische Soldaten bewachen dort 6000 Siedler. Allein 1000 Soldaten sind in die Nähe von Nezarim abkommandiert – um 40 israelische Familien zu schützen. 17 Soldaten wurden dort in den vergangenen beiden Jahren getötet. Kaum jemand glaubt noch, dass es so weitergehen kann.

Auch wenn es sich nicht in ihrem Wahlverhalten widerspiegelt – zwei Drittel der Israelis sind dafür, die meisten Siedlungen zu räumen und den Palästinensern einen eigenen Staat zu gewähren. Nur wie, wenn Verhandlungen nicht weiterführen? Amram Mitzna meint, notfalls müsse sich Israel eben einseitig zurückziehen. Doch viele Menschen – selbst im linken Lager – fürchten, dies könne als ein Signal der Schwäche interpretiert werden und zu noch mehr Gewalt einladen.

Ein Zaun muss her

Bleibt also nur die physische Trennung von den Palästinensern? „Es ist tatsächlich keine schöne Idee, hinter einem riesigen Zaun zu leben, aber immer noch besser, als den demokratischen jüdischen Staat zu verlieren“, sagt der Sicherheitsexperte Jossi Alpher – und drückt damit aus, was immer mehr Israelis denken. Ohne eine Trennung von den Palästinensern würde Israel auf Dauer entweder zu einem Apartheidstaat oder seine jüdische Identität verlieren. Langfristig, so Alpher, würden die Bürger das einsehen, „wenn nicht jetzt, dann eben bei der nächsten Wahl“.

Der Politikberater Iftach Tregerman hat auf seinem silberfarbenen Fiat einen Aufkleber, der einen „Zaun für Israel“ fordert. Auch er glaubt, dass die Trennung früher oder später kommen wird. „Es gibt heute kein Kind auf der Straße, das noch glaubt, man könne die besetzten Gebiete dauerhaft halten und über ein anderes Volk herrschen.“ Tregerman nennt die Israelis ein Volk der Geigenspieler: „Sie denken links und wählen rechts. Eben wie Geigenspieler, die das Instrument in der linken Hand halten und mit der rechten darauf fiedeln.“

 

19279 Postings, 8905 Tage ruhrpottzockerLinks und Rechts gibt es bei uns nicht, und da

 
  
    #2
23.01.03 21:01
schon mal gar nicht !  

16074 Postings, 8203 Tage NassieWas schlägst du denn vor ?

 
  
    #3
23.01.03 21:09
Etwa eine Unterscheidung in fähig und unfähig ?
Fähige fallen mir aber nicht ein.  

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