Enron: Explosion der Erleuchtungs-Sekte
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Eröffnet am: | 08.12.01 10:40 | von: index | Anzahl Beiträge: | 1 |
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Von Felix Asch
Enron wurde zum erfolgreichsten Energieunternehmen der Welt, weil die Manager mehr von Deals und Derivaten verstanden als von Kraftwerken und Kohle. Dann hoben sie ab und produzierten die spektakulärste Bruchlandung des Jahres.
DPA
Schräg wie das Konzept: Das Enron-Firmenlogo
Man stelle sich eine Mischung aus Gasversorger und Investmentbank vor, mache sie im Internet erfolgreicher als Amazon und überheblicher als EM.TV je war. Dieses explosive Gemisch wachse zur siebtgrößten Firma der USA heran, womit es auf dem Platz steht, den in Deutschland die Telekom einnimmt. Dann lasse man es in die Luft beziehungsweise Pleite gehen. Schon hat man eine Vorstellung vom Konkurs von Enron, jenes texanischen Händlers von allem, was sich handeln lässt und selbst ernannten "führenden Unternehmens der Welt".
Enron war Lieblingsbeispiel von Analysten, Professoren und Beratern. Enron lehrte die Konkurrenz weltweit das Fürchten und hatte Kenneth Lay zum Boss, einen der wagemutigsten Unternehmer der USA und besten Geschäftskumpane von George W. Bush. Enron ist trotzdem Pleite und "Arroganz" ist das am häufigsten gehörte Wort, wenn nach Hintergründen für diesen unternehmerischen GAU gefragt wird.
Entstanden 1985 aus der Fusion zweier mittelmäßiger Gaspipeline-Betreiber wuchs Enron von fünf auf 140 Milliarden Dollar Umsatz. Das Geheimnis dieses Wachstums war die Übertragung der neuesten Techniken aus der Welt der Finanzjongleure auf den frisch deregulierten Energiemarkt. Strom- und Gasmengen sofort oder in Zukunft kaufen und verkaufen, Absicherung gegen Preisschwankungen und seit 1997 die selbst erfundenen "Wetterderivate" mit denen sich Stromversorger und sogar britische Pubs gegen schlechtes Wetter absichern konnten - Enron bot fast jeden komplizierten "Deal" an.
Theoretische Physiker wurden angeheuert, nicht weil sie die physikalischen Eigenschaften von Strom und Gas verstehen, sondern weil sie die Mathematik beherrschen, um jene finanziellen Konstrukte zu entwickeln. Die Umsätze von Enrons Internet-Handelsplattform, die über 1500 solcher Konstrukte und Produkte umfasste, setzte fast drei Milliarden Dollar pro Tag um. Zahlen, die jede andere Internet-Firma vor Neid erblassen lassen. Enron wurde zu einer selbst im Internet erfolgreichen Wall-Street-Firma, die zufällig in Texas lag und zufällig noch einige tausend Kilometer Gaspipeline besaß.
Vor diesem Hintergrund entstand eine Firmenkultur, die Beobachter an Erleuchtungs-Sekten erinnerte. Klassische Energieunternehmen, die Kraftwerke betreiben und Netze besitzen, wurden nur noch als hoffnungslos veraltete Dinosaurier angesehen. Kenneth Lay reagierte mit Erstaunen und Erbostheit auf Fragen, ob es denn irgendwelche kleinen Fehler inmitten der Erfolgsgeschichte gebe. Enron, so schien es, macht keine Fehler. Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, und Enrons Fallhöhe war groß.
Schwer zu sagen, womit der Absturz begann. Lag es daran, dass die Wurzeln im Energiegeschäft aufgegeben wurden? Wasser, Zellstoff, Übertragungskapazitäten in der Telekommunikation und schließlich reine Finanzprodukte - Enron handelte mit allem. Oder lag es daran, dass der finanzielle Trickreichtum nicht nur zur Entwicklung immer neuer Derivate genutzt wurde, sondern auch zur Konstruktion von Partnerschaften, Beteiligungen und Verflechtungen, die kein Außenstehender (und vielleicht auch kein Insider) mehr durchblickte? Die Energiekrise in Kalifornien, für die Enron mit verantwortlich gemacht wurde, trug ebenfalls ihren Teil bei.
Sicher ist, dass Enrons Entwicklung von der Gas- zur Finanzfirma auch die Basis des Geschäfts veränderte: Nicht mehr Pipelines oder Gasfelder, sondern das Vertrauen der Handelspartner wurde zur wichtigsten Geschäftsgrundlage. Dieses Vertrauen aber verflüchtigt sich noch schneller als Gas. Besonders wenn man weiß, dass der Partner jeden Trick beherrscht, den die an Tricks nicht arme Finanzwelt zu bieten hat. Das Bekanntwerden von in Partnerschaften versteckten Schulden, Bilanz-Korrekturen und Untersuchungen der Aufsichtsbehörden machten Enron als Handelspartner unmöglich und ließ jede Vertrauensbasis zusammenbrechen. Noch ist nicht absehbar, ob Enrons Ende noch weitere Firmen in die Krise reißen wird. Es wird Wochen oder Monate brauchen, bis alle Verflechtungen aufgedeckt sind, und manche Unternehmen wissen wohl noch gar nicht, wie sehr sie die Pleite der Texaner betrifft.
All dies bedeutet - selbst wenn es unglaublich klingt - nicht, dass Enrons Geschäftsmodell Unsinn war. Denn im noch immer hoch regulierten und von satten Ex-Monopolisten beherrschten Energiemarkt gibt es Chancen und Bedarf für Firmen, die wie Enron die Kräfte des Marktes mit allen Mitteln einsetzen. Wer es schafft, Enrons Geschäft zu betreiben, ohne die Bodenhaftung zu verlieren, der sollte sich aus der Konkursmasse der Texaner schon mal jenes erst kürzlich vom Eingangstor verschwundene Banner besorgen, auf dem "Das führende Unternehmen der Welt" stand.
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