Einfach Schrecklich!
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Eröffnet am: | 20.07.02 11:42 | von: nojoke | Anzahl Beiträge: | 2 |
Neuester Beitrag: | 20.07.02 12:29 | von: flexo | Leser gesamt: | 2.737 |
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Von Philipp Jaklin, Berlin
Das Gesundheitssystem ist seit Jahren eine Baustelle. Vorschläge stellen auch Ökonomen vor Glaubensfragen. Die FTD stellt auf dieser Seite die strittigsten Reformvorschläge der Parteien vor.
In der Gesundheitspolitik herrscht eigentlich nur in einem Punkt Einigkeit: Reformen müssen sein. Damit ist der Konsens aber auch schon erschöpft. Ärzte, Kassenfunktionäre, Verbandsvertreter, Politiker und Pharmalobbyisten - so dicht ist das Netz der Interessenvertreter, dass jeder noch so banale Vorschlag prompt Polemiken aus irgendeiner Ecke erntet.
Trotzdem hat es bereits zahlreiche Kostendämpfungs-, Reform-, Struktur- und Beitragsentlastungsgesetzen seit den 70er Jahren gegeben. Aber das Gesundheitssystem ist und bleibt eine Dauerbaustelle.
Das ist kaum jemandem vorzuwerfen. Einfache Mechanismen sind am Werk: Weil die Deutschen immer weniger Kinder zeugen, wird die Gesellschaft älter. Schätzungen zufolge ist 2040 jeder achte Deutsche über 80 Jahre alt. Zudem wächst alle zehn Jahre die Lebenserwartung statistisch um 16 bis 18 Monate. Ältere Menschen aber treiben die Kosten im Gesundheitssystem hoch.
Mehrkosten für medizinischen Fortschritt
Gleichzeitig werden mit dem Fortschritt von Medizin und Technik die Behandlungsmethoden ständig besser, aber auch teurer. Beispiel: Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich zwischen 1991 und 1998 die Zahl der teuren Bypass-Operationen pro 100.000 Einwohner in Deutschland mehr als verdoppelt. Die komplizierten Eingriffe sind dank der Entwicklung einfacher geworden.
Dennoch sind die Kosten für das Gesundheitssystem in den 90er Jahren nur um moderate 2,2 Prozent gestiegen. Der Preis dafür waren aber steigende Beiträge bei sinkenden Kassenleistungen. "Wenn nicht etwas Durchgreifendes passiert, ist die gesetzliche Krankenversicherung innerhalb weniger Jahren unfinanzierbar", sagt Fritz Beske, Direktor des Kieler Instituts für Gesundheits-System-Forschung.
Der Reform-Vorschläge sind so viele wie Experten. Die einen wollen das bestehende System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mehr oder weniger behutsam weiterentwickeln. Dazu gehört Beskes Spar-Modell: Mehr Zuzahlungen für Arzneien, geringere Mehrwertsteuer für Medikamente - und keine Quersubvention versicherungsfremder Leistungen wie Mutterschaftsgeld durch die GKV. "Selbst für solche Schritte fehlt den Parteien aber der Mut", beschwert sich Beske. Die anderen sind die Befürworter einer Radikalkur. Ihr Argument: Wie bei der Rente hat das Umlageverfahren der gesetzlichen Kassen keine Zukunft - also das Prinzip, wonach die Jungen für die Alten bezahlen und die Gesunden für die Kranken. "Dieses Verfahren bietet keine Antwort auf die demografische Entwicklung", sagt der Ökonom Klaus-Dirk Henke von der TU Berlin. "Wir brauchen eine ordnungspolitischen Neuordnung der Krankenversicherung."
Schrittweise würde nach Henkes Modell für die GKV das Prinzip der Kapitaldeckung eingeführt werden. Einen Unterschied zwischen privaten und gesetzlichen Kassen gäbe es nicht mehr. Jeder würde seinen Versicherungsbeitrag selbst bezahlen, der Arbeitgeberanteil würde ausgezahlt - wie es die FDP fordert. Der Staat soll einspringen, wenn die Beiträge für Einkommensschwache zu hoch werden.
"Das ist weit vom Status quo entfernt", sagt Henke. "Man müsste die Notwendigkeit größerer Mündigkeit bei der Bevölkerung erst mal thematisieren." Die Initialzündung erwartet der Wissenschaftler dabei keinesfalls von den Parteien. "Der Reformdruck wird eher vom europäischen Binnenmarkt ausgehen."
Selbst die FDP hat sich bislang nur in Teilen für eine Radikalkur erwärmen können, wie sie auch private Versicherungen und die Pharmaindustrie befürworten. Letztere hat gute Gründe, geht es doch auch darum, dass teure Arzneimittel ihren Markt finden.
Chronisch Kranke unterversorgt
Die Puristen unter den Reformern schließlich knüpfen vor allem bei der Frage an, was das deutsche Gesundheitssystem eigentlich leistet. Deutschland hat laut OECD weltweit nach den USA und der Schweiz zwar die dritthöchsten Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheit. Die Lebenserwartung ist jedoch trotzdem in Ländern wie Großbritannien oder Griechenland höher. Praxen und Kliniken hier zu Lande glänzen besonders mit Hightech-Ausstattung. Auch hoch qualifizierte Ärzte gibt es genug. Trotzdem hapert es bei der Behandlung von chronisch Kranken und bei der Gesundheitsvorsorge.
"Das System ist bis auf weiteres gut zu unterhalten", sagt der Wissenschaftler Rolf Rosenbrock vom Berliner Wissenschaftszentrum. "Die demografische Entwicklung bewirkt nur eine Kostensteigerung von einem Prozent im Jahr." Defizite sieht das Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung in erster Linie bei der Qualität der Versorgung und den Krankenkassen, die momentan die Jungen und Gesunden umwerben. "Der Staat muss mehr Anreize setzen, damit die Kassen um die beste Versorgung Kranker konkurrieren."
Der Blick in die Wahlprogramme der Bundestagsparteien zeigt es: Mindestens so zerstritten wie die Gesundheitsökonomen sind auch die Politiker. Denn in der Gesundheitspolitik geht es letztlich weniger um Gesundheit als um Glaubensfragen - mehr Staat oder weniger Staat, mehr Fürsorge oder mehr Eigenvorsorge. Und sicher ist bei all dem nur eines: die nächste Reform.
Oder: Wie hoch ist das Interesse der Beteiligten der GKV solche Fälle aufzudecken wenn diese Szenarien über JAHRE funktionieren?
www.ndrtv.de/panorama/20020718/arztbetrug.html