Ein Ritt auf dem Pulverfass


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31.03.03 11:51

Ein Ritt auf dem Pulverfass


Irak: Wie die Falken in den USA die arabische Welt demokratisieren wollen – Vorbild ist Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

VDI nachrichten, 28.3.2003
Wenn der Krieg gewonnen ist, fangen die Schwierigkeiten erst an. Darin zumindest sind sich in den USA Gegner und Freunde von Präsident Bush einig: Die Neuordnung des Mittleren Ostens wird ein Ritt auf dem Pulverfass. Doch während Kritiker eine Welle von Terrorismus befürchten, träumen regierungsnahe Denker von einem demokratischen Irak als Vorbild für die arabische Welt.


Den Irak zu demokratisieren, wird das großartigste Experiment seit dem zweiten Weltkrieg“, schwärmt Politikwissenschaftler Ken Pollack vom renommierten Brookings Institut. Der regierungsnahe Nahostexperte ist überzeugt, dass durch die Einmischung der USA die arabische Welt zu Demokratie, Frieden und Wohlstand kommen wird.
Sein Szenario: ähnlich wie in Japan und Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg, wird ein amerikanischer Militärgouverneur den Wiederaufbau des Landes lenken – mit Unterstützung von Einheimischen. „Wir suchen den Karzai oder den Adenauer für den Irak,“ so Pollack. Wer diese Rolle spielen soll, darüber halten sich die USA noch bedeckt. „Es gibt viele fähige Exil-Iraker, die den Job machen könnten, doch wir müssen erst einmal sehen, wer vom Volk überhaupt akzeptiert wird“, sagt Pollack.
Die Vision der US-Regierung greift weit: Vom Irak ausgehend, soll die arabische Welt von Marokko im Westen bis nach Pakistan im Osten ein politisches und wirtschaftliches System nach US-Vorbild übernehmen.
„Ich glaube fest daran, dass die Araber Demokraten werden können“, meint Pollack. Für den Anfang biete der Irak die besten Voraussetzungen, denn die Gesellschaft dort sei eine der Gebildetsten und Modernsten des mittleren Ostens. „Natürlich können wir den Irak nicht in Schweden verwandeln. Aber in fünf bis zehn Jahren könnte man eine Demokratie wie in der Türkei schaffen“, schätzt der Nahostexperte. Für ihn ist der Irak „Eckstein“ für Problemlösungen in der Region. „Als nächstes müssen wir den Israel-Palästina-Konflikt lösen“, so Pollacks Fahrplan, den auch die Falken in der US-Regierung unterstützen, „danach wenden wir uns Syrien, Iran, Saudi Arabien und Ägypten zu.“
Dass die Araber sich Demokratien nach westlichem Vorbild wünschen, sieht der Mann vom Brookings Institut als selbstverständlich an. Sein Beleg: ein UN-Bericht von 22 arabischen Wissenschaftlern, die die westliche Welt dazu auffordern, ihren Ländern beim Kampf gegen Korruption, wirtschaftliche Stagnation, schlechte Bildung und ungerechte Justiz zu helfen. „Das zeigt, dass wir im Irak nicht gegen die Menschen agieren, sondern auf Unterstützer im Land hoffen können“, glaubt Pollack.
Allerdings dürfen die USA nicht den Fehler von Afghanistan wiederholen und sich nach dem militärischen Sieg gleich zurückziehen. „Wenn wir das tun, senden wir die Botschaft aus, dass wir nur an der Zerstörung islamischer Gesellschaften interessiert sind, und dann werden wir Hass ernten,“ befürchtet der Politikwissenschaftler. „Die Erfahrungen in Deutschland und Japan nach dem Krieg haben gezeigt, dass wir die Zügel einige Jahre in der Hand behalten müssen“. Für die Transformation des mittleren Ostens seien aber mindestens 20 Jahre nötig, so Pollack. Und so lange sei auch die Präsenz von westlichen Alliierten erforderlich.
Skeptiker befürchten, dass genau das zur Katastrophe in der Region führen wird. „Eine amerikanische Militärregierung im Irak ist doch die beste Methode, Terroristen zu rekrutieren“, kritisiert der kalifornische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson. „So beschwören die USA genau das herauf, was sie so sehr fürchten.“
 Johnson, der zu den profilierten Kritikern des amerikanischen Imperialismus zählt, zweifelt ohnehin daran, dass Bush mit diesem Krieg die Welt verbessern will. „Die Demokratisierung des Mittleren Ostens ist sicher das unglaubwürdigste Ziel, das die Regierung genannt hat“, so Johnson. „Wenn sie das wirklich interessieren würde, hätte sie doch schon vor langer Zeit in Saudi Arabien, Kuwait, Katar oder den Vereinten Arabischen Emiraten angefangen, wo sie bereits gute Beziehungen zu den Herrschern hat.“ In Wirklichkeit, so Johnson, planen die USA ein globales Imperium von US-Militärbasen. „Damit lädt Bush die gesamte Welt geradezu ein, sich gegen die USA zu verbünden.“
Johnson befürchtet nach dem Krieg eine Militarisierung der Welt. „Eigentlich müsste man Brasilien jetzt dazu raten, so schnell wie möglich Nuklearwaffen zu entwickeln“, meint Johnson sarkastisch, „denn das Beispiel Nordkorea signalisiert: nur wenn Du Atombomben hast, bist Du vor den Amerikanern sicher.“
Für den mittleren Osten sieht er, anders als sein regierungsnaher Kollege Pollack, keine rosige Zukunft. Johnson befürchtet, dass der Hass gegen die Amerikaner den religiösen Fundamentalismus stärkt, und so die arabische Region destabilisiert.
In einem Punkt aber sind beide sich einig: Nach dem Irak wird Bush sich um die anderen arabischen Länder „kümmern“. Nur dass Pollack meint, „Europa sollte froh sein, dass die USA jetzt aufgewacht sind, und ihre Macht nutzen, um solche Probleme zu lösen.“ Dazu schüttelt Johnson den Kopf. Er glaubt, die Machtdemonstration im Mittleren Osten läutet Amerikas Untergang ein. „Die USA haben den napoleonischen Tiger bestiegen und wissen nicht, wie sie ihn reiten sollen, geschweige denn, wie sie da wieder runter kommen.“  STEFANIE WÄTJEN

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