Der groesstmoegliche Zynismus


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 10.03.03 19:42
Eröffnet am:09.03.03 18:50von: calexaAnzahl Beiträge:9
Neuester Beitrag:10.03.03 19:42von: calexaLeser gesamt:910
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

4691 Postings, 8264 Tage calexaDer groesstmoegliche Zynismus

 
  
    #1
09.03.03 18:50
Das Bild unserer Welt ist derzeit nicht unbedingt rosig.
Doch oft schmerzen die Kinnhaken und Tiefschlaege, die man
im kleinen Kreis erhaelt, noch viel mehr als die Unbilden
der Weltpolitik oder der Weltboersen. Wenn man merkt, dass
die Menschen, mit denen man taeglich zusammenarbeitet,
zwar pazifistisch reden, man jedoch voellig sicher ist,
dass diese sich jederzeit als Lageraufseher verdingen
lassen wuerden ...

Heute moechte ich nicht ueber Bush oder Saddam Hussein
schreiben, sondern ueber das beinahe unglaubliche Spiel,
das die deutschen Buchverlage mit den Aktien-Anlegern
getrieben haben. Da gibt es zum Beispiel den Goldmann Verlag,
der zum Random-House Imperium, sprich Bertelsmann gehoert,
und einen Autor wie Bernd W. Kloeckner gepuscht hat.
Herausgegeben wurden dabei so schoene Titel wie
"Systematisch reich!", "Reich ohne Risiko" und selbst
im katastrophalen Jahr 2002 noch "Mit Taschengeld zum Millionaer
- Das Lehrbuch zum Reichwerden".

An den selben Verlag habe ich mich unter anderen gerade mit
einem Buchprojekt "Finanzielles Ueberleben in Krisenzeiten"
gewandt - und moechte kurz aus dem Ablehnungsschreiben zitieren:
Einmal sei Goldmann nicht der Verlag fuer diese Art Buch,
schreibt man, und ausserdem seien die Leser heute so "...
skeptisch und eher geneigt, ein Buch zu kaufen, das erzaehlt,
wie man ohne Geld ueberlebt, als das von Ihnen vorgeschlagene."

Hat man schon einmal einen groesseren Zynismus erlebt als
diesen? Da leistet man zuerst Beihilfe zur systematischen
Vernichtung von dringend notwendigen Ersparnissen der
breiten Massen – und faselt dann etwas vom Ueberleben ohne
Geld. Koennen diese Menschen ueberhaupt ermessen, was in
den Familien, deren Ruecklagen fuer das Alter jetzt
aufgezehrt sind, vorgeht? Das erinnert alles sehr an
den Ausspruch der franzoesischen Koenigsgattin in den
Wirren der Revolution von 1789: "Wenn die Leute kein Brot
haben, dann sollen sie doch Kuchen essen."

Es ist einfach widerlich – und hat leider sogar Methode.
Ich glaube, dies sehr gut beurteilen zu koennen, kann an
dieser Stelle jedoch nicht Ross und Reiter nennen.
Nur so viel: Nahezu alle warnenden Buecher und Buecher,
die in Zeiten der Aktieneuphorie Alternativen aufgezeigt
haben, sind von den Lektoraten der Verlage systematisch
behindert worden. Und wenn dann doch einmal etwas
durchgedrungen ist, dann waren es Lizenzen aus den USA.
Denn wie heisst es doch so schoen: Alles, was aus den
USA kommt, ist verwerflich. Es sei denn, man kann es
essen, trinken, in Buechern drucken, auf Platten pressen
oder als Film ansehen.

Es ist natuerlich klar, dass kommerzielle Verlage keine
moralische Instanz sind. Dennoch denke ich, dass jeder
vernuenftige Mensch heute fragen muss: Wo bleibt die
oeffentliche Entschuldigung des Goldmann Verlages fuer
Bernd W. Kloeckner? Wo bleibt die oeffentliche Entschuldigung
des Campus Verlages fuer Bodo Schaefer? Und wo bleibt
die oeffentliche Entschuldigung des Econ Verlages
fuer Markus Frick?

Leider haben wir es in den heimischen Buchverlagen mit
einer voelligen Inkompetenz in der Beurteilung
wirtschaftlicher Sachfragen zu tun, was bedeutet,
dass hier letztlich das Gleiche passiert wie in der
Musik: Jeder, der sich dem Mainstream widersetzt,
ist auf die Independent-Schiene verwiesen. Was jedoch
zur Konsequenz hat, dass von der breiten Masse nur
das wahrgenommen wird, was den grossen Konzernen auch
angenehm ist. In der Musik ist das aergerlich, aber nicht
schlimm. Denn selbst von Dieter Bohlens Musik wird
niemand krank. In Hinsicht auf die Literatur von der
Wirtschaft und der Boerse kann es jedoch durchaus den
finanziellen Tod bedeuten, sich dem Mainstream anzuvertrauen.

Als kritischer Autor bleibt man meistens dazu verdammt,
den Kopf zu schuetteln und sich zu trollen. Da kauft
doch tatsaechlich der Piper Verlag Ende letzten Jahres die Taschenbuchlizenz meines Buches "Keine Angst vorm naechsten
Crash" aus dem Jahr 1998. Die muessen verrueckt sein,
denke ich sofort und irre mich sicherlich nicht. Warum
hat man nicht vielmehr nach etwas Aktuellem angefragt?
Ein klein wenig habe ich natuerlich auch ein schlechtes
Gewissen, obwohl dieses Buch durchaus kritisch ist, ich
jedoch diesen Titel akzeptieren musste, um ueberhaupt
einmal bei einem grossen Verlag landen zu koennen.

Auf jeden Fall setze ich mich sofort hin, leiste in einem
neuen Vorwort Abbitte, und schreibe einige Kapitel voellig
neu. Und bringe damit sogar ein paar subversive Dinge
unter, auf die ich durchaus stolz bin, und die kein Lektorat
eines grossen Verlages ansonsten geschluckt haette.
Und dennoch bleibt das grosse Kopfschuetteln. Als Konsequenz
werde ich hoechstwahrscheinlich demnaechst in einem
kleinen Verlag eine eigene Wirtschaftsedition beginnen
koennen. Ich werde darueber informieren und hoffe sehr,
liebe Leser, Sie halten mir auch dabei weiterhin die Treue.
Denn gerade an der Boerse muss man zwar wissen, was die
Mehrheit denkt, handeln muss man jedoch genau
entgegengesetzt dazu.
(Quelle: doersam-briefe)

So long,
Calexa
www.investorweb.de  

42128 Postings, 9052 Tage satyrIch sag dir warum das so ist

 
  
    #2
09.03.03 20:03
weil die Menschen daran glauben wollen,ohne Risiko und Arbeit reich zu werden.
Denn die andere Literatur ist da seriöse Börsenbücher,es gibt das Internet Zeitungen und
Zeitschriften,nur niemand will das wissen.
Aber auf Schreihälse wie Förtsch und Frick wird gehört.
Ich habe mal in einem Buch gelesen,daß in den Anfängen der Börse, eine Zeit gab als die blödsinnigsten Ideen an die Börse gebracht wurden.Unter anderem die Herstellung eines
Perpedes Mobile.Aber einen richtigen Hype löste ein Mann aus,der behauptete er hätte
so eine glänzende Idee,er könne es niemand sagen.
Man weiß bis heute nicht was seine Idee war,er verschwand mit den Geldern der Investoren.Das war wohl die Idee.
Also das ist nicht neu was passiert.  

Clubmitglied, 50084 Postings, 8637 Tage vega2000Das Endergebnis ist

 
  
    #3
09.03.03 22:14
wir wissen erstaunlich wenig, & doch ist es erstaunlich, daß wir überhaupt so viel wissen, & noch erstaunlicher, daß so wenig Wissen uns so viel Macht geben kann

ariva.de  

42128 Postings, 9052 Tage satyrLol. o. T.

 
  
    #4
09.03.03 22:18

4691 Postings, 8264 Tage calexaJa

 
  
    #5
10.03.03 18:15
es ist erschreckend. Und ich denke auch mal, jeder von uns hat so eine Person (oder sogar mehrere) in seinem Bekanntenkreis.

So long,
Calexa
www.investorweb.de  

5937 Postings, 8012 Tage BRAD PITWenn ich allen erzähl: "Um die Ecke gibt es 100,-€

 
  
    #6
10.03.03 18:22
Scheine für 50,- €.." und keiner fragt mich wieso ich mein Wissen so einfach weitergebe und ob ich denn selbst davon reich geworden sei, dann ist es doch auch komisch. Oder?  

254 Postings, 8788 Tage dameloDa fällt mir doch was ein:

 
  
    #7
10.03.03 18:52
Was wurde eigentlich aus dem vielgepriesenen Buch unseres Siegers?

Der wollte doch auch so ein Werk wie "1000 Tips zur Daytrader-Onanie" oder so ähnlich rausbringen.

Vermutlich arbeitet der Verlag noch immer an den Seiten 3 bis 500: Siegers tägliche ID und die 1000 besten Gründe ihn zu sperren!

Gruß


damelo  

4420 Postings, 8568 Tage Spitfire33@calexa

 
  
    #8
10.03.03 18:54
Du bist doch nicht wirklich so naiv wie Du Dich hier darzustellen versuchst ?
Eine größere Lektion, wie das Spiel der Spiele läuft.

http://www.ariva.de/board/155320/thread.m?a=

Noch Fragen ?

   

4691 Postings, 8264 Tage calexaStelle ich mich als naiv dar?

 
  
    #9
10.03.03 19:42
Weil ich der Meinung bin, daß es erschreckend ist, wenn solche Bücher gekauft werden? ODer weil ich meine, man sollte Aktien kaufen und dann Geduld haben? Letzteres ist wie mir scheint gerade am verschwinden....

So long,
Calexa
www.investorweb.de  

   Antwort einfügen - nach oben