Der Kaiser von Europa - heute: Daniel über Joseph


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Neuester Beitrag: 13.06.03 12:38
Eröffnet am:09.06.03 10:51von: anarch.Anzahl Beiträge:2
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09.06.03 10:51

"Joschka ist der einzige Popstar"

In Berlin droht die große Koalition, in NRW kracht es bei Rot-Grün, Joschka Fischer geht nach Brüssel. Auch Daniel Cohn-Bendit macht sich Sorgen, denn die Zukunft der Grünen ist düster



WELT am SONNTAG: Herr Cohn-Bendit, wann haben Sie zuletzt ein Bier mit Joschka Fischer getrunken?


Cohn-Bendit: Vor einigen Monaten hier in Brüssel. Wir telefonieren mehr als regelmäßig. Es muss sich niemand sorgen, dass eine so hart und zart gesottene Männerfreundschaft in die Brüche gehen könnte.


WamS: Verläuft so ein Gespräch heute anders als damals in Ihrer gemeinsamen Frankfurter Wohngemeinschaft?


Cohn-Bendit: Er hat sich verändert, ich habe mich verändert. Aber unser Verhältnis zueinander hat sich nicht verändert.


WamS: Was unterscheidet Sie beide?


Cohn-Bendit: Joschka hat ein Gespür für Politik, aber auch für Machtpolitik. Man kann es so formulieren: Ich bin ein softer Realpolitiker, er ein realer Machtpolitiker.


WamS: Was hat der Machtpolitiker Fischer bei den Grünen bewirkt?


Cohn-Bendit: Joschka hat die Grünen entscheidend geprägt. Er hat ein großes Gespür dafür, wann man was bei den Grünen durchsetzen kann. Man kann eine Partei beeinflussen, wenn man das Gefühl für ihre inneren Schwingungen hat. Das bedeutet nicht, dass Joschka der Partei nachläuft. Man muss herausfinden, wann die Partei veränderungsfähig ist.


WamS: Wer nach prägenden Grünen sucht, findet neben Joschka Fischer, Petra Kelly oder Jutta Ditfurth auch Sie ...


Cohn-Bendit: ... nein, nein, nein! Ich würde nie behaupten, dass ich prägend war. Ich habe in bestimmten Auseinandersetzungen den Willen gehabt, meine Grundüberzeugungen bei den Grünen durchzusetzen. Etwa das Bekenntnis zu Europa - diese radikal pro-europäische Position war vor der deutschen Vereinigung bei den Grünen eine Minderheitsposition. Oder die Überzeugung, dass man in Bosnien militärisch intervenieren muss. Aber mein Wirken lässt sich nicht mit dem von Joschka Fischer vergleichen.


WamS: Womit wir wieder bei seiner Popularität wären ...


Cohn-Bendit: ... Joschka ist ja ein Phänomen. Also manchmal muss ich echt lachen. Dann kneif ich mich und denke, das kann doch nicht wahr sein. Der geht zum Papst, runzelt die Stirn, also noch eine Falte mehr, und sagt: "Der Heilige Vater und ich sind um den Weltfrieden besorgt." Und alle sagen: Das isses! Und ich lieg unterm Tisch und kann nicht mehr, weil ich dann immer daran denken muss, wie wir vor 30 Jahren in unserer Küche zusammensaßen.


WamS: Die Grünen haben sich - bis auf wenige Ausnahmen - den großen Volksparteien inhaltlich angenähert ...


Cohn-Bendit: ... nein! Die grüne Partei ist total anders. Sie ist auch total anders als die Partei, als die sie gestartet ist. Das leugne ich gar nicht. Aber die Grünen haben die Krise der Regierungsbeteiligung intelligent überwunden. Sie sind dabei eine neue Partei geworden, aber ohne eine traditionelle Partei zu sein. Und sie haben neue Persönlichkeiten hochkommen lassen, obwohl sie mit Joschka einen mächtigen Übervater haben.

WamS: Wen meinen Sie?


Cohn-Bendit: Katrin Göring-Eckardt, eine der beiden Fraktionsvorsitzenden. Sie ist der Shootingstar der Politik. Sie wird eine ganz große Rolle in der deutschen Politik spielen. Da kommt eine neue Generation zum Zug.


WamS: Auch Jürgen Trittin macht sich Hoffnungen, neuer Star der Partei zu werden.


Cohn-Bendit: Sein Charakter steht dem entgegen. Es ist nicht Mick Jagger, wer will. Das wäre zu einfach.


WamS: Geht Joschka Fischer 2004 nach Brüssel?


Cohn-Bendit: Ja, wenn die Bedingungen da sind. Ich wette mit jedem darum. Ich habe auch gewettet, dass die Grünen bei der Bundestagswahl über acht Prozent der Stimmen holen würden. Es war nicht sicher, trotzdem ist es so gekommen.


WamS: Wer füllt dann das entstehende Persönlichkeits-Vakuum?


Cohn-Bendit: Das wird nicht einfach. Die Grünen sollten auf das Amt des Außenministers verzichten. Wer immer es ausüben wollte, würde immer an Joschka Fischer gemessen. Diese Herausforderung ist zu groß. Damit sollen sich die Sozialdemokraten abrackern. Die Grünen sollten sich ein anderes Ressort suchen, das dann den Vize-Kanzler stellt. Die Partei kann diese Übergangsphase nur dann meistern, wenn eine Gruppe erstmal unterschiedliche Funktionen wahrnimmt und diesen Übergang in der Öffentlichkeit lenkt.


WamS: Wäre das nicht wieder ein Schritt zurück?


Cohn-Bendit: Ganz und gar nicht. Schauen Sie: Die französische Fußballnationalmannschaft hat Zidane als Spielmacher. Wenn der verletzt ist, ist es Unsinn, Micou - den wir von Werder Bremen kennen - zu befehlen: Jetzt spiel Zidane. Das war der Fehler der Franzosen, denn das kann der nicht. Und so ist es unsinnig, zu sagen, Fritz Kuhn oder Renate Künast sollen Joschka spielen. Das wäre für sie ungerecht und politisch fatal. Es gibt keinen Popstar bei den Grünen - außer Joschka.


WamS: Die Grünen machen schon Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Finanz- und Bildungspolitik. Wo kann jetzt noch der ganz große Drive herkommen?


Cohn-Bendit: Wir müssen Konzepte zu einer gerechten Regulierung der Globalisierung entwickeln. Und wir müssen klar machen, dass diese Konzepte zusammen mit der Klima- und Energiepolitik - und nicht nur Sicherheitspolitik - die neuen Inhalte der Außenpolitik sind. Das sind Dinge, die konzeptuell noch nicht ausgereift sind. Da haben die Grünen noch eine schwierige Arbeit vor sich.


WamS: Weil sie die Attac-Bewegung nicht ernst genommen haben?


Cohn-Bendit: Ja, zum Teil, aber auch weil die Bedingungen solcher Politik noch nicht einmal im nationalen Rahmen gegeben sind. Das Dilemma nationalstaatlicher Politik sehen wir ja am Thema soziale Sicherheit. Die deutsche Gesellschaft hat ihre einstige Stärke, nämlich in einem bestimmten Moment zu einem Konsens zu kommen, verloren. Daher kommen schließlich die Träume von einer großen Koalition.

WamS: Von der Sie natürlich nichts halten


Cohn-Bendit: die würde allerdings wirken wie eine Tonne Beton, die man auf die Gesellschaft legt. Darunter kann sich keiner mehr bewegen. Gemessen an diesen nationalen Problemen sind im Weltmaßstab die Kräfteverhältnisse zwischen den Interessen der entwickelten Länder und denen der armen Länder noch komplizierter. Da greifen auch die Vorstellungen von Attac noch ins Leere. Die schlüssigen Antworten hierauf haben wir alle noch nicht gefunden.


WamS: Kann man diese Antworten mit einer linken Politik finden?


Cohn-Bendit: Ich glaube, dass wir Links neu definieren müssen. Die Grünen sind manchmal links von der SPD und manchmal in der Mitte der Gesellschaft. Die traditionelle linke Stamokap-Politik der Umverteilung funktioniert im nationalen Maßstab nicht mehr. Deshalb sage ich: staatliche Interventionspolitik à la Keynes nach Brüssel! Infrastrukturmaßnahmen müssen heute im europäischen Maßstab gelöst werden. Warum machen wir nicht eine Anleihe bei der europäischen Investitionsbank und bezahlen damit Investitionsmaßnahmen?


WamS: Was würden Sie damit bauen?


Cohn-Bendit: Nehmen wir ein Beispiel, das den Grünen nicht gefällt: den Transrapid. Diese Technologie auf eine Nahverkehrsbimmelbahn zu reduzieren ist doch absurd. Wir müssen damit etwas Größeres planen. Eine Strecke Paris-Berlin-Warschau-Moskau. Möglich wäre auch ein Energieeinsparungsprogramm in den europäischen Städten, finanziert durch ein Investitionsprogramm der EU. Weil die Kredite der europäischen Investitionsbank durch den Euro gesichert werden, müssten wir ihn als Leitwährung durchsetzen.


WamS: Wie wollen Sie das machen?


Cohn-Bendit: Indem die Europäer endlich mal mit den Russen, mit den arabischen Staaten verhandeln, dass wir unsere Energiebedürfnisse in Euro bezahlen und nicht in Dollar.


WamS: Klingt da ein gemeinsam mit Joschka Fischer in Brüssel anzustrebendes Ziel an?


Cohn-Bendit:


Sie haben's erfasst. Wir wollen den nächsten europäischen Wahlkampf als europäische Grünen-Partei führen, mit einem gemeinsamen Spitzenteam. Joschka Fischer ist dabei das Symbol für die Fähigkeit der Grünen, europäische Politik zu machen. Und so wird er diese Politik im Wahlkampf begleiten. Joschka wird nicht der Übervater der europäischen Grünen sein, aber das Symbol grüner europäischer Politikfähigkeit.



Das Gespräch führte Günther Lachmann


WamS - Artikel erschienen am 8. Jun 2003




har haR hAR HAR HAr Har har - einfach köstlich die beiden Blumies.
 

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13.06.03 12:38

EU-VERFASSUNG

Fischers Kampf um seinen Posten in spe

Von Sylvia Schreiber, Brüssel

Das Endspiel hat begonnen: Der Brüsseler Konvent stimmt heute über seine Blaupause für die neue EU-Verfassung ab, übernächsten Freitag will er sie den Regierungschefs vorlegen. Die Macht des neuen EU-Außenministers wurde gestutzt, auf Joschka Fischers Stirn türmen sich Sorgenfalten.

 
Brüssel - Hoch droben auf dem Präsidium thronte der majestätisch wirkende Vorsitzende Giscard d'Estaing und sprach zu seinen Mitgliedern des Verfassungskonvents, umrahmt vom Sternenkranz Europas. Drunten im Saal wuselte ein grauhaariger Mittfünfziger durch die Ränge, hielt mal hier, mal dort, tuschelte im konspirativen Zwiegespräch: Es war der deutsche Außenminister Joschka Fischer.

Erst winkte er den früheren italienischen Ministerpräsidenten Giulio Amato vom Präsidiumstisch zu sich herab, dann flitzte Fischer zum CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok, kurz darauf steckte er in einer anderen Ecke mit Klaus Hänsch von den deutschen Sozialdemokraten den Kopf zusammen. "Fischer ackert wie noch nie", sagt einer seiner Berater. Er kämpfte um seinen möglichen zukünftigen Job und dessen Geschäftsgrundlage.


Kaum verhülltes Interesse Fischers

Bis zum letzten Halbsatz feilte der amtierende Bundesaußenminister und deutsche Regierungsvertreter im Konvent am entscheidenden Artikel III-196. Dort sind die Machtbefugnisse des neu zu schaffenden EU-Außenministers festgelegt. Das Amt könnte dem Deutschen gefallen; fast unverhohlen zeigt er mittlerweile sein Interesse.

Ob er es nach der Verabschiedung des Verfassungstextes immer noch tun wird, steht dahin: Für die gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union soll weiterhin der einstimmige Beschluss aller Mitgliedsstaaten nötig sein. Im Klartext: Dem EU-Außenminister sind die Flügel gestutzt. Denn durch ein simples Veto kann ein einziger Mitgliedsstaat weiterhin blockieren. Bei demnächst 25 Mitgliedern in der erweiterten EU eine Horrorvision.

Die zu verhindern, bemüht sich Fischer nach Kräften: "Ich will nicht, dass ein Ländchen wie Malta oder Lettland künftig den Betrieb aufhalten kann." Deshalb ackert der mögliche Kandidat mit Gleichgesinnten für Ausnahmeregeln vom Blockadeprinzip. "Fischer versucht hier zu retten, was zu retten ist", fasst ein Regierungsvertreter aus Wien die Flexibilisierungsmühen des Deutschen zusammen.

Eine Einstiegsformel für den Übergang zu den fixen Mehrheitsentscheidungen steht jetzt schon immerhin im Entwurf: Die Runde der Regierungschefs, der Europäische Rat, welcher das Leitorgan in Europa sein wird, kann einstimmig beschließen, dass die Außenminister in ihrem Außenrat fallweise nach dem Majoritätsprinzip verfahren dürfen, immerhin.


Briten wollen Veto-Recht unbedingt behalten

Doch die euroskeptischen Briten pochen weiterhin auf das Veto als Grundsatzspielregel. Auf ihre eigenständige nationale Außenpolitik wollen sie keinesfalls verzichten, sei dies doch das Herzstück einer jeden Nation, betonte der Londoner Regierungsvertreter im Konvent, Peter Hain, schon mehrfach in Meinungsbeiträgen in der britischen Presse. Am liebsten würden die Insulaner sehen, wenn sich der Titel EU-Außenminister vermeiden ließe. Viel lieber hätten sie nur einen "Außen-Sekretär", den Grüßgott-August zum Herumschicken.

Doch dazu fehlte den Eigenwilligen von der Insel nach den letzten Textentwürfen die Durchsetzungskraft. Gut möglich, dass sie aber in der vom Oktober an tagenden Regierungskonferenz noch einmal darauf zurückkommen. Diese Versammlung der Staatschefs Europas wird das letzte Wort über die EU-Verfassung haben. Der Konvent liefere dafür nur eine "ganz passable Verhandlungsgrundlage", meinte Peter Hain. Buhrufe erhoben sich im Konventsaal zu Brüssel, als er dies sagte.


EU-Außenpolitik auf drei Posten verteilt

Auch an anderen Stellen des Blaupausentextes wird sichtbar, dass der neue Außenjob an Attraktivität verliert, bevor es ihn gibt. Zwei weitere EU-Organe sollen nämlich ebenfalls für Auswärtiges zuständig sein: der neue, auf zweieinhalb Jahre bestimmte Ratspräsident und der Kommissionspräsident. Ersterer soll das Gesicht der Union in der Welt darstellen und deshalb "auf seiner Ebene" ebenfalls "die Außenvertretung der Union" übernehmen. Seine "Ebene" sind die Regierungschefs, die Großen der Welt. Dem EU-Außenminister bleibt die zweite Reihe.

Zwar soll der Außenminister gleichzeitig Vizepräsident der Europäischen Kommission sein und über einen diplomatischen Dienst verfügen. Doch dem Kommissionspräsidenten sind ebenfalls einige Außenfunktionen zugedacht. Er soll Europa im Handelsbereich und bei institutionellen Verträgen repräsentieren.

"Das wird halt ein Solana plus", lästert eine Beobachterin der Europäischen Liberalenfraktion und spricht damit die Rumpffunktion an, die bisher der Hohe Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, nur bekleiden konnte. "Ob das für euren Fischer noch attraktiv sein wird?"

Die Frage macht Sinn. Schon in der Vergangenheit gab es an Peinlichkeit kaum zu überbietende Szenen. Als kurz nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 in den USA zuerst der Brite Tony Blair und dann der Franzose Jacques Chirac ins Weiße Haus gereist waren, fühlten sich auch die Vertreter der übrigen EU aufgerufen, Amerika die Solidarität zu bekunden und Hilfe zu offerieren.


Delegation mit drei Unbekannten

Im Dreierpack flogen sie los, der damalige EU-Ratspräsident und belgische Premierminister Guy Verhofstadt, EU-Chefdiplomat Javier Solana sowie Kommissionspräsident Romano Prodi. Pech nur, dass diese Europäer im Weißen Haus kaum einer kannte. Lange standen sie herum auf den Fluren. "Wer zum Teufel ist dieser Mister Verhofstadt?", soll Präsident George W. Bush gefragt haben, so die Überlieferung.

Will man sich lustig machen über die EU, so wird diese Anekdote unter Brüsseler Experten immer wieder kolportiert. Sie könnte sich auch nach der neuen Verfassung in ähnlicher Form wiederholen. Bei Fragen von Krieg und Frieden behalten die Franzosen und die Briten ohnehin ihren Sitz im Uno-Sicherheitsrat. Warum sollten sie also Rechte an die EU abtreten?

Zudem tritt die komplizierte EU-Verfassung, die von Insidern für Insider geschrieben wurde, voraussichtlich erst 2007 in Kraft. Ob dann der Deutsche noch zur Verfügung stehen will? "Ich kann mit dem Entwurf gut leben", hat Fischer neulich zu Beratern gesagt, "man muss nur dranbleiben und weiterarbeiten."

Spiegel online, 13.06.2003  

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