Deutsche Börse: Schöne Bescherung (EuramS) 17.12.2006 10:54:00 Am Dienstag sollen die Aktionäre der Euronext die Übernahme durch die New Yorker Börse durchwinken. Bleibt die Deutsche Börse im internationalen Geschäft auf der Strecke? von Hans Sedlmaier
Ein schöneres Geschenk hätten die europäischen Regulierungsbehörden Jean-François Théodore gar nicht machen können. Pünktlich zu seinem 60. Geburtstag erhielt der Chef der Mehrländerbörse Euronext am 5. Dezember einen Brief, in dem ihm die Regulierer den Zusammenschluss mit der New Yorker Börse NYSE unter einigen kleineren Auflagen genehmigten. Théodore konnte Merci sagen und feiern. Am Dienstag sollen nun noch die Aktionäre der Euronext den Deal durchwinken.
Tun sie das, dann kann auch NYSE-Chef John Thain die Sektkorken knallen lassen – der Amerikaner kämpft mit sinkenden Umsätzen auf dem Heimatmarkt und braucht das Wachstum in Europa dringend. Thain macht richtig Tempo: Bis Ende März soll die Übernahme abgeschlossen werden.
Während die Deutsche Börse, die ebenfalls für Euronext geboten, aber eine herbe Abfuhr erhalten hatte, derzeit mit neuen Angeboten mühsam versucht, sich aus der Erstarrung zu lösen, bahnt sich jenseits des Ärmelkanals eine zweite transatlantische Superbörse an: Die amerikanische Nasdaq, die bereits 28,5 Prozent an der Londoner Börse LSE gekauft hat, machte deren Aktionären vor wenigen Tagen ein feindliches Übernahmeangebot. Diese haben bis zum 11.
Januar Zeit, sich zu entscheiden. Nasdaq-Chef Robert Greifeld reichen knapp 22 Prozent Akzeptanz für eine Stimmmehrheit von 50,01Prozent. Ganz wohl dürfte Deutsche-Börse-Chef Reto Francioni angesichts der neuen Börsenriesen auf dem Alten Kontintent also nicht mehr sein. Das Image der Deutschen Börse ist offenkundig schwer angekratzt. Seit vielen Jahren erleidet sie bei ihren Übernahmeversuchen eine Schlappe nach der anderen.
Der frühere Deutsche-Börse-Chef Werner Seifert scheiterte zweimal spektakulär an der Übernahme der LSE. Francioni trat unrühmlich in seine Fußstapfen: Er versemmelte nicht nur den Euronext-Deal, sondern auch die Fusion mit der Mailänder Borsa Italia.
Experten sehen die Zukunft der Deutschen Börse aber gar nicht so düster. Professor Wolfgang Gerke, Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums, ist "gar nicht so unglücklich, dass die Übernahmen unter den jeweiligen Konditionen nicht geklappt haben". Tatsächlich wäre unter Seifert seinerzeit nur der Neue Markt in Deutschland geblieben, das große Geschäft aber zur LSE an die Themse gewandert. Und Francioni hätte für Euronext den Xetrahandel geopfert sowie den Firmensitz nach Amsterdam verlegt. Nun müsse man eben "mit dem Riesennachteil leben, sich zweimal erfolglos angebiedert zu haben, und versuchen, das Beste daraus zu machen", meint Gerke. Auch Matthias Engelmayer von Independent Research sieht Francioni zwar "kläglich gescheitert", die Deutsche Börse aber "trotzdem so gut aufgestellt, dass sie allein weitermachen kann". Die Struktur der Börse, beinhalte – im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten – Kassahandel, Terminbörse sowie die Abwicklung und Abrechnung (Clearing and Settlement).
Das ermögliche "eine große Wertschöpfungstiefe", lobt Engelmayer. Im Klartext: Die Deutsche Börse verdient mehr Geld als die anderen. In manchen Geschäftsbereichen erwirtschaftet sie eine operative Marge von 40 bis 50 Prozent. Das ist traumhaft für Management und Aktionäre, aber auf Dauer kaum akzeptabel für die Kunden der Börse.
Tatsächlich droht die Deutsche Börse unter Druck zu geraten. Simone Glass, Börsenanalystin der Investmentbank UBS, rechnet mit einem Preisrückgang von acht Prozent beim Aktien- und Derivatehandel. Zu erwarten ist nicht nur ein Preiskampf der neuen Superbörsen, die zusätzliche Kunden gewinnen wollen. Unter dem Arbeitstitel Projekt Türkis haben sieben internationale Investmentbanken, darunter die Deutsche Bank, zudem angekündigt, bis Ende 2007 eine eigene Aktienhandelsplattform auf die Beine zu stellen. So wollen sie ihren Kunden günstigere Transaktionen anbieten.
"Das sehe ich als erheblich größere Bedrohung", sagt Professor Gerke. Er wirft der Deutschen Börse eigene strategische Fehler vor. Statt nämlich frühzeitig selbst die Preise zu senken und damit für Kunden attraktiver zu werden, habe sich die Deutsche Börse durch ihre hohen Gewinne zum lohnenden Ziel für Hedgefonds gemacht. Diese kauften sich bekanntlich ein und drängten dann auf hohe Sonderausschüttungen und Dividenden – Geld, das nun im Übernahmepoker fehlte. Um ihr gutes Rating nicht zu gefährden, musste die Deutsche Börse die geplante Euro- next-Übernahme weitgehend fremdfinanzieren und konnte nur einen geringeren Baranteil als die NYSE bieten. Am Ende war das vielleicht der entscheidende Punkt.
Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, was die Deutsche Börse nun tun sollte. Sie muss zum einen neue, attraktive Produkte bringen und dabei die Kosten senken. Sie muss zum anderen an ihrer bisher wachstumsstarken Terminbörse Eurex arbeiten. Die ist noch Weltmarktführer, nach dem angekündigten Zusammenschluss der beiden Chicagoer Terminbörsen CME und CBOT aber gefährdet. Dazu sollte sie auch kleinere Übernahmen wagen. Aktuell zeigt die Deutsche Börse Interesse an der bulgarischen BSE.
Vor allem sollte die Deutsche Börse aber auf den boomenden asiatischen Markt setzen. Hier existieren erste Kooperationen, zum Beispiel mit Shanghai. Um am Geschäft mit großen Börsengängen mitzuverdienen, müssen die Frankfurter, das weiß Francioni, aber aktiver werden.
Die Abstimmung bei der Euronext-Hauptversammlung könnte durchaus Überraschungen bringen, meint Gerke: "Es ist möglich, dass bei den Franzosen die Ängste überwiegen, dass die strengen Regeln der US-Börsenaufsicht nach einer Übernahme auch für sie gelten würden." Dann hätte sich Euronext-Chef Jean-François Théodore zu früh gefreut. -red-
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