SPD im Reform-Rausch?


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 25.06.03 21:33
Eröffnet am:25.06.03 21:33von: Happy EndAnzahl Beiträge:1
Neuester Beitrag:25.06.03 21:33von: Happy EndLeser gesamt:302
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

95441 Postings, 8535 Tage Happy EndSPD im Reform-Rausch?

 
  
    #1
25.06.03 21:33
...dann mal bloß nicht den Durchblick verlieren ;-)

Die SPD setzt sich an die Spitze der Bewegung. Im sicheren Gefühl, dass die Mehrheit der Bevölkerung radikale Reformen der Sozialsysteme unterstützt, wollen die Genossen Gewerkschaften und Opposition zum Mitmachen zwingen. Wer nicht ins Boot steigt, so das Kalkül, geht unter.

Berlin - Die SPD startet eine breit angelegte Reform-Offensive. Nach quälerischer Selbstfindung, Regionalkonferenzen und Sonderparteitag nutzen Gerhard Schröder und seine Mitstreiter die Selbstlähmung der Union und Gewerkschaften, um sich endgültig an die Spitze der Reformbewegung zu setzen. Nach langem Zögern hat man darin das Zukunftsthema erkannt. Mit mehr Selbstbewusstein ausgestattet geht die SPD jetzt auch wieder auf Gewerkschaften, Arbeitnehmer und Union zu.

Nachdem der Widerstand im eigenen Lager weitestgehend kollabiert ist, gibt Fraktionschef Franz Müntefering wieder den Takt vor: "Der Parteitag hat zu 90 Prozent zugestimmt und das Mitgliederbegehren ist praktisch gescheitert", analysiert er die aktuelle Lage. Müntefering sieht Fortschritte bei der Wiederannäherung im Streit über die Reform-"Agenda 2010" mit den Gewerkschaften. "Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg zueinander sind", sagte er am Rande der traditionellen Betriebsrätekonferenz der SPD-Fraktion am Montag in Berlin. Er ließ aber durchblicken, dass die Arbeitnehmervertreter und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer weiterhin abweichende Reform-Vorstellungen zu denen der Regierung haben. "Die Gewerkschaften haben darauf hingewiesen, dass sie sich anderes wünschen würden", sagte er. Aber das belässt er hübsch im Konjunktiv.

Die Zeit der lauten Drohungen scheint vorerst vorbei. "Wir wollen, dass wir Schulter an Schulter sind. Da wo das ohne Streit nicht geht, muss man den auch aushalten", sagte Müntefering. Er zeigte sich entschlossen, die Sozialreformen wie geplant rasch umzusetzen. "Wir können jedenfalls unser politisches Handeln nicht davon abhängig machen, ob wir innerhalb der Partei oder mit den Gewerkschaften in 100 Prozent Harmonie leben."

"Mut zu Veränderungen"

Hatte man als Volkspartei lange Angst vor zu großen Zumutungen, so ist man sich in der SPD-Führung nun sicher, neue Attraktivität dadurch zu gewinnen, dass man den Mut zu Unpopulärem zeigt. Das katastrophale Image, das die Gewerkschaften zur Zeit haben - deutlich abzulesen an den landesweiten Reaktionen auf den IG-Metall-Streik in Ostdeutschland - will die SPD nutzen, um ihren traditionellen Verbündeten ebenso wie die Union auf ihre Reformlinie einzuschwören. "Mut zu Veränderungen" lautet das neue Logo der SPD, mit dem man nun hausieren geht. Wer da nicht mitmacht, so das Kalkül, steht in den Augen der Menschen als Blockierer da, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat.

Das Gesprächsangebot von Kanzler Schröder an die Unions-Chefin Angela Merkel über die Gesundheitsreform kam ja nicht zu fällig zu einem Zeitpunkt, als CDU und CSU sich öffentlich mit ihrem Gesundheitsexperten Horst Seehofer zerstritten: So führt man den Gegner vor.

Müntefering will das nutzen. Er geht davon aus, dass sich Rot-Grün in den Konsensgesprächen zur Gesundheitsreform mit seinen Vorstellungen zum Krankengeld gegen die Unionspläne zum Zahnersatz durchsetzen kann. "Ich glaube, dass unsere Argumente an der Stelle so gewichtig sind, dass wir uns damit auch in solchen Verhandlungen werden durchsetzen können".

Ziel der Verhandlungen ist nach den Worten von Müntefering, "ein gemeinsamer Gesetzentwurf" von Regierung und Union. Damit strebe die SPD allerdings keine große Koalition an. Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit ergebe sich ausschließlich aus den unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in Bundestag und Bundesrat.

Reform als Mainstream

Der Begriff Reform ist längst Mainstream geworden, egal ob sich dahinter Sozialabbau verbirgt. Die SPD-Spitzenkräfte singen das Hohelied von Bewegung und Veränderung: Müntefering bei den Betriebsräten, der Kanzler selbst am Montag bei Arbeitern und gegen Ende der Woche mit Gewerkschaftsbossen "Der Standort Deutschland soll ein Bewegungsort werden", sagte Schröder am Montag in der passenden Kulisse einer Werkshalle bei Ford in Köln. Die Genossen fühlen sich als Reform-Avantgarde.

Denn Ende des Jahres - so Münteferings Prognose "werden alle gesellschaftlichen Gruppen auf dem Ufer des Flusses sein wollen, der Erneuerung heißt." Ein interessantes Sprachbild. Ob Müntefering das wirklich so gemeint hat? Die Genossen wollen nur kurz rein und schnell wieder raus aus dem Fluss "Erneuerung"?

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,254277,00.html  

   Antwort einfügen - nach oben