Notenbanken: Die Diktatoren der Zinsen / "Kosto"


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21.01.01 01:02
Notenbanken: Die Diktatoren der Zinsen
Alan Greenspan, der Chef der amerikanischen Notenbank, ist in den letzten Jahren zum wichtigsten Menschen der Weltfinanzmärkte geworden. Seit er bei einem Dow-Jones von 6000 Punkten von einer überschwenglichen Stimmung an der Wall Street sprach, wird jedes Wort, das er fallen läßt, mit größter Aufmerksamkeit beobachtet und analysiert. Man nennt ihn den Diktator der Zinsen, was er auch ist, doch seine Macht wird überschätzt. Denn er weiß selbst nicht, wie er die Zinsen in drei Monaten diktieren wird. Es hängt von so vielen Faktoren ab: den Lohnsteigerungen, den Rohstoffpreisen, dem Konsum, der Produktivitätssteigerung, mit einem Wort der wirtschaftlichen Entwicklung mit all ihren Komponenten. Diese kann Alan Greenspan genauso gut oder schlecht vorhersehen wie jeder andere. Und die Wall Street konnte er mit seinen Warnungen vor Kursübertreibungen auch nur für ein par Tage bremsen.

Werden die Zinsen jedoch verändert, ist dies für die Börse von großer Bedeutung. Mithilfe der kurzfristigen Zinsen bestimmt die Notenbank, zu welchem Zinssatz sich Banken refinanzieren können. Diesen Zinssatz zuzüglich ihrer Marge geben die Banken an ihre Kunden weiter. Zinsen sind der Preis für das Geld. Je höher die Zinsen, also der Preis für das Geld ist, desto geringer wird die Nachfrage nach Krediten, und je tiefer sie sind, desto höher wird die Nachfrage nach Krediten. Über diesen Weg steuert die Notenbank die Geldmenge.

Befindet sich die Wirtschaft in einer Rezession oder Stagnation wird die Notenbank die Zinsen senken. Die Kredite für die Unternehmen und Unternehmer werden damit günstiger. Die Geschäftsführer werden neue Investitionen planen, weil Investitionen bei niedrigen Zinsen rentabler sind. Verfügt ein Unternehmen dagegen über hohe Liquidität, die es bisher festverzinslich angelegt hatte, wird es diese umso eher investieren, je weniger die festverzinsliche Anlage bringt.

Genauso werden die Konsumenten eher bereit sein, Kredite aufzunehmen, um den Kauf eines Hauses, eines Autos oder anderer Konsumgüter zu finanzieren, wenn die Zinsen, die sie für das geliehene Geld bezahlen müssen, geringer sind. Auf diesem Weg wächst die Nachfrage nach Konsumgütern.

So funktioniert die Theorie. In der Realität kommt es aber fast immer vor, daß die Unternehmer aufgrund der Rezession keine Nachfrage erkennen können, die Investitionen zum Zweck höherer Produktionskapazitäten oder der Produktentwicklung nahelegen würde. Die Nachrichten aus der Wirtschaft sind sehr schlecht, was allgemeinen Pessimismus bei den Unternehmern und Geschäftsführern der großen Unternehmen verbreitet. Auch die Konsumenten haben in diesem Umfeld noch Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und halten sich mit Ausgaben und größerer Verschuldung zurück.

Statt Direktinvestitionen oder in den Konsum, fließt das frische, von der Notenbank geschaffene Geld an den Aktienmarkt, und so geschieht es, daß die Börse steigt, ja sogar haussiert, obwohl die Nachrichten aus der Wirtschaft noch sehr schlecht sind und die Unternehmensgewinne und Dividenden sinken. Dieser Prozeß kann länger als ein Jahr andauern.

Erst im zweiten Zuge, wenn sich die Situation in der Wirtschaft allmählich bessert, beginnen auch die Investitionen, der Konsum und damit auch die Unternehmensgewinne zu steigen. Wächst die Wirtschaft in moderatem Tempo, so daß Inflation kein Thema ist, wird die Notenbank die Zinsen nicht gleich wieder erhöhen, sondern auf dem tiefen Niveau belassen, um das Wachstum nicht zu gefährden. In dieser Phase werden auch die Direktinvestitionen und der Konsum nicht sämtliches Kapital absorbieren, so daß weiterhin Liquidität für die Börse zur Verfügung steht, und die anziehenden Unternehmensgewinne von weiter steigenden Aktienkursen begleitet werden. Jetzt stimmen auch die fundamentalen Aussichten, was große Kursfantasie auslöst und zu einer stürmischen Hausse führen kann.

Dieses Gleichgewicht versucht die amerikanische Notenbank zu halten, seitdem es ihr Anfang der 80er-Jahre gelang, die durch die Ölkrise ausgelöste Inflationspsychose abzuwürgen.

Unter gewissen Schwankungen ist ihr dies mit Bravour gelungen. Das ist der Grund für die einzigartige Hausse von unter 1000 auf in der Spitze über 11000 Punkten im Dow-Jones-Index. Aus heutiger Sicht betrachte ich den Crash von Oktober 1987 nur noch als kleinen Zwischenstopp in diesem Aufschwung. Die Federal Reserve hatte die Zinsen mehrmals erhöht, was gepaart mit einer heftigen Überspekulation zu diesem Zusammenbruch führte. Bereits nach dem Krach senkte sie die Zinsen wieder und es dauerte nicht lange, bis die Wall Street wieder neue Rekordkurse erreichte.

Solange die Notenbanken dieses Gleichgewicht halten können, werden Aktien unter Schwankungen weiter nach oben gehen und langjährige scharfe Abwärtstrends ausbleiben. Vieles spricht dafür, da die Notenbanken heute souverän sind. Sie können in kleinsten Schritten sofort leicht bremsen, wenn die Wirtschaft in eine Rezession abzugleiten droht. Gelingt ihnen die Balance zwischen Rezession und Euphorie aber irgendwann nicht mehr, und die Wirtschaft wächst unkontrolliert schnell, gepaart mit anziehenden Inflationsraten, werden die Folgen dramatisch sein.

In dieser Situation ist eine Notenbank zu scharfen Bremsmanövern gezwungen. Um eine unkontrollierte Inflation zu verhindern, muß sie die Zinsen stark anheben. Steigende Zinsen haben früher oder später eine dramatische Wirkung, nicht nur auf die Psychologie, sondern auch auf die Wirtschaft und die Börse. Auch hier trifft es als Erstes wieder den Aktienmarkt, diesmal jedoch in negativer Weise. Durch die gestiegenen Zinsen wird das Geldmengenwachstum stark reduziert, und der Liquiditätsstrom zur Börse versiegt. Anleger, die Aktien auf Kredit gekauft haben, müssen diese aufgrund der gestiegenen Kreditkosten verkaufen. Außerdem machen die festverzinslichen Anlagen mit ihrer höheren Verzinsung den Aktien Konkurrenz. Die Kurse beginnen zu fallen, meistens bereits zu einem Zeitpunkt, wo die Nachrichten aus der Geschäftswelt noch immer günstig sind. Deshalb messe ich bei meinen Börsenentscheidungen den Bilanzziffern der Gesellschaften keine große Bedeutung bei. Erstens werden Bilanzen manipuliert oder zumindest frisiert, so wie es den Direktionen paßt. Selbst wenn die Zahlen richtig sind, gehören sie bei ihrer Veröffentlichung bereits der Vergangenheit an.

Die Wirtschaftskrise als Folge der Zinserhöhungen kommt erst später, wenn die Unternehmen ihre Investitionen stoppen oder zurückstellen, weil die Finanzierungskosten zu hoch sind. Aus dem gleichen Grund werden die Konsumenten weniger auf Kredit kaufen. Dementsprechend läßt die Nachfrage nach. In der Regel geht dann auch die Inflation zurück, so daß die Notenbank die Zinsen wieder senken kann. Befand sich die Inflation bereits in der Phase der Lohn-Preis-Spirale oder sogar in einer Inflationspsychose, kann es jedoch sehr lange dauern, bis die Geldentwertung wieder unter Kontrolle ist.

Wie schnell die Börse auf Zinserhöhungen oder -senkungen reagiert, hängt von der Einstellung des Publikums ab. Sind die Marktteilnehmer wie in den letzten Jahren sehr zinssensibel, werden sie bereits auf die kleinsten Andeutungen einer Inflationsbeschleunigung reagieren und Aktien verkaufen oder sich zumindest mit neuen Käufen zurückhalten. So wird eine mögliche Zinsanhebung durch die Notenbank bereits vorweggenommen und die Reaktion auf eine tatsächliche Zinsanhebung gering ausfallen.

Achten die Börsianer hingegen mehr auf die positiven Unternehmensgewinne und auf die allgemeinen Wirtschaftsdaten, kann es passieren, daß die Notenbank die Zinsen mehrmals stark anhebt und die Börse trotzdem weiter steigt. In diesem Fall ergibt sich eine Diskrepanz, die zugleich die große Chance für den Spekulanten bietet. Denn wie ich bereits schrieb, spätestens nach zwölf Monaten folgen die Kurse dem Faktor Geld. Es ist nach einer markanten Zinsanhebung durch die Notenbank deshalb nur eine Frage der Zeit, bis die Kurse zurückgehen. Je euphorischer die Stimmung zuvor war, desto heftiger wird der Krach. Wer diese Diskrepanz erkennt, steigt rechtzeitig aus. Der Vollblutspekulant, der sich à la baisse engagiert, kann ein Vermögen machen.

Ein gutes Beispiel für ein solches Szenario lieferte die Wall Street 1987. Die Federal Reserve hatte bereits seit Beginn des Jahres den Diskontsatz mehrfach angehoben. Die Kurse waren trotzdem von Rekord zu Rekord geeilt. Entsprechend dramatisch war der Absturz von über 2722 Punkten im August auf rund 1800 Punkte am 19. Oktober.

Umgekehrt bieten sich für den Spekulanten natürlich ebensolche Chancen. Senkt die Notenbank die Zinsen während einer Rezession, um die Konjunktur wieder anzukurbeln, kommt es häufig vor, daß auch die Aktien zunächst noch nicht oder nur wenig steigen. Zu schlecht sind die Nachrichten aus der Wirtschaft und von der Unternehmensfront.

Wenn die Zinsen fallen, dann muß man in die Börse einsteigen, ohne großes Wenn und Aber. Diese Situationen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Beispielsweise Ende 1991, Anfang 1992. Eine Situation aus den 70er-Jahren ist mir jedoch besonders deutlich in Erinnerung geblieben. Als Präsident Johnson Anfang 1967 die US-Inflation durch Steuererhöhungen unter Kontrolle bringen wollte und ein diesbezügliches Gesetz dem Kongreß vorlegte, konnte er die Zinssätze eine Zeit lang reduzieren, sie niedrig halten und die Geldmenge erhöhen. Hohe Steuern sind auch nicht der Wunschtraum der Börse, aber sehr viel weniger gefährlich als hohe Zinsen.

Die Geld-, Zins- und Kreditpolitik einer Regierung kann man sehr genau verfolgen. Sie macht ja auch kein Geheimnis daraus. Man konnte auch nicht aufrichtiger sein als Präsident Johnson, der Anfang 1967 erklärte: "I will do everything in my power to reduce interest rates." Bei einer solchen Bemerkung des Präsidenten der Vereinigten Staaten mußte der Börsianer wie vom Trampolin hochgeschnellt in die Wall Street stürzen. Die Haussebewegung, die darauf folgte, war umso stürmischer, als auch die Steuererhöhung im Kongreß zwei Jahre stecken geblieben war.

André Kostolany: Die Kunst über Geld nachzudenken
Econ Verlag, München, 2000


gruß
proxi  
 

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