Krone vs.Euro:Nach der Wahl ist vor der Wahl!;-)


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4506 Postings, 8543 Tage verdiKrone vs.Euro:Nach der Wahl ist vor der Wahl!;-)

 
  
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15.09.03 13:56
Interessanter Artikel,aktuell auch noch nach der Abstimmung in Schweden!

Der Schweden-Happen

Am Sonntag stimmt Schweden über den Euro ab. Dem Land würde die Währungsunion helfen. Aber noch liegen die Gegner vorn

Von Robert von Heusinger


Die Schweden sind im Eurotower nicht mehr zu übersehen: Seit Ende Juni schmücken mehr als 70 schwedische Fotografien, Installationen und Zeichnungen die Räume der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Die Ausstellung verschafft den Währungshütern einen Einblick in die aktuelle Kunstszene Schwedens. Vielleicht brauchen sie demnächst auch Einblick in die aktuelle Wirtschaftslage des Nordlandes: Am 14. September stimmen die Schweden in einem Volksentscheid über den Euro ab.

Der Ausgang ist offen, der Vorsprung der Euro-Skeptiker schrumpft. Kurz vor dem Referendum haben sich rund 15 Prozent der Bevölkerung noch nicht entschieden.

In der Schlacht der Argumente haben die Euro-Gegner scheinbar das leichtere Spiel. Die schwedische Volkswirtschaft ist in den vergangenen Jahren stärker gewachsen als Euroland. Auch im laufenden Jahr erwarten die Volkswirte ein Wachstum von rund 1,5 Prozent, während Euroland weiter stagniert. Diese Daten überschatten jede Diskussion um die eigentlichen Vorteile der Währungsunion – zum Beispiel weniger Unsicherheit, weil die Wechselkurse wegfallen, oder mehr Wachstum, weil mehr gehandelt wird. Warum also sollten die Schweden einem Club beitreten, dessen Mitgliedern es schlechter geht? Warum sollen sie Gefahr laufen, sich mit der deutschen Wachstumsschwäche zu infizieren? Warum auf eine eigene Geld-, Fiskal- und Währungspolitik verzichten? Und: Warum jetzt schon unumkehrbar ja sagen, wenn das Nein keine Tür zuschlägt? Auf diese vier Fragen reduziert sich die ökonomische Debatte der Skeptiker.

Alle zehn Jahre kommt eine Währungskrise

„Die Schweden scheinen ein kurzes Gedächtnis zu haben“, sagt Paul de Grauwe, Experte für Währungsunionen an der katholischen Universität Leuven in Belgien. Anfang der neunziger Jahre durchlebte das Land eine schwere Währungskrise. Die Notenbank musste den Leitzins auf 500 Prozent hochsetzen, um den Kapitalabfluss zu stoppen. Eine tiefe Rezession war die Folge. „Solche Währungskrisen kommen so circa alle zehn Jahre vor“, sagt de Grauwe. Vor allem kleine Länder mit freiem Kapitalverkehr und hoher Integration in die Weltwirtschaft sind anfällig. „Wer als kleines Land nicht in einer Währungsunion ist, ist den Sturmfluten der Märkte ausgesetzt“, sagt auch Peter Bofinger. „Über das Verhalten der Wechselkurse weiß die Wissenschaft nur eins: sie sind erratisch“, meint der Würzburger Professor für Geld- und Währungstheorie. Dabei versprechen flexible Wechselkurse in der Theorie nur Gutes: Sie sorgen dafür, dass Ungleichgewichte abgebaut werden. Steckt ein Land in der Rezession, verbilligt sich der Wechselkurs zum Ausland, damit die ausländischen Güter im Inland teurer werden und die heimischen im Ausland billiger. So kann ein Land zum Beispiel seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Doch das ist graue Theorie.

Die Wirklichkeit sieht trister aus. Wechselkurse neigen zu Übertreibungen in beide Richtungen und schaden so langfristig den Arbeitsplätzen, dem Wachstum und den Investitionen. Den Fall, dass der Kurs einer Währung steigt, obwohl er theoretisch sinken müsste, nennt Bofinger das „Schweiz-Syndrom“. Die Schweiz kämpft mit Minizinsen gegen Rezession und Deflation, der Franken verteuert sich jedoch munter weiter. Auch Japan leidet seit mehr als einem Jahrzehnt an Stagnation. Trotzdem steht der japanische Yen permanent unter Aufwertungsdruck und wird nur durch Interventionen der Bank of Japan am Devisenmarkt gebremst. Die kaum erklärbaren Kursbewegungen kosten die Volkswirtschaften richtig Geld. Denn die Unternehmen und Händler schließen am Kapitalmarkt der Planungssicherheit wegen Versicherungen ab. Nur so können sie – zumindest kurzfristig – zuverlässig kalkulieren.

„Schweden ist der klassische Kandidat für die Währungsunion“, sagt Ulrich Schröder, Leiter Europäische Integration bei Deutsche Bank Research. Das Land ist klein und offen, wie Volkswirte den Grad der Abhängigkeit vom Ausland umschreiben. Mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung geht in den Export, die Hälfte davon nach Euroland. Nicht viel anders sieht die geografische Verteilung bei den importierten Gütern aus. Damit liegen die Vorteile des Euro für schwedische Unternehmen auf der Hand: Für die Hälfte der Im- und Exporte entfallen die Transaktionsgebühren beim Tausch der Währung sowie die Absicherungsgebühren. Das stimuliert den Handel und sorgt für mehr Wachstum und Arbeitsplätze. Gleichzeitig verbessert der deutlich größere und liquidere Euro-Kapitalmarkt die Finanzierungsbedingungen für die Firmen und die öffentliche Hand, was wiederum gut für das Wachstum ist.

Doch nichts ist umsonst. Um in den Genuss der Vorteile zu gelangen, müsste Schweden die eigenständige Geld- und Währungspolitik aufgeben. Nach dem Beitritt bestimmte allein die Europäische Zentralbank das Zinsniveau. Sie würde auf die Konjunktur in Schweden keine Rücksicht nehmen können: Die Wirtschaft des skandinavischen Landes bringt nur ein Gewicht von rund drei Prozent an Euroland auf die Waage. Das wäre vor allem dann problematisch, wenn Schwedens Konjunkturzyklus asynchron zu Euroland ist – die EZB-Zinsen wären im schwedischen Aufschwung zu niedrig und im Abschwung zu hoch. Das ist das Los aller Währungsunionsmitglieder. Selbst Deutschland, mit einem Drittel Wirtschaftskraft das wichtigste aller Euro-Teilnehmer, klagte im vergangenen Jahr über zu hohe Zinsen.

Gefährlicher noch als der verkehrte Zinssatz ist ein Nachfrageschock, wie Volkswirte ein abruptes Anziehen oder Abbrechen von Nachfrage bezeichnen. Handelt es sich um einen positiven Schock, kommt es zu höherer Inflation wie beispielsweise im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Bei einem negativen Schock folgt in der Regel eine Rezession, wie sie die Finnen, aber auch die Schweden erlebten, als sich nach dem Fall der Mauer der wichtige Exportmarkt Sowjetunion auflöste.

„Je kleiner das Land, desto gefährlicher ist ein Nachfrageschock“, sagt Bofinger. Deshalb „brauchen die Mitgliedsstaaten in einer Währungsunion nicht weniger, sondern mehr fiskalischen Spielraum.“ Sprich: mehr Freiheiten, als sie der Stabilitätspakt mit seiner Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent vorsieht.

Zur Steuerung der Wirtschaft gibt es nur drei Schrauben: Notenbankzins, Wechselkurs und eben die Steuer- und Ausgabenpolitik der Regierung. Lange haben die schwedischen Gewerkschaften deshalb vergeblich um Pufferfonds mit der Regierung gerungen. In diese Pufferfonds sollte in guten Jahren Geld fließen, damit im Fall eines negativen Nachfrageschocks die Regierung mehr für die Konjunktur tun kann, als das Budgetdefizit auf drei Prozent zu erhöhen.

Schon heute spart die schwedische Regierung kräftig. Seit Jahren erwirtschaftet man Haushaltsüberschüsse von rund zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes – und hat die Schuldenquote inzwischen klar unter 60 Prozent gesenkt. Auch ansonsten ist der Moment des Beitritts günstig. „Die Krone ist leicht unterbewertet, und Zinssenkungen sind bei einem Ja programmiert“, sagt Elga Bartsch. Die Krone, die in den vergangenen Wochen bei 9,20 Kronen je Euro notierte, sei zwischen 8,60 und 9,00 Kronen je Euro fair bewertet, meint die Volkswirtin der Investmentbank Morgan Stanley. Nach einem Ja komme es auf das Verhandlungsgeschick der Regierung an. Einen überbewerteten Wechselkurs, wie ihn Deutschland und Portugal beim Start des Euro wohl aufgewiesen haben, dürfte Schweden vermeiden. Da die schwedischen Notenbankzinsen derzeit um 75 Basispunkte über den EZB-Zinsen liegen, könnte die schwedische Riksbank bei einem Ja in den zwei Jahren bis zur Einführung des Euro ihre Geldpolitik noch kräftig lockern. Zwei Jahre muss die Krone im Europäischen Wechselkursmechanismus II ohne große Schwankungen verweilen, bevor sie im Euro aufgehen darf.

Deutschland hatte eine schlechtere Ausgangslage

Auf einen Konjunkturstimulus von bis zu 0,6 Prozent Wachstum schätzt das schwedische Konjunkturinstitutet den Effekt niedriger Zinsen im Anlauf auf den Euro. Und die Zehnjahreszinsen, die um rund 50 Basispunkte über den Euroland-Zinsen liegen, werden sich ebenfalls anpassen, ist sich Bartsch sicher. „Letztere sogar ziemlich rasch bei einem Ja.“

Der von Euro-Gegnern gerne genutzte Verweis auf Deutschland, das unter der Währungsunion ächze, verfängt nicht. Denn Deutschland hatte eine viel ungünstigere Ausgangsposition. Die Mark war vor dem Euro die Leitwährung. Deshalb gab es in Europa kein Land, das niedrigere Zinsen hatte als Deutschland, und keine Unternehmen, die sich billiger mit Kredit versorgen konnten als deutsche. Während alle anderen Länder von den niedrigeren Zinsen in der Währungsunion profitierten, litt die deutsche Volkswirtschaft etwas später an den im Vergleich zu ihrem schwachen Wachstum zu hohen EZB-Zinsen. Während fast alle Länder mit einem fairen oder leicht unterbewerteten Wechselkurs in den Euro starteten, hatte ausgerechnet Deutschland einen überbewerteten, wie immer mehr Analysten inzwischen einräumen. In einer Währungsunion findet die Abwertung über im Vergleich zu den anderen Ländern niedrigeren Inflationsraten statt – was in der Anpassungsphase nicht gerade wachstumsfördernd ist. Während vor allem die Südländer einen Bau-Boom erlebten, ausgelöst von den niedrigen Notenbank- und Kapitalmarktzinsen, knabbert Deutschland noch an den Folgen der Wiedervereinigung, besonders an der radikalen Schrumpfkur des Bausektors.

Und dennoch ist unklar, ob Deutschland ohne Euro besser gefahren wäre. „Die Bundesbank hätte vielleicht etwas schneller die Zinsen gesenkt – aber auch tiefer?“, fragt Bartsch. Außerdem hätte die spanische Peseta die Argentinien-Krise 2001 kaum heil überlebt. Und die jüngste, scharfe Dollar-Abwertung gegenüber dem Euro hätte im alten Europäischen Wechselkurssystem die Währungen ganz schön durcheinander gewirbelt – wie bei der letzten großen Dollar-Korrektur Mitte der achtziger Jahre. Damals musste die Mark um rund sechs Prozent aufwerten, da der französische Franc, die italienische Lira und das irische Pfund im Gleichklang mit dem schwachen Dollar verloren. Der Euro macht diese Turbulenzen unmöglich und trägt somit dazu bei, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit innerhalb Europas nicht untergraben wird.

Auch für die schwedische Sorge, von der Wachstumsschwäche Deutschlands angesteckt zu werden, gibt es aufgrund der makroökonomischen Analyse keinen Grund. Dafür spricht auch die Entwicklung in Finnland. Seit 1999 befindet sich der Nachbar der Schweden mit Irland in der Spitzengruppe der dynamischen Euro-Länder. Die finnische Wirtschaft ist trotz oder wegen des Euro sogar noch prächtiger gediehen als die schwedische.

Warum also warten und hoffen, dass Fortuna am Devisenmarkt der schwedischen Krone weitere sieben Jahre hold ist und es zu keinen Währungsturbulenzen kommt? „Auch 2010 ist die Unsicherheit nicht geringer mit Blick auf künftige Schocks, die eine eigenständige Geldpolitik opportun erscheinen lassen“, sagt Stefan Gerlach, schwedischer Geldexperte und Chefvolkswirt der Hongkonger Währungsbehörde. Während Abwarten nichts bringt, kostet es. Die Euro-Gegner zitieren gerne neuere empirische Studien, die keine klaren Indizien für das Naheliegende finden, dass starke Kursschwankungen dem Handel abträglich sind. Trotzdem könne „niemand ernsthaft behaupten, dass eine Währungsunion zu weniger Handel führt“, sagt Gerlach. Der wissenschaftliche Streit drehe sich um das Ausmaß der positiven Effekte von weniger Währungsunsicherheit, mehr Handel und Wachstum, nicht um ihre Existenz als solche, sagt Gerlach. Deshalb kostet jedes Jahr des Abwartens Wohlstand.


(c) DIE ZEIT 11.09.2003 Nr.38
 

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