Der Kaiser von Europa


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 26.02.03 22:03
Eröffnet am:26.02.03 14:30von: SahneAnzahl Beiträge:9
Neuester Beitrag:26.02.03 22:03von: DingLeser gesamt:1.209
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

8215 Postings, 8416 Tage SahneDer Kaiser von Europa

 
  
    #1
26.02.03 14:30

Ein Staatsmann mit neuem Auftrag: Bei der Kraftprobe um den Irak mit US-Präsident George W. Bush will Jacques Chirac den gaullistischen Traum verwirklichen - Europa soll unabhängig neben den Vereinigten Staaten agieren, freilich unter Führung der Franzosen.


Glaubt er wirklich daran? Es ist noch nicht lange her, da verbreitete ein sorgenvoller Jacques Chirac vor Besuchern im Elysée-Palast düstere Stimmung. "Er ist überzeugt, dass es im Februar knallen wird", berichtete der Präsident der Nationalversammlung, Jean-Louis Debré, nach einem Treffen mit dem Staatschef.

Den amerikanischen Zeitplan für einen militärischen Schlag gegen den Irak hat der französische Präsident schon jetzt gründlich durcheinander gebracht. Und allmählich verstärkt sich seine Hoffnung zur Gewissheit: Nur einer, glaubt Chirac, kann den Frieden retten - er selbst, "aufrecht vor der Geschichte", wie sein Außenminister Dominique de Villepin es ausdrückte.

Chirac ist wie verwandelt. Nicht mehr der leichtfertige, oft frivole, manchmal zynische und immer sprunghafte Opportunist regiert die Nation, sondern ein umsichtiger und konzentrierter Staatsmann, der längst über die Rolle des reinen Landesvaters hinausgewachsen ist. Während seiner ersten Amtsperiode von 1995 bis 2002, mal als Bulldozer, mal als Lügner verhöhnt, hatte er unter einem chronischen Mangel an Glaubwürdigkeit gelitten, der ihn beinahe die Wiederwahl kostete. Jetzt, beim Kräftemessen mit George W. Bush, hat er eine moralische Statur gewonnen, die ihn in seinem Selbstverständnis zum Führer von Weltformat erhoben hat.

"Chirac", hat sein Gesprächspartner Debré erkannt, "befindet sich nach seinem Wahlsieg im psychologischen Zustand eines Erlösten, der jeden Tag dem Himmel für die Bewährung dankt, die ihm erteilt worden ist." Tatsächlich haben Reden und Handeln fast schon messianische Züge angenommen - so als hinge das Schicksal des Planeten von Chiracs Mannhaftigkeit ab. "Es zählt im Leben eines Staatsmannes, kein Blut vergossen zu haben", hält er seinem Gegenspieler Bush vor, der nach der Feuertaufe giert.

Über 80 Prozent der Franzosen unterstützen Chiracs Friedenskurs in der Irak-Krise. Keine Partei, keine Zeitung stellt sich ihm entgegen. Seit dem vorletzten Wochenende weiß er sich auch im Einklang mit der öffentlichen Weltmeinung. "Vive la France" stand auf Plakaten, als an die zehn Millionen Menschen in 600 Städten der Erde gegen Bushs angekündigten Krieg im Irak marschierten.

Die Massendemonstrationen bestärkten den französischen Präsidenten in der Überzeugung, dass die "neue Weltordnung", die schon Bushs Vater verkündete, nicht von Washington diktiert werden dürfe. Als Chef einer "alten und ausgezeichneten" Nation glaubt er an seinen historischen Sendungsauftrag - sich gegen die unipolare Welt der Supermacht USA in einem exemplarischen Akt des Widerstands zu erheben und ihr das Recht abzustreiten, am Anfang des dritten Jahrtausends allein über Krieg und Frieden zu entscheiden.

Zugleich möchte Chirac damit einen alten gaullistischen Traum verwirklichen: Europa mit Frankreich und Deutschland als treibender Kraft gleichberechtigt neben die USA zu stellen. Aus der erfolgreichen Kraftprobe mit Bush soll die EU als neue Großmacht hervorgehen, mit Chirac als ihrem unbestrittenen Wortführer. "Auf allen Gipfeln ist er der Doyen, der Mann mit den meisten Erfahrungen, der schon die

Vorgänger der Vorgänger seiner Kollegen kannte", so sein diplomatischer Chefberater, Maurice Gourdault-Montagne.

Chirac als ''Wurm'' (''Sun''): ''Ungezogen, kindisch''
AFP/DPA
GroßbildansichtChirac als "Wurm" ("Sun"): "Ungezogen, kindisch"
Wer ihm in die Quere kommt, wird vom Blitzstrahl des Patriarchen getroffen. Den britischen Premier Tony Blair schimpfte Chirac einen "ungezogenen Bengel", nachdem der sich erdreistet hatte, den deutschfranzösischen Agrarkompromiss zu kritisieren. Als "ungezogen" und "kindisch" rügte er vergangenen Montag in einem berechneten Ausfall auch die osteuropäischen Beitrittskandidaten zur EU, die Solidaritätsadressen mit den USA unterzeichnet hatten: "Ich glaube, dass sie eine gute Gelegenheit verpasst haben, den Mund zu halten", wies Chirac die "leichtfertigen" und "ahnungslosen" Polen, Tschechen, Ungarn, Rumänen und Bulgaren zurecht.

Dann drohte der französische Staatschef sogar - wie schon gegenüber den USA in der Uno - mit der Möglichkeit eines Vetos. Er erinnerte die Neuen daran, dass ihr Beitritt von den alten Mitgliedsländern ohne Ausnahme ratifiziert werden müsse, in manchen Ländern per Referendum.

Die ehemaligen Ostblockländer befinden sich nach Chiracs Analyse in der gleichen Lage wie Deutschland über Jahrzehnte hinweg nach dem Krieg: Sie wollen unbedingt vermeiden, sich zwischen Amerika und einem Europa à la française entscheiden zu müssen. Gerhard Schröder hat als erster Bundeskanzler zur Genugtuung Chiracs diese Wahl getroffen - und musste dem Franzosen prompt die Führungsrolle überlassen. Chirac sitzt am Lenkrad, Schröder auf dem Sozius.

Die verletzenden Bemerkungen über die Beitrittskandidaten machten deutlich, dass Frankreich niemandem gestattet, seine Vorherrschaft in der EU in Frage zu stellen. Dass ausgerechnet die armen Cousins aus Mittel- und Osteuropa an diesem Dogma zu rütteln wagten, muss Chirac als Majestätsbeleidigung empfunden haben.

Chirac, der Kaiser Europas? Ein Triumph über den Herrscher des US-Imperiums wäre die Krönung. Deshalb will er an seinem Kurs der "aufgeklärten Festigkeit" (so der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei UMP, Jacques Barrot) gegenüber Amerika festhalten.

Die Hartnäckigkeit seines Widerstands hat das Weiße Haus aus dem Tritt gebracht. Präsident Bush sieht in diesen Tagen fahl und erschöpft aus, seine Stimme hat die markige Zuversicht verloren.

Der Aufmarsch am Golf sei beendet, die US-Streitmacht invasionsbereit, meldete Ende voriger Woche Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seinem Oberbefehlshaber. Doch ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Uno, so französische Diplomaten, traue sich Bush nicht mehr zum

großen Schlag, aus Rücksicht auf seinen verlässlichsten Verbündeten Blair. In dem New Yorker Gremium aber halten Chirac und sein "Friedenskrieger" Villepin die beiden Kriegswilligen am Wickel. Schon verkündete der französische Präsident: "Es ist heute nicht nötig, eine zweite Resolution zu haben. Frankreich könnte nicht anders, als sich ihr zu widersetzen."

Doch Bush und Blair haben für diese Woche einen Resolutionstext avisiert, möglicherweise mit einem versteckten Ultimatum an den Irak. Dann könnte Frankreich eine Gegenresolution vorlegen, um die Uno-Inspektionen zu verlängern und zu verstärken. Chirac und Villepin sind zuversichtlich, dass sie damit die Mehrheit der 15 Mitglieder im Sicherheitsrat auf ihrer Seite behalten werden.

"Solange wir Fortschritte melden können, sehe ich keinen Grund, warum wir die Inspektionen abbrechen sollten", sagt etwa Waffenkontrolleur Mohamed El Baradei (siehe Seite 118), und als Sprecher der Araber erklärt Ägyptens Präsident Husni Mubarak: "Niemand von uns heißt einen Krieg gegen den Irak gut" (siehe Seite 112).

Bulgarien ahnt nach den rüden Belehrungen durch Chirac, dass es ein Ja zu Bush teuer bezahlen müsste. Beim französisch-afrikanischen Gipfeltreffen Ende voriger Woche in Paris schwor Chirac - nicht nur Kaiser Europas, sondern auch Pate Afrikas - den gesamten Schwarzen Kontinent auf seine Linie ein. Die 45 Staats- und Regierungschefs unterstützten einmütig das französische Verlangen nach einer friedlichen Entwaffnung des Irak. Drei davon - Angola, Guinea und Kamerun - haben derzeit einen Sitz im Sicherheitsrat. Zuvor schon hatte sich während einer offenen

Aussprache in der Uno von rund 60 Rednern nur eine Hand voll auf die Seite der USA geschlagen. Wie um zu demonstrieren, dass nach Chiracs Wunsch "die Uhr des Krieges angehalten werden soll", verlegte Paris vorigen Freitag zwei unbewaffnete Mirage-IV-Aufklärungsflugzeuge an den Golf. Die Maschinen sollen die Uno-Kontrolleure mit Luftaufnahmen unterstützen. Denn in Wahrheit, so erklärte Chirac, stellt der Irak heute keine "reale und unmittelbare Gefahr" dar.

Davon sollen sich die Uno-Kontrolleure überzeugen, ohne Druck und ohne Frist. Nicht Bush, wohl aber Saddam Hussein könne die französischen Pläne noch durchkreuzen, fürchtet Chirac - durch "irgendeine Verrücktheit". Aus den machtvollen Friedenskundgebungen rund um die Welt ziehe Saddam Hussein möglicherweise falsche Schlüsse, bangen die Franzosen. Über arabische und russische Diplomaten am Tigris lassen sie der irakischen Führung eindringliche Warnungen zukommen: Nur demonstrative Gesten freiwilliger Kooperation mit den Uno-Inspektoren könnten den Weg zum Krieg auf Dauer versperren.

Eines der Szenarien, das irakische Nachbarn hohen Regierungsbeamten vorschlagen, sieht so aus: Präsident Hussein ringt sich zu einer Fernsehansprache durch, in der er das "große Volk des Irak" auffordert mitzuhelfen, letzte "übersehene" Bestände von Chemie- oder Biowaffen ans Tageslicht zu bringen - mit greifbaren Ergebnissen noch vor dem nächsten Bericht von Hans Blix am 1. März. Der Chefinspektor erhöhte seinerseits den Druck: Er will von Bagdad die Zerstörung der Samud-2-Raketen und wohl auch der Produktionsanlagen für Raketentriebwerke verlangen.

"Das Spiel ist aus", hatte Präsident Bush vor kurzem gedroht. Doch "die Geschichte ist noch nicht geschrieben", beteuert Chiracs Chefdiplomat Villepin ein ums andere Mal. Die beiden trauen sich zu, das Spiel am Ende zu gewinnen - vorausgesetzt, Saddam handelt rational und zügelt seine Rhetorik.

Der französische Präsident weiß auch, dass er Bush helfen muss, das Gesicht zu wahren, wenn der Krieg vermieden werden soll. Deshalb will er, in öffentlicher Rede, dem US-Präsidenten überschwänglich danken: Nur dessen entschlossener Truppenaufmarsch habe Saddam dazu gebracht, zurückzuweichen, mit den Uno-Kontrolleuren zusammenzuarbeiten und so dem Frieden eine Chance zu geben.

Chirac würde dabei Bush gern ein Motto des französischen Philosophen Blaise Pascal auf den Weg geben: "Ohne Macht vermag die Gerechtigkeit nichts."

ROMAIN LEICK, BERNHARD ZAND


 

6049 Postings, 8528 Tage jack303guter artikel

 
  
    #2
26.02.03 14:43

blablabla

jaja



















uf wiederluagn

jackyjack

 

6049 Postings, 8528 Tage jack303besonders die letzten 2 Absätze find ich wichtig

 
  
    #3
26.02.03 14:47
Dem Bush-Mann die Chance geben sein Gesicht zu wahren ist eines der wenigen Dinge die wir tun können. Wahrscheinlich schnallt ers nicht mal und fasst es tatsächlich als Lob auf. wir zahlen einen anteil am truppenaufmarsch und das wars. wär doch für alle Beteiligten die beste Lösung.

gruss jack  

8215 Postings, 8416 Tage SahneJepp, man darf gespannt sein was hinten rauskommt.

 
  
    #4
26.02.03 15:06
Gruß  

722 Postings, 8563 Tage Glasnost@ Jack - da stimme ich zu!

 
  
    #5
26.02.03 15:22
Es nutzt tatsächlich nichts, Bush als Kriegstreiber in die Ecke zu stellen. Damit wäre der Krieg eine selbsterfüllende Profezeihung. Was Chirac da vor hat, ist in der Tat Salomonisch und wenn man es genau betrachtet weder falsch noch gelogen. Bushs Truppenaufmarsch hat sogar sehr wahrscheinlich einen substanziellen Beitrag an Saddams plötzlicher Einsichtigkeit gehabt und verdient insofern auch das Prädikat Wertvoll (sofern es dann nicht doch zum Krieg kommt). Und genau hier ist es jetzt wichtig, Bush wieder auf den Teppich zu holen, ohne dass der sein Gesicht verliert (sonst handelt der, davon bin auch ich überzeugt). Und Chirac ist genau der richtige dafür. Halb Europa zugewandt, halb selbst Supermacht hat er ja anfänglich den USA zugestimmt. Und auch bisher hat er sich Deutschland gegenüber ausreichend unverbindlich verhalten, so dass er genau in diese Rolle passt. Go Chirac, go!

Good Day,
Glasnost  

5258 Postings, 7922 Tage DingKönnte es sein

 
  
    #6
26.02.03 15:33
"Bushs Truppenaufmarsch hat sogar sehr wahrscheinlich einen
substanziellen Beitrag an Saddams plötzlicher Einsichtigkeit gehabt ..."

daß Bushs Truppenaufmarsch sogar der einzige substanzielle Beitrag
in den letzten 10 Jahren zu Saddams "Einsichtigkeit" gewesen ist?  

5258 Postings, 7922 Tage DingOder gibt es doch weitere Beiträge? o. T.

 
  
    #7
26.02.03 15:47

5258 Postings, 7922 Tage DingWeitere Beiträge ? o. T.

 
  
    #8
26.02.03 17:12

5258 Postings, 7922 Tage DingZeit für weitere Beiträge o. T.

 
  
    #9
26.02.03 22:03

   Antwort einfügen - nach oben