SCHOCK in der Fußgängerzone

Oder: Basisarbeit der Verzweiflung.

Nicht böses ahnend schlendere ich bei strahlendem Sonnenschein am Orleansplatz in München entlang, als mir mein Frühwarnsystem Gefahr meldet.

Etwa 30m vor mir ist ein etwa 45-jähriger, magerer Typ mit graumeliertem Kinnbart, Nickelbrille und erbärmlicher Körperhaltung damit beschäftigt, Passanten ungefragt anzusprechen und zu belästigen. Leider ist aufgrund des Marktes der Weg sehr eng, so dass ich ihn nicht großräumig passieren kann. Strategisch gesehen hat sich der Mann also günstig positioniert.

Während ich mich nähere, merke ich, mit welch abweisender Gestik und Mimik die Passanten auf den Mann reagieren. Ich kann ihn nun besser erkennen: Seine Körperhaltung und  seine Bewegungen haben einen linkischen Charakter und auf dem einen Arm hat er einen Stapel bunter Broschüren.

Ich bin mittlerweile nur noch wenige Meter entfernt und die Lage verschlechtert sich dramatisch: Aufgrund des Fußgängerverkehrs ist plötzlich links und recht von mir der Weg blockiert. Ich kann nur noch geradeaus gehen, direkt auf den Mann zu, der nun auch seinerseits die günstige Gelegenheit erkannt hat und zwei rasche Schritte auf mich zumacht.

(Ich hasse es, wenn mich irgendwelche Typen ungefragt anquatschen und mir ne Mitgliedschaft im Bertelsmann-Club oder ein Zeitschriften-Abo andrehen wollen. Solche Marktschreier versauen mir den ganzen Tag mit Ihrer offensiv-penetranten Art. Bin da echt empfindlich.)

Aber es ist zu spät. Der Typ steht mir in seinem grau-weiß gestreiften Polohemd, seiner Jeans und seinen Birkenstock-Sandalen nun direkt gegenüber und quasselt mich mit einer leicht heiseren Stimme an:

"Tschuldigung, hamse mal n Moment Zeit? Ich möchte Ihnen was zu lesen anbieten, hier, bitte, nehmen Sie!" (Solche Typen warten niemals eine Antwort auf ihre Fragen ab, das lernt man in der 1. Stunde zur Ausbildung als Zeitschriftendrücker)

Er wedelt so fahrig mit seiner Broschüre vor meiner Nase rum, dass ich gar nicht erkennen kann, was draufsteht. Links und rechts und hinter mir ist immer noch kein Platz. Ich will den Penner schnellstmöglich wieder loswerden, also verdrehe ich die Augen und sage: "Na gut, zeigen Sie mal her".

Er drückt mir die Broschüre in die Hand und schaut mich erwartungsvoll an. In seinen Gesichtszügen ist die Genugtuung abzulesen, ein Opfer gefunden zu haben. Ich blicke also auf die Broschüre und traue meinen Augen nicht:



Ich hätte mich gerne im Spiegel gesehen. Über den Rand der Broschüre hinweg fixiere ich den Mann. Sein erwartungsvoller Blick ist einem nervösen Blinzeln gewichen und sein krummer Rücken scheint noch krummer als zuvor. Ich sage nichts - noch nichts.

Er wirkt immer unsicherer, entschliesst sich aber tapfer dazu, die Flucht nach vorn zu ergreifen und fängt wieder an zu quasseln: "Ja nun, ich würde Ihnen gerne ein paar Dinge zum Wahlkampfprogramm der SPD in Bayern erzählen, vielleicht setzen wir uns kurz" und weist auf einen Tisch mit roter Decke, der 3m schräg hinter ihm steht.

Wortlos fixiere ich ihn weiter. Er hat seine letzte Munition verschossen und wirkt fast schon ängstlich. Jetzt bin ich dran: Ich gehe einen halben Schritt auf ihn zu und stehe nun ganz nah vor ihm.  

Mit ruhiger und bestimmter Stimme sage ich nach einer Kunstpause: "Hau bloß ab".

Er tritt rasch einen Schritt zur Seite, um mich vorbeizulassen. Seine Gesichtsausdruck wirkt erleichtert und verunsichert zugleich. Im Vorbeigehen dücke ich Ihm sein Propagandablättchen zurück in die Hand.

Unnötig, zu sagen, dass er, als ich etwa 15m entfernt war, seinen Mut wiederfand um mir nachzufen:"DAS GEHT AUCH HÖFLICHER".

War mir egal. Eigentlich eine nette Begegnung. Vielleicht gehe ich morgen nochmal mit ein paar Kumpels hin... :-)


Viele Grüße



MadChart



 



 

Deine Geschichte müste aber noch weitergehen, denn die nächste Ecke kommt bestimmt,
dort warten dann die anderen Parteien und wenn du dich am Ziel fühlst,
kommt ne Pranke von hinten legt sich auf deine Schultern und ein ungewaschener
unrasierter bärbeissiger alter Mann fragt dich, ob du hier in Bayern auch
schön brav christlich sozial wählst.
Gruß  

Erhol dich gut von dieser Begegnung der finsteren Art.