"Es war Frevel, eine Obszönität"


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Neuester Beitrag: 30.03.03 14:10
Eröffnet am:30.03.03 13:58von: HEBIAnzahl Beiträge:3
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2176 Postings, 7827 Tage HEBI"Es war Frevel, eine Obszönität"

 
  
    #1
30.03.03 13:58
Es war ein Frevel, eine Obszönität. Jene abgetrennte Hand (am Griff?) der Metalltür, der Schlammbrei aus Blut u. Dreck, der über die Straße lief, menschliche Gehirnmassen in einer Garage; in einem noch immer rauchenden Auto das verkohlte Skelett einer irakischen Mutter u. ihrer drei kleinen Kinder. Zwei Raketen, abgefeuert durch einen amerikanischen Jet, haben diese irakischen Zivilisten getötet - ich schätze es sind mehr als 20 Tote: in Stücke gerissen vor ihrer "Befreiung" durch jene Nation, die sie jetzt de facto ums Leben gebracht hat. Wer könnte wohl die Traute haben, dies als 'Kollateralschaden' zu bezeichnen?

Als der Pilot durch den dichten Sandsturm Anflug nahm, war die Abu- Taleb-Straße dicht bevölkert mit Fußgängern u. Fahrzeugen. Gestern Morgen hatte der Sturm Nord-Bagdad in einen Schleier aus rotem u. gelbem Staub gehüllt, vermischt mit Regen. Das Viertel zeugt von erbärmlicher Armut. Hier leben vorwiegend Schia-Muslime - die Art Leute (Schiiten), von denen die Herren Bush u. Blair so optimistisch glauben, sie würden sich gegen Präsident Saddam Hussein erheben. Hier findet man vor allem öldurchtränkte Autowerkstätten, übervöl- kerte Wohnungen u. billige Cafés. Jeder, mit dem ich spreche, hörte das Flugzeug kommen. Ein Mann, noch völlig geschockt vom Anblick der enthaupteten Leichen, bringt immer nur dieselben Worte hervor: "Donner, Blitz". Dann drückt er die Augen so fest zu, dass sich die Muskeln zwischen den Augen kräuseln.

Wie soll man über ein derart horrendes Ereignis schreiben? Am angebrachtesten wäre wohl die Verlesung der medizinischen Berichte. Aber die Zahl der Toten wird wohl bis auf fast 30 steigen. Jeden Tag erleben die Irakis diese Dinge. Warum also nicht gleich die Wahrheit schreiben, die volle Wahrheit, über das, was die Leute hier ständig zu sehen bekommen? Als ich gestern an diesem Ort des Massakers unterwegs war, drängte sich mir eine zweite Frage auf: Wenn es schon hier in Bagdad so schlimm ist, wie wird es erst in Basra u. Nasiriyah sein oder in Kerbala? Wieviele Zivilisten sterben dort - anonym, ohne dass darüber berichtet wird? An diesen Orten sind keine Reporter, die Zeugnis ablegen könnten vom Leid der Menschen.

Abu Hassan u. Malek Hammoud bereiteten gerade das Mittagessen für ihre Gäste im Nasser-Restaurant im Norden der Abu-Taleb-Straße vor. Die Rakete schlug neben der Straße nach Westen ein, die Explosion riss die komplette Café-Front weg. Beide Männer - 48, der andere erst 18 - wurden in Stücke gerissen u. getötet. Ihr Kollege führt mich jetzt durch die Trümmer. "Das hier ist alles, was von ihnen übrig ist" - und dabei hält er mir eine bluttropfende Ofenpfanne hin. Mindestens 15 Autos gingen in Flammen auf, viele ihrer Insassen starben im Feuer. Ein paar Männer rüttelten verzweifelt an sämtlichen Türen eines in Flammen stehenden Wagens. Der Wagen liegt mitten auf der Straße - auf dem Dach. Es war dieselbe Rakete. Hilflos müssen die Männer mitansehen, wie die Frau im Innern mit ihren 3 Kindern bei lebendigen Leibe verbrennt.

Die zweite Rakete schlug genau in die Straße nach Osten ein. Metallteile fuhren in die Körper dreier Männer, die gerade vor einem Betonwohnblock standen - auf dessen Außenmauer die Marmor- worte: 'Dies ist Gottes Besitz'. Der Hausmeister des Gebäudes, Hishem Danoon, war sofort zum Eingang geeilt, als die massive Explosion ertönte. "Dort drüben fand ich Ta'ar, in Stücke gerissen", sagt er. Ich sehe, dass Ta'ars Kopf fehlt. "Und dort ist seine Hand" - eine Gruppe junger Männer und eine Frau führen mich auf die Straße. Dort erwartet mich eine Szene wie aus einem Horrorfilm: Ta'ars Hand, am Handgelenk abgetrennt, seine 4 Finger u. der Daumen um ein Stück Dachmetall gekrallt. Genau im selben Moment wie Ta'ar muss auch sein junger Kollege Sermed gestorben sein. Dessen Gehirn - in einer chaotisch blassrotgrauen Masse - liegt aufgehäuft ein paar Schritte weiter hinter einem ausgebrannten Wagenwrack. Beide Männer waren Angestellte von Hausmanager Danoon - ebenso wie der dritte Tote, ein Türsteher. Im Gespräch mit den Lebenden, gewinnen die Toten allmählich ihre Identität zurück. Da ist der Besitzer eines Elektrogeschäfts, den es hinter seiner Ladentheke getroffen hat. Es war die gleiche Rakete, die Ta'ar, Sermed u. den Türsteher in Stücke riss. Und sie tötete auch jenes junge Mädchen, das an der Zentralreservation stand u. gerade über die Straße wollte. Sie tötete einen Lastwagenfahrer (ihn traf es wenige Fuß neben der Raketen-Einschlagsstelle). Und die Rakete tötete auch jenen Bettler, der regelmäßig zu Danoon kam u. um Brot bettelte; gerade wollte er wieder gehen, als die Rakete zischend durch den Sandsturm geflogen kam u. sein Leben auslöschte.

Die britisch-amerikanischen Truppen (vonwegen "Koalition', alles Unsinn) in Katar haben eine Untersuchung (des Vorfalls) angekündigt. Die irakische Regierung - die einzige Partei, die etwas von dem Blutbad haben könnte, nämlich einen Propagada-Effekt -, hat natürlich erklärt, sie hätte nichts damit zu tun. Ursprünglich wurde von ihr die Opferzahl mit nur 14 Toten angegeben.

Aber was könnte das eigentliche Ziel der Raketen gewesen sein? Einige Iraker sagen, weniger als eine Meile von der Abu-Taleb-Straße entfernt liege ein (irakisches) Militärlager. Ich konnte das Lager allerdings nicht finden. Andere vermuten, man könnte es auf das Hauptquartier der lokalen Feuerwehr abgesehen haben, aber die 'Feuerwehr' als 'militärisches Ziel' - unglaubwürdig. Fest steht jedenfalls, weniger als eine Stunde vorher hatte es einen Angriff auf ein weiter nördlich gelegenes Militärlager gegeben. Ich war gerade daran vorbeigefahren, als 2 Raketen in die Basis einschlugen u. explodierten. Irakische Soldaten kamen aus den Toren gerannt, liefen am Straßenrand entlang - sie rannten um ihr Leben. Kurz darauf waren 2 weitere Explosionen zu hören: Es waren jene Raketen, die in der Abu-Taleb-Straße einschlugen. Natürlich konnte der Pilot, der gestern diese unschuldigen Menschen tötete, seine Opfer nicht sehen. Die Piloten verlassen sich heutzutage bei ihrem Beschuss auf computergestützte Koordinaten. Ohnedies hätte der Sandsturm den Blick auf die Straße behindert. Ein Freund des toten Malek Hammouds fragt mich, wie die Amerikaner nur so leichtfertig mit dem Leben derer umgehen können, die sie doch angeblich befreien wollen. Er zeigt wenig Interesse für die Geheimnisse der Flugkunst und auch nicht an Waffenabschussystemen. Warum auch, wo Derartiges sich in Bagdad fast schon jeden Tag ereignet. Erst 3 Tage ist es her, als eine komplette 9-köpfige Familie in ihrem Haus nahe Stadtzentrum ausgelöscht wurde. Vor 2 Tagen wurde eine ganze Busladung Zivilisten - so Berichte - auf einer Straße südlich von Bagdad getötet. Und erst gestern erfuhren die Iraker die Identität von 5 zivilen Busreisenden, deren syrischer Bus am Wochenende nahe der irakischen Grenze von amerikanischen Flugzeugen angegriffen wurde.

Die Wahrheit ist schlicht: nirgends in Bagdad ist man mehr sicher. Und je enger Briten u. Amerikaner ihren Belagerungsring um die Stadt ziehen - in den nächsten Tagen, Stunden - desto mehr wird sich diese simple Tatsache bewahrheiten, desto mehr wird Blut fließen. Natürlich könnte man sich auf den moralischen Standpunkt stellen u. Gründe finden, warum all diese Menschen sterben mussten u. müssen. Sie sterben aufgrund des 11. Septembers, so könnte man argumentieren oder wegen Saddams "Massenvernichtungswaffen", wegen Menschenrechtsverletzungen oder weil es uns sosehr am Herzen liegt, sie alle zu "befreien". Und bringen wir jetzt bitte nichts durcheinander vonwegen Öl. Aber auf eins zumindest könnte ich wetten: auch diese Toten wird man letztendlich Präsident Saddam in die Schuhe schieben. Und keine Rede von jenem Piloten - natürlich nicht.

von Robert Fisk
Orginalartikel: "It Was An Outrage An Obscenity"
 

79561 Postings, 8954 Tage KickyTomahawk Missile fliegt in kurdisches Dorf

 
  
    #2
30.03.03 14:09
wütende Dorfbewohner bedrohen Journalisten daraufhin,
mehrere Tomahawks sind auch in Saudiarabien gefunden worden,Fotos wurden bei Euronews gestern gezeigt

wo bleibt da die angebliche Treffgenauigkeit???  

2176 Postings, 7827 Tage HEBIKicky der saubere Krieg bleibt ein Wunschtraum. o. T.

 
  
    #3
30.03.03 14:10

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