Interview: Militärhistoriker Stig Förster


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Neuester Beitrag: 28.03.03 11:11
Eröffnet am:28.03.03 10:46von: StefanDSCAnzahl Beiträge:3
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1014 Postings, 8048 Tage StefanDSCInterview: Militärhistoriker Stig Förster

 
  
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28.03.03 10:46
Militärhistoriker Stig Förster

"Alliierte haben sich maßlos überschätzt"
 
Als Militärhistoriker an der Universität Bern verfolgt Prof. Dr. Stig Förster die Entwicklungen im Irak-Krieg aus seiner ganz eigenen Sicht. In einem Interview mit n-tv.de warnt er davor, mit dem Einmarsch nach Bagdad ein Berlin 1945 zu wiederholen, und attestiert den alliierten Streitkräften eine "Hals-Über-Kopf-Strategie" sowie maßlose Selbstüberschätzung.

n-tv.de: Wenn man auf den Anfang des Irak-Krieges zurückblickt, so war doch bemerkenswert, dass die Amerikaner den Krieg nicht mit einem großen Schlag eröffnet haben, wie viele vorausgesagt hatten, sondern mit "Nadelstich"-Angriffen, wie es verharmlosend genannt wurde. Hat Sie dieser Auftakt überrascht?

Förster: Ja, er hat mich in der Tat überrascht, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst einmal ist festzustellen, dass es nicht nur "Nadelstiche" gab, also Bombenangriffe auf Präsidentenpaläste und dergleichen, sondern dass eben auch sehr schnell die Invasion der Bodentruppen in die Wege geleitet wurde. Und das ist insofern überraschend, als man normalerweise davon ausgehen sollte, dass man bei einer systematisch vorbereiteten Kriegsführung - die Planungszeit war ja nun lang genug - zunächst einmal mit längeren Bombardements den Gegner "weich" machen würde, um damit den Bodentruppen den Vormarsch zu erleichtern. Das ist nicht geschehen, und das ist schon erstaunlich.

Sie geben das Stichwort. Mal ist aus Berichten zu erfahren, wie einfach die verbündeten Streitkräfte vorstoßen können; dann wieder ist von massivem irakischen Widerstand zu hören. Der Laie tut sich letztlich ein wenig schwer, daraus eine Strategie der Alliierten abzulesen. Erkennen Sie eine?

Doch, es ergibt sich allmählich ein Bild. Es ist allerdings alles andere als positiv für die amerikanische Kriegsführung. Man kann wohl davon ausgehen, dass diese Kriegsführung auf der Grundlage maßloser Selbstüberschätzung - so, wie sie bis jetzt stattgefunden hat - eingeleitet worden ist. Selbstüberschätzung und auch Unterschätzung des Gegners, denn dass es so massiven Widerstand geben würde, damit haben die politischen Führer offensichtlich nicht gerechnet. Das Resultat davon ist eine Hals-über-Kopf-Strategie, die darauf hinaus läuft, so schnell wie möglich mit Panzerspitzen Richtung Bagdad vorzustoßen, Städte wie Basra links bzw. rechts liegen zu lassen, um darauf zu hoffen, dass der Gegner einfach auseinander bricht. Das ist nun nicht geschehen, und das Resultat davon ist ganz einfach eine sehr schwierige Situation.

Was müssten die Alliierten denn tun?

Praktisch müsste man das Ganze von vorne beginnen, neu nachdenken und die Operation grundlegend verändern. Denn es kommt ja noch hinzu, dass die Versorgungslinien sehr lang und verwundbar geworden sind. Das heißt im Grunde genommen stellt sich zunächst einmal das Problem, dass man den Vormarsch stoppen muss, um die Versorgung sicherzustellen.

Man ist also viel zu schnell vorgerückt?

Genau, und hat keine Basislager entlang der logistischen Versorgungslinien eingerichtet. Das muss alles jetzt geschehen. Hinzu kommt, dass man noch mehr Truppen ins Land holen muss. Auch das ist schlecht vorbereitet worden, weil die Truppen, die eigentlich von der Türkei aus für die Nordfront vorgesehen waren, sich jetzt erst auf dem Wege Richtung Kriegsschauplatz befinden, und das ist natürlich ein recht langer Weg durch das Rote Meer und den Persischen Golf.

Die alliierten Streitkräfte stecken derzeit strategisch also in einem Dilemma. Gibt es einen Ausweg?

Es gibt natürlich noch eine weitere Option, auf die offensichtlich die Militärführung auch gehofft hat. Das ist, mit Spezialeinheiten zu versuchen, punktuell in Bagdad und am Rande der Stadt militärische Erfolge gegen die republikanischen Garden zu erzielen. Ich glaube allerdings nicht, dass das gehen wird. Die Iraker hatten ein Jahr lang Zeit sich auf den Krieg vorzubereiten. Und man sieht es ja auch, wie gut sie sich vorbereitet haben. Sie werden auch für dieses Szenario Gegenmaßnahmen getroffen haben, so dass ein solcher Versuch sicherlich in einer großen Schlacht um Bagdad enden würde.

Ein schnelles Kriegsende schließen Sie also aus?

Nicht nur ich. Heute morgen hat die Washington Post zum Beispiel einen Artikel veröffentlicht, indem es aus Militärkreisen heißt, dass dieser Krieg wahrscheinlich Monate dauern wird. Es zeigt sich dabei übrigens auch ein zunehmender Bruch zwischen der politischen und der militärischen Führung auf Seiten der Vereinigten Staaten, denn ich bin ziemlich sicher, dass, hätte man die Militärs machen lassen, sie den Krieg ganz anders geführt hätten.

Kann man sagen, dass die Bomben das Volk und seinen Diktator erst richtig zusammengeschweißt haben?

Das kennt man ja aus der Militärgeschichte, zum Beispiel aus dem Zweiten Weltkrieg. Ob das auch im Irak so ist, ist schwer zu beurteilen. Ich würde da vorsichtig sein. Aber tendenziell ist das sicherlich eine Möglichkeit, die aus der Sicht der Amerikaner sehr bedrohlich sein dürfte. Das gilt gerade auch für eine Stadt wie Basra, wo die Alliierten ganz offensichtlich gehofft hatten, dass die Schiiten sehr schnell zu ihnen jubelnd übergehen würden. Das ist aber ganz eindeutig nicht der Fall.

Nun stehen die Alliierten kurz vor Bagdad. Viele warnen davor, dort mit einer Armee einzumarschieren. Warum empfiehlt sich das nicht?

Nun, das wäre natürlich der schlimmstmögliche Fall. Wenn man das tun müsste, bräuchte man sehr viele Truppen. Es gebe einen Haus-zu-Haus-Kampf. Bagdad würde sich in ein Berlin verwandeln wie 1945. Bei derartigen Kämpfen nutzt nämlich auch die technologische Überlegenheit nicht mehr so sehr viel. Die Folge wären hohe Verluste auf beiden Seiten und natürlich extrem hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung. Wenn das Szenario eintreten würde, könnte man sagen, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten den Krieg zwar im Endeffekt militärisch gewinnen würden, aber politisch hätten sie ihn dann verloren.

Wie wahrscheinlich ist für Bagdad ein Bombenkrieg, wie er seinerzeit in Hamburg oder Dresden erlebt wurde?

Flächenbombardements auf eine Großstadt sind recht unwahrscheinlich, denn auch dieses würde natürlich politisch furchtbare Folgen für das Image der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten haben. Auch das käme einer politischen Niederlage gleich.

Ihr Kollege, der Militärhistoriker Prof. Dr. Bernhard Kroener von der Universität Potsdam, meint, dass eine Großstadt - wenn Widerstand geleistet wird - prinzipiell nicht einzunehmen ist. Welche Möglichkeiten bleiben in so einem Fall noch? Was würden Sie den Amerikanern raten?

Den Krieg abzubrechen, aber im Ernst, das ist natürlich im Moment keine Option. Im Grunde genommen kann man ihnen schlecht raten, weil sie sich in eine äußerst bedrohliche Lage manövriert haben. Die Optionen sind einerseits, die Stadt tatsächlich durch Häuserkampf zu erobern ...

... aber da lehrt ja die Geschichte, dass das kaum ...

... nein, es geht, man sieht das ja an Berlin 1945. Das kann man machen, allerdings ist der Preis dafür enorm. Das zweite wäre tatsächlich, die Stadt in Schutt und Asche zu bomben. Auch das ist, wie bereits erwähnt, keine besonders gute Strategie. Und die dritte Möglichkeit wäre, die Stadt zu umzingeln und auszuhungern. Das ist ja das, was die Wehrmacht ab 1941 mit Leningrad probiert hat. Man weiß allerdings, welche Folgen das hat. Und in diesem Falle ist es ja auch noch so, dass die Vertreter der Weltpresse in Bagdad anwesend sind. Wenn dann die Kinder und auch die Erwachsenen zu Tausenden verhungern und verdursten, gibt das sofort entsprechende Bilder auf den internationalen Fernsehschirmen.

(Das Gespräch führte Marc Raschke)
 

2176 Postings, 7830 Tage HEBIGrandiose Analyse-stimmt sehr nachdenklich. o. T.

 
  
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28.03.03 10:57

7336 Postings, 7790 Tage 54reabsollte der rak standhalten,

 
  
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28.03.03 11:11
erwarte ich auch einen ring um bagdad. häuserkampf wird die koalition vermeiden. es wird zu einem aushungern (es wird dabei keine fernsehübertragungen mehr geben) mit kombiniertem angriff durch schiitische und kurdische truppen kommen. das kann sich dann schon monate hinziehen. pilotierung wird in basra durchgeführt.  

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