Im Club der Verlierer - Bitte Platz nehmen!


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24466 Postings, 7147 Tage EinsamerSamariterIm Club der Verlierer - Bitte Platz nehmen!

 
  
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30.03.05 15:08
Nachbeben des Scheiterns sind bis heute zu spüren

Im Club der Verlierer

Vor fünf Jahren scheiterte die Fusion zwischen Deutscher und Dresdner Bank. Eine Geschichte über geplatzte Träume und zerbrochene Karrieren.

FRANKFURT. Mittwoch, 15. März 2000: Rolf-E. Breuer, Chef der Deutschen Bank, bereitet sich auf einen der wichtigsten Termine seiner Laufbahn vor. Am nächsten Tag soll der Rheinländer mit seinem Charme die misstrauischen Mitarbeiter in aller Welt vom Segen der Großfusion mit dem Konkurrenten Dresdner Bank überzeugen. Über eigens gemietete Satelliten soll die frohe Botschaft noch in die entlegensten Winkel des Deutsche-Bank-Reichs ausgestrahlt werden – bis nach Hongkong und Moskau.

Doch Breuer sagt den minutiös vorbereiteten Termin plötzlich und völlig überraschend ab. Stattdessen fliegt er am Donnerstag nach London, um sich dort mit Edson Mitchell, dem mächtigsten Investmentbanker der Deutschen Bank zu treffen. Seit Tagen haben sich Wut und Frustration bei den Investmentbankern aufgestaut. Hinter verschlossenen Türen „wurde es sehr laut“, erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter – aus der Jubelfeier wird so, Tage nach der vermeintlichen Geburt der neuen Großbank, ein Krisengipfel.

Längst ist der Vorvertrag für den Zusammenschluss da schon unterschrieben. Längst haben die Aufsichtsräte das Projekt abgenickt. Längst ist die Balance des Deals so austariert, dass man die Übernahme der kleinen Dresdner durch die große Deutsche als „Fusion unter Gleichen“ verkaufen kann. Längst hat Breuer auf einer Pressekonferenz „vom globalen Powerhouse“ geschwärmt. Alles schon wieder vergessen und vorbei. Die Fraktion um Mitchell macht ihrem Chef unmissverständlich klar, was sie von der Fusion hält: wenig, verdammt wenig.

Hunderttausende ließ sich die Deutsche Bank die Satellitenverbindungen für Breuers geplante Charmeoffensive kosten, verlorenes Geld. Und es ging an diesem Tag noch viel mehr verloren. Es war der Anfang vom Ende des wohl ambitioniertesten Projekts in der deutschen Bankengeschichte. Eine Megabank wollten Breuer und sein Kollege Bernhard Walter von der Dresdner errichten, einen Global Player mit Aktivitäten in 130 Ländern, die Nummer eins der internationalen Ranglisten. Der Traum aber platzte wie ein ungedeckter Scheck.

Das war Anfang April vor fünf Jahren, die Nachbeben des Scheiterns sind bis heute zu spüren. Für viele in Frankfurt war die geplante Fusion die letzte große Chance für die oft beschworene Bankenkonsolidierung in Deutschland. Noch immer wird in den Vorstandsetagen über „hätte, könnte, wäre“ diskutiert.

Damals bastelte die versammelte Bankenelite am Modell des Großinstituts. Unbeschädigt ging keiner aus dem Desaster hervor. Karrieren zerbrachen genauso wie der Traum vom Global Player. „Das war ein Schlüsselereignis. Alles, was in der Bankenlandschaft danach passierte, lässt sich ohne die Blamage nicht verstehen“, sagt einer, der mit am Verhandlungstisch saß.

Geträumt wurde der Traum in Frankfurt und München. Im Januar 2000 trifft sich Breuer mehrmals heimlich mit Henning Schulte-Noelle, dem Chef des Versicherungsriesen Allianz, und Paul Achleitner, dem ehemaligen Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs, der nun als Allianz-Finanzvorstand weiter zu den großen Strippenziehern im Fusionsgeschäft zählt.

Breuer hatte sich lange auf den Coup vorbereitet. Bereits 1998 ließ er sich von McKinsey ausrechnen, dass in Deutschland die Fusion mit der Dresdner die sinnvollste Lösung wäre. Doch ohne den Segen von Schulte-Noelle, dem Grandseigneur der heimischen Finanzszene, geht in Sachen Dresdner Bank nichts. Die Allianz hält 22 Prozent an dem Geldhaus. Deshalb wendet sich Breuer direkt an den Vater der Braut. Der ist nicht uninteressiert, aber er fordert eine hohe Mitgift.

Drei Perlen will sich Schulte-Noelle einverleiben. Die Fondstochter der Deutschen Bank, DWS, den Versicherer Deutscher Herold und die italienische Finanza & Futuro – alles zusammen zum Schnäppchenpreis von zehn Milliarden D-Mark. Dazu noch die Hälfte des Privatkundengeschäfts der Deutschen Bank 24, quasi obendrauf für zwei Milliarden. Breuer schluckt heftig – und akzeptiert, aus heutiger Sicht nahezu unvorstellbar.

Doch damals, vor fünf Jahren, sah die Bankenwelt ganz anders aus. Es war der Hochsommer der New Economy. Die Aktienindizes eilten von Rekord zu Rekord. Der Neue Markt stand in voller Blüte. In den Banken verdienten die Investmentbanker das Geld. Das Privatkundengeschäft kümmerte im Schatten vor sich hin.

Bei der Deutschen Bank erhält die Fusionsoperation den unglaublich originellen Geheimnamen „Blau und Grün“, bei der Dresdner läuft das Projekt unter dem Code „Beta und Delta“. Gelingt der Coup, würden die Protagonisten zu Helden. Scheitert er aber, droht die totale Blamage. Was also hat die Top-Banker getrieben? Warum ließen sich Breuer & Co auf dieses Risiko ein?

Für viele in der Szene galt Breuer damals nur als Interimslösung auf dem Chefsessel der Deutschen Bank. In der Fusion sieht der gebürtige Bonner die große Chance, zu seinen legendären Vorgängern Hermann Josef Abs und Alfred Herrhausen aufzuschließen. Allianz-Vorstand Paul Achleitner beglückt die Möglichkeit, Industriegeschichte zu schreiben, der Traum jedes ehrgeizigen Investmentbankers. Schulte-Noelle wittert einen brillanten Deal, mit einem sicheren Gewinner, der Allianz. Und Bernhard Walter? Für viele Banker ist er immer nur der nette Herr Walter von der Dresdner gewesen. Der Schwabe hatte 1998 einen schweren Start als Vorstandschef, übernahm ein Haus ohne Strategie. „Walter hat die Bürde des Sprecherjobs bedrückt“, meint ein Weggefährte. Mit der Hypo-Vereinsbank hatte er zuvor schon über eine Fusion verhandelt. Aber auch mit der Deutschen hat Walter bereits früher geflirtet. Das Projekt scheiterte, aus Angst der Dresdner: „Die Blauen machen uns platt.“

Sonntag, 26. März: An diesem Tag treffen sich die beiden Bankchefs in Breuers Privathaus. Es wird kein gemütliches Kaffeestündchen. Hartnäckig halten sich Gerüchte, die Deutsche wolle die Investmentbankentochter der Dresdner ausschlachten oder gar ganz verkaufen. Wer die Flüsterkampagne steuert, scheint klar: Edson Mitchell, der Amerikaner mit dem kantigen Gesicht, der Vater des Investment-Bankings der Deutschen, der Mann, der zehn Millionen Mark verdient und dessen Truppe 1999 den Gewinn um 160 Prozent gesteigert hat.

Auf der Fusionspressekonferenz im Atrium der Dresdner hatte Breuer Dresdner Kleinwort Benson (DKB) am 9. März noch als Juwel bezeichnet, das weder geschlossen noch verkauft wird. Einen Satz, den er mehr als einmal bereut haben dürfte. Denn in London hat die Truppe um Mitchell Breuer klar gemacht, dass die Integration von DKB keinen Sinn macht. Allenfalls die Top-Teams könne man gebrauchen, einige hundert von 7 500 Bankern. Ansonsten gebe es viel zu viele Überschneidungen. Plötzlich will Breuer „alle Optionen“ für DKB prüfen. „Wir haben zwar einen Vorvertrag, aber wir müssen täglich prüfen, ob wir in die richtige Richtung gehen.“

„Wir konnten gar nicht glauben, was da passiert“, erzählt ein Ex-Mitarbeiter von Walter. Ausgerechnet DKB steht zur Disposition, ausgerechnet der Unternehmensteil, auf den der Dresdner-Boss so stolz ist und der zwei Milliarden Mark zum Jahresgewinn beiträgt. „Die Angst war riesig, dass die Verhandlungen scheitern und wir ohne Investmentbank, quasi kastriert, dastehen“, erzählt der Ex-Dresdner-Banker.

Aber noch ist es nicht soweit, noch glaubt Breuer, dass er Mitchells Mannschaft zähmen kann. Schließlich versichert ihm auch der zuständige Vorstand Josef Ackermann, dass er seine Leute im Griff hat. Der Schweizer steht damals zwar noch nicht lange in Diensten der Deutschen Bank, aber der talentierte Newcomer gilt bereits als zweitmächtigster Mann im Konzern. Mitchell lässt sich davon nicht beeindrucken. Er setzt die Politik der Nadelstiche fort und wirbt kurzerhand ein ganzes Analystenteam bei der Dresdner ab.

Doch DKB ist nicht die einzige Sorge, die Mitchell und seine Leute umtreibt. Seit Bekanntwerden der Fusion ist der Börsenkurs der Deutschen Bank um 25 Prozent eingebrochen, der Dresdner ergeht es kaum besser. Dagegen gewinnt die Allianz-Aktie vier Prozent. „Dem Markt war schnell klar, wer die Gewinner und Verlierer sind“, erzählt ein ehemaliger Deutschbanker. „Als die Kurse fielen, geriet der ganze Deal ins Trudeln.“

Dienstag 4. April: Die Lage spitzt sich zu. T. J. Lim, der Chef des Anleihegeschäfts von DKB, wechselt zu Merrill Lynch. Ein Team von Aktienexperten desertiert in Richtung Salomon Smith Barney und eine Hand voll Trader hat bei Lehman Brothers unterschrieben. Die Investmentbank der Dresdner droht auszubluten. Inzwischen verkehren die Fusionspartner vor allem schriftlich miteinander. In einem Brief des Dresdner-Vorstands an die Deutsche heißt es: Ein Verkauf von DKB kommt nicht in Frage.

Gegen Mittag setzen sich Walter und Breuer im Vorstandsgebäude der Dresdner noch einmal zusammen. Für Breuer überraschend, trifft er auch auf Schulte-Noelle und Achleitner. Der Allianzboss argumentiert und appelliert, versucht zu retten, was noch zu retten ist. Breuer gibt sich kompromissbereit, zumindest eine Teilintegration von DKB sei möglich. Dresdner Vorstand Bernd Fahrholz solle doch noch am gleichen Abend die wenigen Meter zu den Türmen der Deutschen Bank marschieren und sich dort mit dem Kollegen Ackermann zusammensetzen. Der werde sich wegen eines Termins melden.

Ackermann aber meldet sich nicht. Als Fahrholz selbst zum Hörer greift, erfährt er, dass der Schweizer die Bank schon verlassen hat. „Ein Schlag ins Gesicht für die Dresdner, aber auch für Breuer“, erinnert sich ein Deutschbanker.

Mittwoch 5. April: Gegen elf Uhr klingelt das Telefon in Breuers Büro. Am Apparat ist Walter. Das Gespräch dauert nur wenige Minuten. Der Dresdner-Chef sagt den Deal endgültig ab.

„Wir hatten die historische Chance verpasst, einen internationalen Champion zu bauen, und wir wussten, dass das Scheitern dramatische Folgen haben würde“, erzählt einer, der für die Dresdner mitverhandelt hat. Am Ende sei tatsächlich alles so gekommen wie damals befürchtet: „Die einheimischen Banken sind heute international marginalisiert, auch die Deutsche.“ Die sieht das naturgemäß ganz anders: „Aus der Fusion wäre eine riesige Investmentbank entstanden. Was wäre mit einem solchen Haus wohl nach dem Börsencrash geschehen?“

Dresdner-Chef Walter legt noch am 5. April sein Amt nieder. Breuer ignoriert alle Rücktrittsforderungen. Aber auch er kommt nicht ohne Blessuren davon. „In einer Vorstandssitzung kurz nach dem Scheitern sollte Aufsichtsratschef Hilmar Kopper Breuer den Rücken stärken“, berichtet ein Ex-Deutschbanker. „Kopper kam viel zu spät zur Sitzung, mehr als laue Worte fand er nicht.“ Schon im September 2000 stellt der Vorstand der Deutschen die Weichen für Breuers Nachfolge.

Edson Mitchell, der kritische Starbanker der Deutschen, stürzt am 22. Dezember 2001 beim Flug in den Weihnachtsurlaub mit einer Privatmaschine im US-Bundesstaat Maine ab und kommt ums Leben.

Und die Allianz? „Schulte-Noelle und Achleitner mussten einen sehr guten, gegen einen sehr schlechten Deal eintauschen“, so drückt es ein Deutschbanker aus. 2001 hat die Allianz die Dresdner schließlich selbst übernommen. 19 Milliarden Euro ließ sich die Allianz den Kauf der angeschlagenen Beteiligung kosten. Jahrelang verdarben die Dresdner-Verluste Schulte-Noelles Bilanzen.

Doch die Folgen des Scheiterns gingen weit über den Kreis der Beteiligten hinaus. „Das Desaster hat die Bankenkonsolidierung in Deutschland einfach ausgebremst“, klagt ein Frankfurter Investmentbanker. „Danach sind alle in die Schützengräben gegangen, haben die Helme aufgezogen und sich keinen Meter mehr bewegt.“

Quelle: HANDELSBLATT, Mittwoch, 30. März 2005, 09:34 Uhr

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