Ein Versuch, das Imperium Microsoft zu entzaubern


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95441 Postings, 8527 Tage Happy EndEin Versuch, das Imperium Microsoft zu entzaubern

 
  
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10.03.03 11:13
ariva.de

In ihrer eigenen Liga befinden sich die USA nicht nur wegen ihrer militärischen Stärke. Sie spielen auch dort, weil sie sich im Besitz eines überlegenen Way of Life wähnen und den missionarischen Auftrag fühlen, diesen überall auf der Welt zu verbreiten und durchzusetzen. Etliche US-Unternehmen haben sich diese politische Theologie zu eigen gemacht und gehen mit ebensolchem Eifer und Elan daran, die Werte des Freihandels und des individuellen Glücks global zu verbreiten und die Welt nach ihrem Bilde zu formen.

Konzentrische Machtentfaltung

Was MTV heute für die Popkultur, Hollywood für die Filmindustrie und CNN für den Nachrichtenmarkt darstellen, gilt im IT-Bereich vielleicht in noch viel größerem Maße für den Software-Giganten Microsoft. Sie ist die Firma, die den Willen nach Extension derzeit am reinsten und eindrucksvollsten verkörpert und diese Politik der konzentrischen Machtentfaltung ("embrace and extend") zur Geschäftsidee erhoben hat.

Seit Jahren verfährt die Firma im Software-Bereich machtpolitisch ähnlich unnachgiebig forsch und aggressiv wie das neue Rom. Auch dieser Koloss richtet seine Firmenstrategie global aus; auch er duldet keinen Rivalen neben sich; und auch er versieht seinen Anspruch auf Wachstum, Kapitalmehrung und Profitnahme mit einem Weltbeglückungsplan, nämlich der Idee, alle mit allem und alles mit allen zu vernetzen.

One World, One Web, One Program
Microsoft-Slogan


Um Gott und die Welt auf einer einzigen Plattform zu versammeln, bedient sich die Firma ähnlich zweifelhafter Methoden und Praktiken wie die Muttermacht. Während das Imperium Koalitionen, Verträge und Abkommen nach Gutdünken schließt oder bricht, Staaten und Nationen mit Einschüchterung, Drohung und Erpressung an sich bindet und mit Despoten, Monarchen oder Warlords wechselhafte Allianzen und Partnerschaften eingeht, kopiert Microsoft seit Jahren erfolgreiche Programme anderer Unternehmen, fügt sie dem eigenen Betriebssystem Windows zu und fegt dann mittels solcher Softwarebündel, die sie per Lizenzvergabe verhökert, potentielle Konkurrenten vom Markt.

Die Bestie

Das Image, das die Firma bei Unternehmen, Programmierern und Usern genießt, ist daher ähnlich mies wie das des neuen Rom. Auch Microsoft eilt der Ruf voraus, "Biest" oder "Bestie", "Reich des Bösen" oder "böses Imperium" zu sein. Kein Wunder, dass die allermeisten Urteile, die über die Firma kursieren, wenig schmeichelhaft für das Unternehmen ausfallen.

Deswegen bemüht man sich auch am Firmensitz in Redmond schon seit Jahren um ein bessere Außendarstellung. Um Ansehen, Prestige und Strahlkraft der Firma bei den Kunden zu heben, leistet sich man zwar noch kein Office of Global Communication. Doch gründet auch Bill Gates Stiftungen, verschenkt Geld, unterstützt Nonprofit-Organisationen oder lässt beizeiten (wie neulich geschehen) ganzseitige Anzeigen in der Tagespresse schalten, in denen Mitarbeitern dafür gedankt wird, dass sie die Firma zu "Deutschlands bestem Arbeitgeber" gekürt haben.

Trotz etlicher Gemeinsamkeiten ist auf einen wirklichen Unterschied aufmerksam zu machen. Im Falle des neuen Rom gibt es bislang keinen Weltenrichter, der solches Tun missbilligt, strafrechtlich verfolgt oder ahndet. Der Firma hingegen hat ihr Geschäftsgebaren mächtigen Ärger mit den amerikanischen Behörden und/oder den EU-Kommissionären eingebracht. Wegen unlauteren Wettbewerbs musste sich Microsoft vor US-Gerichten rechtfertigen und sich einem Jahre dauernden Prozess unterziehen. Vier Jahre lang schwebte über der Firma das Damoklesschwert, wie vormals der Ölgigant Standard Oil Company oder der Telefonriese AT & T von den Richtern in zwei Unternehmen zerschlagen zu werden.

Gulliver fesseln

Erst mit dem Antritt der Bush-Administration gelang es der Firma, diese Gefahr in einem außergerichtlichen Verfahren mit dem US-Justizministerium abzuwenden. Am 1. November des letzten Jahres erklärte die Richterin Colleen Kollar-Kotelly das Verfahren für beendet. Diesem Urteil zufolge bleibt die Firma zwar erhalten. Im Gegenzug verpflichtet sie sich aber technische Informationen über sein Betriebssystem ausgewählten Konkurrenten zukommen zu lassen. Die Befürchtung von Bill Gates, dass die Umsetzung der Strafforderungen der Kläger die Entwicklung von Windows um zehn Jahre zurückwerfen werde, wurde "erhört" und ist nun vorerst vom Tisch. Microsoft wird es folglich auch künftig nicht verboten sein, immer neue Anwendungen seinem Betriebssystem einzuverleiben, so wie es das mit dem Internet Explorer oder dem Media Player gemacht hat.

Anhängig ist bislang aber noch ein Verfahren der EU-Kommission wegen des Verdachts der Monopolisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs. Auch die Wettbewerbshüter werfen Microsoft vor, gegen EU-Wettbewerbsregeln verstoßen und die marktbeherrschende Stellung seines Betriebssystems Windows dazu missbraucht zu haben, bei Multimedia-Software und Servern die Konkurrenz auszubremsen. Sollte Microsoft der Trennung des Media Player von Windows nicht zustimmen und/oder Konkurrenten technische Informationen über Windows nicht zugänglich machen, droht dem Softwarekonzern eine saftige Geldbuße, die nach jüngsten Schätzungen über drei Milliarden Dollar betragen könnte, was etwa zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes entsprechen würde.

Diese Summe dürfte auch für die reichste Firma der Welt kein Pappenstiel sein. Laut  Presseberichten hat die Firma den Wettbewerbshütern inzwischen auch einen neuen Vorschlag unterbreitet, wie es seine Marktmacht bezüglich Multimedia-Programmen und Netzwerkrechnern künftig  beschränken wolle.

Die Medienmacht

Damit sind bereits eine Reihe der Themen eines Readers genannt, der es sich zur Aufgabe macht, den Rätseln und Geheimnissen dieses beispiellosen Siegeszuges, den die Firma in den letzten drei Jahrzehnten weltweit genommen hat, auf die Spur zu kommen. Herausgegeben haben ihn die beiden Leiter der Wissenschaftsabteilung des Suhrkamp Verlages, Bernhard Stiegler und Alexander Roesler. Erschienen ist das Buch im Herbst letzten Jahres, ein paar Tage bevor die amerikanische Richterin ihr Urteil im Microsoft-Prozess verkündet hat. Dieser "Timelag" tut dem Buch aber keinen Abbruch.

Wer sich dem Phänomen Microsoft nähern, sich über den "Programmierer" Bill Gates und dessen Geschäftspraktiken informieren will; wer Aufklärung darüber sucht, warum Microsoft binnen kürzester Zeit zum Giganten und Krösus der gesamten Geschäftswelt aufgestiegen ist; und wer sich obendrein Einblick in diesen "komplexen Verbund aus Medienmacht, Wirtschaftskraft und Ideologie" verschaffen will: der ist oder wird mit diesem Buch bestens bedient. Gleichwohl bietet der Band eine Fülle an Anekdoten und Details zur Geschichte und Entwicklung dieser Firma und ihres Gründers.

Wolfgang Hagen etwa vergleicht die Firmenstrategie Bill Gates mit der Vision McLuhans und zieht Parallelen zur geopolitischen Expansion des neuen Rom. Dieser Text kann  hier nachgelesen werden. Bernd Dotzler dagegen sieht den weltweiten Erfolg der Firma in der Erfindung einer "Killer Applikation". Den Firmengründern sei es gelungen, mit Windows ein attraktives Produkt zu schaffen, das riesige Marktkräfte mobilisiert und zum unentbehrlichen Konsumartikel wird. Je mehr Nutzer es fortan besitzen, desto mehr Entwickler schreiben dafür Applikationen, was noch mehr Nutzer anzieht. Friedrich Kittler wiederum zeigt, dass die Redmonder Auftragsvergaben an Wohlverhalten knüpfen. Microsoft hätte den "Hammer"-Chip von AMD nicht mit Software unterstützt, wenn Mr. Sanders, Vorstandsvorsitzende dieser Firma, vor Gericht nicht zugunsten von Microsoft ausgesagt hätte.

Natürlich kommen auch die üblichen Vorwürfe zur Sprache: Microsoft verhindere durch seine Medienmacht notwendige Innovationen in der Programmentwicklung; durch immer neue Updates und Integration von Anwenderprogrammen blähe es sein Betriebssystem unnötig auf, was zu Lasten der Speicherkapazität der Chips gehe; der Konzern hüte seinen Quellcode wie einen Augapfel und behindere dadurch den Wettbewerb usw.

Dass die Firma ihren mehrere Millionen Zeilen langen Quellcode wie den Goldschatz von Fort Knox bewacht, sollte aber niemanden verwundern. Auch Pharmaunternehmen, Getränkefirmen und Nahrungsmittelkonzerne tun das. Warum sollte das bei Programmcodes plötzlich anders sein. Schließlich stellen diese Programmzeilen den ganzen Besitz der Firma dar. Zirkulieren solche Blaupausen offen auf dem Markt, wäre es um manche Firma geschehen. Für Konkurrenten wäre es ein leichtes, besonders gute Problemlösungen zu imitieren oder ähnliche Produkte zu klonen, ohne dafür den notwendigen und äußerst aufwändigen Entwicklungsaufwand betreiben zu müssen.

Im Übrigen ist es ein Irrtum, dass Software (Informationen, Daten, Wissen) jemals frei zugänglich war. Sie wurde von Propheten, Priestern, Medizinmännern und anderen Managern der Macht streng gehütet und hatte auch immer ihren Preis. Nur unwichtige und belanglose Programme, Inhalte und Botschaften zirkulierten offen und frei auf dem Markt. Auch in diesem Bereich gilt: Nicht Neues unter der Sonne.

Der Rivale

Naturgemäß breiten Raum nimmt Open-Source ein. Um Linux und nicht-proprietäre Modelle kümmert sich eingehend Tilman Baumgärtel, der noch einmal die Geschichte der Bewegung skizziert und die "Kultur des Schenkens und Teilens" (offene Standards, freier Zugang Informationsfreiheit ...) als Gegengift und große Alternative zu der des "Protected Mode" feiert. Auf dem Konsumentenmarkt tut sich das Alternativ-Betriebssystem für PCs freilich noch sehr schwer. Nach wie vor gilt das Pinguin-System als vergleichsweise umständlich für Otto-Normalanwender.

Dennoch gehen Marktforscher davon aus, dass binnen fünf Jahren rund die Hälfte aller Internet-Server unter Linux laufen. Damit könnte das Programm zum ernstzunehmenden Rivalen von Microsoft aufsteigen. Vor allem dann, wenn Behörden und Regierungen Ankündigungen wahr machen und Linux-Pakete verstärkt auf ihre Server packen. Anwender könnten dadurch sozusagen die Angst vor neuen Programmen verlieren. User - darum heißen sie auch so - lieben bekanntlich das Gewohnte und Vertraute. Was sie in der Arbeit verwenden, nutzen sie auch zu Hause vor dem Rechner.

Dass der Pinguin bald zur größten Konkurrenz werden könnte, mit der Microsoft jemals konfrontiert war, glaubt Stefan Krempl hingegen nicht. Durch den Verkauf von Lizenzen liege die Marktabdeckung durch Windows inzwischen bei nahezu 95 Prozent. Aufgrund prall gefüllter Kriegskassen könne die Firma durch Updates oder parasitäre Programme rasch jeden möglichen Rivalen vom Markt drängen. Schon munkelt man in der Branche, dass die Gates-Company die Gefahr, die von Linux droht, erkannt habe. Um das Aufkommen eines solchen Konkurrenten schon im Keim zu ersticken, arbeite die Firma bereits an einem Microlinux.

Das Problem

Die größte Beachtung schenken die Herausgeber dem Datenschutz und der Systemsicherheit. Gleich zwei Texte widmen sich diesem Problemen. Was Sicherheitslücken angeht, so hat sich die Firma in all den Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Immer wieder sind besonders Microsoft-Produkte Ziel virtueller Attacken mit Viren und Würmern geworden. Und das nicht nur, weil die Firma aus dem "Ökosystem" Internet eine Monokultur gemacht hat, in der sich "Krankheiten" und "Schädlinge" leichter ausbreiten können als in heterogenen Systemen.

Inzwischen versucht Microsoft diese Mängel zu beheben und die Lücken zu schließen. Nicht zuletzt deswegen, weil Behörden und Regierungen auf Alternativprodukte umsteigen. Die Firma hat auf das Problem inzwischen reagiert. Beispielsweise hat sie einen  Email-Newsletter gestartet, der Kunden Auskunft zu Fragen der Datensicherheit und des Datenschutz gibt. Kritiker halten das allerdings für  Humbug. Dieses Bulletin verwirrt mehr, als das es hilft. Wer es abonniert, ist danach höchstens seine Email-Adresse los.

Andererseits hat man aber jetzt mit Thomas Richey, einem ehemaligen Direktor der US- Heimatschutz-Behörde, einen hochkarätigen Sicherheitsexperten  angeheuert, um weiter "als strategischer Partner" im Geschäft mit der US-Regierung zu bleiben. Freiwillig haben die Redmonder das sicher nicht getan. Der elfte September und die veränderte Sicherheitslage dürften dabei eine große Rolle gespielt haben. Spätestens seit diesem Datum genießt Systemsicherheit oberste Priorität bei Microsoft-Programmen.

Der Magier

Die erklärte, aber stets unausgesprochene Absicht des Readers, die Firma und deren Gründer zu entdämonisieren oder zu entgeisten, gelingt aber nur zum Teil. Dies liegt weniger an den Herausgebern, als vielmehr an einigen Autoren, die ihren Antipathien gegen die Firma freien Lauf lassen und sich mehr von Vor-Urteilen und Verschwörungstheorien als von Geschichte, Fakten und Zahlen leiten lassen. Dies gilt besonders für die Beiträge von Slavoj Zizek und Peter Weibel. Am wertfreisten ist vielleicht der Beitrag von Joachim Jacob, der sich um eine objektive Darstellung der technischen Stärken und Schwächen der Programme bemüht.

Ein Monopol in Datenverarbeitung muss sich, so der Bundesbeauftragte für Datenschutz, nicht unbedingt negativ auf die Datensicherheit und den Schutz personenbezogener Daten auswirken. Es sorgt nämlich auch für Kompatibilität und Transparenz bei vielen Systemfunktionen. Ohne diese "Monokultur" wäre elektronische Kommunikation vermutlich nicht so einfach. Das enthebt Hersteller freilich nicht von der Aufgabe, Transparenz bezüglich seiner Sicherheitskomponenten einzuführen. Trotz vermehrter Anstrengung auf diesem Gebiet sei das bislang bei Microsoft noch nicht der Fall. Nach wie vor bietet das Unternehmen Programme mit schwer durchschaubaren Strukturen an.

Vielleicht kommt man dem "Rätsel" Bill Gates und dem Geheimnis seines Erfolges am nächsten, wenn man ihn nicht zur Ikone des symbolischen Kapitalismus erklärt wie Slavoj Zizek, sondern ihn mit Harry Potter oder dem Zauberer von OS vergleicht. Nicht nur sein ewig jugendliches Gesicht strahlt diesem Traum von Magie und Fortschritt aus. Offenbar fühlt er sich auch im Kreis von Kindern und Jugendlichen pudelwohl. Sie drücken das aus, was auch er vielleicht am liebsten zur Schau stellt: jugendliche Unbekümmertheit, kindliche Neugierde, grenzenlose Fantasie ....

Als "der Magier" vor ein paar Wochen mit der Bildungsministerin Bulmahn im Münchner Arri-Kino  weilte, um die Sieger eines von Microsoft gesponserten Wettbewerbs zu küren, erzählte er den Jugendlichen von seinem Traum von besseren Computern und Programmen, den er sich später selbst erfüllt hat. Seine Augen sollen dabei geleuchtet haben. Das Zaubern und Träumen hat in ihm niemals aufgehört: "Alles, was wir tun, dreht sich um die Magie der Software." Seine neueste  Vision geht so: Er träumt davon, eines schönen Tages Kunden Programme und Dienste wie Strom zu verkaufen und dafür monatliche Gebühren zu erheben. Ein typisch amerikanischer Traum.
 
Microsoft. Medien, Macht, Monopol, hrsg. von Alexander Roesler und Bernd Stiegler, Suhrkamp, Frankfurt 2002, 11 Euro.  

 

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