Geniale Reformer entsetzt über dumme Nörgler


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Neuester Beitrag: 24.07.03 09:16
Eröffnet am:23.07.03 07:58von: SahneAnzahl Beiträge:8
Neuester Beitrag:24.07.03 09:16von: SchwarzerLo.Leser gesamt:455
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8215 Postings, 8395 Tage SahneGeniale Reformer entsetzt über dumme Nörgler

 
  
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23.07.03 07:58

Geniale Reformer entsetzt über dumme Nörgler

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und CSU-Experte Horst Seehofer verteidigen ihre Gesundheitsreform gegen zahlreiche Kritiker: "Wir werden dieses Werk nicht kleinreden lassen"

BERLIN taz So schnell wird aus einer Fünfparteien-Gesundheitskoalition eine Fünfparteien-Verteidigungskoalition. Vehement wiesen die Verhandlungsführenden der Reformrunde, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Exgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), gestern die Kritik an ihrem Ergebnis von sich - ebenso wie Vertreter von Grünen, CDU und FDP.

Diese Gesundheitsreform, wie sie in der Nacht zu Montag beschlossen worden war, "ist das größte Reformwerk der jüngeren deutschen Sozialgeschichte", sagte Seehofer. "Wir werden uns dieses Werk nicht kleinreden oder -schreiben lassen." Nahezu wortgleich erklärten Schmidt und Seehofer, dass vor allem die Kritiker in den Gewerkschaften und den Krankenkassen doch bitte den Mund halten mögen: "Hätten sie in der Vergangenheit nur die Hälfte von den Effizienzmaßnahmen angefasst, die bereits möglich waren, so hätten wir heute ein gewaltiges Problem weniger in Deutschland", sagte Seehofer. Das Reformpaket sei "das Mindeste, was geschehen muss". Gleichwohl sei das Gesundheitssystem "an die Grenze der Reformfähigkeit gestoßen".

Mit dem bis 2007 kalkulierten Über-23-Milliarden-Euro-Sparpaket sollen die Kassenbeiträge von derzeit 14,4 auf 13 Prozent gesenkt und die gesetzlichen Krankenkassen entschuldet werden. Laut Verbraucherzentrale tragen die Verbraucher bis 2007 einschließlich Tabaksteuer 18,5 Milliarden Euro - Ärzte, Apotheker und Pharmaindustrie nur 3 Milliarden.

Vor allem an einer solchen Kalkulation der Lastenverteilung macht sich die Empörung fest, die seit Montagabend auf die "Eckpunkte der Konsensverhandlungen" niederprasselt. DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer erklärte gestern, die "Eckpunkte gehen einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer und werden nicht nachhaltig für stabile Beitragssätze sorgen". Der Gesundheitssektor sei auch künftig "Spielfeld der Lobbyisten". Ebenso äußerte sich der Sprecher der größten gesetzlichen Kasse AOK: Der Kompromiss stelle "keine nachhaltige Finanzierungssicherung für die Kassen" dar. "Monopole" - gemeint ist die ungebrochene Macht der Ärzteverbände - blieben "ungeschoren".

Kernpunkte des Kompromisses sind: eine Verdopplung der von Kranken erwarteten Zuzahlungen - sie müssen mit einer 10-Euro-Gebühr für sämtliche medizinische Leistungen rechnen; die Finanzierung familienpolitischer Leistungen (Mutterschutz etc.) durch erhöhte Tabaksteuer; komplette Streichung vieler Leistungen: Brillen, Sterbegeld, Entbindungsgeld usw.; Zahnersatz wird privatisiert und muss extra versichert werden.

taz Nr. 7111 vom 23.7.2003, Seite 1, 92 Zeilen (TAZ-Bericht), ULRIKE WINKELMANN

 

10373 Postings, 7788 Tage big lebowskySeehofer hat völlig Recht:

 
  
    #2
23.07.03 08:07
Ein Nonivent mit ein paar Leistungskürzungen ist tatsächlich "das grösste Reformwerk der jüngeren deutschen Sozialgeschichte!"

Aber genau das ist das Verhängnisvolle! Stillstand statt Reformen,im Politikerdeutsch "Stellschrauben stellen".Die wichtigste Stellschraube ist schon gestellt: 5.0 Mio Arbeitslose,dadurch höhere Nettoschuldenaufnahme nötig;die 38.0 MRD € weden nicht reichen.Die beispiellose Reform der Gesundheitssysteme wird spätestens in 2 Jahren verpufft sein; von der gesetzlichen Rentenversicherung ganz zu schweigen.

Ich glaube,wir sind bald am Ende!  

13975 Postings, 8822 Tage TimchenDa nach wie vor nach dem Motto

 
  
    #3
23.07.03 08:07
Freibier für alle verfahren wird, sind leider
keine nachhaltigen Beitragssenkungen zu erwarten.
In kürzester Zeit dürfen die genialen Reformer wieder
ran. Garantiert schon vor 2007.

vielleicht blicken dann die Politiker endlich,
dass bevor man die Sachfragen angeht, erst mal die Personalfragen
zu klären hat.
Nur qualifiziertes Personal kann die anstehenden
Sachfragen auch vernünftig klären.

timchen  

59073 Postings, 8552 Tage zombi17Genialer Nörgler entsetzt über dumme Politiker o. T.

 
  
    #4
23.07.03 08:12

Clubmitglied, 50060 Postings, 8630 Tage vega2000In Frankreich hätten sie das Ministerium zerlegt

 
  
    #5
23.07.03 08:22

gesundheitsreform

Nicht mehr
als Murren

Es ist ein Phänomen: Da werden die Patienten zur Kasse gebeten, während die Ärzte und ihre Funktionäre unbehelligt bleiben - und niemand regt sich bisher auf. Ja, gut, es gibt genau die Proteste, die zu erwarten sind. Die SPD-Linke hat Einwände, die Verbraucherschützer, die Gewerkschaften. Aber das wirkt eher wie ein Ritual, nicht wie eine neue Volksbewegung.

Kommentar
von ULRIKE HERRMANN

Warum also kein Protest? Die Deutschen können sich doch sonst so herzhaft empören, wenn sie plötzlich mehr bezahlen sollen. Man erinnere sich an die "Benzinwut", die dazu führte, dass die Entfernungspauschale drastisch stieg. Oder an die spontane Aktion "mein letztes Hemd" im vergangenen Herbst, als das Kanzleramt viel unerwünschte Wäsche erhielt. Oder an den "Steuersong", der es prompt zum Weihnachtshit brachte.

Aber die Deutschen protestieren nicht immer. Sie sind sehr wählerisch, was sie als Missstand betrachten. Einen spektakulären Protestflop musste gerade der DGB einstecken: Nur 90.000 Bürger bemühten sich bundesweit auf die Straßen, um gegen Schröders Reformagenda 2010 zu demonstrieren. Und bekanntlich war das Mitgliederbegehren der SPD nicht erfolgreicher.

Aus der Individualpsychologie ist bekannt, dass die Menschen "Konten im Kopf" führen. Das sieht so aus, dass man gern auch ein bisschen mehr im Restaurant ausgibt - aber wehe, die Milch wird zehn Cent teurer. Allerdings führt jeder Mensch diese Konten anders. Manche würden gerade beim Restaurant sparen, aber nicht bei den Bioäpfeln.

Was die Gesundheitsreform nun vorführt: Es gibt auch kollektive Konten. Die allermeisten scheinen sich einig zu sein, dass es in den Praxen zugehen darf wie für einige im Restaurant: Macht nichts, wenn der Kellner ein bisschen zu viel einsteckt - oder in diesem Fall der Arzt, Hauptsache er hilft.

Die Großzügigkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass es virtuelle Konten sind, die da geführt werden. Daneben existiert ja noch ein ganz reales bei der Bank. Und da werden demnächst ganz real ein paar Euro mehr eingehen, wenn das Gehalt fällig wird. Die neue Praxisgebühr hingegen ist vorerst fiktiv.

Aber vielleicht findet sich noch jemand, der es mit seinem Sozialsong in die Hitparaden schafft. Gelingt das nicht, geht es weiter wie bisher. Die Kosten im Gesundheitswesen steigen, die Effizienz bleibt gering, die Patienten zahlen weiter drauf, und die Ärzte verdienen maximal abgesichert immer mehr.

taz  

242 Postings, 7697 Tage SchmoekerGeniale Nörgler

 
  
    #6
23.07.03 08:44
Dieses Werk braucht man nicht klein reden, es ist winzig  

8215 Postings, 8395 Tage SahneKritik unerwünscht

 
  
    #7
24.07.03 08:50

Teufel in Gesundheitsdetails

Wie viel Arztgebühr zahlen Sozialhilfeempfänger? Wie wird der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Kassen aussehen? Die "Eckpunkte" der Gesundheitsreform lassen sehr viele Fragen offen. Kritik ist weiter höchst unerwünscht
aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Wer jetzt noch mault, ist zu spät. Protest gegen den Fünf-Parteien-Entwurf zur Gesundheitsreform lässt die Gesundheitsministerin nicht mehr gelten. "Die Kritiker hätten sich bei den Konsensgesprächen melden müssen. Die Reform ist von allen Parteien abgesegnet und kommt auch - so wie sie ist - zum 1. Januar 2004", verkündete Ulla Schmidt (SPD) gestern in ihrem Heimatblatt Aachener Nachrichten.

Diese Haltung ist insofern bemerkenswert, als die Verhandlungen zwischen SPD, CDU, CSU, Grünen und FDP vom 4. bis zum 21. Juli unter größter Geheimhaltung stattfanden. Alle Beschlüsse, die durchsickerten, wurden stante pede dementiert. Skeptiker konnten also nur ins Mutmaßliche hineinkritisieren.

Diese Kommunikationsweise gedenkt die große Gesundheitskoalition jedoch fortzusetzen. Sie nennt das "neuen Politikstil" oder, in den Worten des Unions-Verhandlungsführers Horst Seehofer (CSU), "dass man nicht schwätzt, sondern sitzt und handelt". Nachdem nun die "Eckpunkte der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform" seit Montag offiziell vorliegen, werden Einwände wiederum abgewehrt: Man möge doch bitte den Gesetzentwurf abwarten.

Und für den werden noch viele, viele Teufel aus den Details geholt werden. "Wir müssen das noch rechtlich ausloten", lautet etwa die Antwort von Schmidts Staatssekretär Klaus Theo Schröder auf die Frage, wie die Belastung von Sozialhilfeempfängern durch Arztgebühr und Medikamentenzuzahlung aussehen soll. Grundsätzlich sollen auch alle, die staatliche Unterstützungsleistungen erhalten, in Zukunft mit maximal zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens für Krankheitskosten aufkommen. Ob jedoch von ihnen statt der regulären 10-Euro-Gebühr für Arztbesuch, Krankenhaustag und Medikamente nur eine 1-Euro-Gebühr erwartet wird, oder mehr oder weniger - für die Betroffenen ist das so beunruhigend wie für die Politiker unklar.

Überhaupt, die Arztgebühr: Nein, bar auf den Tresen gelegt und von den Ärzten in einem Schatzkästlein gesammelt werden soll sie nicht. Gedacht ist an elektronischen Einzug. Aber wird die Gebühr dann nicht erst mit der neuen Gesundheitskarte organisierbar? "Ja, schon", gibt ein Ministerialer zu: "Ein System mit Zuzahlungseinzug ist schwierig zu organisieren, und eigentlich nur rein elektronisch möglich." Aha. Aber die Chipkarte, eine Weiterentwicklung der jetzigen Plastik-Versichertenkarte, kommt doch erst 2006? Nun, dann gibts eben eine Übergangslösung. Klingt das nicht nach Papierkrieg? "Von nichts kommt nichts", sagt Schmidt dazu. Wer Zuzahlungen wolle, dürfe die Bürokratie nicht scheuen.

"Völlig offen" ist, wie der Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Kassen um die Zahnersatz-Extraversicherung aussehen wird. Werden die Versicherten zwischen den Kassenarten wechseln können? Weiß man nicht. Auf jeden Fall werden die Privatkassen ihr Angebot von 7,50 Euro pro Monat und Gebiss nicht aufrechterhalten. Das galt für den Fall, dass sie alle 72 Millionen gesetzlich Versicherten zugespielt bekämen. Nun werden sie neu - und höher - kalkulieren.

Die Ministerin setzt darauf, dass der Wettbewerb beweisen wird, dass die gesetzlichen Kassen mehr Leistung für weniger Geld versichern können als die privaten. Die CDU will jedoch, dass die Privatversicherungen so viele neue Kunden wie möglich bekommen. Entsprechend schwierig dürfte hier die Einigung über die Wettbewerbsbedingungen werden.

Offen ist auch, ob die Krankenkassen und die Ärzte-Vereinigungen es tatsächlich schaffen werden, die "integrierte Versorgung" endlich umzusetzen. "Wir haben nun aber auch die letzten Steine dafür aus dem Weg geräumt", sagt Staatssekretär Schröder. Dank der "integrierten Versorgung" könnten etwa Krebspatienten auch im Krankenhaus ambulant von den Ärzten behandelt werden, die sie kennen, und müssten dazu nicht jedes Mal eingewiesen werden. Die Notwendigkeit der Verzahnung von ambulantem und stationärem Sektor ist seit Jahrzehnten unbestritten, scheiterte jedoch an Vergütung, Verwaltung und mangelndem Willen von Kassen und Ärzten.

Zwanzig Seiten haben die "Eckpunkte" der Gesundheitskoalitionäre - das Vielfache wird das Gesetz umfassen, das ab jetzt im Schmidt-Ministerium erarbeitet wird. Es soll am 25. August von den Fraktionsvorständen abgesegnet und am 11. September erstmals im Bundestag verlesen werden. So ungeklärt viele Details sind - an den "Eckpunkten" wird sich nichts mehr ändern.

taz Nr. 7112 vom 24.7.2003, Seite 6, 151 Zeilen (TAZ-Bericht), ULRIKE WINKELMANN

 

13475 Postings, 9062 Tage SchwarzerLordDumme Reformer entsetzt über geniale Nörgler? o. T.

 
  
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24.07.03 09:16

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