Die Archetypen der Biertrinker


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Neuester Beitrag: 03.03.03 14:59
Eröffnet am:20.02.03 22:41von: vega2000Anzahl Beiträge:4
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Clubmitglied, 50100 Postings, 8641 Tage vega2000Die Archetypen der Biertrinker

 
  
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20.02.03 22:41

Die Hopfen-und-Malz-Szene ist mindestens so vielfältig wie die der Weintrinker. Ein Zählversuch (Teil I)


Nichts gegen Wein. Aber wer die eigene Küche den Unwägbarkeiten der norddeutschen Gastroszene vorzieht, der steuert - da zu Hause genährt - beim Gang in ein öffentliches Lokal fast immer zielstrebig eine Bar an. Ergo hat er es mehr mit dem Bier. Denn die kanzerogenen Rauchschwaden, das laute Geschnarr des Szenevolks und die vielen Dezibel aus den Boxen bilden zusammen kein Ambiente, in dem sich genüsslich an einem Gläschen Rotwein nippen ließe. Bier passt besser.

Vordergründig unterscheiden sich die Szenen. In des Biertrinkers Hand ist stets nur Gelb und Schaum, während der önologisch Geschulte gekonnt beim Riesling startet, um sich im Laufe eines Abends elegant weiteren Weißweinen, Rotweinen und Dessertweinen zuzuwenden. Den Biertrinker deswegen im Vergleich zum filigran gestrickten Weintrinker als simpel gebaute Spezies zu diskreditieren, entbehrt aber einer sachlichen Grundlage. Erstens gibt es nicht nur ein Pils unter der Sonne. Zweitens kann sich auch der Biertrinker wichtig machen. Die Hopfen-und-Malz-Szene ist mindestens so vielfältig besetzt wie die Zunft der Weintrinker.

Im vergangenen Herbst habe ich zusammen mit dem Weinexperten Mario Scheuermann die zehn Archetypen der trinkenden Gesellschaft benannt - bezüglich der Rebensäfte. Höchste Zeit, die entsprechende Typologie in Sachen Bier nachzuliefern. Mal sehen, wie viele Unterarten des Gemeinen Biertrinkers zusammenkommen.

1. Der Alleskenner
Sogar das hondurenische Salva Vida kennt er. Keine Biersorte lässt er aus, ohne davon gekostet zu haben. Er ist der Jäger und Sammler in den Bars dieser Welt. In jeder fremden Stadt stürmt er umgehend in die Kneipen, die Namen tragen wie ?Tausend Biere? oder ?Jeder Hopfen dieser Welt?. Die Gebinde neuer Beuten verschwinden in der Sakkotasche. Seine Garage ist mit Tausenden verschiedener Bierflaschen aufgefüllt. Anstelle einer Tapete kleben Etiketten an Wohnzimmerwand, Küchenfliesen und Schlafzimmerdecke. Leidenschaftlich besucht er Bierbörsen und pflegt E-Mail-Kontakt mit anderen Jägern.

2. Der Temperaturanalyst
Er bestimmt per Wärmesensorik in Mundraum, Rachen und Magen die Temperatur des Getränks auf Zehntelgrade genau und instruiert den Barmann mit entsprechenden Anweisungen. Seiner Meinung nach verlangt jedes Bier nach einer exakt austarierten Temperatur. Schon mit einem Hauch unangebrachter Kälte ist die sensible, lauwarme Cervisia Britanniens tot zu kühlen. Umgekehrt verdirbt Wärme umgehend die Freude an einer norddeutschen Bitterstoffkeule.

3. Der Heber
Einmaliges Zuprosten mit dem ersten Glas ist ihm zu wenig Bewegung. Jedes Pils will mit martialischem Klirren eingeweiht sein. Nur dann schmeckt es. In manchen Landgemeinden findet sich diese Spezies in Reinkultur. Ein Prost pro Schluck ist die Mindestfrequenz, zuzüglich einem Prost nach jeder in die Gesprächsrunde geworfenen Silbe. Wer nicht mitmacht, erntet den Vorwurf, sich abzusondern, und seine Berechtigung zur Anwesenheit am Stammtisch wird umgehend in Zweifel gezogen.
 
4. Der Regionalist
Er lebt in der Nähe einer Brauerei. Weil der Zufall ihn dort Wurzeln hat schlagen lassen, ist ihm das Bier, das er direkt ab Fabrik bezieht, heilig. Er hat eine Aktie und behauptet, seine Marke in jeder Blindverkostung herausschmecken zu können. Kommt es dazu, scheitert er kläglich.Er tippt aus Versehen auf das Alkoholfreie im Wettbewerb - ein Debakel, das er umgehend auf Schnupfen, Halsschmerzen und eine geheimnisvolle Zahnoperation am Vortag zurückführt.

5. Der Antiregionalist
Er ist der Antipode des Regionalisten, weil er in unmittelbarer Nähe der Brauerei aufgewachsen ist. Das radikalste Beispiel habe ich in Dublin angetroffen. Ein Ire, der noch nie ein Guinness getrunken hat! Es handelte sich um einen Taxifahrer, der ausschließlich Lager trinkt. Sein Elternhaus war stets von der Abluft der Guinness-Brauerei umweht. Die ekelerregenden Düfte seiner Kindheit haben ihn davon abgehalten, auch nur einmal in seinem Leben ein Bier zu ordern, das dunkler ist als ein helles Lager.

ariva.de  

Clubmitglied, 50100 Postings, 8641 Tage vega2000Die Archetypen der Biertrinker (Teil II)

 
  
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24.02.03 17:23

Von welcher Beschaffenheit sind die dem Gerstensaft Verfallenen?


Ein Grund, Biertrinker zu sein, liegt nicht nur darin, dass man aus Liebe zur eigenen Küche ein Freund der Bar geworden ist (siehe Archetypen, Teil I). Es hängt auch damit zusammen, dass bei Spielen des FC St. Pauli Astra ausgeschenkt wird. Und nicht etwa Château Neuf du Pape oder ein nach Kastanie düftelnder Müller-Thurgau aus Rheinhessen. Habe ich also nachmittags im Stadion (Stehplatz Gegengerade) mit Hopfensäften aus Plastikbechern angefangen, wechsle ich nicht im Laufe des Abends das Pferd. Der Biertrinker bleibt beim Bier.

Fahren wir also fort damit, die Archetypen mit ihren Eigenheiten zu benennen.

6. Der Vernarrte
Kein erstes Bier kann er trinken, ohne die extrem wichtige Feststellung: „Ah, was gibt es Leckereres als ein kühles Bier.“ Er versucht sich gerne als Philosoph („in cervisia veritas“) oder als historisches Gewissen von Hopfen und Malz, indem er jedem Bayern um die Ohren schlägt, wo die hohe Kunst des Brauens erfunden worden ist: Nicht in Weihenstephan sondern bei Saddam. Vor über fünf Jahrtausenden im Zweistromland, in der Stadt Uruk, dem Schauplatz des Gilgamesch-Epos. Selbst wenn er sich beim Spucken im Klo die Freuden des Abends noch einmal durch den Kopf gehen lässt, gewinnt der Vernarrte seinem Leibgetränk positive Aspekte ab: „Wie schlecht würde es mir gehen, hätte ich Gin tonic getrunken!“

7. Der Globalisierte
Um sicher zu sein, was ihm vorgesetzt wird, trinkt er überraschungsfrei. Bud, Fosters, Heineken, notfalls Warsteiner, sind seine Marken. Man findet ihn vorzugsweise in australischen Kneipen, die er seit ein paar Jahren nicht mehr lange suchen muss. Grundsätzlich nimmt er nur helles Lager als Bier wahr. Die Existenz von dunklem Bier kann er sich höchstens als Fabrikationsfehler erklären. Fässer, so nimmt er an, findet man noch in alten Filmen, nicht aber in den modernen, mit Crocodile-Dundee-Postern verzierten Kneipen

8. Der Mut-Trinker
Er geht ausschließlich mit männlichen Kumpeln aus. Aber eigentlich sucht er eine Freundin. Das kommt ihm nach dem siebten Bier in den Sinn. Genauso seinen Kumpeln. Zwar stecken die Freiersfüße zu diesem Zeitpunkt schon in runden Schuhen – das ist aber kein Grund, das Balzen mit der Schrotflinte bleiben zu lassen.

9. Der Kampftrinker  
Im Prinzip interessiert ihn am Bier bloß ein einziger Inhaltsstoff. Kaltgetränke haben nur dann Sinn, wenn sie Gewähr für eine ordentliche Dröhnung bieten. Dem Säufer ist es ein Rätsel, warum Menschen ihre gottgegebenen Schluckkapazitäten selten nutzen. Kommen die anderen nicht nach, fragt er: „Ist etwas mit dem Bier nicht in Ordnung?“ Noch lieber als Bier sind ihm Schnäpse. Geht schneller.
 
10. Der Nichtraucher
Beim Trinken des ersten Biers meckert er über die schlechte Luft in der Kneipe. Beim zweiten wedelt er demonstrativ den Rauch deiner Fluppe weg. Mit der Bestellung des dritten Biers fällt ihm sein jüngster Sieg ein: umgehend erzählt er, wie erfolgreich er Nichtraucher geworden ist. Pünktlich zum vierten Bier sehnt er sich danach, wieder einmal an einer Kippe ziehen zu dürfen. Beim fünften tut er’s. Als Beilage zum sechsten Bier leiht er sich eine ganze Peter Stuyvesant aus. Ab Bier Nummer sieben qualmt er wie ein Schlot. Natürlich deine. Beim achten Bier entschließt er sich „nach über einem Jahr“ wieder einmal zum Kauf einer eigenen Schachtel. Nach dem neunten ist ihm schlecht. Am Morgen danach schmerzen ihn Lunge und Kopf. Er beschuldigt dich.

ariva.de  

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    #3
24.02.03 18:44

Gruß Pichel

 

Clubmitglied, 50100 Postings, 8641 Tage vega2000Die Archetypen der Biertrinker (Teil III)

 
  
    #4
03.03.03 14:59

Bevor die Liste vollständig wird: Hier das schnelle Ende


11. Die Frauen
Sie halten sich nach wie vor seltener an einem Glas Bier fest. Für ihre häufige Abneigung gegenüber bitteren Getränken gibt es eine wissenschaftliche Erklärung. Die Evolution hat den meisten Frauen ein empfindliches Sensorium für Bitterstoffe beschert: Als stillender und meist die Kinder betreuender Familienteil mussten sie ungenießbare oder gar giftige Nahrung umgehend erkennen. Aber glücklicherweise sind die in Sachen Bitternis weniger sensitiven Männer beim Biertrinken doch nicht immer allein. Dann gilt für die Frauen am Tresen dieselbe Typologie wie für Typen.

12. Der Nipper
Bier führt er sich bloß in homöopathischen Dosen zu. Nach dem Anstoßen überquert nur der Anstandstropfen die Lippen des Nippers, da er befürchtet, nach Genuss von drei Millilitern alkoholischen Getränks die Contenance zu verlieren. Grund für seine Zurückhaltung können aber auch eine schwache Blase, eine Souterrain-Phobie oder (geleugnetes) Missvergnügen sein. Im letzteren Fall glaubt einer, sich mit Hopfen und Malz ein Harteier-Image ersaufen zu können. Das Leiden sei ihm gegönnt.

13. Der Panschbiertrinker
Es gibt keine Gepflogenheit, aus der sich nicht eine Mode machen ließe. So das Panschen. Da Bier mit süßsaurer Limo eine im Sommer nach einem Ausdauer-Läufchen akzeptable Mischung ist, schließe ich von meiner Verachtung explizit den Alster-, Radler- oder (in der Schweiz) Panachée-Trinker aus - im Wissen um die Gefahr, von Hardcore-Cervisionisten verflucht zu werden. Bei Grenadine-Sirup aber, bei Cola, Wodka oder Red Bull im Bier, da verstehe ich keinen Spaß. Nichts von alledem hat dort etwas zu suchen. Auch wer Zitronenschnitze im Hefeweizenbier dümpeln lässt, ist ein Ignorant.

14. Der Träumer
Er hält in seinem Kopf nach gelungenen Gedanken Ausschau (manchmal auch in der Kneipe nach Frauen) und kriegt nicht mit, dass alle andern am Tisch gleichzeitig nachbestellt haben. Da kommt der Wirt mit den Bieren. Daraufhin erst ordert er eines für sich und beklagt sich auch noch, warum für ihn keins bestellt worden sei.

15. Der Jahreszeitler
Der Leser Christian Schimpl aus Oberösterreich (Genießen wird in Oberösterreich gelesen!) ist so einer. Seine Bierauswahl unterliege den jahreszeitlich bedingten Klimaschwankungen, schreibt er. Er trinkt im Frühjahr mit hellen, spritzigen Bieren in kleinen Mengen die Gartensaison ein. Den Sommer überlebt er mit Leichtem aus dem Gefrierschrank. Im Herbst nimmt er die "vollen, runderen" Biere zur Hand. Und im dunklen Winter Guinness.

16. Der Vergleichstrinker
Diese Kategorie schlägt Friedhelm Dömges vor. Der Vergleichstrinker ist nicht zu verwechseln mit dem Kampftrinker - denn er sucht nicht nach Kumpanen, sondern Gegnern. Mit denen misst er sich in Sachen Schnelligkeit und Mengen der geleerten Quanten. Der Anfänger startet mit 0,2-Liter-Gläsern. Die 2-Liter-Kanne ist für Fortgeschrittene.
 
17. Der Kölschtrinker
Ihn möchte uns Andreas Schumm näher bringen. Der Kölschtrinker reist nicht gern, und wenn, dann mit Kölsch im Gepäck. Er kennt alle 23 Kölschbrauereien und kann stundenlang darüber diskutieren, ob Reißdorf oder Früh das bessere Bier braut. An 0,2 Liter-Gläser gewöhnt, hat er es nicht so mit Humpen und schon gar nicht mit Altbiertrinkern.

18. Der Nachbarschaftsstreittrinker
Ihn könnte man auch als Variante des Regionalisten betrachten. Aber der Genießen-Leser Robin Frank verweist explizit auf dessen Aggressionspotenzial und das gehäufte Auftreten im Raum Düsseldorf/Köln. Der Nachbarschaftsstreittrinker traut sich nicht, das jeweils feindliche Gesöff, egal von welcher Brauerei, zu probieren - aus Angst vor Hohn, Spott und Verachtung. Er will auch gar nicht, denn die Heimat ist ihm heilig.

19. Der Rhein-Ruhr-Provokateur
Ihn gibt es laut Robin Frank im Umfeld von Nummer 18. Der Rhein-Ruhr-Provokateur trinkt, stammt er aus Düsseldorf, am liebsten ein Kölsch. Und umgekehrt.


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