Deutschland baut Superflops am laufenden Band


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 20.10.03 10:28
Eröffnet am:20.10.03 10:24von: TraderAnzahl Beiträge:2
Neuester Beitrag:20.10.03 10:28von: chreilLeser gesamt:336
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

1943 Postings, 8880 Tage TraderDeutschland baut Superflops am laufenden Band

 
  
    #1
20.10.03 10:24
Kolumne
von Hugo Müller-Vogg, Welt am Sonntag
Wer das absolute Nichts perfekt verkörpert, kann es in diesem Land sehr schnell sehr weit bringen. Wer es schafft, ein paar Indiskretionen sowie Unverschämtheiten in gehobener Gaga-Diktion einem Schreibkundigen anzuvertrauen, landet über Nacht in den Bestseller-Listen. Das Land sucht Superstars - und die Küblböcks jeden Alters und Geschlechts lassen sich nicht lange bitten. Dieser Markt funktioniert: Für jede Nachfrage findet sich ein Angebot.
Die Nachfrage nach Nobelpreisträgern ist im ehemaligen Land der Dichter, Denker und Forscher nicht so ausgeprägt. Da fällt es dann nicht weiter auf, wenn Deutsche auf den Preislisten der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften kaum vertreten sind. Und wenn, dann meistens als in Deutschland Geborene, die längst dorthin ausgewandert sind, wo auch die wissenschaftliche Spitzenleistung einen hohen Rang hat.
Aber was soll das Klagen? Sind wir nicht wieder Export-Weltmeister geworden? Schön wär's, gäbe es da nicht einen kleinen Schönheitsfehler. Die "Weltmeisterschaft" bezieht sich nur auf einen einzigen Monat, den August. Und der starke Euro hat in diesem Zeitraum den Wert der ausgeführten Güter und Dienstleistungen rechnerisch aufgebläht.
Noch aus einem anderen Grund sollten wir uns von dieser "Weltmeisterschaft" nicht blenden lassen. Unser Anteil am Weltexport ist seit Beginn der neunziger Jahre von zwölf auf unter neun Prozent gesunken. Mit anderen Worten: Der Welthandel wächst schneller als die Nachfrage nach deutschen Produkten. Das hat mit den Kosten zu tun - aber auch viel mit der mangelnden Innovationsfähigkeit der Industrie und der rückläufigen Qualität ihrer Produkte.
"Made in Germany" ist ein fragwürdiges Label geworden, eher eine Herkunftsbezeichnung als ein Qualitätssiegel. Das Chaos um das Mautsystem für Lkw ist ja nicht eine traurige Ausnahme. Es symbolisiert vielmehr eine schleichende Entwicklung: Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftsschwäche, von der Marktwirtschaft zur Murkswirtschaft.
Die Fragen, ob das Firmenkonsortium Toll Collect mit so unterschiedlichen Partnern wie Daimler-Chrysler und Telekom überhaupt der geeignete Partner war, ob die Bundesregierung durch harte Konventionalstrafen Toll Collect zu einer sorgfältigeren Arbeit hätte zwingen können und ob die Verkehrsminister Bodewig und Stolpe ihren gewieften Verhandlungspartnern aus der Wirtschaft gewachsen waren, sind alle zweitrangig. Hier blamiert sich ein Wirtschaftsstandort vor den Augen der Welt auf besonders peinliche Weise.
Wo sind sie eigentlich geblieben, die deutsche Wertarbeit, die deutsche Ingenieurkunst, die deutsche Präzision und die deutsche Zuverlässigkeit - all das, wofür "Made in Germany" einst gestanden hat? Sie sind, wie die Pannenstatistiken zeigen, auch im Inbegriff deutscher Qualitätsarbeit, dem Auto, nur noch bedingt zu erkennen.
Wenn Wegfahrsperren so "funktionieren", dass aus jedem Halt eine Zwangspause wird, wenn die Elektronik in Luxuslimousinen nur noch so zuverlässig ist wie die Wettervorhersage, wenn man bei modernen ICE-Zügen nie so recht weiß, auf welchem Teil der Strecke sie mit ausgefallener Klimaanlage liegen bleiben, wenn der "Service" vieler Unternehmen sich durch eine Mischung aus Desinteresse, Unkenntnis und Wurstigkeit auszeichnet, dann muss etwas faul sein in diesem Land.
Wir sind doch noch nicht einmal fähig, die Entsorgung von Bierdosen so zu organisieren, dass Hersteller, Händler und Verbraucher nicht das Gefühl haben müssen, sie wären zwangsverpflichtete Akteure in einem Stück Namens "Deutschland sucht das Superchaos".
Dass "Made in Germany" einmal eine glanzvolle Marke war, war kein Zufall, sondern das Produkt harter Arbeit und eines festen Willens zur Qualität. Heute sitzt dem Entwickler und dem Ingenieur der Controller im Nacken. Die Zeit zwischen erstem Entwurf und Produktreife wird immer kürzer, der Anteil zugekaufter Teile aus Billig-Standorten nimmt zu, die Zahl der Arbeitnehmer, die Dienst nach Vorschrift machen, steigt und ebenso die Zahl der Manager, die mehr auf den Quartalsgewinn, den aktuellen Börsenkurs und die eigene Tantieme achten als auf die Qualität der Produkte und den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
Dass Millionen Menschen fasziniert sind von der Suche nach "Superstars", die nicht viel mehr können, als den Kriterien einer Selbstenthüllungs-Industrie zu genügen, ist nicht die Ursache der deutschen Krankheit. Aber sie ist ein Symptom. Das Land krankt am Willen zur Spitzenleistung - und begnügt sich mit Drittklassigem. Auf der Suche nach Superstars übersehen wir die Superflops am laufenden Band. Und meinen noch immer, das könnten wir uns leisten.
Artikel erschienen am 19. Okt 2003

Gruß
Trader

 

4969 Postings, 8794 Tage chreilcargolifter o. T.

 
  
    #2
20.10.03 10:28

   Antwort einfügen - nach oben