Der Spiegel: Rechtsruck in Israel


Seite 1 von 1
Neuester Beitrag: 29.01.03 10:22
Eröffnet am:29.01.03 09:21von: GrinchAnzahl Beiträge:6
Neuester Beitrag:29.01.03 10:22von: mikelandauLeser gesamt:821
Forum:Talk Leser heute:1
Bewertet mit:


 

179550 Postings, 8250 Tage GrinchDer Spiegel: Rechtsruck in Israel

 
  
    #1
29.01.03 09:21
Rechtsruck in Israel

Der israelische Ministerpräsident Scharon hat nach dem überraschend deutlichen Sieg seiner Likud-Partei bei den Parlamentswahlen die Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit" gefordert. Sollte das nicht gelingen, werde er nicht zögern, erneut Neuwahlen zu erzwingen, drohte der Regierungschef heute.

 
AP

Jerusalem - Ariel Scharon reagierte mit seiner Drohung auf die Ankündigung von Oppositionsführer Amram Mizna, der zuvor eine Koalition seiner Arbeitspartei mit dem Likud kategorisch ausgeschlossen hatte. Es wird damit gerechnet, dass Staatspräsident Mosche Katzav Scharon nach dem Vorliegen des amtlichen Endergebnisses spätestens am Donnerstag offiziell mit der Regierungsbildung beauftragt. Er hat dann maximal 42 Tage Zeit, eine Mehrheits-fähige Koalition zu bilden.
Die Wahlen hatten einen deutlichen Rechtsruck gebracht und zu einer weiteren Schwächung des so genannten Friedenslagers geführt. Die Likud-Partei hat die Zahl ihrer Sitze im Parlament fast verdoppelt. Nach Abschluss der Auszählung nahezu aller Stimmen stand die Partei am Mittwochmorgen bei 37 von 120 Mandaten. Bei der Wahl von 1999 hatte Partei nur 19 Sitze gewonnen. Die Arbeitspartei wird dagegen von 26 auf 19 Mandate schrumpfen. Starke Verluste musste auch die linksliberale Merez-Partei hinnehmen, die praktisch halbiert wurde.

Zu den Gewinnern der Wahl gehört die bürgerlich-säkulare Schinui-Partei, die die Zahl ihrer Mandate von 6 auf 15 steigern konnte. Schinui (Veränderung) steht in der Nahostpolitik Scharon näher, als der Arbeitspartei.

Dem fast 75-jährigen Scharon gelang es als erstem Regierungschef seit den achtziger Jahren, direkt wiedergewählt zu werden. Seine Partei wurde nach 14 Jahren wieder stärkste Fraktion in der Knesset. Nach der Auszählung von knapp 50 Prozent der abgegebenen Stimmen lag der Likud sogar bei 38 Mandaten, was einer Verdoppelung der 1999 gewonnen Mandate entspricht. Die Arbeitspartei wiederum käme im neuen Parlament auf 20 Sitze. Insgesamt verfügt das rechte Lager künftig über bis zu 70 der 120 Knessetmandate. Eine deutliche Niederlage in rechten Lager gab es lediglich bei der ultraorthodoxen Schas-Partei, die nach den Prognosen bis zu acht ihrer ursprünglich 17 Mandate einbüßte.

Scharon sprach am Abend in einer Rede vor seiner Partei von einem historischen Sieg. Gleichzeitig appellierte er jedoch an alle zionistischen Parteien, sich an der Regierung zu beteiligen. Vor Journalisten schloss er später die Bildung einer kleinen Koalition rechter und religiöser Parteien kategorisch aus. Einer seiner Berater drohte, man werde erneut Neuwahlen ausschreiben, falls es nicht gelinge eine große Koalition zu bilden.

Ungeachtet des klaren Sieges für Scharons Likud sagen Beobachter Scharon schwierige Koalitionsverhandlungen voraus. Der Vorsitzende der Arbeitspartei Amram Mitzna lehnte nach der Wahlniederlage bereits den von Scharon geforderten Eintritt in eine große Koalition ab. "Wir werden uns einer rechten Regierung nicht anschließen und in der Opposition eine Alternative mit einem neuen Weg darstellen", sagte er vor Parteiaktivisten. Einen Rücktritt lehnte der 57-Jährige trotz der deutlichen Niederlage ab.

Der Schinui-Vorsitzende Josef Lapid rief Mizna nach der Veröffentlichung der Prognosen dazu auf, in eine große Koalition einzutreten. Lapid sagte, man müsse unbedingt die Bildung einer rechtsradikalen Regierung verhindern.

Die Wahl war nach dem Zusammenbruch der Regierung Scharon im vergangenen Oktober nötig geworden. Sie fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Auf Grund neuer Terrorwarnungen bot die Regierung mehr als 30.000 Polizisten und Soldaten auf, um palästinensische Anschläge am Wahltag zu verhindern. Das Westjordanland und der Gazastreifen wurden hermetisch abgeriegelt. Die Wahlbeteiligung war mit 68,5 Prozent die niedrigste in der Geschichte Israels.

Die Palästinenserführung äußerte sich enttäuscht über das Wahlergebnis. Die Resultate ließen eine Fortsetzung des blutigen Konflikts beider Seiten erwarten, sagte Arbeitsminister Ghassan Chatib.


Quelle: Spiegel Online

Soooo und was jetzt??? Wird Österreich seinen Botschafter abberufen? Wird die EU die Beziehungen auf eis legen? Oder passiert gar nix und alle finden das toll???

 

4969 Postings, 8786 Tage chreilirgendwas dazwischen wird's wohl werden...

 
  
    #2
29.01.03 09:29

95441 Postings, 8518 Tage Happy EndLinks denken, rechts wählen

 
  
    #3
29.01.03 10:03
Vor der Entscheidung am 28. Januar: Die Mehrheit der Israelis sympathisiert mit den Friedensideen der Arbeitspartei. Und klammert sich dennoch an Ariel Scharon

Mittags im Stadtzentrum von Tel Aviv. Zwei Männer gehen über die Straße, an langen Bändern baumeln ihnen kleine Pappkartons von den Schultern. Erschrocken dreht sich eine Passantin um und fragt: „Gibt es Alarm?“ Nein, lautet die knappe Antwort: „Wir haben nur unsere alten Gasmasken gegen neue ausgetauscht.“

Im Golfkrieg vor zwölf Jahren trugen die Israelis den Pappkarton mit Gasmasken wie eine Handtasche überall mit hin. Jetzt ist wieder Zeit für Vorsorge. Die Menschen beschaffen sich Wasservorräte und Konservendosen, sie holen das Klebeband und die Plasikfolien hervor, mit denen sie schon einmal ihre Fenster gegen Giftgas abgedichtet haben.

Die Parlamentswahlen am kommenden Dienstag, so scheint es, interessieren derzeit die wenigsten Menschen. Es fällt auf, wie wenig Plakate diesmal an den Kreuzungen hängen. 20 Prozent der Wähler wussten laut Umfragen zu Beginn der Woche noch immer nicht, welcher Partei sie ihre Stimmen geben wollen. So hoch war der Anteil an Unentschiedenen noch nie. Für die meisten steht der Ausgang ohnehin schon fest: Die Likud-Partei von Ariel Scharon wird gewinnen, wenn auch nicht mit jenem gigantischen Vorsprung, auf den der Ministerpräsident noch vor kurzem gehofft hatte. Auf Scharons wundersamen Wandel vom geschmähten, abgesetzten Verteidigungsminister zum geliebten Großvater der Nation liegt seit dem Vorwurf von Korruption ein Schatten. Was allerdings nicht bedeutet, dass sein Herausforderer Amram Mitzna davon profitieren würde. Denn auch dessen Arbeitspartei gilt nicht gerade als sauber.

Ein anderer israelischer Politiker kann sich dafür die Hände reiben: Tommy Lapid, der 71-jährige Chef der Schinui-Partei („Wechsel“), wird aller Voraussicht nach viele Abgeordnete in die Knesset schicken. Er könnte von der Unfähigkeit der beiden großen Parteien profitieren, von der wachsenden „Politikverdrossenheit“, wie man in Europa sagen würde. In Israel kann man sich allerdings den Luxus, bei der Wahl einfach zu Hause zu bleiben, noch viel weniger leisten. Wählen gehen, aber gegen die Großen votieren – diese Stimmung weiß der ehemalige Journalist Lapid, dessen scharfe Zunge noch allen aus der Fernsehshow Popolitika bekannt ist, meisterhaft für sich zu nutzen.

Lapid hat es gar nicht nötig, mit Antworten auf die großen Fragen Israels für sich zu werben. Er braucht nicht zu sagen, wie er den Konflikt mit den Palästinensern lösen würde. Geschickt geht er mit einem reinen Anti-Programm hausieren, das an die säkulare Mittelklasse europäischer Herkunft appelliert: gegen die Privilegien der Ultraorthodoxen, gegen Korruption, gegen zu hohe Steuern. Kurz: Lapids Schinui ist eine klassische Protestpartei. Seine Gegner werfen ihm deshalb einen gefährlichen Populismus vor, der mit der Angst vor der Zukunft, mit der Panik vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch spiele. Die Wahl, sagt der Psychoanalytiker Max Stein, biete nur schlechte Alternativen: „Entweder zu liberal oder zu hart.“ Die Gesellschaft stehe angesichts des gescheiterten Friedensprozesses unter Schock. Ein paar Jahre lang, so Stern, hätten die Israelis in einer euphorischen Utopie gelebt und erwartet, dass sich die Dinge ändern. „Jetzt sind wir wieder an den Anfang zurückgekehrt: ein Fremdkörper in der Region.“

Die Grenzpunkte zu Jordanien und Ägypten sind nur noch scheinbare Übergänge. Keiner nutzt sie mehr. Wer traut sich jetzt schon als Israeli in ein arabisches Land? Außer den Siedlern fährt kein Mensch mehr ins Westjordanland. Vorbei die Mittagessen mit der Familie in Bethlehemer Restaurants und die Besuche neuer Jazzbars in Ramallah. Das einzige offene Tor zum Rest der Welt ist der Tel Aviver Flughafen. Aber seit in Kenia ein Flugzeug mit Touristen nur knapp einem Raketenangriff entging, reisen die Israelis auch nicht mehr so gern.

„Es herrscht Ghettostimmung“

Zudem: Ausländische Besucher kommen aus Furcht vor Terroranschlägen nur noch selten ins Land. Es herrsche Ghettostimmung, sagen manche Einheimische. Und noch nie war der Graben zwischen dem, was die Israelis von sich denken, und dem, was man in Europa über sie denkt, so groß. Zwischen London, Paris, Rom und Berlin versteht man vor allem nicht, warum Ariel Scharon nach wie vor so viel Unterstützung genießt. Hat seine Politik der Härte, fragen die Europäer, die Lage nicht nur noch schlimmer gemacht? Geht es der israelischen Wirtschaft denn nicht schlechter denn je, jedenfalls so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr? Denken nicht viele junge Leute ans Auswandern, weil sie in Israel keine Zukunft für sich sehen?

Das Unverständnis der Europäer beruht auf einem Trugschluss. Sie meinen, die Israelis müssten Scharon wegen seiner robusten Politik satt haben – und übersehen, dass die Bevölkerung inzwischen mehrheitlich die Geduld mit den Palästinensern verloren hat. Ein Beispiel: Die Schriftstellerin Esther Orner erzählt, sie habe seit dem Ausbruch der Intifada im Herbst 2000 ein Tagebuch geführt und beobachten können, wie sich von Attentat zu Attentat ihre eigene Meinung geändert habe. Anfangs noch habe sie sich jedesmal notiert, wenn die israelische Armee ein arabisches Haus zerstörte, aber inzwischen sei sie selbst verhärtet und längst nicht mehr so „politisch korrekt“ wie früher. Als vor zehn Jahren das Osloer Abkommen unterschrieben wurde, gehörte Esther Orner zu jenen, die damit große Hoffnungen verbanden. Heute sagt sie: „Es war ein riesiger Fehler, Arafat hierher zu bringen und zu glauben, er würde mit uns gemeinsame Sache machen.“

Auch die Palästinenser haben sich getäuscht. Die Israelis, dachten viele zu Beginn der Intifada, würden als stark verwestlichte und verweichlichte Gesellschaft nicht viele Opfer hinnehmen können. Die Rechnung ging nicht auf. Die Israelis ließen sich nicht einschüchtern. Das Leben geht weiter – mit Hochzeitsfeiern, Restaurantbesuchen, Spaziergängen am Strand und Wochenendtrips nach Galiläa.

Außerdem: Gerade jetzt klammern sich die Wähler an den starken Mann Scharon. Dem Likud-Chef kommt zugute, dass viele Israelis seinem Rivalen von der Arbeitspartei, dem Bürgermeister von Haifa, Amram Mitzna, nicht zutrauen, das Land durch die schwere Krise zu führen. Diese Stimmung drückt sich eindrucksvoll in einem Leserbrief an die linksliberale Ha’aretz aus. Ein Israeli schreibt dort: Er wolle „lieber den Teufel, den man kennt, als den, den man nicht kennt“. Mitzna gilt vielen als ein Klon des früheren Premiers Ehud Barak, der kläglich mit seinen ehrgeizigen Friedensplänen gescheitert war.

Längst haben die beiden großen Parteien ihre Rollen getauscht. Der konservative Likud ist heute, was die Arbeitspartei in den fünfziger und sechziger Jahren war, eine breite Volksbewegung. Bloß: Die Mehrheit der Israelis stimmt dem Vorschlag Mitznas zu, Israelis und Palästinenser in zwei Staaten voneinander zu trennen. Der Ruf nach klaren Grenzen wird lauter.

Die Lage im Gaza-Streifen wirkt schon heute wie ein absurdes Theater. 20000 israelische Soldaten bewachen dort 6000 Siedler. Allein 1000 Soldaten sind in die Nähe von Nezarim abkommandiert – um 40 israelische Familien zu schützen. 17 Soldaten wurden dort in den vergangenen beiden Jahren getötet. Kaum jemand glaubt noch, dass es so weitergehen kann.

Auch wenn es sich nicht in ihrem Wahlverhalten widerspiegelt – zwei Drittel der Israelis sind dafür, die meisten Siedlungen zu räumen und den Palästinensern einen eigenen Staat zu gewähren. Nur wie, wenn Verhandlungen nicht weiterführen? Amram Mitzna meint, notfalls müsse sich Israel eben einseitig zurückziehen. Doch viele Menschen – selbst im linken Lager – fürchten, dies könne als ein Signal der Schwäche interpretiert werden und zu noch mehr Gewalt einladen.

Ein Zaun muss her

Bleibt also nur die physische Trennung von den Palästinensern? „Es ist tatsächlich keine schöne Idee, hinter einem riesigen Zaun zu leben, aber immer noch besser, als den demokratischen jüdischen Staat zu verlieren“, sagt der Sicherheitsexperte Jossi Alpher – und drückt damit aus, was immer mehr Israelis denken. Ohne eine Trennung von den Palästinensern würde Israel auf Dauer entweder zu einem Apartheidstaat oder seine jüdische Identität verlieren. Langfristig, so Alpher, würden die Bürger das einsehen, „wenn nicht jetzt, dann eben bei der nächsten Wahl“.

Der Politikberater Iftach Tregerman hat auf seinem silberfarbenen Fiat einen Aufkleber, der einen „Zaun für Israel“ fordert. Auch er glaubt, dass die Trennung früher oder später kommen wird. „Es gibt heute kein Kind auf der Straße, das noch glaubt, man könne die besetzten Gebiete dauerhaft halten und über ein anderes Volk herrschen.“ Tregerman nennt die Israelis ein Volk der Geigenspieler: „Sie denken links und wählen rechts. Eben wie Geigenspieler, die das Instrument in der linken Hand halten und mit der rechten darauf fiedeln.“
 

1059 Postings, 8696 Tage mikelandau@happy

 
  
    #4
29.01.03 10:12
was soll uns das sagen?

das es im fall israel gar nicht so schlimm ist, wenn israel "rechts" regiert wird?
weil sie doch alle "links" denken?

das entschuldigt also in diesem fall alles, hauptsache das ziel wird nicht aus den augen verloren?

vielleicht wollten die österreicher auch nur das beste?

aber bei denen ist es ja etwas anderes...die haben ja den falschen glauben...

 

95441 Postings, 8518 Tage Happy EndDas "rechts-wählen" müsste Dir doch

 
  
    #5
29.01.03 10:15
gefallen, oder etwa nicht? Oder was jetzt?  

1059 Postings, 8696 Tage mikelandaufalls du es immer noch nicht

 
  
    #6
29.01.03 10:22
gemerkt hast:

mir gefällt "rechts" ebensowenig wie "links"!

ich hasse ideologien aus eigener erfahrung!  

   Antwort einfügen - nach oben