Blackout-Gewinner Solarenergie


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Eröffnet am:07.09.03 20:59von: Happy EndAnzahl Beiträge:1
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95441 Postings, 8526 Tage Happy EndBlackout-Gewinner Solarenergie

 
  
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07.09.03 20:59
Lange galten die Solarenergie-Fans im Staat New York als Öko-Exzentriker. Bis überall das Licht ausging - nur bei ihnen nicht. Jetzt hoffen sie, dass ihrer Bewegung neue Anhänger zuströmen.

Riverhead, Long Island - John Morello erinnert sich noch genau dran, wie ihn sein Nachbar fragte: "Was, bist du verrückt?" Das war vor rund drei Jahren, John und seine Frau Mary hatten gerade ziemlich viel Geld ausgeben - über 25.000 Dollar.

Leute wie der Nachbar hätten sich wohl ein neues Auto davon gekauft, ein Boot vielleicht. Die Morellos aber investierten lieber in Kabel, Batterien, Messanlagen - und 52 Photovoltaik-Platten der Marke Kyocera. Hätte die örtliche Stromfirma LIPA den Kauf nicht bezuschusst, wäre er glatt noch mal 34.000 Dollar teurer geworden.

John Morello lacht wohlgelaunt, wenn er die Anekdote mit dem Nachbarn erzählt. Seit dem 14. August hat er einen Grund mehr, sich über seine Ausgabe zu freuen: Sein Haus am Wild Wood Lake war eins von vielleicht zehn im Städtchen Riverhead auf Long Island, in dem während des gigantischen Blackouts die Klimaanlage lief. Selten hat das Paar den Luftzug so genossen. Mary Morello sagt: "Meine Kollegen haben gestaunt."

PR-Offensive nur Stunden nach dem Blackout

Ein bisschen Schadenfreude, vor allem aber Genugtuung, weil ihre oft belächelten Ideale einen Test bestanden - das fühlen in diesen Tagen viele Freunde der Öko-Energie zwischen Ohio und der Atlantikküste. Sie sind keine besonders zahlenreiche Schar - doch gerade deshalb entschlossen, jetzt ihre historische Chance zu nutzen und Anhänger zu sammeln.

"Im Staat New York bekommen bisher 500 bis 700 private Häuser zumindest einen Teil ihres Stromes durch eigene Solaranlagen", schätzt Joel Gordes vom regionalen Solarenergie-Verband. Nur eine winzige Minderzahl von ihnen hatte auch während des Blackouts Strom - nämlich nur jene mit teuren Speicherbatterien. Henry Dathatri, George McGough, Joe Colao - Gordes kann sie mit Namen aufzählen, es sind so wenige.

Manche Grün-Stromer haben nur Stunden nach dem Blackout die Initiative ergriffen - als würde ihnen übermorgen niemand mehr zuhören. David Lankheet, seit 1978 Solar-Pionier im Herzen Michigans, habe am Samstag nach dem Netzkollaps mehrere Seminare für Hausbesitzer abgehalten, berichtet ein lokaler TV-Sender. Auf der Fachseite SolarAccess.com erschienen selten so viele neue Meldungen in so kurzer Zeit.

"Nächstes Mal Cyber-Terroristen"

Auch Mary Morello sagt im ironischen Prediger-Ton: "Wir müssen jetzt 'Das Wort' verbreiten." Gleich nach dem 14. August stellte einer ihrer Bekannten auffällig viele Fragen über den Spannungswandler im Keller und ihre Sonnen-Zellen. Ob er anbeißt, weiß das Paar noch nicht - als großer Umweltschützer fiel er bisher nicht auf. "Das ist die Art Familie mit Zentral-Klimaanlage, in jedem Zimmer ein extra Fernseher. Er hat eine sehr hohe Stromrechnung." Und er ist keiner, der wie Mary und John die Grünen wählt.

Bei den Morellos mag Politik mit im Spiel sein, andere wittern Geschäfte. So wie die großen Spezialhersteller Astropower, BP oder RWE Schott Solar, die sich zusammen mit örtlichen Fachinstallateuren im Solarverband SEIA sammeln. "Bei mir klingelt das Telefon nur so von der Gabel", freut sich Funktionär Gordes.

Ob auf den Neugier-Boom auch ein Umsatzschub folgt, kann er noch nicht absehen. Vorsichtshalber hat er sich drastische Verkaufsargumente zurechtgelegt: "Unser Stromnetz ist ein Alptraum. Dieses Mal waren es technische Probleme. Beim nächsten Mal könnte es ein Angriff von Cyber-Terroristen sein".

Bibbern im Holzkraft-Zuber

Ihr Geld bereits eingesackt haben die Aktionäre des Solar-Start-Ups Evergreen - vorausgesetzt, sie haben ihre Anteile rasch genug versilbert. Lange fast ein Penny Stock, konnte die Aktie ihren Wert Mitte August in wenigen Tagen mehr als verdoppeln. CEO Mark Farber hatte in zeitlich gut platzierten Mitteilungen daran erinnert, dass die Firma aus Marlboro das Silizium für Solarzellen besonders effizient verarbeite. Etwas weniger offensiv sagte er, dass dabei noch nie ein Profit heraussprang.

Der CEO durfte auch im Börsenkanal CNBC auftreten, der rasch eine Miniserie über regenerative Energie ins Programm hievte. Bisher bezögen die Amerikaner nur 6,5 Prozent ihres Stroms aus erneuerbaren Quellen, sagte Reporterin Melissa Francis da auf - und dazu gehört die Elektrizität aus Kanadas gigantischen Wasserkraftwerken, die vielen Ökostromern verhasst sind.

Mancher Einzelstaat aber hat ambitionierte Subventionsprogramme aufgelegt. New Yorks Gouverneur George Pataki will die Quote grüner Energie bis 2013 auf 25 Prozent heben - und verteilt dafür Steuergeschenke wie wenige seiner Kollegen. "Wenn man Förderung, Wetter und die hohen Preise für konventionelle Energie zusammennimmt", lobt Verbandsvertreter Gordes, "ist New York für Solarenergie der beste unter den 50 Bundesstaaten".

"Das ist verrückt, es muss auch anders gehen"

Bisher versammeln sich die Solar-Anhänger trotzdem nur in wenigen Zentren. Eines davon ist Hen Island, ein Stückchen nördlich der Bronx unweit des Festlands gelegen. Wer hier wohnt - und es sind nur wenige Dutzend - hat auch gar keine Wahl: Es gibt nur Windräder, Solaranlagen oder Dieselgeneratoren, ans Normalnetz wurde die Insel nie angekoppelt. Genauso ist es auf Oak Island.

Long Island bleibt die wohl wichtigste Hochburg, vor allem am stadtfernen Ostzipfel rund um die Peconic-Bucht. Einer der Pioniere hier war Marys älterer Bruder Joe. Er lebt zusammen mit Ziegendame Noelle noch ein wenig abgelegener als die Morellos und kam 1983 zum Solarstrom. Damals zerrupfte ein Hurrikan fast sämtliche Spannungskabel - drei ganze Wochen lag der Landstrich ohne Elektrizität da.

"Das ist verrückt, es muss auch anders gehen", sagte sich Colao seinerzeit. Inzwischen ist er ein ganz Hartgesottener: Solarzellen auf dem Schuppen, Solarzellen auf dem Wohnwagen, ein Windrad auf einem 25-Meter-Turm im Garten - und die Heizung und Badewanne werden mit Holz befeuert. Auch Mary Morello fröstelt, wenn sie daran denkt.

"Mein Auto-Öl in den Sand laufen lassen"

John Morellos Konversion liegt erst ein paar Jahre zurück - lange gehörte er zu denen, die Solarzellen "irgendwie lächerlich" fanden. "Aber früher war ich zu 100 Prozent anders - ich habe mein altes Auto-Öl einfach am Strand in den Sand laufen lassen". Das änderte sich, als der Stadtmensch zu Mary auf die Insel zog. Nun bringt es Morello nicht mal fertig, die Eiche zu fällen, deren Blätter Schatten auf seine Solarzellen werfen. "Das ist schwer für mich."

Wer wirklich dazu gehören will in der Gemeinde der Solar-Jünger, muss Verzicht üben. So leben Mary und John Morello fast ständig im Halbdunkel. Im Kaminzimmer, in dem auch ein Computer steht, hängt eine einsame Glühbirne an der Decke. In der Küche sind es immerhin sechs - meistens ausgeschaltet. Wenn das Paar Videorecorder oder Fernseher nicht braucht, zieht es die Stöpsel: "Der Stand-by-Betrieb verbraucht mehr, als man denkt."

Trotzdem deckt die Solaranlage, auch wegen der Eiche, nur in manchen Monaten den Bedarf. Im Mai mussten die Morellos immerhin acht Dollar für Netzstrom an LIPA zahlen. Im Winter, wenn die Zellen einschneien, kann es ein Vielfaches werden. Weil jedes der 52 Elemente mehrere Kilo wiegt, verzieht sich im Holzhaus das Dach. Nur noch mit Kraft lässt sich die Tür zum Garten öffnen. "Viele Leute sind fasziniert von Solarenergie, aber nur wenige werden aktiv", sagt Mary Morello, auch angesichts solcher Unannehmlichkeiten.

"Es rechnet sich nicht, und die Stromfirma stellt sich an"

Die Ecke des Staates, in der es am finstersten für die Sonnenkinder aussieht, ist zugleich die wirtschaftlich wichtigste: New York City. In Battery Park, unweit des früheren World Trade Centers, entstehen zwar diverse Prestige-Projekte. Doch die meisten sind öffentliche Gebäude wie das "Museum des Jüdischen Kulturerbes". Konzerne setzen auch nach dem Blackout eher auf Dieselgeneratoren oder vielleicht Brennstoffzellen, um Notstrom zu erzeugen. Der Magazinverlag Condé Nast, der Solarzellen mit 115 Kilowatt Leistung an zwei Gebäuden installiert hat, bleibt Pionier und Exot.

Wer in der Acht-Millionen-Stadt privat genutzte Photovoltaik-Anlagen sucht, braucht Geduld - es gibt fast keine. Der Lehrer Pablo Calero in Queens, der Doktor Sholom Gootzeit aus Williamsburg gehören zu vielleicht fünf Überzeugungstätern. "Es ist unglaublich viel Aufwand, rechnet sich ökonomisch nicht, und die Stromfirma ConEdison stellt sich noch mehr an als andere", resümiert Anthony Pereira, der Chef der führenden Installationsfirma AltPower, am Telefon.

Selbst auf Long Island scheint die lang angestaute Skepsis gegenüber den Grünen mit den kostspieligen Platten auf dem Dach nicht ganz weichen zu wollen. Am Abend des Blackouts lud John Morello seine Nachbarn zu sich ein - wenn sie frisches Wasser aus dem elektrisch betriebenen Brunnen bräuchten oder einfach nur fernsehen wollten, könnten sie vorbeischauen. Gekommen ist keiner.

http://www.manager-magazin.de/koepfe/artikel/0,2828,264248,00.html  

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