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Eröffnet am:04.03.03 10:54von: vega2000Anzahl Beiträge:1
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04.03.03 10:54
Der Turmbau von Taipeh
In Taiwan entsteht das höchste Haus der Welt - der erste Rekordbau nach dem Einsturz des World Trade Center. Kaum ein Ort ist dafür schlechter geeignet: Häufige Taifune und Erdbeben zwingen die Erbauer zu technischen Spitzenleistungen.



Lage des Hochhauses am Rand der Eurasischen Kontinentalplatte: Aneinander schabende Schollen
Sollte wieder mal ein Wirbelsturm aufziehen, empfiehlt sich eine Fahrt hinauf in die 88. Etage. Mit dem schnellsten Aufzug der Welt dauert das kaum 40 Sekunden. Dort droben, im Restaurant, hat man einen prachtvollen Tiefblick auf die Straßen von Taipeh -während an der Bar schon die Gläser klirren und der Taifun immer wütender um den Turm orgelt.
Aber das wahre Schauspiel bietet sich mitten im Saal: Dort hängt eine riesige goldene Kugel, die nun vor aller Augen sehr gemächlich zu pendeln beginnt.

Das ist nicht etwa ein Kunstwerk. Ohne die Kugel würde der Wolkenkratzer früher oder später einstürzen. Sie hält ihn im Lot. Wenn der Sturm das stolze Bauwerk packt und beutelt, schwingt die Kugel im Gegentakt. So verhindert sie, dass der Turm übermäßig ins Schwanken gerät und der Châteauneuf-du-Pape aus den Gläsern schwappt.

Computermontage: Eine goldene Kugel, schwer wie sechs Diesellokomotiven, verhindert, dass der Châteauneuf-du-Pape aus den Gläsern schwappt
Wahrlich eine kühne Idee, solch ein Pendel frei sichtbar aufzuhängen. Die Maßnahme soll den Gästen Vertrauen in die Gebäudetechnik einflößen. Sicher ist: Es gibt keine stilvollere Art, einem Wirbelsturm beizuwohnen.

Vom nächsten Jahr an ist das Erlebnis möglich. Dann hängt die Kugel in der Gipfelregion eines himmelhohen Büroturms, der gerade in Taipeh, der Hauptstadt der Inselrepublik Taiwan, emporwächst. Kurz bevor das Bauwerk fertig ist, wird das goldene Riesenpendel an acht Stahltrossen in der 92. Etage aufgeknüpft. Die Kugel ist innen aus Stahl und wiegt 730 Tonnen (etwa so viel wie sechs schwere Diesellokomotiven). Dieser Apparat ist der weltgrößte Schwingungsdämpfer seiner Art.

Es stand ja auch noch nie ein so hohes Haus an so widrigem Ort. Taiwan wird häufig von Naturkatastrophen heimgesucht. Die Einwohner sind gewöhnt an etwa drei Taifune im Jahr, die mit bis zu 250 Stundenkilometern über die Insel fegen, sowie an ein Dutzend größerer Erdbeben, die am Turm dann noch heftiger rütteln als das Sturmgebraus.

Für den Fall, dass die Erde bebt, stehen rings um die Kugel acht Puffer bereit, die ihren Ausschlag begrenzen. Sonst könnte das Pendel außer Kontrolle geraten und wie eine Abrissbirne gegen die Wände krachen.

Kleinere Erdbeben, die meisten kaum zu bemerken, gibt es auf Taiwan fast alle Tage. Die Insel liegt am Rand der Eurasischen Kontinentalplatte, wo gewaltige Schollen aneinander schaben. Nur 200 Meter vom Gebäude entfernt verläuft eine bekannte Bruchlinie der Erdkruste: die Taipeh-Verwerfung. Geologen versichern aber, gerade hier habe sich seit 45.000 Jahren nichts mehr geregt.

Es genügt freilich, wenn im weiteren Umkreis der Erdboden wackelt. Das zeigte sich besonders heftig am 31. März vergangenen Jahres. Das Hochhaus hatte damals gut die Hälfte seiner geplanten Höhe erreicht. Vier Kräne standen auf der obersten Plattform im 56. Stockwerk, allesamt mächtige Geräte - allein das Trageseil von 760 Meter Länge, an dem die Lasten hängen, wiegt neun Tonnen.

Aufragende Giganten: Eine Auswahl der weltweit höchsten Wolkenkratzer
Die vier Kranführer kurbelten wie üblich schwere Stahlträger aus der Tiefe empor, als der Turm jäh unter ihnen zu schwanken begann. Die Erdstöße kamen heftiger als üblich. Plötzlich riss sich knarzend und krachend der erste Kran aus der Halterung, knickte um und stürzte langsam über den Rand des Baus in den Abgrund, der zweite Kran hinterdrein.

Unten liefen Arbeiter und Passanten um ihr Leben. Stahlteile durchschlugen Betondecken und zerschmetterten geparkte Autos. Fünf Menschen starben, darunter die beiden Kranführer.

Als die Staubwolken sich gesenkt hatten, sah man in der Höhe, neben zerbeulten Trägern, die zwei anderen Kräne stehen. Sie hatten das Beben überstanden.

Der Führer des einen Krans verließ die Baustelle und kam nie wieder. Der andere arbeitet heute wieder in seiner Kanzel. Der Bau ist inzwischen bis zum 82. Stock emporgewachsen.

Alle sechseinhalb Tage kommt eine weitere Ebene hinzu, bis schließlich die 101. Etage erreicht ist. Am Ende werden es 508 Meter vom Erdgeschoss bis zur Spitze sein. Damit ist dieses Hochhaus, genannt "Taipei 101", das höchste der Welt.

Aber warum muss es ausgerechnet an diesem Ort stehen?

Niemand dachte an Höhenrekorde, beteuert der Baumagnat Hong-Ming Lin, Chef der Betreibergesellschaft. Das Gebäude hätte zunächst viel bescheidener ausfallen sollen. Auf den ersten Plänen ist noch ein mittelhoher Wolkenkratzer zu sehen mit 66 Etagen. Aber dann sei der damalige Bürgermeister von Taipeh gekommen, der heutige Inselpräsident Chen Shuibian. "Er schaute sich unsere Entwürfe an, und dann sagte er: Könnt ihr es nicht höher machen?"

So kam es, dass der nächste Entwurf 77 Etagen hatte, der übernächste 88 - und noch immer war der Bürgermeister nicht zufrieden: "Könnt ihr es nicht höher machen?"

Der Bauunternehmer Lin hat damals verstanden, dass es ums Ganze geht. Taiwan will nicht mehr als die Insel gelten, wo die billigen Taschenrechner herkommen und die piepsenden Glückwunschkarten. Diese Zeit ist vorbei. Heute produziert das kleine Land, halb so groß wie Bayern, mehr als die Hälfte der Notebook-Computer, die weltweit verkauft werden; Firmen wie Dell und Compaq lassen ihre Geräte großteils hier fertigen. Diesen Aufschwung soll die Welt mal zur Kenntnis nehmen - allen voran die Festland-Chinesen, die Erzrivalen drüben am anderen Ufer, wo die Metropolen Hongkong und Shanghai mit immer neuen Bürotürmen auftrumpfen.

Taipei 101 ist, wie es scheint, die Ausgeburt allerhöchster Ambitionen. Dafür ist der Bau ziemlich elegant geraten. Das Architektenbüro C. Y. Lee hat ihn als abstrakte Pagodengestalt entworfen, die sehr licht, fast durchscheinend, in acht Stufen gen Himmel strebt. Nichts verrät von außen, wie teuer der unmögliche Standort bezahlt ist. Der tempelhafte Turm muss den Naturgewalten standhalten wie eine Festung: Er stützt sich auf einen mächtigen, vielfach verstrebten Kern, durch den auch die Aufzüge und Steigleitungen laufen. An den Außenseiten stehen acht gewaltige Stahlpfeiler, je zweieinhalb mal drei Meter dick und voll gepumpt mit Spezialbeton.

In jeder achten Etage sind ringsum mächtige Querstreben eingezogen, die den Kern mit den Säulen zu einem Trageskelett verbinden. Diese Streben füllen je ein ganzes Stockwerk nahezu aus. Insgesamt elf Etagen werden allein für Fluchträume, Wassertanks und Versorgungstechnik verbraucht; für Büros, die Geld einbringen, ist da kein Platz mehr.

Dafür sollte der Turm, derart armiert, aber auch den Einschlag eines Flugzeugs aushalten, versprechen die Bauherren. "Er würde sicher länger stehen bleiben als das World Trade Center in New York", sagt Chung Ping Wang, der verantwortliche Architekt von der Firma C. Y. Lee. "Aber wir hoffen, dass wir weniger Feinde haben."

Die Natur ist feindselig genug. "Man findet so schwierige Bedingungen nirgends sonst auf der Welt", sagt der Statiker Shaw Shieh, der für die Stabilität des Turms zuständig ist. Das scheint ihn nicht sonderlich zu bedrücken: "Ich glaube, so ein Projekt ist der Traum jedes Ingenieurs."

In New York wäre ein solcher Bau keine Kunst; dort kann jeder hoch hinaus. In Taipeh dagegen blieb den Rekordjägern wirklich keine Herausforderung versagt: Selbst der Boden ist denkbar schlecht.

Vor wenigen Jahren buckelten hier noch Bauern in ihren Reisfeldern, und Wasserbüffel zogen durchs sumpfige Schwemmland. Als die Ingenieure den Untergrund erforschten, stießen sie stellenweise erst in 60 Meter Tiefe auf soliden Fels. Das Hochhaus ruht deshalb nun wie ein Pfahlbau auf 550 Pfeilern. Manche mussten bis zu 80 Meter in die Tiefe getrieben werden.

Nun aber fühlen die Baumeister sich für alle Schrecken gerüstet, das nächste Jahrhundertbeben inbegriffen: "Ich möchte wetten, unser Haus wäre das letzte in ganz Taipeh, das umfällt", sagt der Architekt Wang.

Die Baustelle liegt im Zentrum eines nagelneuen Finanzbezirks, der gerade auf dem altem Bauernland emporgezaubert wird. In der Nachbarschaft stehen bereits Edelkaufhäuser und Bankenpaläste. Gleich gegenüber warten prunkvolle Appartement-Blöcke auf die ersten Mieter - ringsum hohe Gitter, das Portal flankiert von vier polierten Wächterhäuschen, aus denen Kristalllüster blinken. Fotografieren streng verboten. Alles ist hier gerichtet für den Einzug des großen Geldes, das bekanntlich scheu ist.

Die Bauherren von Taipei 101 wollen vor allem die erste Liga des globalen Finanzkapitals in ihren Rekordturm locken: Banken, Fonds, Versicherungen. Die Branche lebt schließlich vom Eindruckmachen. Die Börse von Taipeh hat sich schon ein paar Etagen reserviert; sie gehört selbst zu der Gruppe einheimischer Investoren, die das Hochhaus bauen lässt. Geschätzte Kosten: umgerechnet gut anderthalb Milliarden Euro.

Nach dem Einsturz des World Trade Center in New York sank den Planern allerdings der Mut zum Herausragen. Sie erwogen, ihr halb fertiges Bauwerk kleiner zu belassen, unauffälliger. Der nächste schwache Moment kam nach dem März-Beben, als die Kräne vom Dach gefallen waren. Aber jedes Mal rafften sich die Zweifler wieder auf: Der Turm sei schließlich so sicher, wie er nur sein könne. Und so gingen die Bauarbeiten wieder voran.

1800 Arbeiter bevölkern die Baustelle; bald werden es 3000 sein. Tag und Nacht schweißen sie neue Träger an das Stahlskelett, pumpen Beton in die Röhren und hängen Fassadenteile ein ums Tragegerüst herum.

Ein Erdbeben hin und wieder gehört zum Arbeitsalltag, aber manche gewöhnen sich schwer daran. "Das fährt einem schon in die Glieder", sagt der Ingenieur Stephan Eberle, ein Abgesandter der Firma Gartner aus dem schwäbischen Gundelfingen, die den Turm mit seiner gläsernen Fassade versieht. Und erst der Wind. Selbst an ruhigen Tagen pfeift er schauerlich durchs Stahlgerippe, das in den oberen Etagen noch unverkleidet ist. Die Fassadenplatten sind auf einen Winddruck von 1,35 Tonnen pro Quadratmeter ausgelegt - mehr als das Anderthalbfache des üblichen Maximums.

Wenn das Gebäude erst fertig ist, sollten die Bewohner vom Wüten der Elemente nicht mehr allzu viel mitbekommen. Dann müssen sich nur noch genügend zahlungsfrohe Mieter einfinden. Die Bauherren verbreiten tapfer Zuversicht. Auch das Kranunglück hatte ja, wie der Statiker Shieh versichert, nichts mit der Stabilität des Baus zu tun. Dennoch ist allen klar, dass in Häusern dieser Höhe nicht nur zählt, ob sie stehen bleiben oder nicht. Die Frage lautet: Wer will in einem Turm arbeiten, der so wackelt, dass die Kräne vom Dach fallen?

Seit dem Anschlag vom 11. September geht ohnehin weltweit eine gewisse Höhenangst um. Die Himmelsstürmer von Taipeh können leicht sagen, diese Angst sei irrational. Aber der Wille, ein extrem hohes Haus zu bauen, ist es vielleicht ebenfalls.

Die höchsten Wolkenkratzer sind an sich schon gebrechliche Gebilde. Sie sehen nur aus wie Monumente, die nichts umwirft. In Wahrheit macht ihr Riesenwuchs heikle Probleme. Selbst in friedlichen Gegenden sind aufwendige Stützapparate nötig, damit die Kolosse überhaupt stehen bleiben.

Weit verbreitet sind inzwischen Schwingungsdämpfer nach Art der goldenen Riesenkugel. Es gibt sie in vielerlei Gestalt. In manchen Bürotürmen sind hoch droben trickreich geformte Tanks verborgen, in denen Hunderttausende Liter Wasser geruhsam im Gegentakt schwappen. Anderswo messen Sensoren jede Regung des Baus, und Computer schieben tonnenschwere Betonblöcke auf Schienen hin und her, um dem gefährlichen Schwanken entgegenzusteuern.

"Praktisch alle Gebäude, die höher sind als 70 oder 80 Etagen, haben heute solche Dämpfer", sagt Architekt Wang. Die teure Technik schlägt auf die Kosten, aber das ist nur ein Teil des Problems: "Allzu hohe Häuser sind einfach nicht mehr effizient."

Ein Hochhaus bietet zwar viel Raum auf kleiner Grundfläche, aber mit zunehmender Höhe nimmt der Nutzen rasch wieder ab. Denn je höher die Gebäude wachsen, desto mehr Menschen und Material gilt es hinaufzubefördern. Das heißt: mehr Aufzugsschächte, mehr Treppenhäuser, mehr Steigleitungen.

Am kniffligsten ist es, all die nötigen Aufzüge unterzubringen. Sie haben den Nahverkehr einer Kleinstadt zu bewältigen: schätzungsweise 10.000 Menschen im Taipei 101, Besucher nicht gerechnet. 63 Aufzüge sausen hier später auf und ab, gut die Hälfte als Doppeldecker mit zwei Kabinen übereinander - das erspart den Platz für zusätzliche Schächte.

Aus demselben Grund bedienen fast alle Aufzüge nur je einen Teil der Strecke. Wer etwa in den 78. Stock will, steigt in den Express-Aufzug zum zweiten Umsteigebahnhof auf Ebene 60; von dort bringt ihn eine Lokalkabine ans Ziel.

Nur drei Schächte führen direkt nach oben zum Restaurant und Aussichtsdeck. Darin rasen windschnittig geformte Kapseln wie Projektile mit 1000 Metern pro Minute aufwärts - das ist Weltrekord. Damit den Passagieren nicht das Trommelfell platzt, sind die Aufzüge wie Flugzeugkabinen luftdicht versiegelt; der Binnendruck wird künstlich konstant gehalten.

So lassen sich die Menschenmassen einigermaßen effizient durch den Turm pumpen. Für Büros bleibt dennoch immer weniger Fläche übrig. Irgendwo müssen ja auch noch die Notstromgeneratoren hin, das Sprinklerwasser und die Zufluchtsräume für den Feuerfall. Kurzum: Von einer gewissen Höhe an wird so ein Riesenbau unrentabel. Man muss ihn sich leisten wollen.

"Ich persönlich würde niemandem empfehlen, sehr hoch zu bauen", sagt Wang. "Aber wir wollen eben weltweit die Nummer eins sein."

So geht das Rennen himmelwärts immer weiter; und auch die Verfolger ruhen nicht - zumindest was kühne Pläne betrifft. Ausgerechnet in New York hat sich das gerade gezeigt: Vier von sieben Entwürfen für die Unglücksstätte Ground Zero, darunter der soeben gekürte von dem Berliner Architekten Daniel Libeskind, sahen Gebäude über 500 Meter Höhe vor.

Im wirklichen Leben jedoch bleiben viele Fragen offen: Soll man überhaupt noch so hoch bauen? Wagt sich ein Besucher oder Mieter in die obersten Etagen? Werden die Versicherungen unbezahlbare Aufschläge verlangen? Ist deshalb vielleicht schon "die Zeit der großen Wolkenkratzer vorüber", wie Walter Kielholz argwöhnt, Vorstandsmitglied des Schweizer Rückversicherers Swiss Re?

Um die zahllosen Pläne für Rekordbauten, die seit Jahren kursieren, ist es jedenfalls sehr still geworden. Die meisten Projekte sind vorerst eingefroren - bis auf den Turm von Taipeh. "Soweit ich weiß", sagt Wang, "sind wir zurzeit die einzigen in dieser Größenklasse, die tatsächlich bauen."

Umso schärfer blickt die Welt nun auf das erste Riesenhochhaus nach der Katastrophe. Das ist nicht ganz die Art von Prominenz, die sich die Erbauer erhofft hatten. Zumal auch der bisherige Rekordhalter kein gutes Omen abgibt: Die Petronas Towers in Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias, standen lange Zeit großteils leer.

Die prachtvollen Zwillingstürme wurden in Angriff genommen, als in Kuala Lumpur die Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden schossen. 1996 wurden die Türme fertig - pünktlich zum Beginn der großen Asien-Krise. Und das sind beileibe nicht die ersten Rekordbauten, die zur denkbar falschen Zeit kamen.

Andrew Lawrence, ein Analytiker der Deutschen Bank, hat festgestellt: Das ist auffallend häufig so. Wo auch immer ein neues höchstes Haus ausgerufen wird, steht die Wirtschaft in der Regel vorm Kollaps. So war es in New York um 1930, als kurz hintereinander das Chrysler Building und das Empire State Building in die Höhe wuchsen -rechtzeitig zur großen Depression.

Danach herrschte vier Jahrzehnte lang Ruhe, bis in den frühen Siebzigern neue Rekorde aufhorchen ließen: in New York das World Trade Center, in Chicago der Sears Tower. Kurz darauf beendete die erste Ölkrise den Nachkriegsboom, und es folgte die schwerste Flaute seit den dreißiger Jahren.

Lawrence fand dieses Muster so oft, dass er daraus einen "Skyscraper Index" erstellte. Demnach sind Höhenrekorde meist Ausgeburten von Spekulationswahn. Überschießendes Kapital, das schon nicht mehr weiß wohin, verleitet die Bauherren zu Prahlsucht - ein verlässliches Vorzeichen für das Ende eines Booms.

In seinem Essay "Brauchen wir noch Wolkenkratzer?" bespöttelt der renommierte US-Architekt William Mitchell einen besonders lustigen Fall von Höhendünkel: die schicke Bar des Peninsula-Hotels in Hongkong. Der Designer Philippe Starck hat dort die Urinale direkt vor die verglaste Fensterfront gesetzt, "so dass mächtige Männer auf die Stadt niederblicken können, während sie sich erleichtern".

Der "Skyscraper Index" ist allerdings nicht nur ein Barometer für ökonomische Dekadenz. Er beansprucht auch Weissagekraft: Sieh nach, wer die tollsten Hochhauspläne ausbrütet, und du weißt, wo die nächste Krise ausbricht.

Gilt das auch für Taipeh? Es scheint so: Die Fertigstellung des Turms war für 2002 geplant, und dieses Jahr, sagt der Bauunternehmer Hong-Ming Lin, war das "schlimmste für Taiwan seit einem halben Jahrhundert".

Nun hoffen die Rekordjäger, dass die Verspätung sie in den nächsten Aufschwung hinüberrettet. Und dass die Ängstlichkeit der Kundschaft sich in der Zwischenzeit wieder legt.

Kein Mietrabatt für die oberen Stockwerke? "Im Gegenteil", sagt Lin. "Da verlangen wir nach wie vor 20 Prozent mehr." Das Konsortium wettet darauf, dass die Leute früher oder später doch wieder hoch hinaus wollen (auf jeden Fall höher als die Konkurrenz).

Einiges spricht dafür: Die ursprüngliche Version des Hochhauses von Taipeh war geplant als Dreiergruppe - in der Mitte der Hauptturm mit 66 Stockwerken, flankiert von zwei kleineren Gebäuden links und rechts. "Das haben wir ganz schnell verworfen", sagt Lin. "Denn in die kleinen Türme wollte niemand rein."


ariva.de  

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