Dr. H-D. Schulz: Ein Kaufsignal für Wall Street

Dr. Hans-Dieter Schulz


Die charttechnische Analyse: Ein Kaufsignal für Wall Street
Eine immer wieder zitierte Börsenregel lautet, dass die Kleinanleger am Ende meist unrecht behalten, während die Profis als einzige richtig liegen. Die Plausibilität dieser Regel wird durch die Tatsache untermauert, dass professionelle Anleger, also Banken und Institutionelle, im Gegensatz zu den Privaten den längeren finanziellen Atem haben. Daher lohnt einmal ein Blick auf die Stimmungsschwankungen dieser beiden Gruppen von Marktteilnehmern. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Statistik darüber vorliegt, welche Gruppe von Marktteilnehmern wann bullisch oder bärisch eingestellt war.

Eine solche Statistik wird monatlich von der New York Stock Exchange herausgegeben. In der Short Sales Statistik wird aufgeführt, welche Gruppe von Marktteilnehmern wie stark und in welche Richtung am Markt engagiert ist. Zwei Gruppen sind hierin von Interesse. Die Floor Traders, also Parkett-Händler stellen die professionelle Seite dar, während die sogenannten "odd lot short sales" die schwachen Hände darstellen. Letztere Positionen sind Leerverkaufspositionen, bei denen jeweils eine krumme Zahl von Aktien leerverkauft wurde. Man nimmt an, dass dahinter kaufkraftschwache Kleinanleger stehen, die es sich noch nicht einmal leisten können, bis zur nächsthöheren runden Zahl aufzurunden.

Die Statistik kann man sinnvoll weiterverarbeiten, indem man die Positionen beider Gruppen gegenüberstellt. Man teilt die Positionen der schwachen Hände durch die der starken Hände, also die "odd lot short sales" durch die "floor trader short sales".
Je höhere Werte der Quotient annimmt, desto höhere Leerverkaufspositionen haben die Privaten im Vergleich zu den Profis. Bei sehr hohen Werten spekulieren die Privaten "gegen" die Profis, so dass erstere nach der anfangs vorgestellten These falsch ligen müssten.

Und tatsächlich: In der jüngeren Vergangenheit ergaben sich in dieser Konstellatin regelmäßig Kaufgelegenheiten für Aktien. Offenbar hatten die schwachen Hände über Gebühr auf Baisse spekuliert. Im Chart erkennt man solche Kaufsignale an den Senkrechten, die exemplarisch herausgesucht wurden und oben mit einem "K" gekennzeichnet sind.

Umgekehrt hat es bei niedrigen Werten auch Verkaufsignale gegeben.
Wie man sieht, hat dieser Indikator von 1996 bis 2000 gut funktioniert. Im März allerdings gab es ein ziemlich eindeutiges Verkaufsignal, ein Fehlsignal, wie sich herausstellen sollte. Der Dow Jones war, weil überverkauft, gestiegen. Dies lässt sich dadurch begründen, dass eine Flucht aus den abstürzenden Technologiewerten in Werte der Old Economy einsetzte. Der Dow Jones hat sich nach dem Verkaufsignal immerhin gut ein Jahr lang seitwärts entwickelt, während der breitere S&P 500 Index ab Herbst 2000 im Gleichlauf mit der Nasdaq deutlich nachgab.
Das Fehlsignal relativiert sich somit, denn zeitgleich mit seinem Auftauchen gab es für Technologieaktien weltweit noch größere Verkaufsignale.



Aktuell ein Kaufsignal

Ab Ende 2000 hat sich der Indikator in einer engen Zone zwischen 0,80 und 0,85 bewegt. Er lag hier näher an der Kaufzone als an der Verkaufzone. Der Dow Jones bewegte sich zeitgleich innerhalb einer Trading-Bandbreite zwischen 10000 und 11000 Punkten. Man könnte sagen, dass ein gewisses Gleichgewicht zwischen den starken und schwachen Händen bestand.

Erst jetzt, nachdem der Dow Jones aus seinem Trading-Band je einmal nach unten und nach oben ausgebrochen ist, sind die Kleinanleger misstrauisch geworden und haben ihre Leerverkaufspositionen erhöht. Die starken Hände haben gleichzeitig ihre Leerverkaufspositionen zurückgeschraubt. So konnte sich der Indikator aus seiner neutralen "Gleichgewichtszone" heraus nach oben bewegen. Er zeigt im Augenblick ein Kaufsignal an. Freilich ist unklar, ob der Indikator wieder funktioniert. Denkbar wäre, dass der Trend, Mittel aus Aktien in Geldmarktfonds umzuschichten, bestehen bleibt. Dann würde aus dem aktuellen Kaufsignal lediglich eine Seitwärtsbewegung, bevor ein neues Verkaufsignal dieses Indikators zu tieferen Kursen führen kann.

Wenn sich aber beim Absatz der Geldmarktfonds nichts ungewöhnliches tut, könnten die Kurse zumindest bis an die Abwärtstrendlinie bei 10600 Punkten steigen. Bei einem Ausbruch darüber bilden die Marken 11000 und 11325 die nächsten Widerstände. Insbesondere letztere Marke dürfte schwer zu überwinden sein. Bereits vier Mal scheiterten dort in den vergangenen zwei Jahren die Kurse.

Bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage will man nicht so recht an steigende Kurse glauben. Die Gewinne gehen bekanntlich in den USA so stark zurück wie zuletzt 1958 und die Aktien des S&P 500 Index haben ein durchschnittliches KGV von über 30, sind also weiterhin auf historisch überbewertetem Niveau. Dennoch, auch andere Statistiken, die darüber Aufschluss geben, wer welche Futures auf Aktienindizes hält, weisen für den Dow Jones Index die starken Hände im Augenblick auf der Long-Seite aus und das mit zunehmender Tendenz.

Noch eine andere Betrachtung: Wenn die Rezession so verläuft, wie die von 1990/91, dann wäre jetzt ein optimaler Kaufzeitpunkt für Aktien. Erst wenn sich herausstellen sollte, dass die aktuelle Rezession doch wesentlich tiefer und langandauernder wäre, könnte sich auch die Einschätzung der Profis in Bezug auf die Börsenbewertung ändern. Gelegenheiten für eine Revision der aktuellen Einschätzung sollten sich bis zum Jahresende mehrfach bieten, wenn mehr und mehr Daten über den Stand der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung samt Boom am Immobilienmarkt als auch der Unternehmensgewinne eintreffen.

Nach in den Frühherbst hinein steigenden Aktienkursen könnte -eine tiefere Rezession als bisher angenommen vorausgesetzt- bereits 2002 Herr Edwards dastehen wie ein zweiter Laokoon.

Dr. H.-D. Schulz/Felix Pieplow

29.08.2001